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Ich packte die Keule fester.
Da hörte ich eine Stimme, eine holde, mir schon vertraute Stimme:
»Aber Sie tun mir ja weh!«
Ich blinzelte gegen das Licht, das in meine Augen drang.
Ich hielt Hyacinthes Hand krampfhaft gepackt.
Ihre Hand, das war die Keule, mit der ich meine Feinde hatte zerschmettern wollen.
Ich lag in einem hellen, weiß angestrichenen Krankenhauszimmer in einem breiten, bequemen Bett.
Ich lag weich wie in Wolken in weißen, nach frischer Wäsche duftenden Kissen.
Hyacinthe hatte Schwesterntracht angelegt.
Sie trug die weiße Haube, unter der ihr Gesicht noch verführerischer, bezaubernder hervorstrahlte wie der Mond unter einer weißen Wolke.
Um den Hals trug sie ein Kreuz.
Aber kein Mensch war an dieses Kreuz geschlagen.
Es standen darauf die Worte:
Licht! Liebe! Leben!
Ein süßer Duft durchströmte das Zimmer.
Ich fragte es leise und meinte, es müsse wohl ihr Atem sein.
Sie zeigte auf den Krankentisch am Bettende.
Da stand eine weiße Hyazinthe.
Ich erschrak, aber anders, wie zuvor.
Es war ein freudiger, ein lieblicher Schreck.
Ich tastete nach ihrer Hand.
»Wie soll ich Sie nennen?«
»Nennen Sie mich nur, wie es meiner Tracht ansteht, nennen Sie mich: Schwester.«
»Nach welcher Himmelsrichtung liegt mein Zimmer, Schwester?«
»Wollen Sie die Sonne steigen oder sinken sehen?«
Ich wehrte ab.
»Ich hasse die Sonne. Der Mond ist mein Gefährte.
Die Nacht meine Freundin. Ich kann es nicht ertragen, wenn sich die Sonne in silbernen Messern spiegelt.«
Die Schwester strich mir über die Stirn.
»Das Zimmer liegt nach Norden.«
Ich seufzte erleichtert auf.
»Wie herrlich muß es am Nordpol sein – kalt – kalt – die Welt ist dort so kalt wie mein Herz – und dann: ewige Dämmerung ...«
Eine Nachtigall begann irgendwo zu schlagen.
Ich lauschte ihr verzückt, bis mein Entzücken in leise Angst überging.
Es war Januar – wie konnte im Januar eine Nachtigall singen?
Auch Hyacinthe hatte lauschend den Kopf erhoben.
Dann lächelte sie:
»Sie brauchen sich nicht zu verwundern oder zu beunruhigen: es ist das junge Mädchen von der zweiten Abteilung, das sich für eine Nachtigall hält –«
»Ein Mädchen, das sich für eine Nachtigall hält?«
»Sie hat im Kindbettfieber Wahnvorstellungen bekommen, und diese Wahnvorstellungen haben sie noch nicht verlassen. Sie glaubt mit ihrem Gesang den Vater ihres Kindes, das Nachtigallenmännchen, herbeilocken zu können.«
Ich schloß die Augen und erblaßte.
Ich erinnerte mich des Briefes aus dem Krankenhaus.
Wenn ich es war, den die Nachtigall rief?
War ich ihr nicht schon begegnet, als ich im wunderlichen Wald wandelte?
Die Schwester saß auf ihrem Stuhl und stickte an einem Kinderhäubchen.
»Finden Sie nicht, daß sie wie eine wirkliche Nachtigall singt? Professor Ziegelbert, der bekannte Ornithologe, der ebenfalls hier im Hause wohnt, behauptet, daß sie bis ins kleinste den Nachtigallenruf richtig wiedergebe, obwohl sie in der Steinwüste Berlins, aus der sie nie herausgekommen, doch niemals eine Nachtigall hätte singen hören können ...«