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Spuk

Der Sturm
Die Äste beugt
Und der Rabe singt.
So wandert das Wetter Gottes
Zu den Sternen.

                              Hölderlin

Geschrieben im Fieber einer Krankheit,
Januar bis April 1921.

Die Unterwelt

Ich hatte ein Gesicht. Aus meinem Unter-bewußtsein hob sich die Unter-welt nach oben. Der Acheron brauste. Charon, der Höllenfährmann, landete mit seinem Kahn. Der Kahn knirschte im Sand. Charon sprang ans Ufer. Er fluchte:

»Da lande ich in der Hölle – mit einem leeren Kahn. Nicht eine schlechte Seele wartete heute an der Überfahrt. Seit Jesus Christus dem Menschen erschienen ist, liegt mein Hand- und Höllenwerk übel brach.«

Er wühlte im Beutel, der ihm am Gürtel hing.

»Mein Beutel ist leer. Nicht ein Fährpfennig. Zum Teufel mit der Tugend der Menschen, wenn ich dabei zugrunde gehe. Ich hasse diesen Christus, ich hasse Gott, ich hasse die Güte, die Sanftmut, die Opferbereitschaft, die Wahrheit und die Liebe.«

Er schlug das Höllenzeichen und schrie:

»He, Pluto, Höllenfürst, erscheine! Charon, der Höllenfährmann, wünscht dich in dienstwilliger Ergebenheit zu sprechen.«

Es donnerte. Die Nebel der Unterwelt teilten sich. Ein Blitz riß die Dunkelheit mittendurch wie einen schwarzen Samtvorhang, und Pluto wurde sichtbar auf feurigem Thron. Charon beugte das Knie:

»Voll Betrübnis und Bitterkeit erscheine ich vor Deiner Majestät. Treu und unablässig diene ich dir seit Tausenden von Jahren. Millionen Seelen hab ich über diesen dunklen Fluß gefahren zu dir: daß sie auf ewig deine Sklaven seien. Auf der Erde herrschten deine finsteren Dämonen, deine Furien und Geister, und schickten Seele auf Seele herab. Dann aber ist ein Wunder über die Welt gekommen: Gott sandte seinen einzigen Sohn, begleitet von Scharen der silbernen Cherubim und Seraphim. Sie hatten keine Waffen in den Händen als Lilienstengel und Sonnenblumen. Aber sie schlugen deine fauchenden Furien in die Flucht. Gottes Sohn weckte das Gewissen der Menschheit. Der Mensch, so lange unserem finsteren Wesen verfallen, beginnt, Gottes Geschöpf zu werden. Mein Kahn fährt täglich weniger Seelen, und heute war er völlig leer. Es steht schlecht, Pluto, um deine, um meine, um unsere Sache.«

Pluto schüttelte sein Schlangenhaupt.

»Ich lobe deinen Eifer, Diener des Bösen.«

Und seine Stimme kreischte, wie wenn tausend Maulesel schreien. »Ihr Furien, ihr Erinnyen, ihr Dämonen, ihr Teufel und Teufelinnen, herbei! Pluto, Euer Fürst und Gebieter, ruft Euch!«

Unter Donner und Blitz erschienen die geifernden Geister und flatternden Furien.

Pluto hob das Szepter: einen Stab, aus dem Baum der Erkenntnis geschnitzt, und um den Stab ringelte sich eine lebende Otter mit einem kleinen Menschenkopf:

»Vernehmt, was ich Euch zu sagen habe. Charon, der Höllenfährmann, beklagt sich, daß sein Kahn täglich geringere Seelenfracht führe. Mit Unwillen erfahre ich, daß Euer Eifer im Dienst des plutonischen Reiches nachgelassen.« Er schwang sein Szepter: »Hütet Euch, ihr Pflichtvergessenen!«

Ein Teufel wagte zu flüstern:

»Allzumächtig ist die Gewalt des Guten –«

Pluto fuhr auf:

»Nicht mächtig genug, daß wir sie nicht zu brechen vermöchten. Fahrt auf die Oberwelt. Bedient Euch jeglicher Gestalt: sei du ein Pfaffe, du ein König, du ein Philosoph, du ein Reichstagsabgeordneter, du ein Feldherr, du ein Börsenmakler, du ein Bauer, du ein Kohlenbaron, du ein Schankwirt, du ein altes Weib, du eine Dirne: scheut kein Mittel, die Menschen zu jeglicher Untat, zu Mord, Diebstahl, Raub, Krieg, Unzucht, Lug, Trug, Haß und Heuchelei zu verführen. Lehrt sie, das Unterste nach oben, das Oberste nach unten kehren. Lehrt sie das Hohe erniedrigen, das Niedrige erhöhen, daß sie verderben und ihre Seelen zur Hölle taumeln ... Fahrt von hinnen. Du aber, oberster der Teufel, Satanas, verbleibe, da ich dir einen besonderen Auftrag zu geben habe.«

Die Dämonen entschwanden unter Heulen und Zischen.

Ich aber trat an Plutos Thron, neigte das Knie, über das sich der rote Mantel, der Mantel des Henkers, bauschte und sprach: »Was wünschest du, Herr der Hölle, von deinem ergebensten Knecht?«

Pluto sprach:

»Mir ist berichtet von einem Mädchen, bald Maria, bald Marianne geheißen. Sie ist über alle Begriffe schön und sanft. Ihr Wille will das Gute, aber ihre Jugend ist beschwert mit Ahnungen, Wünschen und Gedanken. Sie ist Wachs in der Hand eines entschlossenen Formers. Derart Überschwengliches haben meine Geister mir von ihr berichtet, daß mich ein heftiges Verlangen anwandelt, diese Seele zu besitzen und ganz mein eigen zu nennen. Ich gedenke, sie zu meiner Gemahlin zu erheben. Du, Satanas, sollst mein Brautwerber sein.«

Ich neigte das Knie, und der rote Mantel rauschte:

»Ich werde es an keiner Verführung und Verlockung mangeln lassen. Pluto wird seinen untertänigsten Diener loben.«

Pluto wandte sich an Charon:

»Und du, Charon, bist du's zufrieden?«

Charon nickte:

»Ich bin's, Fürst der Hölle. Mein Schiff wartet. Ich bin gerüstet.«


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