Giovanni Boccaccio
Decameron
Giovanni Boccaccio

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30. Novelle

Der siegreiche König Karl der Ältere verliebt sich in ein junges Mädchen, schämt sich aber seiner törichten Leidenschaft und vermählt sie und ihre Schwester mit würdigen Männern.

Jeder hat wohl schon von König Karl dem Älteren oder dem Ersten gehört, durch dessen tapferes Unternehmen und seinen darauffolgenden glorreichen Sieg über König Manfredi die Ghibellinen aus Florenz vertrieben und die Welfen wieder in den Besitz desselben versetzt wurden. Bei diesen Umständen war ein gewisser Ritter, namens Messer Neri degli Uberti, mit all den Seinigen und mit einem großen Vermögen von dort ausgewandert, wollte sich aber nirgends anders als unter dem Schutze des Königs Karl niederlassen; und um in ruhiger Einsamkeit zu leben und seine übrigen Tage in Ruhe zuzubringen, zog er nach Castellamare d' Italia und kaufte sich ungefähr einen Bogenschuß von der Stadt ein Gut, mitten unter Ölbäumen, Nußbäumen und Kastanien, die in der Gegend häufig wachsen, ließ sich daselbst ein hübsches, bequemes Landhaus bauen, neben dem Hause einen schönen Garten anlegen und mitten in demselben, weil er an fließendem Wasser keinen Mangel hatte, einen großen klaren Fischteich, den er mit allerlei schmackhaften Fischen besetzen ließ. Indem er sich hier die Verschönerung seines Gartens zum einzigen Geschäft machte, traf es sich, daß König Karl in der heißen Jahreszeit sich nach Castellamare begab, um sich eine Zeitlang zu erholen. Weil er nun von dem schönen Garten Messer Neris hörte, bekam er Lust, ihn zu sehen, und da man ihm gesagt hatte, wer er war, so glaubte er, weil er von der gegnerischen Partei war, mit ihm desto weniger Umstände machen zu können und ließ ihm sagen, er wolle am folgenden Abend nebst vier Kavalieren in seinem Garten mit ihm zu Nacht essen.

Messer Neri war dies sehr lieb; er ließ alles aufs herrlichste zubereiten und traf mit den Seinigen alle Anstalten. Dann empfing er den König in seinem schönen Garten so freundlich, wie er nur mußte und konnte. Nachdem der König den ganzen Garten und das Haus besehen und alles sehr schön gefunden hatte, fand er die Tafel neben dem Fischteiche gedeckt und setzte sich nach dem Händewaschen nieder. Dem Grafen Guido von Montfort, einem der Kavaliere, die mit ihm gekommen waren, befahl er, sich an die eine Seite neben ihn zu setzen, und an der andern mußte Messer Neri Platz nehmen. Die übrigen drei Herren mußten auf seinen Befehl nach der Anweisung des Messer Neri bei der Tafel aufwarten. Die besten Speisen wurden aufgetragen, die Weine waren von den besten und köstlichsten, und alles ging mit der schönsten und löblichsten Ordnung zu, ohne Geräusch und Verwirrung, was dem König ungemein gefiel. Indem er nun an der Tafel saß und sich der Stille und Einsamkeit des Ortes erfreute, traten zwei junge Mädchen von ungefähr fünfzehn Jahren in den Garten, deren goldene Locken in feinen Ringeln ihre Schultern umflossen und mit leichten ländlichen Kränzen von Immergrün gekrönt waren. Ihre Angesichter glichen an Zartheit und Schönheit mehr Engeln als Menschen, und ihre schneeweißen Kleider von spinnewebenfeiner Leinwand lagen auf der bloßen Haut vom Gürtel aufwärts fest an, indes sie sich nach unten wie ein Zelt erweiterten und bis auf die Füße hinabwallten. Die eine trug ein paar Fischernetze auf der Schulter, die sie mit der Linken faßte, und in der Rechten hielt sie eine lange Stange. Die andere, die ihr nachfolgte, hatte auf der linken Schulter eine Pfanne, unter dem Arm ein Reisigbündel, in der Hand einen Dreifuß und in der Rechten einen Ölkrug und eine kleine brennende Fackel.

Der König verwunderte sich, als er die Mädchen kommen sah, und war begierig zu sehen, was das zu bedeuten hätte. Indem die Mädchen sich näherten, beugten sie ehrerbietig und schüchtern die Knie vor dem König und gingen nach der Treppe, wo man in den Teich hinabstieg. Die, welche die Pfanne trug, setzte sie nebst den übrigen Sachen nieder, nahm die Stange von der andern, und beide stiegen hinab, in das Wasser, das ihnen bis an die Brust reichte. Einer von den Dienern Messer Neris zündete eiligst Feuer an, setzte die Pfanne auf den Dreifuß, tat Öl hinein und wartete, daß die Mädchen ihm Fische zuwarfen. Die eine jagte mit ihrer Stange Fische aus ihren Schlupfwinkeln ihrer Schwester zu, und diese fing sie zur nicht geringen Ergötzung des Königs, der aufmerksam zusah, in ihrem Netz auf, und so erhielten sie in der Geschwindigkeit eine große Menge Fische, die sie dem Diener zuwarfen, der sie noch fast lebendig in die Bratpfanne legte. Dann begannen sie, wie ihnen angegeben worden war, noch schönere zu fangen und warfen sie dem König, dem Grafen Guido und ihrem Vater auf den Tisch. Der König belustigte sich, die Fische auf der Tafel herumspringen zu sehen und sie freundlich scherzend den Mädchen wieder zuzuwerfen, und dieser Scherz ward so lange fortgesetzt, bis der Diener alle die gebraten hatte, die ihm gegeben worden waren. Diese wurden jedoch mehr als ein Zwischengericht aufgetragen, als daß sie eine köstliche, richtige Hauptschüssel hätten vorstellen sollen. Als die Mädchen fanden, daß die Fische gebraten waren und sie genug gefischt hatten, stiegen sie wieder aus dem Wasser, in dem ihr feines, leichtes Gewand sich so fest an ihre schönen, zarten Glieder angelegt hatte, daß es fast keine einzige ihrer Schönheiten mehr verhüllte. Jede von ihnen hob die Geräte wieder auf, die sie mitgebracht hatte, ging züchtig errötend an dem König vorüber und begab sich wieder in das Haus.

Der König, der Graf und die dienenden Kavaliere hatten die liebenswürdigen Mädchen aufmerksam betrachtet und ihre Schönheit und reizende Gestalt, und nicht weniger ihre Anmut und Artigkeit, heimlich bewundert; vorzüglich aber war der König von ihnen ganz entzückt worden. Er hatte in dem Augenblick, da sie aus dem Wasser stiegen, einen jeden ihrer Reize so genau gemustert, daß er in diesem Augenblick nichts würde gefühlt haben, wenn man ihn auch mit Nadeln gestochen hätte, und je mehr er an sie dachte, ohne jedoch zu wissen, wer und was sie wären, desto lebhafter erwachte in seinem Herzen die Begierde, ihnen zu gefallen, und ließ ihn deutlich genug merken, daß er Ursache hätte, sich in acht zu nehmen, um nicht verliebt zu werden; inzwischen wußte er selbst nicht, welcher von beiden er den Vorzug geben solle, so sehr waren sie in allen Dingen einander ähnlich. Nachdem er eine Zeitlang darüber hin und her gedacht hatte, fragte er endlich Messer Neri, wer die beiden Jungfrauen wären.

»Sire,« antwortete Messer Neri, »es sind meine Töchter und Zwillingsgeschwister. Die eine nennt man Ginevra die Schöne, und die andre heißt Isotta die Goldlockige.« Der König rühmte sie sehr und ermahnte ihn, sie zu verheiraten, worauf aber Messer Neri sich mit seinem geringen Vermögen entschuldigte. Indem nun die Mahlzeit bis auf den Nachtisch vorbei war, kamen die beiden Jungfrauen wieder, in schönen seidenen Gewändern, mit zwei großen silbernen Schüsseln, gefüllt mit allerlei Früchten, welche die Jahreszeit darbot, und stellten sie vor den König auf die Tafel. Darauf traten sie einige Schritte zurück und sangen ein Lied, welches mit den Worten anfing:

Wie sehr du, Amor, mich gequält,
Das ist mit wenig Worten nicht erzählt,

mit so vieler Anmut und Lieblichkeit, daß der König, der sie mit Wonne betrachtete und zuhörte, glaubte, alle Scharen der Engel wären vom Himmel herabgekommen, um ihm vorzusingen. Als sie gesungen hatten, neigten sie ehrerbietig das Knie und baten den König um Urlaub, den er ihnen auch mit freundlicher Miene erteilte, obwohl es ihm innerlich leid war, daß sie sich entfernten. Nach beendigtem Gastmahl stieg der König mit seinen Begleitern zu Pferde, verabschiedete sich von Messer Neri und kehrte mit ihnen unter allerlei Gesprächen nach seinem Hoflager zurück. Er verschwieg seine Empfindungen; da er aber, ungeachtet der wichtigen Staatsangelegenheiten, die ihn beschäftigten, die Anmut und die Reize der schönen Ginevra nicht vergessen konnte, um derentwillen er auch ihre Schwester, die ihr so sehr ähnlich war, mitliebte, verwickelte er sich dergestalt ins Netz der Liebe, daß er fast an nichts anderes denken konnte und deswegen unter allerlei Vorwand einen beständigen Umgang mit Messer Neri unterhielt und ihn fleißig in seinem schönen Garten besuchte, um Ginevra zu sehen.

Als er es endlich nicht länger aushalten konnte, und weil er kein anderes Mittel wußte, kam er auf den Einfall, nicht nur Ginevra, sondern auch zugleich ihre Schwester dem Vater zu entführen, er entdeckte dem Grafen Guido sowohl seine Liebe als auch seine Absicht. Da der Graf aber ein rechtschaffener Mann war, so gab er ihm zur Antwort: »Sire, ich wundere mich über das, was Ihr mir sagt, und ich verwunderte mich darüber mehr als ein anderer, je genauer ich glaube, Eure Gesinnungen von Jugend auf gekannt und aufmerksamer als irgendein anderer beobachtet zu haben. Da ich nun in Euren Jugendjahren, in denen sich die Liebe am leichtesten ihrer Beute bemächtigt, nie bemerkt habe, daß Ihr mit dieser Leidenschaft bekannt wäret, so kommt es mir jetzt, da Ihr dem Alter entgegengeht, so fremd und sonderbar vor, Euch sagen zu hören, daß Ihr verliebt seid, daß ich es fast für ein Wunder halten muß; und wenn es mir zukäme, Euch darüber Vorstellungen zu machen, so wüßte ich wohl, was ich Euch sagen würde, wenn ich bedenke, daß Ihr Euch noch mit den Waffen in der Hand in einem neueroberten Reich befindet, mitten unter einem fremden Volke voll List, überhaupt mit Sorgen und Unruhen und mit den wichtigsten Staatsgeschäften, daß Ihr nicht einmal einen bleibenden Wohnsitz habt wählen können, und daß Ihr bei dem allem dem Reiz der verführerischen Liebe Raum gegeben habt. Das heißt nicht handeln, wie ein hochherziger König, sondern wie ein schwacher Jüngling. Ja, was noch mehr ist, Ihr sagt, Ihr habt Euch vorgenommen, diesem armem Ritter seine beiden Töchter zu rauben, nachdem er Euch in seinem Hause gastfrei bewirtet und, um Euch recht hoch zu ehren, Euch seine Kinder fast nackt gezeigt hat, um Euch sein völliges Vertrauen zu beweisen, und daß er Euch wie einen König und nicht wie einen raubgierigen Wolf betrachtet. Habt Ihr denn schon so bald vergessen, daß die Gewalttätigkeiten, welche Manfredi gegen die Weiber ausgeübt hat, Euch zuerst den Weg zum Thron dieses Reiches gebahnt haben? Könnt Ihr Euch eines Verbrechens schuldig machen, welches der ewigen Strafe mehr wert ist, als wenn Ihr demjenigen, der Euch ehret, seine Ehre, seine Hoffnungen und seinen Trost zu rauben trachtet? Was würde man von Euch sagen, wenn Ihr so handeln wolltet? Ihr glaubt vielleicht, es sei genug zu Eurer Entschuldigung, wenn Ihr sagt: Ich tat dieses, weil er ein Ghibelline ist. Aber ziemt es denn einem gerechten Könige, diejenigen, die sich ihm selbst in die Arme werfen, auf solche Art zu behandeln, sie mögen sein, wer sie wollen? Ich gebe es Euch zu bedenken, Sire, daß es Euch zwar zum großen Ruhm gereicht, den Manfredi überwunden zu haben, daß es aber noch weit rühmlicher ist, sich selbst zu überwinden, und da Ihr andere zur Ordnung anhalten sollt, so beherrschet Euch selbst, zähmt Eure Begierden und verdunkelt nicht mit einem solchen Makel den glänzenden Ruhm, den Ihr Euch erworben habt.«

Diese Worte drangen dem König durchs Herz, und er fühlte sich um desto tiefer, je heller ihm ihre Wahrheit in die Augen leuchtete. Mit einem schweren Seufzer gab er zur Antwort: »Graf, es ist wahr, daß es dem wohlgeübten Helden weit leichter ist, einen jeden andern Feind, er sei so mächtig, wie er wolle, zu überwinden als seine eigenen Begierden. Allein so schwer auch der Kampf und so unerschwinglich auch die dazu erforderlichen Kräfte sein mögen, so habt Ihr mich doch durch Eure Worte dergestalt angespornt, daß ich nicht säumen darf, Euch in wenigen Tagen durch die Tat zu überzeugen, daß ich ebensowohl mich beherrschen als andere überwinden kann.«

Es verstrichen auch wirklich nur wenige Tage, so ging der König nach Neapel zurück, und teils um den Ritter für die ihm bewiesene Ehrerbietung zu belohnen, teils um sich selbst die Veranlassung zu irgendeiner unedlen Handlung zu benehmen, entschloß er sich, so schwer es ihm auch wurde, andere in den Besitz desjenigen zu setzen, was er selbst so sehnlich begehrt hatte: die beiden Jungfrauen zu verheiraten, und zwar nicht wie die Töchter des Messer Neri, sondern als ob sie seine eigenen Töchter wären. Er stattete sie mit Genehmigung ihres Vaters königlich aus und gab Ginevra die Schöne dem Herrn Maffeo da Palizzi und Isotta die Goldlockige dem Herrn Guiglielmo della Magna, zwei edlen Rittern und angesehenen Baronen, zu Gemahlinnen, und nachdem er sie ihnen überantwortet hatte, ging er mit schwerem Herzen nach Apulien und bändigte durch unablässige Anstrengungen seine Begierden dergestalt, daß er die Fesseln der Liebe gänzlich zerbrach und hernach zeitlebens frei von dieser Leidenschaft blieb.

Manche werden vielleicht sagen, daß es für einen König nur eine Kleinigkeit war, ein Paar Mädchen zu verheiraten; dieses will ich gern einräumen; allein ich behaupte daß es edel, sehr edel gehandelt war, wenn wir bedenken, daß ein liebender König seine Geliebte vermählte, ohne von seiner Liebe Blatt, Blüte oder Frucht gepflückt zu haben oder zu pflücken. Und so handelte dieser großmütige König, indem er den edlen Ritter fürstlich belohnte, die geliebten Mädchen zu großen Ehren erhob und sich selbst mannhaft überwand.


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