Rudyard Kipling und Wolcott Balestier
Naulahka, das Staatsglück
Rudyard Kipling und Wolcott Balestier

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Sechzehntes Kapitel.

»Ich will den Maharadscha sprechen!«

»Der Maharadscha ist nicht zu sprechen.«

»Dann warte ich, bis er kommt.«

»Er wird den ganzen Tag nicht kommen.«

»Dann warte ich den ganzen Tag.«

Tarvin setzte sich bequem zurecht im Sattel und stellte sein Pferd genau in die Mitte des Hofs, wo seine Zusammenkünfte mit dem Maharadscha in der Regel stattfanden.

Die Tauben schliefen im Sonnenschein, der Springbrunnen führte ein Selbstgespräch, wie eine Taube gurrt, ehe sie ihr Nest aufsucht. Die weißen Marmorfliesen glühten und strahlten die Hitze wider, heiße Luftwellen fluteten von den grün vergitterten Mauern herab. Der Thorhüter wickelte sich wieder in sein Leintuch und schlief weiter, und mit ihm schlief, so schien es, die ganze Welt in einem Schweigen befangen so überwältigend wie die Hitze. Tarvins Roß biß in die Zaumstange, und das Klirren des Metalls erweckte das Echo der schweigenden Wände. Der Mann darauf schlang ein großes seidenes Taschentuch um den Hals, um den Sonnenstrahlen wenigstens etwas zu wehren. Den Schatten des Thorbogens verschmähte er; der Maharadscha sollte ihn mitten in der Glut halten sehen, um zu begreifen, wie dringend sein Anliegen war.

Nach ein paar Minuten wurde in der mittäglichen Stille ein Geräusch wahrnehmbar, etwa wie wenn der Wind zur Herbstzeit in den hohen Aehren eines Weizenfeldes rauscht. Es drang hinter den grünen Fensterläden hervor, und unwillkürlich setzte sich Tarvin strammer im Sattel zurecht. Der Laut wuchs an und brach wieder ab, endlich aber äußerte er sich deutlich als ein fortgesetztes Stimmengemurmel, dem das Ohr wider Willen gespannt folgen mußte, solch ein Murmeln, wie es in schweren Träumen steigende Fluten ankündigt, denen der Träumer nicht entrinnen kann, wo er für seine Angst keinen anderen Laut findet, als ein heiseres Flüstern. Mit dem Gemurmel kamen die Tarvin schon so wohl bekannten starken Jasmin- und Moschusdüfte durch die Luft gezogen.

Der Palast war von seiner Siesta erwacht und spähte mit seinen hundert Augen nach ihm aus. Er fühlte die Blicke, die er nicht sehen konnte, und sie versetzten den unbeweglich Dasitzenden in Wut, während das Pferd nach den Fliegen schlug. Irgend jemand gähnte hinter dem Gitter; so leise und diskret dieses Gähnen war, berührte es doch Tarvin wie eine persönliche Beleidigung, und er nahm sich vor, auf seinem Posten auszuharren, bis er oder sein Pferd umsinken würde. Langsam, Zoll für Zoll, kroch die Sonne ihres Wegs, und endlich hüllte ihn die westliche Mauer in erstickenden Schatten.

Jetzt ging ein gedämpftes Summen durch die inneren Gänge, deutlich unterschieden von dem bisherigen Gemurmel. Eine kleine reich mit Elfenbein eingelegte Seitenthüre öffnete sich, und der Maharadscha wälzte sich heraus. Er war im denkbar häßlichsten Hausgewand aus leichtem Musselin, und der kleine saffrangelbe Turban saß ihm schief auf dem Kopf, so daß die zeisiggrüne, lange Feder wie betrunken schwankte. Seine Augen waren gerötet vom Opium, sein Gang erinnerte an einen Bären, den das Morgengrauen im Mohnfeld überrascht, wo er sich nächtlicher Weile gütlich gethan hat.

Tarvins Gesicht verfinsterte sich noch mehr bei diesem Anblick, und der Maharadscha, der den entrüsteten Blick seines englischen Freundes auffing, gab seinen Begleitern einen Wink, außer Hörweite zu bleiben.

»Haben Sie lange auf mich gewartet, Tarvin Sahib?« fragte er mit rauher Kehle, aber sichtlichem Bestreben, huldreich zu sein. »Sie wissen ja, daß ich um die Nachmittagszeit niemand empfange, und man hat mir auch nicht gemeldet, daß Sie da seien.«

»Ich kann warten,« versetzte Tarvin mit Ruhe.

Der König setzte sich in den halb zerbrochenen Lehnstuhl, den die Sonne vollends zum Bersten brachte, und schielte argwöhnisch zu Tarvin hinauf.

»Hat man Ihnen genug Sträflinge gegeben zur Arbeit? Ja, warum gehen Sie dann nicht zu Ihrem Damm, statt meine Ruhe zu stören? Bei Gott! Soll ein König um Ihrer und Ihresgleichen willen keine Ruhe haben?«

Tarvin ließ diesen Ausbruch ohne Widerspruch über sich ergehen.

»Ich bin hier des Maharadscha Kunwar wegen,« sagte er ruhig.

»Was ist's mit ihm?« fragte der König rasch. »Ich . . . ich habe ihn seit einigen Tagen nicht gesehen.«

»Warum nicht?« fragte Tarvin scharf.

»Staatsgeschäfte . . . dringende politische Angelegenheiten,« brummte der König, Tarvins strafendem Blick ausweichend. »Warum sollte ich mich denn um alles kümmern, wenn ich doch weiß, daß meinem Sohn kein Leid geschehen kann!«

»Kein Leid!!«

»Was sollte ihm denn zustoßen?« fragte der König, dessen Stimme ganz kläglich, fast winselnd klang. »Haben Sie mir nicht selbst versprochen, ihm ein wahrer Freund zu sein, Tarvin Sahib? Das war an dem Tag, wo Sie so fest im Sattel saßen und meiner ganzen Leibwache standhielten! Besser reiten habe ich im Leben nicht gesehen, und darum weiß ich, daß ich mir keine Sorgen zu machen brauche! Lassen Sie uns trinken!«

Er gab dem Gefolge ein Zeichen, worauf einer von den Leuten mit einem silbernen Pokal vortrat, den er unter dem bauschigen Gewand getragen hatte, und einen Liqueur einschenkte, dessen Geruch Tarvin das Wasser in die Augen trieb, obwohl er an starke Getränke gewöhnt war. Ein Zweiter brachte eine Sektflasche zum Vorschein, entkorkte sie mit der Geschicklichkeit, die nur lange Uebung gibt, und füllte den Pokal mit dem schäumenden Wein.

Der Maharadscha that einen tiefen Zug, wischte sich den Schaum vom Bart und bemerkte entschuldigend: »Der Vertreter des Vizekönigs braucht so etwas nicht zu sehen; aber Sie sind ein wahrer Freund des Staats, Tarvin Sahib, darum dürfen Sie es sehen. Soll man Ihnen auch einen Trunk mischen wie diesen?«

»Danke, nein. Nicht um zu trinken kam ich hierher, sondern um Ihnen zu sagen, daß der Prinz sehr krank war.«

»Mir wurde berichtet, er habe einen leichten Fieberanfall,« sagte der König, sich in seinem Stuhl zurücklehnend, »und er ist ja bei Fräulein Sheriff, die ihn bald gesund machen wird! Nur ein bißchen Fieber, Tarvin Sahib. Trinken wir eins!«

»Ein bißchen Hölle! Begreifen Sie denn nicht, was ich sage? Der kleine Bursche ist ja halbwegs vergiftet worden!«

»Das werden die englischen Arzneien gewesen sein,« sagte der Maharadscha mit einem stumpfsinnigen Lächeln. »Die haben mir auch einmal den Magen verdorben, seither nehme ich immer unsre heimischen Mittel. Sie sind doch immer ein Spaßvogel, Tarvin Sahib!«

Mit übermenschlicher Anstrengung bekämpfte Tarvin seinen gerechten Zorn, klopfte mit der Reitpeitsche an seine Stiefel und sagte laut und deutlich: »Zum Spaßen bin ich heute gar nicht aufgelegt, Maharadscha Sahib. Ja, der Prinz ist jetzt bei Fräulein Sheriff – bewußtlos wurde er hingebracht. Man hat im Palast den Versuch gemacht, ihn mit Hanfblättern zu vergiften.«

»Mit Bhang . . .« sagte der König.

»Wie man das Satansgebräu hierzulande nennt, weiß ich nicht, aber vergiftet hat man ihn. Wäre Fräulein Sheriff nicht gewesen, so wäre Ihr Erstgeborener, Ihr Thronerbe gestorben. Er ist vergiftet worden, verstehen Sie mich recht, Maharadscha Sahib, und zwar hier im Palast.«

»Ach, er wird irgend etwas Unverdauliches gegessen und sich den Magen verdorben haben,« entgegnete der König leichthin. »Kinder essen allerhand! Bei Gott! Es lebt kein Mensch, der es wagen würde, Hand anzulegen an meinen Sohn!«

»Und, bitte, womit verhüten Sie es denn?«

Der König richtete sich auf; seine geröteten Augen funkelten vor Wut.

»An das Vorderbein meines größten Elefanten würde ich ihn binden und ihn einen ganzen Nachmittag zu Tode martern!«

Den Schaum vor dem Mund, redete er hindostanisch weiter, ein ganzes Verzeichnis abscheulicher Martern heraussprudelnd, die zu verhängen er wohl den Willen, aber nicht die Macht gehabt hätte.

»All das widerführe dem Mann, der meines Sohnes Leben antastete,« schloß er.

Tarvin lächelte ungläubig.

»Ich weiß, was Sie denken,« brach der König los, von Alkohol und Opium halb wahnsinnig. »Sie meinen, weil wir eine englische Regierung haben, könne ich nur nach dem Gesetz richten! Unsinn! Geschwätz! Was frage ich nach dem Gesetz, das in den Büchern steht? Werden die Wände meines Palastes den Englischen erzählen, was dahinter vorgeht?«

»Nein, die sind stumm, sonst hätten sie Ihnen längst erzählt, daß ein Weib zwischen ihnen lebt, das solche Missethaten anstiftet!«

Das kupferfarbene Gesicht des Königs wurde grau. Mit heiser krächzender Stimme kreischte er: »Bin ich ein Fürst oder ein Töpfer, daß ich die Angelegenheiten meines Harems ans Tageslicht zerren lassen muß, wenn es einem weißen Hund einfällt, mich anzuheulen? Fort mit dir! Packe dich! Oder die Wache wird dich hinaustreiben wie einen Schakal!«

»Das kann sie thun,« versetzte Tarvin gelassen, »aber was nützt es dem Prinzen, Maharadscha Sahib? Kommen Sie mit mir ins Missionshaus, daß ich Ihnen das Kind zeige. Sie werden wohl etwas von Giften verstehen und mögen dann selbst urteilen. Der Knabe ist vergiftet worden.«

»Fluch dem Tag, an dem ich den Missionaren gestattete, in meinem Staate zu wohnen! Dreifacher Fluch dem Tag, an dem ich Sie nicht hinaus jagte!«

»Sie thun mir unrecht. Ich bin hier, um über den Maharadscha Kunwar zu wachen, und werde meine Schuldigkeit thun, auch wenn Sie ihn lieber von Ihren Weibern vergiften ließen!«

»Tarvin Sahib, wissen Sie, was Sie sagen?«

»Wenn ich's nicht wüßte, würde ich's nicht sagen. Ich kann's beweisen.«

»Beweisen? Vergiftung nachweisen? Vollends wenn ein Weib die Hand im Spiel hat? Verdacht kann man haben und danach richten, aber das englische Gesetz sagt, auf bloßen Verdacht dürfe man niemand verurteilen. Tarvin Sahib, sie haben mir alles genommen, was des Radschputen Stolz ist, ich und meinesgleichen, wir verkommen im Müßiggang, wie Rosse, die man nicht aus dem Stall führt, da drinnen aber bin ich wenigstens Herr.«

Dabei wies seine Hand nach dem grünen Gitterwerk und er sprach leiser, dann lehnte er sich erschöpft im Stuhl zurück und schloß die Augen.

Tarvin war in Verzweiflung.

»Kein Mensch würde es wagen – niemand würde es wagen,« sprach der König halblaut vor sich hin. »Und das andre, was Sie sagten . . . davon zu sprechen, liegt nicht in Ihrer Macht. Bei Gott! Ich bin Radschpute, ich bin König, doch vom Leben hinter dem Vorhang spreche ich nicht.«

»Ich verlange auch nicht, daß Sie davon reden, Maharadscha Sahib,« versetzte Tarvin, seinen Mut in beide Hände nehmend, »Ich will Sie nur warnen vor Sitabhai. Sie ist's, die den Prinzen vergiftet.«

Der Maharadscha schauderte. Daß ein weißer Mann, ein Fremder, den Namen seiner Königin aussprach, war an sich schon ein Schimpf, wie er dem König nie im Leben angethan worden war, aber daß ein weißer Mann eine derartige Anklage im offenen Hof vor seinem Gefolge laut erhob, das überstieg alles Maß der Möglichkeit. Der Maharadscha war eben von Sitabhai gekommen, die ihn mit Liedern und Koseworten, die keines andern Mannes Ohr je hören durfte, eingelullt hatte, und da erhob dieser hergelaufene Ausländer solche Anklage. Hätten ihn Alkohol und Opium nicht gelähmt, er würde sich über Tarvin hergeworfen haben.

»Die Beweise, die ich dafür habe,« schloß Tarvin, »werden dem Oberst Nolan vollständig genügen.«

Der Maharadscha starrte Tarvin mit verglasten Augen an; es sah fast aus, als ob der Fürst in Zuckungen verfallen würde, allein Alkohol und Opium waren die wahren Urheber dieses Zustands. Er stöhnte und brummte zornig, der Kopf sank auf die Brust, die Zunge versagte den Dienst, schwer atmend, bewußtlos, wie ein Stück Holz lag er in seinem Stuhl.

Tarvin faßte die Zügel, blieb aber noch eine Weile in den Anblick des sinnlos betrunkenen Würdenträgers versunken. Das Rascheln und Raunen und Tuscheln hinter den Gittern dauerte gleichmäßig fort, wie Meeresbrandung. Nachdenklich gestimmt lenkte Tarvin sein Pferd durch den Thorbogen.

Aus der dunkeln Ecke, wo der Thorhüter schlief und die Kampfaffen des Königs an der Kette lagen, sprang jählings etwas hervor, und Fibby wich zurück, als sich ein grauer Affe mit abgebrochenem Kettenende am Gürtel kreischend hinten auf den Sattelknopf schwang. Tarvin fühlte und roch das Tier, das mit der einen Hand in die Mähne des Pferdes griff, mit der andern Tarvins Hals umkrallte. Unwillkürlich griff dieser zurück, und noch ehe die Zähne in den scheußlichen blauen Kinnladen sich irgendwo hatten einbohren können, feuerte er, den Revolverlauf gegen das weiche Fell drückend, zweimal. Stöhnend wie ein Mensch, kugelte das Geschöpf zur Erde und der Pulverrauch zog langsam durch den dunkeln Thorbogen und verteilte sich im Hof.


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