Giovanni Boccaccio
Decameron
Giovanni Boccaccio

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17. Novelle

Bruder Rinaldo ergötzt sich mit seiner Gevatterin, ihr Mann kommt nach Hause und findet ihn in ihrer Kammer; sie machen ihm aber weis, daß er dem Kinde die Würmer vertreibt.

In der Stadt Siena lebte vor einiger Zeit ein hübscher junger Mann aus einem wohlangesehenen Geschlecht, namens Rinaldo, welcher sich in eine sehr schöne Frau verliebte, die seine Nachbarin und Gattin eines reichen Mannes war, und er machte sich Hoffnung, alles, was er wünschte, von ihr zu erhalten, wenn er nur Gelegenheit finden könnte, mit ihr unter vier Augen zu sprechen. Da er aber diese Gelegenheit nicht herbeizuführen wußte, und die Dame eben schwanger war, so kam er auf den Einfall, ihr Gevatter zu werden. Er suchte demnach die Bekanntschaft ihres Mannes, bot sich diesem auf die unverdächtigste Art zum Gevatter an und wurde angenommen. Da ihm nun seine Gevatterschaft mit Frau Agnese manchen guten Vorwand verschaffte, sie zu sprechen, wagte er es, ihr das mit Worten zu erklären, was seine Blicke ihr längst entdeckt hatten; allein, obgleich es der Dame nicht unangenehm war, dies zu hören, so führte es ihn dennoch nicht zu seinem Ziel. Nicht lange danach ging Rinaldo, man weiß nicht, aus welcher Ursache, in ein Kloster, und wie es ihm daselbst auch behagen mochte, genug, er war und blieb ein Mönch. Doch wenn er gleich eine Zeitlang nach seinem Eintritt in den geistlichen Orden die Liebe zu seiner Gevatterin und andere weltliche Eitelkeiten ein wenig beiseite setzte, so kam er doch, ohne seiner Kutte zu entsagen, bald wieder darauf zurück und fand ein Vergnügen daran, sich in bestes Tuch zu kleiden, in seinem ganzen Wesen artig und zierlich zu tun, Canzonen, Sonette und Balladen zu dichten und Lieder zu singen und sich mit allerhand solchen Dingen die Zeit zu vertreiben. Doch warum galt das bei Bruder Rinaldo als etwas Besonderes? Wo ist der Mönch, der nicht dasselbe tut? Welch Schandfleck unserer verderbten Zeit ist nicht jeder von ihnen? Sie schämen sich nicht, mit feisten Wänsten und rubinroten Nasen in üppigen Kleidern einherzugehen und in allen Wollüsten zu leben, und gleichen nicht den Tauben, sondern den übermütigen Hähnen, die mit erhobenem Kamme protzen und sich brüsten. Nicht genug, daß sie ihre Zellen voll von Gläsern und Latwergen und Salben, von Schachteln und Morsellen, von Fläschchen mit abgezogenen Wassern und Ölen, von Fäßchen mit Malvasier, griechischen und anderen feinen Weinen haben, so daß sie dem Besucher nicht Mönchszellen, sondern vielmehr Apotheken und Spezereibuden zu sein scheinen. Auch schämen sie sich nicht, den Leuten zu zeigen, daß sie voll Gicht und Podagra stecken, und meinen, daß andere Leute nicht wissen, daß vieles Fasten, rauhe und kärgliche Kost und nüchternes Leben die Menschen dürr und hager machen und sie gesund erhalten; oder wenn sie krank dabei werden, daß sie wenigstens nicht das Zipperlein davon bekommen, gegen welches man den Kranken die Enthaltsamkeit und alles andere ordentlich zu empfehlen pflegt, was eigentlich zu der Lebensart eines bescheidenen Klosterbruders gehört. Sie meinen, man wisse nicht, daß außer der mageren Kost die langen Nachtwachen, Gebete und Bußübungen blasse Gesichter und abgemergelte Leiber zuwege bringen, und daß weder Sankt Franziskus noch Sankt Dominikus sich drei bis vier Kutten von dem feinsten, in der Wolle gefärbten Tuch und von anderem schönen Zeug machen ließen, sondern die grobe Wolle in ihrer natürlichen Farbe trugen, um die Kälte abzuhalten, und nicht, um darin zu prangen. Gott wird Einsehen haben und der frommen, einfältigen Seelen gedenken, welche sie unterhalten müssen.

Als demnach Bruder Rinaldo wieder zu seinen vorigen Neigungen zurückkehrte, fing er an, seine Gevatterin fleißig zu besuchen, und weil er unter der Kutte viel dreister geworden war als vorher, so trug er ihr sein Anliegen, wonach er Begehren trug, jetzt weit dringender vor. Die gute Frau, die sich so heftig attackiert sah, und die ihn vielleicht jetzt auch hübscher fand als vordem, nahm endlich, als er ihr einmal sehr lebhaft zusetzte, ihre Zuflucht zu den Worten, die diejenigen Frauen tun, die nicht übel Lust haben, das zu gewähren, um was man sie bittet. Sie sagte: »Bruder Rinaldo, tun denn auch die Mönche sowas?« »Madonna,« versetzte Rinaldo, »die Kutte ist bald abgeworfen, und dann sollt Ihr mich gewiß nicht für einen Mönch halten, sondern für einen so wackern Mann wie jeden andern.«

Das Weibchen verzog den Mund ein wenig zum Lächeln und erwiderte: »O weh! Ich bin ja Eure Gevatterin! Wie wird es damit werden? Das wäre ja, wie man mir gesagt hat, eine gar zu große Sünde. Sonst würde ich gern Euren Wünschen Gehör geben.«

»Ihr seid nicht gescheit,« versetzte Bruder Rinaldo, »wenn Ihr Euch deshalb wollt abhalten lassen. Ich will gerade nicht behaupten, daß es keine Sünde wäre, aber es werden wohl größere Sünden dem Reumütigen in der Beichte vergeben. Doch sagt mir nur, wer ist mit Eurem Kinde näher verwandt: ich, der ich es zur Taufe gehalten habe, oder Euer Mann, der es gezeugt hat?«

»Mein Mann, ohne Zweifel«, antwortete sie. »Ganz richtig«, sprach Bruder Rinaldo. »Und liegt denn Euer Mann nicht bei Euch?«

»Ei freilich«, sprach Frau Agnese.

»Gut!« erwiderte Bruder Rinaldo. »Wenn also Euer Mann bei Euch schlafen darf, der soviel näher mit Eurem Kinde verwandt ist als ich, warum sollte es dann mir verwehrt sein?«

Die Frau, die nichts von Logik verstand und bei der es keiner großen Überredung bedurfte, glaubte ihm entweder wirklich oder stellte sich, als wenn sie es glaubte. »Ach,« sprach sie, »wer kann gegen Eure gelehrten Gründe etwas vorbringen?« Mit einem Worte, es ward der Gevatterschaft unbeschadet eine Verwandtschaft von einer andern Art zwischen ihnen gestiftet, und sie ließen es nicht bei diesem ersten Male bewenden, sondern sie fanden unter dem Mantel der Gevatterschaft um desto bequemere Gelegenheit zu öfteren Zusammenkünften, weil man sie um desto weniger im Verdacht hatte.

Einmal traf es sich indessen, daß Bruder Rinaldo mit einem anderen Klosterbruder zu Frau Agnese kam und außer einem hübschen, niedlichen Dienstmädchen niemand bei ihr fand. Er schickte demnach seinen Gefährten mit dem Mädchen nach dem Taubenschlag hinauf, um ihr das Paternoster zu lehren, indes er selbst mit der Frau, die ihren kleinen Knaben an der Hand hatte, in die Kammer ging, die Tür hinter sich verschloß und sich auf einem Ruhebett mit ihr ergötzte. Mitten in ihrer Unterhaltung kam der Gevatter nach Hause, und unbemerkt von jedermann kam er bis an die Kammertür, klopfte an und rief seine Frau.

»Ich bin des Todes«, rief Frau Agnese, als sie ihren Mann vernahm. »Nun wird er dahinterkommen, was der Grund unserer Freundschaft ist.«

Bruder Rinaldo hatte Skapulier und Kutte abgelegt und war im bloßen Wams. »Ach, nur allzu wahr!« sprach er. »Wär' ich angekleidet, so ließe sich noch eher eine Ausrede finden. Aber wenn Ihr ihn einlaßt und er mich so antrifft, so wie ich hier bin, so hilft keine Entschuldigung.«

Die Frau fand den Augenblick Rat. »Zieht Euch nur an,« sprach sie, »und wenn Ihr fertig seid, so nehmt Euren kleinen Paten auf den Arm. Merkt aber wohl auf, was ich meinem Mann sagen werde, damit Eure Rede mit der meinigen übereinstimmt.«

Der gute Mann hatte kaum aufgehört zu klopfen, so antwortete ihm seine Frau: »Ich komme schon.« Sie öffnete ihm die Tür, ging ihm mit froher Miene entgegen und sagte: »Heute, lieber Mann, ist einmal Bruder Rinaldo zur guten Stunde, wie ein Schutzengel zu uns gekommen, sonst hätten wir gewiß unser Kind verloren.«

Als dies der arme Tropf hörte, war er ganz bestürzt und fragte, was denn geschehen wäre.

»Ach, lieber Mann,« sprach sie, »er fiel vorhin in eine so heftige Ohnmacht, daß ich dachte, er wäre schon tot, und daß ich nicht wußte, was ich tun oder wie ich mir raten sollte. Zum Glück kam Bruder Rinaldo, unser Gevatter, dazu und nahm ihn auf den Arm. 'Gevatterin,' sprach er, 'das Kind hat Würmer im Leibe, die ihm schon nahe ans Herz kommen und ihn nur gar leicht ums Leben bringen könnten. Seid aber unbesorgt; ich will sie beschwören, daß sie alle sterben sollen, und ehe ich wieder davongehe, sollt Ihr Euer Kind so gesund wiederhaben, als es jemals gewesen ist.' Wir hätten auch dich gerne hier gehabt, um einige Gebete dabei zu sprechen. Weil du aber nicht zu Hause warst und die Magd dich nicht finden konnte, so hat er die Gebete durch einen seiner Mitbrüder ganz zuoberst im Hause sprechen lassen. Er ging indessen mit mir in diese Kammer, weil niemand als die Mutter des Kindes bei der Beschwörung gegenwärtig sein durfte, und damit uns niemand stören möchte, schlossen wir die Tür zu. Er hat das Kind noch jetzt im Arm, und ich glaube, er wartet nur, bis sein Mitbruder die Gebete gesprochen hat, und der wird wohl schon zu Ende sein. Denn das Kind ist schon wieder bei völliger Besinnung.«

Der arme Kerl war so zärtlich um sein Kind besorgt, daß er alles glaubte und nicht das mindeste von dem Streiche argwöhnte, den ihm seine Frau gespielt hatte, sondern mit einem tiefen Seufzer sagte: »Ich will gleich hingehen und ihn sehen.«

»Beileibe nicht!« sprach die Frau. »Warte noch ein wenig, damit du nicht alles wieder verdirbst. Ich will hineingehen und zusehen, ob du kommen kannst, und will dich dann schon rufen.«

Bruder Rinaldo, der alles aufmerksam gehört und Zeit gehabt hatte, sich anzukleiden und das Kind auf den Arm zu nehmen, rief: »He! Gevatterin, höre ich nicht die Stimme des Gevatters?«

»Ja, Euer Ehrwürden«, antwortete der dumme Kerl.

»Kommt nur herein, Gevatter«, sprach Rinaldo.

Er ging hinein; Bruder Rinaldo kam ihm entgegen und sagte: »Da habt Ihr durch Gottes Gnade Euer Söhnchen frisch und gesund, um welches wir vor einem Stündchen besorgt waren, daß Ihr es diesen Abend nicht lebendig wiedersehen würdet. Lasset deswegen zur Ehre des Herrn dem heiligen Ambrosius ein Wachsbild des Kindes in Lebensgröße opfern; denn um seines Verdienstes willen hat es Euch der Himmel in Gnaden wiedergeschenkt.« Als der Knabe seinen Vater gewahrte, lief er ihm entgegen und schmeichelte ihm, wie Kinder zu tun pflegen. Der Vater hob ihn auf und vergoß Freudentränen, als wenn er ihn aus der Gruft gezogen hätte. Er küßte das Kind und dankte dem Gevatter, der ihm das Leben gerettet hätte.

Der Genosse des Paters, der die Magd mehr als ein Paternoster -- es waren wohl deren vier -- gelehrt, hatte ihr ein Beutelchen von weißem Zwirn gegeben, das ihm eine Nonne geschenkt hatte, und war ihr Seelsorger geworden, an dem sie mit frommer Verehrung hing. Als er hörte, daß der gute Ehemann in die Kammer seiner Frau gerufen wurde, schlich er sich leise an einen Ort, wo er alles hören konnte, was vorging. Als er nun merkte, daß alles glücklich abgelaufen war, kam er herunter und sagte: »Bruder Rinaldo, ich habe die vier Paternoster gesprochen, wie Ihr mir befohlen habt.«

»Wohlgetan, mein Bruder!« sprach Rinaldo. »Du hast guten Atem. Ich für meinen Teil hatte nur erst zwei sprechen können, als der Gevatter kam, allein der Herr hat meine und deine Arbeit gnädig gedeihen lassen, und das Kind ist wieder gesund.«

Der arme Betrogene ließ hierauf Wein und Erfrischungen bringen und bewirtete den Gevatter und seinen Mitbruder damit, womit ihnen beiden am besten gedient war. Er begleitete sie selbst bis zur Tür, empfahl sie Gott und versäumte nicht, das Wachsbild zu bestellen und es vor dem Bilde des heiligen Ambrosius neben den übrigen aufstellen zu lassen, übrigens nicht vor dem in Mailand.


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