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Dagmar Thorgut

Sie schauten aus dem Salon auf die große Wiese hinaus, auf der Thorgut, das Gewehr auf der Schulter, neben seinem Kinde stehenblieb und mit ihm zu spielen begann.

»Ich weiß wahrhaftigen Gotts nicht, warum Thorgut eigentlich immer ein Schießgewehr mit sich schleppt. Das ist doch Vorspiegelung falscher Tatsachen«, sagte Emerich Pyrker in seiner ironischen, näselnden Weise. »Apoll anstatt mit der Leier mit dem Bogen der Diana.«

Dagmar drehte sich zu ihm herum und maß ihn mit kühlem Blick.

»Wie oft soll ich dir sagen, Emerich,« sagte sie, »daß du dir eine andere Zielscheibe deines funkensprühenden Geistes aussuchen sollst? Wenn Thorgut auch nicht so reiten und schießen kann wie ihr, so glaube ich doch, daß – nun, ihr wißt ja, wie ich darüber denke.«

»Dagmar hat ganz recht«, mischte sich Harro Liebenstein ein. »Wir haben absolut keine Veranlassung, uns über ihren Mann lustig zu machen. Erstens ist er ihr Mann und zweitens ist er unbedingt ein Mensch, der Respekt einflößt. Was man von dir, mein lieber Pyrker, nicht sagen kann.«

Sie lachten alle, und Dagmar reichte jedem ihrer Gäste eine neue Tasse Tee. Die Augen der jungen Männer hingen an ihr, wie sie so mitten unter ihnen am Teewagen hantierte in ihrer ruhigen, selbstsicheren Grazie. Sie trug noch Reitdreß. So, wie sie vor einer halben Stunde von der Jagd heimgekommen war, weiße Bluse, graue Breeches in hohen Lackstiefeln, und ihre tadellose Figur zeigte sich in allen ihren köstlichen, weichen Linien. Sie war schön, wirklich schön. Eine jener Frauen, an denen auf Schritt und Tritt die Begierden der Männer emporzüngeln. Josefa Lohnstein und Aglaia Starnfels, obwohl beide auffallend hübsche Mädchen, obwohl jünger, frischer als sie, verblaßten zu wesenlosen Schemen neben ihr.

Dagmars Sporen klirrten leise, als sie zu Ferry Lohnstein hinüberging, der wie gewöhnlich in einer Ecke hockte und sich an der hin- und herspringenden Unterhaltung nicht beteiligte. Er war ein stattlicher Mann – in seiner Art hübscher als die Schwester. Rassiger war er, energischer. Josefa war ein schlankes, dunkelhaariges Ding, laut und oberflächlich. Ferry war immer still, doch er hatte gar manche wilde Fahrt hinter sich. Er galt als der beste Fechter und der beste Schütze die ganze Donau hinauf und hinunter.

Als Dagmar zu ihm trat und ihm seine Tasse reichte, blickte er zu ihr auf. Sie stand vor ihm, mit dem Rücken zu den anderen, die daher nicht sehen konnten, welche Glut in seinen Augen aufflammte, mit welch heftigem Griff er die Hand erfaßte, die ihm die Teetasse hinhielt –. Sein Blick war eine Bitte, sein Griff eine Drohung.

Sie zuckte zusammen. Ihre Lippen flüsterten ein erschrecktes, kaum hörbares Wort. Er ließ sie los und begann in seiner Tasse zu rühren. Sie aber trat an den Tisch in der Mitte des Zimmers zurück. Josefa hatte ihr inzwischen eine Tasse zurechtgemacht, sie trank ein paar hastige Schlucke. Dabei glitt ihr Blick auf den Park hinaus, suchte die breite Gestalt ihres Mannes.

Der hatte sein Gewehr ins Gras gelegt und die kleine Ella auf den Rücken des Hundes gesetzt. Lord, obwohl in seiner Würde empfindlich gekränkt, hielt still und knurrte nicht einmal, als das Kind in seinem Vergnügen ihn an den langen Ohren zu ziehen begann.

»Hüöh – Lord! Hü – öh!« schrie es und strampelte, um das unwillige Reittier in Trab zu bringen.

Etwas abseits stand Susanne Warren, die Gouvernante, ein leises Lächeln um den Mund; doch als zufällig Thorguts lachender Blick auf sie fiel, verschwand dieses Lächeln, sie war wieder die würdevolle strenge Erzieherin.

»Herr Thorgut,« mahnte sie, »Ella wird herunterfallen, oder der Hund wird sie beißen.«

»Ach, keine Spur! Sie sind immer eine solche Angstmeierin«, gab er übermütig zurück. »Was ein richtiger Kerl werden will, muß schon ein paarmal seine Knochen riskieren. Gelt, Ella?«

Ella jauchzte natürlich begeisterte Zustimmung. Lord, als der vernünftigste von den drei am Spiel Beteiligten, gab nach und ließ sich für einige Schritte zu einem wackelnden Trabe herbei. Susanne Warren zuckte die Achseln. Es war etwas Hartes, Erzwungenes in ihrer Haltung.

Dagmar sah die Szene von ihrem Fenster aus – ihre Lippen preßten sich zusammen. Immer das Kind – das Kindl

Ferry Lohnstein stand plötzlich neben ihr. So fein die Bewegung ihrer Lippen auch gewesen war, er hatte sie von seiner Ecke aus doch gesehen.

»Was ist, Dagmar?« fragte er, indem er sich zu ihr hinabbeugte und über ihre Schulter hinausblickte. »Ach so –!«

Sie fuhr herum.

»Du bist verrückt! Glaubst du im Ernst – die Gouvernante, dieses hölzerne hochnäsige Ding? Nein – das Kind, das Kind! Das ist immer da – das ist immer das erste –«

Er lauerte sie aus seinen dunklen Augen an.

»Bist du eifersüchtig auf das Kind?«

Heiß streifte sein Atem ihre Wange. Sie erhob sich und setzte sich zwischen die beiden jungen Mädchen auf das Sofa – er drückte seine Finger in die Handflächen, daß es schmerzte, und ging auf seinen Platz zurück.

Draußen auf der Wiese sagte Susanne Warren, nachdem sie das lustige Treiben eine kleine Weile nachsichtig gestattet hatte:

»Herr Thorgut, Ihre Frau Gemahlin ist bereits zu Hause.«

»So?«

Er richtete sich auf und blickte zu ihr hin.

»Sie hat auch einige Herrschaften mitgebracht.« »So?«

Er wandte sich vom Kinde ab und nahm sein Gewehr auf. Die Kleine wollte ihn noch nicht so rasch freigeben und bettelte, er möchte noch bleiben.

»Schätzerl, schön brav sein« wehrte er sie ab. »Ich muß jetzt hineingehen und meinen Hausherrenpflichten genügen.«

»Ach – die fremden Leute Ella machte ein Mäulchen.

»Das sind doch Freunde der Mama!«

Das Kind gab sich geschlagen. Es kletterte von Lords Rücken herunter und lief zu Susanne hinüber. Die hatte sich wahrend der Unterhaltung nicht gerührt, doch jetzt nahm sie das Mädchen in ihren Arm.

»Komm, Ella,« lockte sie, »wir wollen zur Fischzucht gehen und die jungen Forellen ansehen, die gestern ausgesetzt wurden.«

»Gut, Susi, gehen wir«, stimmte die Kleine bei und winkte dem Vater ein melancholisches Lebewohl zu. Sie hätte viel lieber mit ihm weiter gespielt.

Susanne nickte Thorgut zu, kühl – feindselig beinahe, dünkte ihn. Dann bog sie mit ihrem Zögling in den Park. Er sah ihnen nach –. Ein merkwürdiges Mädchen – diese Susanne! Wie wenn sie ihn haßte! Warum eigentlich –? Je länger er sie kannte, desto weniger wußte er mit ihr anzufangen.

Er ging langsam dem Schlosse zu. Lord beutelte die eben erduldete Schmach von sich ab und trottete hinter ihm drein. In der Halle nahm der Diener das Gewehr in Empfang, um es in den mächtigen Waffenschrank zu stellen, der die eine Hälfte der großen Kaminwand einnahm, und Thorgut trat in den Salon.

Das Lachen und Plaudern verstummte, als er die Tür öffnete, und Dagmar kam ihm entgegen. Er küßte ihr die Hand und suchte dabei mit seinem Blick den ihrigen.

»Wir sind eben zurückgekommen«, sagte sie. »Nimmst du auch eine Tasse?«

»Selbstverständlich.«

Thorgut begrüßte die jungen Männer und Mädchen in seiner ruhigen, heiteren Art. Auch zu Ferry Lohnstein ging er hin, um ihm die Hand zu drücken. Er wußte ja, daß sie ihn alle miteinander nicht für voll nahmen, für einen Eindringling hielten, noch dazu für einen, der ihnen ihren wertvollsten Besitz, Dagmar, geraubt hatte. Und er tat daher selbst alles, um die Distanz zwischen sich und ihnen zu wahren. Wenn es nicht um Dagmars willen gewesen wäre, hätte er sich gegen den ganzen Verkehr mit der aristokratischen Nachbarschaft zur Wehr gesetzt. Sie waren nette, kultivierte Menschen – diese Pyrker, Lohnsteins, Liebensteins, Rechbergs, Panffyst – liebenswürdig, fast bescheiden dabei. Zeigten ihm auch, daß sie ihn, den berühmten Schriftsteller, respektierten – und doch – der Kirchensprengel, aus dem er kam, lag zu weit von dem ihrigen. Aber sie waren nun einmal Dagmars Leute. Waren ihre Jugend – ihre Gesellschaft –.

Und er liebte seine schöne Frau über alle Maßen. Er betete sie an. Verehrte sie wie ein höheres Wesen. Er war fünfundvierzig, sie sechsundzwanzig!

»Nun, habt ihr irgend etwas gefunden?« fragte Dagmar.

»Nein«, erwiderte er. »Christen meint, wir sollten heute nacht das ganze Revier abgehen. Wir müssen die Kerle endlich einmal erwischen – es ist ja eine Schmach und Schande, wie die mir mein Viehzeug abschießen. Denke dir, Dagmar, den Sechzehnender, weißt du, den Christen immer den Pascha nennt und der oben an der Leixener Lichtung wechselte – den haben sie mir weggeknallt. Gestern hat der Heger Moritz eine Gais in der Schlinge gefunden – tot natürlich, mit einem ein paar Tage alten Kälbchen daneben. Das schlägt dem Faß den Boden aus. Ich glaube, ich habe ihnen gezeigt, daß mit mir nicht zu spaßen ist. Ich hab' den Poldi Neuhofer, den ich selber erwischt habe, krumm und lahm geschlagen – – aber es scheint, das ist ihnen noch nicht genug.«

Es ging seinen Gästen ebenso nah wie ihm. Sie waren alle Jagdherren und mußten ebenso wie er ihre Wälder gegen die Wilderer schützen.

»Verzeihen Sie,« sagte Liebenstein, »Herr Thorgut, daß ich mir erlaube, einen Rat zu erteilen, denselben, den ich Ihnen schon oft erteilt habe. Dieb ist Dieb und muß so behandelt werden. Wenn Ihre Förster so einen Kerl mit seinen Schlingen oder mit dem Gewehr erwischt haben – was haben Sie gemacht? Sie haben ihm eine furchtbare Strafpredigt gehalten und mit den Schrecken des Fegefeuers gedroht! Und haben ihn nach Hause geschickt, haben ihm womöglich die Pfanne geschenkt, in der er sich das Reh oder den Hasen braten kann, den er Ihnen gestohlen hat. Nun und? Den Neuhofer haben Sie höchsteigenhändig gestraft – was ich übrigens bei der Kraft und der Wildheit des Kerls als eine höchst achtbare Leistung anzuerkennen gezwungen bin. Dann haben Sie ihn auf Ihre Kosten ins Spital geschickt und seine Familie die ganze Zeit über erhalten. Wissen Sie, wie Ihnen der Halunke danken wird? Er wird Ihnen auflauern und bei der nächsten Gelegenheit einen Rehposten in den Rücken schießen.«

Thorgut zuckte die Achseln und rieb sich mit verlegener Miene das Haar. Grau war es an den Schläfen, aber sonst noch voll und stark.

»Humanität und Fortschritt in allen Ehren«, sprach Liebenstein weiter. »Sie wissen, Herr Thorgut, daß ich zu Ihren begeistertsten Verehrern gehöre, weil Sie uns in Ihren Werken Wege zeigen, die wir kurzsichtigen Normalstaatsbürger nie finden würden – aber«

»Na, übertreiben Sie nicht, Graf!« wehrte Thorgut, gutmütig lachend.

»Bin weit davon entfernt, Meister. Aber ich bemühe mich, Ihnen endlich Vernunft beizubringen! Gut, Sie sagen, Sie sind kein Jäger, Sie hassen die Jagd – Sie lieben das Tier, weil Gott es geschaffen hat – Sie geben aus Prinzip keine Jagdgesellschaften, zahlen Unsummen für Wildschäden – das ist Überzeugungssache und muß als solche geachtet werden. Aber Sie behandeln die Schweine, die Ihnen Ihr Wild wegknallen oder wegfangen, wie verirrte Schäfchen Gottes! Lieber Herr Thorgut, verzeihen Sie einem soviel Jüngeren und Unbedeutenderen ein offenes Wort. Sie sind ein berühmter Mann, aber schrecklich inkonsequent.«

»Mit anderen Worten – lächerlich?«

Thorgut hatte ruhig zugehört. Jetzt schleuderte er diese Frage ins Zimmer wie eine Herausforderung. Liebenstein hatte ihm die Meinung gesagt, im scharmantesten Plaudertone, aber doch verletzend und demütigend. Wenigstens empfand er es so, da Dagmar anwesend war. Er blickte seine Gäste alle der Reihe nach an; die beiden jungen Mädchen machten Gesichter, als verbissen sie mit Mühe und Not das Lachen. Pyrker putzte angelegentlich sein Monokel, Liebenstein zündete sich eine frische Zigarette an. Ferry Lohnstein in seiner Ecke gab sich indessen keine Mühe, seinen Hohn und seine Verachtung zu verbergen. Er war es auch, der die Herausforderung aufgriff und aufnahm.

»Können Sie sich wundern,« rief er, »wenn man Sie so bezeichnen würde! Sie laufen immer mit einem Gewehr herum und haben noch nicht einen Schuß daraus abgegeben. Wissen Sie, was die Kerle sagen? Ach, der fürchtet sich ja vor seiner eigenen Büchse! Wir sind hier gewohnt, Herr Thorgut, mit einem Gewehr zu schießen, und nicht, es als Verschönerung der Landschaft zu benutzen.«

Jähe Angst griff Dagmar ans Herz. Sie kannte Ferry Lohnstein und wußte, wie sehr er ihren Mann haßte. Er wollte ihn reizen. Und sie kannte auch Thorgut. Er war jähzornig –.

Doch dieses Mal beherrschte er sich. Brachte es sogar fertig, seinen Widersacher, der ihn wütend ansah, so wie in halber Zustimmung anzulächeln.

»Und wenn Sie erst wüßten, Baron Lohnstein,« sagte er, »daß das Gewehr nie geladen ist? Ich bin ja ein so verzweifelt schlechter Schütze, daß ich auf fünf Schritt einen Elefanten fehlen würde. Aber – wenn Sie einen Moment warten wollen, werde ich Ihnen zeigen, daß ich so einen Schießprügel auch anders zu gebrauchen verstehe.«

Er ging hinaus und kehrte gleich darauf mit einem Gewehr zurück. Die anderen hatten sich inzwischen ruhig verhalten – Dagmar saß angstvoll da. Das Blut pochte in ihren Schläfen –. Liebenstein hatte Ferry einen tadelnden Blick zugeworfen, den dieser mit einem trotzigen Achselzucken beantwortete.

Die Waffe, die Thorgut hereinbrachte, war ein schwerer Drilling.

»Passen Sie auf, Baron!« lächelte er gutmütig.

Er packte das Gewehr am äußersten Ende des Laufes und streckte es mit steifem Arm von sich, bis der Schaft auf dem Boden auflag. Dann hob er es langsam, ganz langsam, ohne den Arm zu beugen, in die Höhe und hielt es fünf Minuten lang wagerecht in Brusthöhe. Nicht eine Miene zuckte dabei in seinem Gesicht – langsam, ganz langsam ließ er die schwere Waffe dann wieder zurücksinken.

»Bravo!« sagte Pyrker ganz laut.

»Alle Achtung, Meister!« stimmte Liebenstein bei.

Thorgut schwang das Gewehr mit einem Ruck über seinen Kopf. –

»Sehen Sie, ich kann so einen Prügel ganz gut dazu gebrauchen, um jedem, den ich als Wilderer auf meinem Gebiet treffe, den Schädel einzuschlagen.«

Seine Gäste schwiegen. Auch Ferry Lohnstein.

* * *

Eine Stunde später kam Christen, der Oberförster, mit den beiden Unterförstern und Thorgut zog sich mit ihnen in die Halle zurück. Dagmar verließ den Salon gleichfalls für einige Zeit, um ihre Anordnungen für das Souper zu geben, da die Gäste über Nacht bleiben sollten. Doch Ferry Lohnstein erklärte, kaum, daß sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, nicht bleiben zu wollen.

»Ich mag nicht«, knirschte er. »Ich betrete dieses Haus überhaupt nicht mehr, solange dieser Mensch hier den Herrn spielt.«

»Ferry!« rief Liebenstein. »Du bist unter seinem Dache.«


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