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Die Kasbah von Algier

Es sind noch nicht hundert Jahre her, seit El-Djezair-Beni Mezgannah die Stellung als Metropole des Seeräuberwesens und Sklavenhandels verlor und seinen Namen. Es sind noch nicht hundert Jahre her, seit sich, nach gefahrvollen und glücklich verlaufenen Beutezügen, die reichen Bewohner schwelgerischen Genüssen hingaben, den Gebrauch von Arkanum und Narkotikum kannten sie aus der Türkei, Steine und den Zierat ihrer Häuser bezogen sie von den römischen Ruinen, die bodenständige Kultur der Araber nutzten sie aus, und die gekaperten und geenterten Schiffe bargen alles, was Europas Zivilisation hervorgebracht, und überdies schöne weiße Frauen …

Von hoch oben, von der Kasbah, donnerten die Geschütze, wenn ein feindliches Geschwader nahte; jahrhundertelang verscheuchten sie alle Feinde, bis Zitadelle und Kapitale der Korsaren dennoch unterworfen ward.

Noch sind es keine hundert Jahre her, aber schon spreizt sich der Bezwinger in den stolzen Wohnhäusern; wie zum Hohn hat er auf alle Plätze Denkmäler jener Generale hingestellt, die die Eingeborenen zu Paaren trieben, Tausende auf die Palmenbäume hängten, die Freiheiten des Landes vernichteten und Geld und Gut an sich nahmen; alle Straßen heißen nach den Unglücksstätten, auf denen sich das Schicksal Algeriens vollzog. Oben auf der Kasbah wohnen die Truppen des Siegers, und in ihrem Schatten, auf dem Festungshügel, dürfen sich die Überbleibsel von den Stämmen der Mauren, Berber und Türken zusammendrängen.

Der afrikanische Orient ist dem asiatischen an Elend gleich, an Lärm bleibt er hinter diesem zurück, an Schmutz und Gestank übertrifft er ihn. Allenthalben halten maurische Bäder ihre Portale offen, um des Drecks zu spotten, der auf den Menschen, ihren Gewändern und ihren Waren lagert; als verabscheuten sie ein reines Fleckchen auf der braunen Haut haben die Frauen Stirn, Wangen, Kinn blaurot tätowiert mit Blümchen und Sternchen.

Radial klimmen von den Straßen Bab-el-Oued, Randon und Marengo gepflasterte Maultierpfade aufwärts, so schmal, daß zwei Frauen, deren Körperfülle der landesüblichen Erotik entspricht, sich unmöglich aneinander vorbeizuzwängen vermöchten. Noch weniger aber könnte ein allzu langer Mann, ohne sich zu bücken, diese Straße passieren, denn die Teppichbalkone, die Erker und Obergeschosse, auf schrägen Stützbalken balancierend, stoßen fast zusammen. Welch freudige Helle in solchen Winkelzügen herrscht, wenn die Häuser ihre Nasen aneinanderreihen! Obendrein wölbt sich über manche Teile dieser Avenuen ein Schwibbogen, und oftmals steht ebenso unvermutet wie unerbittlich ein Haus quer im Verkehrsweg – gefoppt, Fremdling, eine Sackgasse, du mußt umkehren.

In diesem Düster liegen die Häuser und haben, mit Ausnahme der maurischen Bäder, von denen wir bereits sprachen, und einer anderen Art öffentlicher Unternehmungen, von denen wir noch sprechen werden, ihre Tore geschlossen; der Türklopfer, die glückbringende Hand Fatmes darstellend, ist rostig und scheint längst außer Gebrauch; keine Fenster, nur Luken sind in das Mauerwerk gebrochen, und auch sie deckt dichtes Geflecht. So unzugänglich geht es längs der Längengrade zu.

In den Breitengraden, besonders auf dem Äquator Rue Marengo – Rue Randon, ist das publike Leben. Von hier aus wird ein ruhiger Lärm gesendet, Verkäufer der noch grünbezweigten Orangen rufen ihre Preise; Esel, vor den Kaffeehäusern den ganzen Tag über angebunden, raffen sich plötzlich zu einem langgezogenen Schrei des Protestes auf; Burnusweber reden auf skeptische Kunden ein; Schallreklame macht der Kuskusbäcker, indem er geriebenes Mehl im Hammelfett brodeln läßt.

Ein dürrer Beduine an der Straßenecke schlägt mit nonchalanten Fingerbewegungen das »Bendir«, eine Art Tamburin, und singt langsam dazu, der blinde Urahn, zu seinen Füßen hockend, bläst auf der Raïta die Begleitung, und nur wenn im Liede der Name Abd el Kaders genannt wird, nimmt er die Fingerspitzen von den Klarinettelöchern, sein Partner von dem Kalbfell, beide legen ehrfürchtig den Handrücken an die Stirne, das gleiche tut die Hörerschaft.

Offene Wölbungen sind die Läden, damit das Feilschen um Stoffe, Sandalen, Teppichreste und Kissen nicht auf Käufer und Verkäufer beschränkt bleibe, am Markt, der einstigen Place Randon, die jetzt Place du Grand Rabbin Bloch heißt, handelt man Gemüse, Fisch und Fleisch, der Warenverkehr brandet an den Stufen der Großen Synagoge, das Dorado der Juden ist aber erst in der Rue de Lyre, dort geht's um Hosen, Wäschestücke, Tücher; im eigentlichen Kasbahviertel hausen fast nur Araber; in ein Ausgedingstübel hat man die Enkel der kühnen Korsaren gesperrt; der jämmerlichste Schmutzwinkel der Welt ist in der lichtvoll-prunkvollen Stadt Algier den Eingeborenen zugewiesen.

Haben sie sich damit abgefunden? Ohnmächtig sind sie jedenfalls und apathisch. Sie sitzen teilnahmslos an den Wänden der zahllosen Kaffeehäuser, manche spielen Domino oder Dame auf einer schwarzen Tafel, auf der sie die Spielresultate ankreiden, manche lassen sich rasieren (dazu nehmen sie den Turban ab, in dem sie sonst wachen und schlafen von Mannbarkeit an bis zum Tode), manche hören dem Märchenerzähler zu oder beobachten den Umsatz des Amulettverkäufers, der Suren und Ledertäschchen auf der Straße ausgebreitet hat.

Worüber sie sinnen, ob sie wohl traurig sind, das weiß kein noch so weiser Weißer – plötzlich springt ein uralter Araber auf und eilt hinaus auf die Straße, um Kinder zu beschimpfen, zu verfluchen und reichlich zu bespucken, weil sie von einer Gruppe Europäer Almosen heischten … Bebend kehrt er zum Udjak, dem durch maurische Bogen dreifach geteilten, mit blauen Fayencen gekachelten Altar, zurück, wo der arabische Kaffee gebraut wird, bebend läßt er sich eine neue Tasse reichen …

Ganz nah beim Zivilgefängnis, der Prison Barberousse, die gefüllt ist mit politischen Gefangenen, ganz nah der Teppichmanufaktur, in der achtjährige Kinder für 4 Franken (66 Pfennig) und zwölfjährige für 12 Franken (2 Mark) Tageslohn bis zum späten Abend arbeiten, sind Stände mit Trödel.

Selbst den, der sich auf die Beobachtung von Märkten in aller Welt spezialisiert hat, erschreckt die Armut, die sich in dem Warenangebot an der Ecke Rue de la Bombe und Rue de Maugrebins ausdrückt: buchstäblich nichts als zerbrochene Flaschen, zerbeulte leere Konservenbüchsen, ausgequetschte Tuben von Zahnpasta, Dosen, in denen einst Schuhcreme war, rostige Nägel, zerrissene Bilderbogen; in einem Budengäßchen werden Fetzen verkauft – die Regierung hat in diesem Winkel des Schutthaufens ein Haus als »Service de Désinfection« eingerichtet, das ist alles, womit die Besieger für die Hygiene der Urbewohner Algiers sorgen!

In der Kasbah selbst, der Zitadelle am Gipfel, wohnen Pulvervorräte, Kanonen und Kanonenfutter wie vor Jahrhunderten, als hier Sklaven Schanzarbeiten tun mußten, zum Beispiel der einarmige Miguel de Cervantes fünf Jahre lang.

Jetzt besteht die Besatzung aus Senegalnegern und Sudanesen – auf der andern Seite der Sahara sind es Mittelmeeraraber, die die französischen Kolonien vor Aufständen schützen. Neben der Festung sind die Zeilen mit den blauen Häusern, die eigentliche Liebesgasse von Algier ist die Rue Catarougill, jedoch nicht nur in die Rue Barberousse und in die Rue de Chêne sickert der Liebesbasar, sondern bis an den Felsenwinkel des Admiralitäts- (früher Seeräuber-) Hafens, wo die überschüssigen Katzen, neugeborene und altersschwache, täglich ausgesetzt werden, damit die Flut sie wegschwemme.

Die blauen Häuser bedürfen keines Türklopfers, sie stehen Tag und Nacht offen, darum sind Fatmes gespreizte Hand und goldene Sternchen an die Fassade gemalt. Es sind noch keine hundert Jahre her, seit der Fremdling über Muselmanen herrscht, von den Wonnen des Harems blieb nichts als diese Häuser, vor denen Mädchen locken, unverschleierten, bemalten und geschminkten Gesichts.

Im Arkadenhof, in dessen Mitte ein maurischer Brunnen, sitzen die übrigen, sie stillen oder stellen ihre Kinder ab oder sticken silberne Deckchen und warten, bis ein Matrose zwanzig Franken Eintrittsgeld bezahlen wird, worauf sie sich auf dem Podium gruppieren, um ihm einen Bauchtanz vorzuführen, der ihre Reize ins beste Licht setzt. Die Europäer aber haben keinen Sinn für Kunst und Rhythmus und wählen zum Tête-à-tête zumeist eines der zwölfjährigen Mädchen.

Lange müssen die Mädchen in diesen Häusern bleiben, sie verlassen sie erst, wenn sie sich Mitgift und Ausstattung verdient haben und heiraten können. Viele erleben das nicht, die Geschäfte gehen schlecht, manche Betriebe sind aufgelassen, wie die Tafeln »Maison solide« und »Dieses Haus wird jetzt von einer Eingeborenenfamilie bewohnt« besagen, und auch wo der Betrieb floriert, haben die jungen Hausbewohnerinnen nichts davon; während die Besitzerin einiger öffentlicher Serails längst ihre prachtvolle Villa im Stadtviertel Mustapha Supérieur hat, steigt die irdische Kollegin der himmlischen Huri arm und schwach in die tieferen Gäßchen der Kasbah hinab, wohin kein Glanz der großen französischen Stadt Algiers sich verirrt, nicht einmal ein Matrose.


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