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Die dichterische Darstellung schwäbischer Art in Kellers Werken

Keller lernte schwäbische Art nicht in ihrer Heimat kennen – er setzte seinen Fuß nie auf schwäbischen Boden. Trotzdem hätte es ihm auf Grund seiner mannigfachen und nahen Beziehungen zu Vertretern dieses Stammes nicht an reichem Stoff gefehlt, um dessen Sonderart etwa im Gegensatz zum deutschen Schweizer dichterisch darzustellen in der Art, wie Lessing in seinem Lustspiel Preußen- und Sachsentum, Fontane gelegentlich Berliner und Hamburger einander gegenüberstellt. Einem Keller lagen jedoch derartige ethnographische Vergleiche weniger am Herzen, und so finden wir im Grunde nur einmal in den Werken des Meisters seine Kenntnis schwäbischer Art verwertet, und zwar in dem jüngsten der »drei gerechten Kammacher«, dem Schwaben Dietrich. Es versteht sich von selbst, daß in dieser Gestalt von einer Darstellung schwäbischer Art sich nur insoweit reden läßt, als sich Dietrich von seinem sächsischen und bayrischen Mitgesellen unterscheidet. Die Rolle, die Keller dem Schwäbchen innerhalb des edlen Kleeblatts zuweist, läßt denn auch eine ganz bestimmte Auffassung schwäbischer Art erkennen. Dietrich ist nicht bloß der jüngste, sondern auch der klügste und liebenswürdigste unter den öden Gesellen. Als »erfindungsreiches Schwäblein« späht er zuerst die tugendhafte Züs mit ihrem Gültbrief aus, daß der Sachse und Bayer, die bisher ahnungslos an dieser Glückspforte vorbeigegangen waren, über seinen tiefen Geist und seine Gewandtheit höchlich staunen. Und wenn nun auch das Land, das der Erfindungsreiche entdeckt hat, bald Gemeingut des Dreigestirns wird, so hat sich doch Dietrich, wie schon sein abenteuerliches Stockungeheuer ausweist, aus seiner nicht so gesetzten und vernünftigen Jugend soviel bewegliche Phantasie und muntere Natur herübergerettet, daß er, aller abgezirkelten Gerechtigkeit zum Trotz, seine Genossen und Züs überlistet. Nicht nur hat er sich klugerweise mit einem stärkenden Tränkchen für den Wettlauf versehen, das auch bei Züs gute Dienste tut, sondern es gelingt auch seiner Pfiffigkeit, die weise Züs zu überrumpeln und zu besiegen. Daß dem Dichter diese muntere Handlichkeit als ein bezeichnender Zug schwäbischer Art vorschwebte, das zeigt auch eine Stelle in der ersten Fassung des »Apotheker von Chamounix«. Hier bekennt der hohe Schatten Schillers, der Heine an der Himmelstür entgegentritt, daß ihm nutzloser Liebeskummer nie den Schlaf geraubt:

»Danklos Schmachten liebt' ich nicht,
Aber als ein muntres Schwäblein
Ging ich handlich an das Freien.
Spaß ließ ich mir nicht gefallen.
Also baut' ich meinen Herd.«

Daß Keller außer dem Typ des geistig beweglichen, munter zufassenden Schwaben auch andere Erscheinungsformen schwäbischen Wesens wohlbekannt waren, mag ein Bruchstück aus den Anfängen seiner Erzählerkunst zeigen, der Entwurf zu einer nie ausgeführten Novelle »Reisetage«. Die Hauptgestalten sollten die Freunde Plankof und Nestele bilden. Der eine ein Norddeutscher, Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns, von feurigem Geiste und beredter Zunge, sicher und gewandt in allen Verhältnissen, der andere »ein stiller und lieber Schwabe von mittlerer, etwas beleibter Statur mit milden, bescheidenen Augen, Sohn einer kinderreichen Beamtenfamilie.«

Gelegentlich hat auch dieser und jener Schwabe mit einzelnen Zügen seines Wesens und seiner Wirksamkeit dem Dichter als Modell oder wenigstens als Anknüpfungspunkt für Gestalten seiner Dichtungen gedient. Wenn auch der Reformpfarrer im »Verlorenen Lachen« von Keller keineswegs als ein Konterfei des Züricher Pfarrers Heinrich Lang gedacht war, so gab doch dieser 1826 in Frommern bei Balingen geborene Theologe durch seine Predigtweise und seinen Standpunkt manchen Zug für dieses Bildnis her, wenn auch der Dichter selbstverständlich keine einzelne Persönlichkeit, sondern eine ganze Richtung mit dem Pfarrer von Schwanau treffen wollte. Endlich denkt Keller in den »Mißbrauchten Liebesbriefen« bei Viggi Störtelers Notizenkrämerei, die kleine Züge der Wirklichkeit beflissen zu literarischer Verwertung aufzeichnet, offenkundig auch an einen schwäbischen Erzähler, der ihm durch kleinliche Nachbildung der äußeren Natur die fehlende innere Wahrheit und Tiefe ersetzen zu wollen schien, an den aus Maichingen bei Böblingen gebürtigen Erzähler Adolf Widmann (1818-1878). Er war dem Dichter wohl schon in Zürich unangenehm aufgefallen, wo er dem Rohmerschen Kreise nahestand. Dann traf ihn Keller wieder in Berlin, ohne sich jedoch mit seinem dichterischen Schaffen befreunden zu können. Widmanns 1853 erschienene »Erzählungen am warmen Ofen« kamen ihm vor, wie er in einem Brief an Hettner murrt, als ein interessantes Beispiel, wie man heutzutage ohne Beruf scheinbar gute und doch schlechte Bücher mache: »Absichtlich gemachte Studien in Wald und Feld, Reminiszenzen, gute Notizen, den Bauern und Jägern abgefragt und aufgeschrieben, zierliche Sächelchen appetitlich zusammengeschmiedet und mit reinlichem Stile vergoldet, aber inwendig nicht eine Spur von Notwendigkeit, von durchgehender Tiefe und nichts fertig.«


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