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An Mariä Verkündigung zog der Papst im feierlichen Zug der Kardinale, Prälaten und Adeligen nach Santa Maria sopra Minerva.
Er hielt das Hochamt und schenkte nach alter Sitte hundertfünfzig armen Mädchen die Aussteuer.
Sie mußten nach Vollzug der feierlichen Handlung an Alexander vorüberziehn: ein Zug des Harmes, des Leides, der Häßlichkeit und Schönheit.
Alexander musterte sie sehr aufmerksam. Die fünf Schönsten beschied er zur Privataudienz in den Vatikan.
Auf dem Rückweg harrten die Juden an der Tiberbrücke geduckt und demütig des Papstes. Sie waren aus den dunklen Winkeln ihres Ghettos gekrochen wie Maulwürfe.
Sie standen dichtgedrängt, wisperten und flüsterten.
Als der Papst über die Brücke geritten kam, warfen sie sich alle vor ihm nieder.
Der Älteste der Judenschaft, ein gewisser Ephraim, trat hervor und überreichte ihm die jüdische Gesetzesrolle, den in Gold gebundenen Pentateuch.
Er bat in devoten, wimmernden Worten, den Juden das Gesetz Mose zu bestätigen. Der Papst nahm die Rolle, betrachtete einen Augenblick wohlgefällig das Gold, zögerte, sprach:
Confirmamus, sed non consentimus – und ließ die Rolle in den Staub fallen.
Dann ritt er weiter.
Am Nachmittag des gleichen Tages mußten die Juden mit Pferden, Eseln, Büffeln um die Wette laufen.
Die Rennbahn ging vom Arco Domiciano bis zur Kirche San Marco.
Manche der Juden wurden vorher betrunken gemacht oder vollgestopft wie Mastgänse, so daß sie während des Rennens zu kotzen und zu scheißen begannen.
Der Papst saß am Ziel bei der Kirche San Marco und lachte, daß ihm die Tränen über die Wangen liefen.
Den ersten Preis, ein Stück rotes Tuch, gewann ein Jude, der sich an den Schwanz eines Pferdes gekrallt hatte und kurz vorm Ziel auf das Pferd und über den Hals des Pferdes gesprungen war, so daß er als erster ankam.
Er wurde in einer gnädigen Laune des Papstes zum Fußkuß zugelassen.
Es wurde im Vatikan ein Kind geboren, von dem nach außen weder der Name der Mutter noch der des Vaters verlautbart wurde. Es erhielt in der heiligen Taufe, die der Papst selbst vornahm, den heidnischen Namen Narziß und wurde im Volke bald der römische Infant genannt.
Das Kind hatte sich der Gunst und Zärtlichkeit aller Borgia zu erfreuen.
Lucrezia hielt es oft auf den Armen, trug es im Garten umher und spielte mit ihm. Cesare blieb, wenn es ihm mit der Amme begegnete, im Gang stehen und fuhr mit seiner schmalen Hand dem Kind fast innig über den zart beflaumten Hinterkopf.
Der Papst selbst kroch, als der Knabe älter wurde, mit ihm auf allen Vieren auf dem Fußboden herum, ließ ihn auf sich reiten und schnitzte ihm aus Weidenruten Flitzbogen und Pfeile, mit denen der kleine Narziß nach den Heiligenbildern schoß und manchen Sankt Paulus und Sankt Johannes in einen Sankt Sebastian verwandelte.
Im römischen Volk kam bald das Gerücht auf, der geheimnisvolle römische Infant sei der Sohn Lucrezias, ihrem blutschänderischen Verkehr mit Alexander oder Cesare entsprossen. Denn mit beiden, so munkelte man, unterhalte sie ein widernatürliches Liebesverhältnis; das spanische Blut rase und glühe in den Borgia bis zur Siedehitze und treibe sie einander zu wie brünstige Stiere zur brünstigen Kuh. Und so maßlos sei ihre verzehrende Gier, daß sie nur untereinander Erfüllung und Befriedigung fänden. So daß nur ein Borgia eine Borgia völlig zu lieben vermöge.