Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Auf dem Friedhof Errancis neben der Barriere von Monceau vermoderten die geköpften Leichname der Brüder Frey aus Brünn mit den geköpften Leichnamen von Danton und Camille Desmoulins im gleichen Grab. Die beiden Frey hatten einander brüderlich umarmt, bevor sie sich dem Fallbeil darboten.
Als sie zum Richtplatz gefahren wurden, an jenem 16. Germinal des Jahres II (5. April 1794), vernahmen Danton und Desmoulins keinen Zuruf der Freundschaft oder des Mitgefühls, wohl aber mußte ihr Ohr das alte Spottlied hören, das zur Schmähung ihrer auf dem Karren mitfahrenden Konventskollegen Chabot und Basire angestimmt wurde:
Connaît-on jamais rien de pire
Que Chabot, Merlin et Basire
Et jamais rien de plus coquin
Que Chabot, Basire et Merlin!
Den Brüdern Frey galt nicht einmal ein schmähender Vers. Nur Fetzen des unartikulierten Lärms, der die drei Karren von der Conciergerie zum Revolutionsplatz begleitete, mochten sich auf die Finanzspekulanten beziehen, die Mitglieder der Volksvertretung korrumpiert, Revolution und Republik an den Rand des Abgrunds geschoben hatten.
Nicht das Gefängnis, nicht das Tribunal und nicht das sichere Schafott hatten Danton im Gerichtssaal zum Ausbruch der Raserei getrieben, zur Raserei hatte Danton getrieben, daß man seinen Fall mit der Affäre des Deputierten Chabot zusammenwarf, der sich für eine zarte Braut und für bares Geld kaufen ließ. Mit Chabot und dessen Komplizen, mit Börsenjobbern und Aktienschiebern muß Danton auf ein und derselben Anklagebank sitzen, mit den beiden Bankiers Frey mitten durch das Volk von Paris fahren und sein entströmendes Blut mit dem der Spekulanten vermengen.
»Siegmann Gottlob Junius Frey, sechsunddreißig Jahre alt, geboren zu Brünn in Mähren, wohnhaft zu Paris, Rue d'Anjou, Faubourg Saint-Honoré,
Emanuel Frey, sechsundzwanzig Jahre alt, aus Brünn in Mähren gebürtig, wohnhaft Rue d'Anjou, Honoré, Bruder des obigen und, ebenso wie dieser, Schwager des Chabot,
sind angeklagt als Urheber, Begünstiger und Antreiber der Verschwörung, die angezettelt wurde, um die Volksvertretung durch Korrumpierung einiger ihrer Mitglieder herabzuwürdigen und eine Zersetzung des Konvents zu erzielen.«
So steht es im Strafantrag, den Fouquier-Tinville am 9. Germinal des Jahres II erhebt.
»Die Brüder Frey«, sagt der öffentliche Ankläger, »ausländische Exaristokraten, Exbarone, sind Agenten Englands und des Wiener Kabinetts, wenn sie sich auch mit dem Schleier des revolutionären Patriotismus maskieren. Sie seien zu Wien in effigie gehängt und ihre Güter dortselbst beschlagnahmt worden, gibt ihr Schwager Chabot an, um ihre Liebe zur Freiheit glaubhaft zu machen, aber trotz dieser Vermögenskonfiskation haben sie Mittel gefunden, um ihrer Schwester eine Mitgift von zweihunderttausend Livres zu schenken und solcherart Chabot zu bestimmen, eine Ausländerin aus der Aristokratenklasse zu heiraten. Niemals haben Korruptionisten ihre Fallstricke mit größerer Verwegenheit und größerer Ruchlosigkeit ausgespannt, niemals haben Verschwörer mit schamloserer Offenheit den wahren Zweck ihrer Triebkräfte aufgezeigt. Der dänische Hofadvokat Deiderichsen (Diederichs), der in Wien gelebt hat und 1792 nach Frankreich kam, ist der Agent der Gebrüder Frey und ihrer Spekulationen; seine ganze Haltung stellt ihn als ausschließliches Werkzeug ihrer Komplotte dar. Obwohl er angibt, nur von Almosen der besagten Brüder Frey zu leben, verleiht er an Privatpersonen beträchtliche Summen, entfaltet ein üppiges Leben, tätigt wichtige Handelsgeschäfte mit dem Ausland und versucht schließlich – in dem Augenblick, da er die verbindende Kette dieser zahlreichen Machenschaften als beschädigt oder gar als zerbrochen erkennt – das französische Gebiet mit Geldbeträgen zu verlassen, die ihm angeblich von besagten Brüdern Frey übergeben wurden.«
Die Brüder Frey hatten nichts Geringeres geplant, als die Nationalversammlung zu veranlassen, einen Scheinbeschluß auf Auflösung der Indischen Kompanie, der prosperierendsten französischen Importunternehmung, zu fassen. Mit den wertlos werdenden Aktien wollten sich die Brüder Frey eindecken und sie nach der offiziellen Veröffentlichung des Konventsbeschlusses gut verkaufen. Denn im Nachsatz sollte dem bisherigen Verwaltungsrat das Recht zugestanden werden, die Gesellschaft zu liquidieren und deren laufende Geschäfte abzuwickeln.
Am 17. Vendémiaire (8. Oktober 1793) hält Delaunay, ein gekauftes Subjekt, die Rede gegen die Indische Kompanie; die Fanfare, mit der er seinen Auflösungsantrag hinausschmettert, die Schilderung der Steuerhinterziehung, der Korruption, daß der Verwaltungsrat die abgabenpflichtigen Aktien in Verschreibungen umgewandelt habe, ist gellend. Um so leiser die Chamade des Nachsatzes. Sie soll im Lärm der Empörung verhallen.
Aber der Konvent ist nichts weniger als eine Abstimmungsmaschine, die Mitglieder dieses Parlaments verbinden den Heroismus, der sie vor den Machenschaften von Monarchismus und Reaktion nicht zittern läßt, mit Hellhörigkeit gegenüber den Tricks der Revolutionsgewinnler. Kaum hat Delaunay geendet, als Fabre d'Eglantine die Tribüne besteigt. »Nach den Angriffen des Berichterstatters«, sagt er, der Dramatiker, dem man in Kunstfragen eine größere Beschlagenheit zutrauen würde als in Finanzdingen, »nach diesen schwerwiegenden Vorwürfen gegen die Indische Kompanie muß ich mein Erstaunen darüber äußern, daß er nicht ihre vollständige, sofortige Auflösung beantragt hat. Gegen Leute, die die Nation um fünfzig Millionen geschädigt haben, kann man nicht streng genug vorgehen. Daher stelle ich den Antrag: die Regierung beschlagnahme unverzüglich sämtliche Waren der Gesellschaft und lasse sie durch staatliche Organe verkaufen. Ferner mögen sämtliche Geschäftsbücher versiegelt werden, damit man alle Beweise für die Betrügereien der Verwaltungsräte finde.«
Auch Robespierre spricht gegen den Berichterstatter, unterstützt den Antrag von Fabre d'Eglantine. Es werden Abänderungsvorschläge gemacht und die Angelegenheit einer fünfgliedrigen Kommission überwiesen, bestehend aus Fabre d'Eglantine, Ramel, Cambon und den beiden Bestochenen: Delaunay und Chabot.
Die Schieber müssen also noch eines der Ausschußmitglieder korrumpieren, um die Mehrheit zu haben. Das ist nicht so leicht, wie es sich die Brüder Frey denken. Sie geben Chabot hunderttausend Franken, damit er Fabre d'Eglantine besteche. Als jedoch Chabot diesem im Vorraum zum Sitzungssaal den Entwurf der Verordnung vorlegt und die Unterschrift verlangt, prüft Fabre das Elaborat, streicht sofort den Satz durch, daß die Compagnie des Indes ihre Geschäfte selbst zu liquidieren habe, den Satz, auf den es den Bankiers ankommt, und schreibt, das Manuskript auf den Knien haltend, die von ihm im Konvent vorgeschlagene Fassung hinein.
Chabot wagt es nicht, Fabre d'Eglantine das Geld anzubieten, wagt aber ebensowenig, seinen Auftraggebern einzugestehen, daß er keinen Mut zum Bestechungsversuch hatte, sondern behauptet, Fabre habe die hunderttausend Franken genommen. Durch Einfügungen und Radieren fälschen Chabot und Delaunay das Schriftstück und übergeben es dem Büro des Konvents zur Expedition.
Die Brüder Frey hatten Chabot gut einzuspannen gewußt, nachdem sie in ihm den Mann gefunden, der im Staate allmächtig, »der erste Franzose nach Robespierre« war. Chabot, Sohn eines Kochs in Saint-Geniez-d'Olt, von einem unwilligen Mitglied des Kapuzinerordens zum begeisterten Mitglied des Jakobinerklubs geworden, handhabte das Wort meisterhaft als Redner und als Schriftsteller, aber kein Nachruhm hat ihm geblüht; die reaktionären Geschichtsschreiber verurteilen ihn als Montagnarden, die sozialistischen als Mitschuldigen an der Korruptionsaffäre Frey.
In der Gesetzgebenden Versammlung bildete Chabot, Abgeordneter des Départements Loire-et-Cher, mit Merlin und Basire den linken Flügel, vom rechten angefeindet und durch den Spottvers gehöhnt.
Nie sah man Narren, die so roh
Wie Merlin, Basire und Chabot.
Kennt man ein schlimmeres Getier
Als Chabot, Merlin und Basire?
Kein größrer Schelm ward gesehn
Als Basire, Chabot und Merlin!
Am Abend des 9. August 1792, als der Faubourg Saint-Antoine aufstand, um gegen die Tuilerien zu ziehen und dem Königstum den Garaus zu machen, war Chabot unter den Führern der Bewegung; er leitete als Abgesandter des Konvents die Niederwerfung der Konterrevolution in Lyon und wies energisch die Ersatzansprüche zurück, die die Grundherren nach Abschaffung der Feudalrechte zu erheben wagten. In den blutigen Septembertagen trat er für die Schonung einiger Abbés ein, deren Integrität er aus seiner geistlichen Vergangenheit kannte. Chabot sprach und stimmte für die Hinrichtung Ludwigs XVI., aber gegen das Gesetz, alle Bourbonen und Orléans zu verbannen, da er Vertrauen in die freiheitliche Gesinnung des Herzogs Philippe Egalité setzte. Die von Marat propagierte Diktatur bekämpfte er, um den Sturz der Girondisten, die Revolution vom 31. Mai 1793, machte er sich verdient.
Diesen Tag und seine Helden feiert Junius Frey in einer Broschüre »Abenteuer des Vaters Nicaise oder der Antiföderalist«, und Chabot revanchiert sich, indem er in einer Rede eine zweite Schrift des Junius Frey, »Philosophie sociale«, zitiert und den Autor mit Locke, Sokrates und Christus vergleicht.
Längst verkehrt Chabot in der Rue d'Anjou, wo die Brüder Frey offene Tafel halten, wie schon die Tatsache erkennen läßt, daß der Küchenhaushalt jährlich fünfzigtausend Franken verschlingt. Bunt ist die Gesellschaft an ihrem Tisch, Sansculotten und Gräfinnen, Diplomaten und Freimaurer, Schauspielerinnen und Schieber; ein Freund des Junius Frey ist Proly, der für die Revolutionsregierung Kurierdienste leistet und keines Geringeren unehelicher Sohn sein soll als des Fürsten Kaunitz, Staatskanzlers von Österreich; im Hause Frey treffen sich der Mainzer Arzt Georg Wedekind, ein Freund Georg Forsters, der sächsische Anwalt Saiffert, der ein antiklerikales Stück über den in Rom ermordeten Sekretär der französischen Gesandtschaft, Basville, schrieb, die Deputierten Hérault de Séchelles und Julien aus Toulouse.
Dem Gerichtsakt verdanken wir die Beschreibung des Freyschen Hauses: Im Vorsaal steht auf bronzenem Sockel die Büste des Brutus, Kupferstiche vom Ballhausschwur und von den Grabmälern Marats und Lepeletiers hängen an der Wand, das Mobiliar ist mit grün-weiß gestreiftem Seidenstoff bezogen, die Seidenvorhänge mit Vierecken in den gleichen Farben gemustert, den Kamin schmückt eine zierliche Stutzuhr aus blauem und weißem Marmor, von einem Amor aus unglasiertem Sèvresporzellan gekrönt; das Inventarverzeichnis zählt weiter auf: vier Lehnstühle, zwei Sessel, einen Toilettetisch aus Mahagoni, einen großen Spiegel, einen breiten Schrank, der auf blauer Marmorplatte das Reliefporträt Ciceros trägt, und ein Himmelbett aus vergoldetem Holz, umhüllt von gelb und weiß gemusterten, mit weißem Taft gefütterten Vorhängen.
Léopoldine, die Schwester der Freys, sitzt züchtig in ihrer Mädchenstube, zeigt sich den Gästen niemals. Dieses stille Mädchen mit dem zarten elfenbeinernen Gesicht, den mandelförmigen Augen, dem schwarzen Haar und der goldenen Mitgift wird des wilden Chabot Frau. In seiner während der Haft verfaßten Rechtfertigungsschrift »Wahrhafte Geschichte der Heirat des François Chabot mit Léopoldine Frey als Widerlegung auf alle hierüber ausgesprengten Verleumdungen« gibt Chabot an, Junius Frey habe diese Ehe veranlaßt. »Glandy, einer meiner besten Freunde und mein Verwandter, wurde von seiner Gemeinde nach Paris entsendet, um beim Konvent eine Entschädigung für den Kampf gegen das Banditentum im Dep. Lozère durchzusetzen. Er wohnte bei mir in der Rue St-Honoré. Ich wollte ihm Versailles zeigen, wo ich erst einmal gewesen war, und zwar nur nachts, damals als ich die Schweizer vom Regiment Chateau-Vieux abholte. Ich lud zu dieser Landpartie die Brüder Frey und die Damen ein, da sie sich während meiner Abwesenheit Glandys angenommen hatten. Die Brüder Frey hatten wiederholt von ihrer Schwester gesprochen, die ich für verheiratet hielt, weshalb ich äußerte, das Ehepaar möge mitkommen. Darauf lachten die Freys: ›Léopoldine ist erst sechzehn Jahre alt und hat außer uns noch keinen Mann gesehen.‹ Auf der Landpartie verliebte sich Glandy in das Mädchen. Als wir zu den Freys kamen, erschien nach dem Essen auf unsere Bitte Léopoldine und spielte mit soviel Liebreiz und Grazie auf dem Spinett, daß Glandys Verliebtheit noch flammender wurde. Er ersuchte mich, ich möge für ihn um die Hand Léopoldines anhalten. Als ich daraufhin den Junius Frey befragte, ob er seine Schwester verheiraten wolle, erwiderte er, er habe bereits daran gedacht, sie zu meiner Frau zu machen. Ich schwieg, teilte aber die Antwort dem Verliebten mit, der darauf drang, ich möge für ihn einen ausdrücklichen Heiratsantrag vorbringen. Ich tat dies und erhielt von Junius folgende Antwort: ›Um meine Schwester hielten bereits Millionäre an (Junius nannte mir die Namen), ich habe sie abgewiesen. Wenn sie der ehemalige Herzog von Chartres freien wollte, würde ich ihn ebenso ablehnen. In Frankreich bist nur du es, der des Mädchens würdig ist. Den Glandy schätze ich als deinen Freund und als einen guten Menschen, aber meine Schwester kann ich ihm nicht geben.‹ Zunächst war ich sprachlos. Nach einer Weile bemerkte ich, Glandy sei Inhaber eines gutgehenden Geschäftes, während ich ja nichts besitze als den äußerst unsicheren Pensionsbetrag des gewesenen Kapuziners. Frey erwiderte: ›Besäßest du mehr, so würdest du niemals meine Schwester bekommen, denn dann wärest du korrupt und konterrevolutionär. Ich gebe sie dir mit einem Heiratsgut von zweihunderttausend Livres. Solltest du jedoch jemals die Sache des Volkes verraten, dann mußt du auf meine Freundschaft und auf jede Erbschaft verzichten. Denn wenn du Léopoldine heiratest, werde ich ledig bleiben, und du wirst das Haupt unserer Familie in Frankreich sein. Mein Bruder Emanuel ist impotent, er kann niemals Vater werden.‹«
Chabot habe sich Bedenkzeit erbeten, zuerst vierundzwanzig Stunden, dann eine zwölfstündige Verlängerung, innerhalb welcher ihm seine Klubkollegen eindringlich rieten, seinem Ruf als Schürzenjäger durch die Heirat ein Ende zu machen.
Am 27. September 1793 zieht Chabot in das Hotel der Rue d'Anjou, um der Rache seiner bisherigen Geliebten Juliette Berger zu entgehen, deren Gefährlichkeit er ahnt. Sie schürt gegen ihn, und schon am 30. glaubt Chabot sich durch eine Rede schützen zu müssen, in der er ganz allgemein vor einer Verschwörung von Weibern warnt, welche die Mitglieder des Konvents zu verleumden beabsichtigt.
Nach weiteren drei Tagen proklamiert er im Sitzungssaal der Jakobiner seine Verlobung, indem er erklärt, dem Laster der Flatterhaftigkeit entsagen und seßhaft werden zu wollen, seine Bedürfnislosigkeit und Armut betont und – um allfälligen späteren Vorwürfen der unrechtmäßigen Bereicherung vorzubeugen – hervorhebt, seine Erwählte sei durchaus kein Mädchen ohne Heiratsgut. Die Trauung werde kein Priester vornehmen, sie werde um acht Uhr morgens stattfinden, damit Chabot den Beginn der Konventssitzung nicht versäume.
Er lädt die Mitglieder des Klubs zur Zeremonie ein, aber die Einladung wird mit Eiseskälte aufgenommen. Scheint es ihm nur so oder ist es Wirklichkeit, daß einer seiner Klubkollegen das Lied summt, das er bisher nur von rechts gehört: »Vit-on jamais rien de plus sot, Que Merlin, Basire et Chabot . . .«
Am nächsten Tag bringen die »Annales de la République française« über die Braut des Volksvertreters folgende, offenkundig von Frey stammende Notiz: »Die Familie von Léopoldine Frey-Minaires stammt aus Böhmen; sie ist von jüdischer Religion und nicht von der der Mährischen Brüder, wie behauptet worden ist. Der Ahnherr Frey hat während des Siebenjährigen Krieges beträchtliche Käufe im Dienste der Königin von Ungarn abgeschlossen, so daß der Wiener Hof der Familie eine Summe von zwei Millionen schuldete. Da jedoch der Kaiserin die Verbreitung des katholischen Glaubens in ihren Staaten sehr am Herzen lag, bewog man den Vater Léopoldines, dem mosaischen Glauben abzuschwören, um der römisch-katholischen Religion zu folgen, was den Erfolg hatte, daß die Kaiserin ihm an Zahlungs Statt die schöne Herrschaft von Found-Schomberg verlieh, die auf mehr als zwei Millionen bewertet wurde. Dort ist die liebenswürdige Léopoldine geboren.«
Die abfälligen Bemerkungen verstummen nicht, man spöttelt, mit Anspielung auf Ludwigs XVI. Gattin, über »die Österreicherin des Chabot«, man erzählt, Freys Neffe sei in Wahrheit sein Sohn, dessen Eintritt in die revolutionäre Armee ein Akt der Spionage und Léopoldine komme aus dem Harem des Kaisers von Österreich. Chabot behauptet später, Delaunay habe ihm gedroht, alle diese Verleumdungen vom Rednerpult der Nationalversammlung öffentlich zu wiederholen, wenn sich Chabot nicht daran beteilige, das Auflösungsdekret der Indischen Kompanie zu fälschen. Chabot werde bald Geld brauchen, denn seine politische Stellung sei erschüttert. In Wahrheit hat Chabot selbst gefühlt, daß ein mit Bankiers versippter Volksvertreter in einer revolutionären Republik unmöglich ist.
Am 20. Brumaire II (November 1793) hält Philippeaux eine Philippika im Konvent, die Abgeordneten mögen ihre Strenge zunächst gegen sich selbst beweisen. »Ich beantrage, daß jeder Deputierte eine Aufstellung vorlege, wieviel sein Vermögen vor der Revolution betrug und wie hoch es heute ist. Wer nicht innerhalb von zehn Tagen diese Angaben in präziser Weise erbringt, soll sofort festgenommen und als Vaterlandsverräter bestraft werden.« Basire, Chabot, er vor allem, und Julien aus Toulouse sprechen dagegen und erreichen, daß der Antrag mit dem Zusatz angenommen wird, jedem Abgeordneten müsse vor seiner eventuellen Verhaftung Gelegenheit geboten werden, sich im Konvent zu verteidigen.
Tags darauf diskutiert der Klub Chabots Rede, kennzeichnet den Zusatzantrag als dem gesamten Volkswillen zuwiderlaufend und beschließt die Entsendung einer Abordnung in den Konvent. Dort regnet es gegen Chabot heftige Vorwürfe, obwohl er seine vorgestrige Stellungnahme zu bedauern erklärt, man wettert gegen seine Frau, die verdächtige Ausländerin, gegen ihre anrüchigen Verwandten.
Die Brüder Frey, die der Sitzung beiwohnen, müssen hören, wie das Volk von Paris über sie urteilt: Vor der Heirat ihrer Schwester seien sie mit langen Gesichtern umhergegangen (on y faisait une figure très mince) und jetzt sei ihr Kammermädchen besser gekleidet als vorher die Frau des Hauses. Als man bei ihnen, wie bei allen fremdländischen Bankiers, die Siegel anlegte, eine Maßnahme, die auf Chabots Intervention aufgehoben wurde, gab es in ihrem Hotel, das heute auf siebenhunderttausend Livres geschätzt wird, keine Wäsche, und die Schränke waren leer.
»Spione wohnen mit dir unter einem Dach, Bürger Chabot!« Nieder prasseln, nieder brechen und nieder schmettern neue Beschimpfungen auf Chabot, dessen Betrug man nur instinktiv ahnt. Verzweifelt fleht er »die gutgesinnten Bürger« an, sie mögen ihm helfen, die Verleumder zu demaskieren, aber eine Salve von Hohn ist die Antwort, und man verlangt, daß der Ausdruck »Verleumder« ex praesidio gerügt werde. Chabot wankt aus dem Sitzungssaal, er fühlt bereits, wie sich die scharfgeschliffene Eisenplatte des Bürgers Guillotin auf seinen Nacken senkt, unaufhaltsam, unaufhaltsam. Niemand vermag ihn zu retten.
Niemand? Er hofft auf Robespierre. Nach schlafloser Nacht eilt er am frühen Morgen zu ihm. Der mächtigste Mann Frankreichs empfängt den zweitmächtigsten in seiner Kammer, in der nur ein Tisch, vier Stühle, eine Matratze und viele Bücher sind. Chabot hat das Paket mit den hunderttausend Franken bei sich, mit dem er Fabre d'Eglantine von seinem Antrag auf restlose Auflösung der Indischen Kompanie abbringen sollte. Stotternd berichtet Chabot dem Robespierre von einem großen Komplott, das er bis in die letzten Wurzelfasern aufdecken könnte, wenn er mit den Verschwörern in Fühlung bliebe. Robespierre schickt ihn zum Sicherheitsausschuß, dort protokolliert man die Angaben über die angebliche Konspiration, lehnt es aber ab, Chabot zu seiner Deckung einen Geleitbrief für den weiteren Verkehr mit den Verrätern auszustellen.
Nur einen Tag noch ist er in Freiheit, dann holt man ihn, nach und nach alle von ihm Beschuldigten und viele andere, die der Korruption, der Schwelgerei und der Gegenrevolution verdächtig sind, und auch den unschuldigen Fabre d'Eglantine, der der Freund Desmoulins' und Dantons ist. Die Brüder Frey, am 3. Frimaire II (23. November 1793) festgenommen, sitzen in der Prison Saint-Pélagie, Léopoldine im Gefängnis der Englischen Fräulein. »Ich danke der Vorsehung«, schreibt Chabot aus dem Luxembourg-Gefängnis an den Sicherheitsausschuß, »daß ihr euch endlich entschlossen habt, meine beiden Schwäger in Haft zu nehmen. Ich halte sie für so fleckenlos wie die Sonne und für ehrliche Jakobiner. Wären sie es nicht, so müßte man in ihnen die größten Heuchler des Weltalls erblicken.«
Für so etwas wie die größten Heuchler des Weltalls hat auch Robespierre sie gehalten. In seinen nachgelassenen Papieren findet man folgende Aufzeichnungen über Junius Frey: »Seit den ersten Tagen der Revolution leben in Paris zwei Schurken, deren vollkommene Verstellungskunst sie zu geeigneten Werkzeugen der Tyrannen gemacht hat . . .; einer von ihnen hat dem angenommenen Familiennamen den Vornamen des Mannes beigesellt, der die Freiheit Roms begründet hat. Jeder Patriot, mit dem er in Verkehr trat, traf ihn zu Hause mit der Feder in der Hand, in Betrachtungen über die Menschenrechte vertieft oder beim Studium der Werke Plutarchs und Rousseaus. Das strenge Äußere und die revolutionäre Tracht des neuen Junius entsprachen vortrefflich der Vorstellung von einem so bedeutenden Charakter: der philosophische Schnitt seines Haars und die auf seinen Gelehrtenkopf gestülpte rote Mütze bürgten der ganzen Welt für die Reinheit seiner patriotischen Gesinnung.«
Chabot bittet in einer Eingabe, seine unschuldige Frau aus dem Gefängnis zu entlassen, und dies geschieht auch. Die anderen, selbst die einst Mächtigsten, bleiben in strengstem Gewahrsam, mehr als ein halbes Jahr. Da erkennt Chabot, daß seine Sache hoffnungslos ist, er nimmt Gift, aber auch das fällt ihn nicht, rettet ihn nicht vor der letzten Schmach, man trägt ihn vors Gericht und führt ihn zum Blutgerüst wie die, die er mit sich gerissen, wie die, die ihn mit sich gerissen, die beiden Frey.
Noch nicht lange waren sie im Lande, die verhängnisvollen Brüder. Ende April 1792, just zu Beginn des Krieges, in Straßburg aufgetaucht, haben sie sich dort für Thibault de Laveaux eingesetzt und gegen seine klerikalen Widersacher, die ihn vor Gericht gezogen hatten. Jean-Charles-Thibault de Laveaux war Sprachphilosoph, der Schöpfer der vergleichenden Grammatik, und Freund und Biograph Friedrichs II., doch hatte er auf dessen Gunst verzichtet, um als Redakteur des »Courrier du Bas-Rhin« die revolutionäre Lehre vom Elsaß aus nach dem Osten zu tragen.
Seinen Prozeß gegen die Klerikalen von Straßburg gewann er, worauf die Freys eine Medaille mit der Inschrift »Zur Feier des von den Jakobinern über die Feuillants davongetragenen Sieges« schlagen ließen und eine stattliche Beisteuer für die Ausrüstung der Revolutionsarmee gaben. Dem Prinzen von Hessen, der sich der Sache der Französischen Revolution angeschlossen, überreichten die Brüder einen Ehrendegen, und der »Courrier du Bas-Rhin« pries den Opfermut der neuen Mitbürger Frey. Jedoch schon wirft der Journalist Chairoux die Frage auf, wer eigentlich diese angeblich aus Begeisterung für die Freiheitsbewegung herbeigeeilten Fremden seien, diese angeblichen Aristokraten, diese angeblichen Millionäre, man kenne ihren wahren Namen nicht, man kenne ihre Herkunft nicht, man kenne ihre Absichten nicht.
Vielleicht erschreckt sie diese Frage. Sie wollen nach Paris. Eben fährt Thibault de Laveaux hin, um die Redaktion des »Journal de la Montagne« zu übernehmen, und der revolutionäre Prinz von Hessen reist in der gleichen Kutsche – für die Freys eine gute Gelegenheit mitzufahren, das trefflichste Entrée in die Hauptstadt. Sie kommen an, als sich der Sturm auf die Tuilerien vollzieht, und die Brüder finden sofort den Weg, sich ihre Beteiligung an diesem revolutionären Akt offiziell bestätigen zu lassen. Ja, noch mehr, als zwei Wochen später in der Legislative, in der Gesetzgebenden Nationalversammlung, darüber debattiert wird, großen revolutionären Denkern des Auslandes ehrenhalber das französische Bürgerrecht zu erteilen, schlägt der Deputierte Boussac vier deutsche Denker vor: Wieland, Voß und – die Brüder Frey. Keiner von den vieren gefällt dem Referenten Rühl vom Niederrhein. Er beantragt nur Friedrich Schiller, von dem sich bald erweisen wird, wie unrichtig es war, ihn als Revolutionär einzuschätzen: Schiller stimmte das Lied von der Glocke an, den Lobgesang auf das Spießertum, den Haßgesang gegen die Auflehnung des Untertanen.
Immerhin bleibt dem Konvent die Ehre, sie den Brüdern Frey nicht erwiesen zu haben. Die müssen auf andere Weise die Staatsbürgerschaft zu erwerben versuchen. Am Tage, da sich Frankreich zur Republik erklärt, nehmen die Freys ein Waisenkind und eine blinde Greisin in Pflege, die Feier der Section des Tuileries wird beim Schein von Fackeln begangen, die die Bürger Frey beigestellt haben, und sie sprechen beim Außenminister Lebrun vor, um ihm ein Projekt zu unterbreiten, wie man die Österreicher mit den Preußen verfeinden und damit deren gemeinsamen Krieg gegen Frankreich beenden könnte. Aber all das und ihre Freundschaft, sogar ihre Verwandtschaft mit dem großen Chabot bringen den Verdacht nicht zum Verstummen, der sich allenthalben gegen sie regt.
Einer ist da, der sie von früher kennt, ein Emigrant, ein weltberühmter Mann, der Bastillensträfling Friedrichs II., der Freiherr von Trenck. Und er sagt geradeheraus, die Brüder Frey seien österreichische Spione. Überall tritt Trenck gegen sie auf, denn er glaubt, sie seien es gewesen, die seine Aufnahme in den Jakobinerklub verhindert haben. Sicherlich mißt er ihnen und Chabot auch die Schuld daran bei, daß er verhaftet wird. Aber als Trenck das Schafott besteigt (25. Juli 1794), liegen seine beiden österreichischen Feinde und deren französischer Schwager schon lange ohne Kopf auf dem Friedhof Errancis.
Auch anonyme Anzeigen gab es gegen die Brüder Frey. Eine ist im Archiv des französischen Außenministeriums erhalten. Sie stammt von einem Girondisten und beschuldigt die Freys der einzigen Verbindung, die sie gewiß nicht haben, der Verbindung mit Marat, dem konsequentesten der französischen Revolutionäre, der für den Anonymus allerdings den schrecklichsten bedeutet. Die Brüder Frey wüßten alles voraus, schreibt er, was Marat am nächsten Tag in seiner Zeitung veröffentlichen werde; Junius Frey verkehre außerdem mit Ministerialbeamten, insbesondere mit solchen des Kriegsministeriums, und behaupte, Beweise dafür zu haben, daß die Preußen und Österreicher binnen vier Monaten in Paris einrücken werden.
Aber erst als die Affäre der Indischen Kompanie platzt, erst als Chabot im Gefängnis sitzt, nimmt man auch die Brüder Frey in Haft und versucht zu erforschen, wer und was sie in ihrer vorfranzösischen Zeit gewesen sind. Nicht allzuviel können die Behörden darüber erfahren.
In der Zeitung »Le mercure universel« führt der Deputierte Amar zur Belastung des verhafteten Chabot an, zwei seiner Schwäger, Brüder des Junius Frey, stünden als österreichische Offiziere im Lager des Feindes an der Landesgrenze. Der Mitangeklagte Diederichs erklärt, er habe Junius und Emanuel Frey in Wien kennengelernt; Junius sei ein Günstling Kaiser Josefs gewesen, der sich mit ihm über philosophische Fragen zu unterhalten liebte. Sie hätten im Sommer 1791 gemeinsam mit ihm (Diederichs) Wien verlassen, der Fürstenzusammenkunft von Pillnitz beigewohnt und dann Dresden, Berlin und Hamburg besucht; von dort fuhr Diederichs in ihrem Auftrag nach England, während sich die Freys nach Straßburg wandten, wohin sie ihre Schwester Léopoldine nachkommen ließen. Die Frau des Junius, Wilhelmine, lebe in Wien auf großem Fuße. Junius Frey, über seine Personalien einvernommen, sagt aus: »Alle meine Güter sind mir vom Kaiser genommen worden. Meine Frau ist die Adoptivtochter eines homme opulent und hat zwei Millionen zur Verfügung.«
In den Archives nationales liegt der Akt, den das Polizeibüro an den mit der Untersuchung betrauten jakobinischen Kommissar sandte. »Les Frey sont nés juifs sous le nom de Tropousca à Brunne en Moravie, anoblis sous le nom de Schönfeld. Ils sont deux frères ici et trois au service de l'Autriche. La comtesse leur sœur a été baptisée il y a trois ans. Il y a encore deux autres sœurs à Vienne dont une seulement a été baptisée et est entretenue par un baron allemand. Frey l'aîné à Paris est marié, sa femme est à Vienne avec deux de ses filles; et un fils de seize ans, qu'il a mis dans l'armée révolutionnaire, lequel il fait passer pour son neveu.«
Um Näheres über Freys Vorleben zu erfahren, müssen wir nach einem Aristokraten namens Schönfeld aus Brünn suchen, der vormals »Tropousca« hieß oder so ähnlich. Im Wurzbach, dem Österreichischen Biographischen Lexikon, finden wir ihn, einen sicheren »Franz Thomas Schönfeld, geboren zu Brünn in Mähren 1753, von jüdischer Abstammung und hieß vorher Dobruska. Sein Vater, Salomon Dobruska, war ein reicher Jude und Hauptpächter des k. k. Tabakgefälls. Sein Sohn sollte ein gelehrter Rabbi werden und erhielt demgemäß Unterricht im Talmud. Durch Zufall kam S. mit einem anderen Israeliten zusammen, der sich mit dem Studium der hebräischen Dicht- und Redekunst beschäftigte und durch den S. gleichfalls in dasselbe eingeführt wurde. Nun wollte S. vom Talmud nichts mehr wissen, wollte humanistische Studien machen und erzwang schließlich von seinem Vater die Einwilligung. Mit Eifer trieb er das Studium der alten Klassiker und deutschen Poeten. Unter letzteren fesselte ihn zunächst Geßner, an dem er solchen Gefallen fand, daß er auch die anderen deutschen Dichter kennenlernen wollte. Es gelang ihm, seinen Vater zu bewegen, daß er ihm eine Summe von 1500 Gulden zur Anschaffung von Büchern, wie er sie wünschte, gewährte. Nun trieb er mit allem Eifer das Studium der deutschen Sprache, in welcher er sich selbst in der Dichtung versuchte, auch jenes der übrigen lebenden Sprachen, und zwar der englischen, französischen und italienischen, und trat am 17. Dezember 1773 (soll heißen 1775) zu Prag zur katholischen Religion über, worauf er den Namen seines schon 1769 zur nämlichen Religion übergetretenen Bruders annahm, welcher sich Schönfeld nannte und die Stelle eines Offiziers in einem kaiserlichen Infanterie-Regiment bekleidete. Er verfaßte mehrere Gedicht- und literarhistorische Bücher. Im Jahre 1778 wurde S. zugleich mit seinen Geschwistern Karl S., k. k. Unterleutnant, Joseph, Fähnrich, Maximilian, Leopold und Emanuel in den erbländischen Adelsstand erhoben, und aus dem Adelsdiplom erfahren wir, daß Franz Thomas Mitvorsteher der berühmten Garellischen Bibliothek war, an welcher Denis als Vorsteher bedienstet gewesen.«
Nun kommt der Schlußsatz, dem wir uns nicht ohne Bangen genähert haben, denn es könnte ja zum Beispiel darinstehen, Schönfeld sei hochbetagt in Wien gestorben, und dann wäre unsere Entdeckerfreude verpufft. Doch nein, der Schlußsatz lautet: »Über die Ursache seines gewaltsamen Todes, den er, wie Friedrich Raßmann in seinem ›Deutschen Nekrolog‹ (Nordhausen 1818, G. W. Happach, 8°, S. 172) berichtet, zugleich mit seinem Bruder Emanuel Ernst zu Paris erleiden mußte, daß beide am 5. April 1794 guillotiniert wurden, konnte ich leider nichts Näheres erfahren.«
Der Biograph Wurzbach weiß also viel über den Edlen Schönfeld, er kennt sogar die Auseinandersetzung zwischen ihm und seinem Vater, die Höhe der väterlichen Unterstützung und dergleichen, nur über eines konnte er »leider nichts Näheres erfahren«, über das eine, das der Leser dieses Kapitels aus der französischen Revolutionsgeschichte nun erfahren hat: die Ursache der Guillotinierung.
Franz Thomas hieß vorher Moses. Er hat in Prag im Dezember 1774 ein hebräisches Buch drucken lassen, in dessen Vorwort er erwähnt, daß er heute, am 7. Chanukatage, das zwanzigste Lebensjahr vollende. »Sefer Hascheschwi«, Buch des Vergnügens, heißt das Buch des Moses ben Salomon Dobruschka, es ist von den Prager Rabbinern Landau und Kassowitz approbiert, dem berühmten Mäzen Joachim Popper in Prag gewidmet und stellt einen Wort- und Sachkommentar zu dem hebräischen philosophischen Werk des Jedaja Penini aus Béziers dar; in kühnem Modernismus zitiert der zwanzigjährige Dobruschka wiederholt den als weltlich verfemten Moses Mendelssohn und beklagt, daß die Juden das Studium der Metaphysik vernachlässigen.
Bevor das Jahr zu Ende geht, in dem sein jüdisches Werk erschien, hat der Autor bereits das Sakrament der Taufe empfangen, bald darauf ist er Bibliothekar im höfischen Theresianum und drei Jahre später mit dem Namen einer alten böhmischen Adelsfamilie nobilitiert. Einer dieses Geschlechts lebt zur gleichen Zeit in Prag als Mitglied des Jesuitenordens und Professor der Dichtkunst an der Universität: Pater Franz Expeditus Schönfeld; er übersetzt die lateinischen Gedichte des Hofpoeten P. Denis, der der Chef von Moses Dobruschka ist, ins Deutsche und war vorher Geistlicher in Bøeznitz gewesen, einem Städtchen bei Blatna, von wo die Frau des jungen Gelehrten Moses Dobruschka stammt.
Chajim Březnitz war der ursprüngliche Name jenes Mäzenaten Joachim (nachmals Edler von) Popper, dem das Buch »Sefer Hascheschwi« gewidmet ist. Er starb kinderlos 1795 in Prag und liegt auf dem alten jüdischen Friedhof in Weinberge-Žižkov begraben neben seiner Gattin Reizl, Tochter des beim Prager Pogrom am 27. November 1744 getöteten Zecharja Joß. Der einzige Bruder der Frau Popper ist Isaak Juda Joß, der zwei Kinder hat, Simon Gottfried und Elke. Diesen Simon Gottfried schließt der reiche Onkel Popper wegen einer gestohlenen oder mißbrauchten Blankovollmacht aus seinem Testament aus, die Elke Joß aber nimmt er an Kindes Statt an; anläßlich ihrer Ehe mit Moses Dobruschka, dem künftigen Sansculotten Junius Frey, setzt Popper – der homme opulent aus dem Pariser Verhör – ihr einen Anteil an seinem Riesenvermögen aus, hebt aber diesen Erbbrief auf, als sie mit ihrem Gatten zum Christentum übertritt und nunmehr Wilhelmine Schönfeld heißt.
Mehr als zwanzig Jahre später, der Neffe ist auf der Place de la Révolution guillotiniert worden und der Onkel in seinem Haus in der Prager Langen Gasse entschlafen, entspinnt sich um den Nachlaß Joachim von Poppers ein langer Gerichtsstreit zwischen der Witwe des Guillotinierten und einem Verwandten, Abraham Duschenes, der Poppers Universalerbe geworden war, sich sofort nach Empfang des Erbes taufen ließ und den Namen Andreas Josef Dusensi annahm. Von Freys Abstammung berichtet die Brünner Matrikel, daß unser Jakobiner das zweite von zwölf Kindern des Salomon Dobruschka (1715 bis 1774) war, Pächters des mährischen Tabakregals und der jüdischen Leibmaut, und seiner Gattin, die 1731 als Schöndl Katharina Jakobi in Breslau geboren wurde und am 17. Mai 1791 in der Wiener Leopoldstadt starb.
Das Kinderdutzend war rasch in alle Welt zerstoben. Während der alte Dobruschka, der seine Söhne in der Synagoge von Austerlitz hatte beschneiden lassen, im Hinterhaus der Kröna-Vorstadt von Brünn die einzige jüdische Betstube Brünns unterhält, sind Söhne und Töchter schon auf dem Weg zur Taufe, und nach Vaters Tode kommen die jüngeren Söhne zur Erziehung ins Löwenburgische Stift, werden Offiziere, erhalten den Adel. Und Blümele Dobruschka, das heißt Theresia Maria Josefa Eleonore von Schönfeld, wird gar die Mätresse des Grafen Wenzel Paar. Kaiser Josef läßt sie 1787 aus Wien in ihre Heimatgemeinde Brünn ausweisen, jedoch was vermag der Kaiser gegen einen glücklich liebenden Paar, sie kehrt bald zurück und wohnt mit dreien ihrer Schwestern in der Bräunerstraße Nr. 1166. Vor allem bemuttert sie die kleine Ester, geboren Brünn 1771, getauft 10. Januar 1791 zu Wien auf den Namen Léopoldine Schönfeld, die Gattin Chabots, die ihr Bruder etwas jünger gemacht hat. Theresia Maria, die Geliebte des Grafen Paar, starb 1808 in Paris, wir wissen nicht, ob sie dort die Kleine wiedergesehen, die Witwe des Jakobiners, Esterle, ihr Schwesterle . . .
Das ist die Familie des Moses Dobruschka alias Franz Thomas Edler von Schönfeld alias Junius Frey, der vom Talmud in die deutsche Klassik sprang, vom Ghetto ins Theresianum, vom Onkel Popper zum Schwager Chabot, vom Katholizismus zum Atheismus, der die Elke Joß in die österreichische Aristokratie mitnahm und seine Geschwister in die Französische Revolution und dort die Axt an das Gemäuer legte, das ihn begrub – zusammen mit Danton und Desmoulins und Chabot auf dem Friedhof Errancis.
Die phantastische Oper dieses Lebens braust von Furioso zu Furioso, so daß man sie von hinten nach vorn spielen kann, mit dem Schlußakkord des Finales, der Beerdigung des Helden, beginnen und mit dem Auftakt der Ouvertüre, der Familiengeschichte, enden.