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Wenn die kleine Glocke klingt. – Die Tür ohne Klinke

Ich fand mich am Morgen wieder an den Strand meines Bettes geworfen.

Hyacinthe hielt das Bild Marias in der Hand.

Sie betrachtete es mit zärtlicher Aufmerksamkeit.

Aber die Figur im Bild und sie selbst schienen mir einander so ähnlich zu sein, daß ich nicht wußte: sah das Bild sie – oder sah sie das Bild an?

Bis ich mich wieder erinnerte, daß das Bild ja nicht sehen könne: da es keine Augen habe.

Denn ich hatte ihm die Augen ausgestochen.

Vor Wut. Vor Empörung. Vor Angst. Vor Bosheit.

Und ich empfand Scham und Grauen vor mir selbst.

»Was für eine wunderbare Frau muß dies gewesen sein!« sagte Hyacinthe, »gefestigt in sich. Harmonisch gewölbt wie die Kuppel des Michel Angelo zu Sankt Peter in Rom, aber reich geschmückt wie ein Tabernakel des Bernini. Sie lächelt ernst: Madonna des Cimabue. Sie blüht, eine weiße Rose auf schwarzem Grunde, Schwester des Yenkadi. Man müßte ihr ein Grabmal errichten wie das kolossalische Grabmal der Cecilia Metella an der Appischen Straße vor der Porta San Sebastiane in Rom. Sie trägt das Zeichen der heiligen Drei auf der Stirn: war Mutter dir, Kind und Geliebte.«

Yenkadi an der Wand bewegte zu mir die Lippen: Wenn die Drei wieder eines wird, wie die Drei einmal eines war – dann bist du erlöst.

Hyacinthe sprach:

»Ich bin nicht reich genug, dies alles zu sein. Aber ich liebe dich.«

Ich richtete mich auf:

»Wann wirst du mir gehören, wie du es mir geschworen hast?

Sie strich sich das Haar aus der Stirn, das wild aus der Haube quoll:

»Wenn die kleine Glocke klingt ...«

Dann küßte sie mich sanft auf die Stirn:

»Du mußt vor allem gesund werden, lieber Mensch.«

Sie sah mir lange in die Augen.

Ich wurde unsicher.

»Was siehst du mich so prüfend an?«

»Weil ich gern in deine Augen sehe.«

Ich wurde unruhig:

»Das ist nicht wahr. Du willst etwas entdecken. Du forschst nach etwas. Du siehst nicht: du spähst wie ein Jäger auf der Jagd. Wie ein Raubvogel nach seinem Opfer.«

»Aber Kind, wie komisch du bist!«

»Wenn ich komisch bin, warum lachst du nicht, wie ich über mich lache?« Ich bekam einen exaltierten Lachkrampf. »Ich finde mich in der Tat recht komisch.«

»Du mußt dich beruhigen.«

»Du siehst immer so sonderbar in mein linkes Auge. Was siehst du da?«

»Aber deine beiden Augen sind mir gleich lieb.«

»Nein, du siehst immer in mein linkes Auge, das Auge über dem Herzen. Was siehst du darin?«

Sie sah mich groß an:

»Mich!«

Da fiel ich in die Kissen zurück.

»So – wirst – du – auch – ihr – Schicksal – erleiden ...«

Ich richtete mich wieder auf:

»Aber hast du es nicht vielleicht verdient, he?«

Ich wurde böse und bissig.

»Der Mondstein, der neben der indischen Katze und dem Bild ohne Augen liegt, ist seit einigen Tagen trüb. Und die Marmorkatze hat einen Sprung bekommen. Weißt du, was das bedeutet?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Daß du mich betrügst! Alle deine Liebesschwüre sind Lüge! Du verweigerst dich mir ja auch. Du betrügst mich –«

»Aber Kind, mit wem?«

Ich schrie:

»Mit dem Albino!«

Sie lächelte traurig:

»Liebling ...«

Ich richtete mich höher:

»O, ich habe einen Beweis. Ich habe es erst heute entdeckt. Warum hat die Tür dieses Zimmers keine Klinke? Und das Fenster keinen Riegel?

Ich will es dir sagen: ich liege hilflos hier im Bett und vielleicht haltet Ihr mich künstlich krank: weil Ihr fürchtet, daß ich Euch folgen und Euch in Eurem schändlichen Treiben überraschen könnte. 0, ich durchschaue Euch. Zeig' deine linke Hand. Warum ist sie zur Faust geballt? Nein, du willst mich nicht schlagen (obgleich deine geheimste Sehnsucht vielleicht danach giepert, mich zu schlagen, zu stechen, zu martern): aber der Drücker der Tür ist darin – und wer den Drücker nicht hat, der kann die Tür von innen nicht öffnen. Ich bin Euer Gefangener. Wehr- und hilflos bin ich Euch preisgegeben.«

Ein Weinkrampf erschütterte mich.

Hyacinthe strich mir übers Haar mit einem leichten Kuß. Ich fühlte ihren Arm.

Die Hyazinthe auf dem Krankentisch duftete.

»Weine dich aus, Liebling, weine dich aus. Du fieberst.«


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