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Vier Tage können einem unter Umständen zur Ewigkeit werden. Die Umstände, unter denen das geschehen kann, hatte Tarvin vollzählig in dem Büffelkarren vorgefunden, aus dem er sechsundneunzig Stunden, nachdem die Büffel sich aus dem Staub von Ramut herausgewälzt hatten, hervorkroch. Diese sechsundneunzig Stunden dehnten sich hinter ihm wie ein gespenstischer Zug staubverhüllter, kreischender Unholde. Der Büffelkarren legte in der Stunde zwei und eine halbe englische Meile zurück. In der Zeit, während der er ein ziegelrotes, von hohen Saummauern umgürtetes Flußbett entlang kroch, konnte man in Topaz – o glückseliges Topaz! – ein Vermögen gewinnen oder verlieren! Während der Mahlzeiten am Wegrand, wo der Treiber über einer Wasserpfeife, nicht viel handlicher als eine alte Rohrflinte, stundenlang trödelte, hätten in Amerika Städte entstehen und wieder in Trümmer zerfallen können gleich Theben! Während dieser und andrer Wartezeiten – die Reise schien ihm hauptsächlich aus Wartezeiten zu bestehen – hatte Tarvin immer das Gefühl, von jedem einzelnen Bürger der Vereinigten Staaten überholt zu werden, und erlitt namenlose Qual durch das Bewußtsein, diese verlorene Zeit im ganzen Leben nicht wieder einbringen zu können!
Schlanke Rohre mit scharlachroten Köpfen ragten wie Fahnenstangen aus dem hohen Gras der sumpfigen Niederungen zwischen den Hügeln hervor. Die Schnepfen und Wachteln fanden es kaum der Mühe wert, den Büffelnasen auszuweichen, und als Tarvin einmal um die Morgendämmerung auf einem glitzernden Felsen lag, sah er zwei junge Panther wie Kätzchen miteinander spielen.
Ein paar Meilen von Rawut entfernt, hatte der Treiber vom Boden des Karrens ein breites Schwert geholt, das er sich um den Hals hing und mitunter statt einer Gerte für die Büffel benützte. Tarvin sah also, daß hier wie in seiner Heimat jedermann bewaffnet war, aber die drei Fuß plumpen Stahls erschienen ihm als ein sehr armseliger Ersatz des leichten, handlichen Revolvers.
Einmal stand Tarvin in seinem Karren auf und ließ einen fröhlichen Hurraruf ertönen, weil er das weiße Dach eines PrairieschonersPrairieschoner werden die mit weißer Plane überspannten Leitenwagen genannt, worin die früheren Ansiedler teils reisten, teils wohnten. Anm. d. Uebers. zu erblicken glaubte, es war aber nur eine riesige Ladung Baumwolle, die von sechzehn Büffeln geschleppt wurde und auf den vielen Erdwellen auf und ab schwankte. Die ganze Reise über sengte die indische Sonne sein Haupt, daß er's nicht mehr begriff, wie er früher den immerwährenden Sonnenschein Colorados als Vorzug hatte rühmen mögen. In der Morgenfrühe funkelte der Tau von den Felsblöcken, als ob man Diamanten darüber ausgegossen hätte, um Mittag entsandte der Sand in den Flußläufen Lichtblitze, daß man zu erblinden fürchtete. Gegen Abend stellte sich ein kalter, trockener Wind ein, und die Hügelketten, die den Horizont begrenzten, leuchteten in unerhört mannigfaltiger Farbenpracht. Jetzt begriff Tarvin, warum man vom Wunderland des Ostens spricht, denn die Höhen schienen aus lauter Rubinen und Amethysten zu bestehen, dazwischen schimmerte es milchweiß wie Opal. Auf dem Rücken ausgestreckt lag Tarvin in seinem Büffelkarren und starrte in die Abendbeleuchtung hinein, mitunter von dem Zweifel beschlichen, ob das Halsband des Radscha sich mit diesem Glanz werde messen können.
»Die Wolken wissen, was mich herführt,« sagte er sich. »Ich nehm's als gutes Omen.«
Der Plan, den er sich vorgezeichnet hatte, war ebenso klar als einfach. Er wollte das Halsband kaufen und bezahlen mittels einer Verpfändung von Topaz. Die Stadt mußte das Geld aufbringen, natürlich nicht offiziell für diesen Zweck. Topaz war ihm gut dafür, und wenn der MaharadschaRadscha, im Sanskrit râyan, ist der Titel eingeborener indischer Fürsten, Maharadscha ist ein Großfürst, dem andere Radscha unterstehen. Anm. d. Uebers. Miene machte, den Preis unsinnig zu steigern, so bildete man einfach ein Syndikat.
Während der Karren dahinschwankte, daß Tarvin den Kopf bald rechts bald links anstieß, dachte er unaufhörlich, wo Käte jetzt wohl sein möge. Unter günstigen Umständen konnte sie schon in Bombay eingetroffen sein: soviel wußte er durch genaue Berechnung ihrer Route. Aber ein Mädchen allein konnte doch unmöglich so schnell von einer Hemisphäre zur andern kommen, wie ein Mann, den keine Fessel band und den die Liebe zu ihr und zu Topaz anspornte! Vielleicht ruhte sie sich jetzt ein Weilchen bei der Zenana-Mission in Bombay aus. Den Gedanken, daß sie unterwegs krank geworden sein könnte, wies er mit aller Macht von sich. Sie ruhte jetzt aus, ließ sich Befehle und Vorschriften erteilen, machte sich ein wenig mit den Wundern des seltsamen Landes vertraut, an denen er achtlos vorübergejagt war, aber in ein paar Tagen spätestens mußte sie in Rhatore eintreffen, in dem nämlichen Rhatore, wohin ihn die Büffel schleppten!
Er lachte in sich hinein und schnalzte mit den Lippen, wenn er sich ihre Begegnung ausmalte, und es vertrieb ihm die Zeit, sich auszudenken, wo ihre Gedanken ihn wohl suchen mochten!
Kaum vierundzwanzig Stunden nach seiner Unterredung mit Frau Mutrie hatte er Topaz verlassen. Er war mit dem Zug, der die Paßhöhe hinter Topaz hinaufklettert, nach San Francisco gefahren, ohne daß jemand von seinem Vorhaben gewußt, ohne daß er von jemand Abschied genommen hätte. Vielleicht daß Käte die Innigkeit des Gutenachtgrußes aufgefallen war, womit er sie bei der Rückkehr von den Heißen Quellen an ihres Vaters Thüre verlassen hatte, aber sie hatte keine Bemerkung darüber gemacht, und er hatte sich mit Selbstüberwindung losgerissen, um sein Geheimnis nicht zu verraten. Am andern Morgen hatte er in aller Stille einige Bauplätze verkauft, recht ungünstig zwar, aber er brauchte eben Geld für die Reise. Dieses Geschäft sah ihm gleich, daß es trotz des schlechten Preises nichts Auffälliges an sich hatte, und als er schließlich von seinem Eisenbahnwagen aus die Lichter des Thals tief unter sich blinken sah, durfte er sich sagen, daß die Stadt, zu deren Heil und Segen er nach Indien ging, nicht die leiseste Ahnung von seinem wohlthätigen Plan habe! Um aber auch noch fernerhin für die Erhaltung ihrer Ahnungslosigkeit zu sorgen, erzählte er dem Schaffner, mit dem er wie üblich eine Zigarre rauchte, im tiefsten Vertrauen von einer kleinen Minenspekulation in Alaska, die seine persönliche Anwesenheit erfordere. Er durfte sicher sein, daß diese Mitteilung morgen in Topaz von Mund zu Mund gehen würde.
Der Schaffner hatte ihn für einen Augenblick in Verlegenheit gebracht durch die Frage, was dann mittlerweile aus seiner Wahl werden solle, aber er hatte ihm, schnell gefaßt, zur Antwort gegeben, was das betreffe, sei alles abgemacht, und ihm dann wieder einige Geheimnisse über die Art und Weise dieser Abmachung anvertraut, so daß er sicher gehen durfte, seine Mitbürger würden Bescheid bekommen.
Immerhin zerbrach er sich unterwegs manchmal den Kopf darüber, wie seine Erzählungen wirken mochten und ob Frau Mutrie Wort halten und ihm das Ergebnis der Wahl nach Rhatore telegraphieren würde. Es war etwas wunderlich, daß er durch eine Frau erfahren mußte, ob er Mitglied des Gesetzgebenden Körpers von Colorado sei oder nicht, aber sie war der einzige Mensch auf Erden, der seine Adresse kannte, und da der ehrenvolle Auftrag ihr zu gefallen schien, wie die »reizende Verschwörung« – so nannte sie die getroffene Vereinigung – überhaupt, hatte ihn Tarvin mit Freuden in ihre Hand gelegt.
Als er längst zu der Ueberzeugung gelangt war, nie wieder im Leben das Gesicht eines weißen Mannes sehen, nie wieder im Leben eine verständliche Sprache hören zu dürfen, rollte der Wagen durch einen Engpaß zwischen zwei Hügeln und hielt vor einem Gebäude, das in auffallendem Gegensatz zu dem Bahnhof in Rawut stand. Es war ein doppelter Würfel aus rotem Sandstein und – dafür hätte es Tarvin in die Arme schließen mögen! – wimmelte von weißen Männern! Sie waren so wenig bekleidet, als irgend anging, lagen in Rohrstühlen auf der Veranda herum und jeder hatte einen abgeschabten Lederkoffer neben sich stehen.
Tarvin stieg nicht, er wälzte sich aus seinem Karren heraus, denn die langen Beine waren ihm gehörig steif geworden. Dann reckte er seine Gestalt, daß die Muskeln knackten, und mochte so ziemlich den Eindruck eines Gipsmodells machen, denn er war so vollständig überkrustet von Staub und Sand, als ob er aus einem Cyklon oder einem Wüstensturm käme. Der Staub füllte jede Falte und Vertiefung an seiner ganzen Person und sein schwarzes amerikanisches Jackett mit den vier Knöpfen war vollständig sandfarben. Zwischen dem Saum seiner Beinkleider und den Schuhen war kein Unterschied, kein Uebergang wahrnehmbar: wenn er einen Schritt machte, rieselten Sand und Staub an ihm herunter und sein inbrünstiges: »Gott sei Dank!« wurde von einem Staubhusten erstickt. Sich die brennenden Augen reibend, betrat er die Veranda des Dâk Bungalows.Bungalow ist das einstöckige, rings von einer Veranda umgebene indische Haus; Dâk Bungalow ein Rasthaus, wo der Reisende Aufnahme findet ohne eigentliche Wirtschaft, ungefähr wie in unsern Alpenvereinshäusern. Anm. d. Uebers.
»Guten Abend, meine Herren!« rief er den Insassen zu. »Gibt es hier etwas zu trinken?«
Niemand erhob sich, aber einer von den Herren klatschte in die Hände und ein andrer, ganz in dünne, safrangelbe Seide gekleidet, die um ihn herumhing wie eine vertrocknete gelbe Bohnenhülse, nickte ihm mit ebenso farblosem Gesicht zu und fragte nachlässig: »Für wen? Worin?«
»Ach so, die Sorte gibt's hier auch!« dachte Tarvin, der in der kurzen Frage das Volapük der Handlungsreisenden erkannt hatte.
Er ging die lange Reihe entlang und drückte in seiner Herzensfreude und Dankbarkeit jedem einzelnen die Hand, dann erst fiel ihm ein, Vergleiche zwischen Amerika und Indien anzustellen. Konnten diese trägen, schweigsamen Lotusfresser wirklich zu derselben Berufsklasse gehören, mit der er seit manchem Jahr im Wirtshaus und Rauchwagen Anekdoten und Witze und politische Meinungen ausgetauscht hatte? Nein, das mußten des Geistes beraubte niedrige Zerrbilder der rührigen, fröhlichen, zudringlichen und verwegenen Menschensorte sein, die er daheim als Handlungsreisende kennengelernt hatte, oder aber – ein Zerren in seinem Rücken brachte ihm diesen mildernden Umstand in den Sinn – sie waren samt und sonders »via Land« im Büffelkarren gereist und dabei so tief gesunken.
Er tauchte seine Nase in das fußhohe Glas mit Sodawasser und Whisky und ließ sie darin, bis kein Tropfen mehr herauszulocken war, dann erst warf er sich in einen leeren Stuhl und sah sich die Gesellschaft ein zweites Mal an.
»Hat nicht einer von den Herren gefragt, für wen ich hier sei? Ich muß annehmen, für mich selbst, denn ich reise zum Vergnügen . . .«
Tarvin fand nicht die Zeit, die Abgeschmacktheit seiner Behauptung still zu genießen, denn die fünf Herren brachen in ein schallendes Gelächter aus, wie man zu lachen pflegt, wenn man lange Zeit jeden Anlaß zur Heiterkeit schmerzlich entbehrt hat.
»Zum Vergnügen! Gott steh ihm bei! Vergnügen!« riefen sie durcheinander. »Da sind Sie an den unrechten Ort geraten!«
»Trifft sich gut, daß Sie nur zum Vergnügen reisen, denn hier ist kein Geschäft zu machen, und wenn Sie sich auf den Kopf stellen!« hieß es weiter.
»Ebenso gut könnten Sie einen Stein zur Ader lassen wollen! Ich bin seit vierzehn Tagen hier . . .«
»Alle Achtung! Wozu denn?« fragte Tarvin.
»Ach! Wir alle sind schon über acht Tage hier,« brummte ein vierter.
»Ja, was treiben Sie denn hier? Was führen Sie denn im Schild?«
»Sie sind wohl Amerikaner?«
»Ja, aus Topaz, Colorado.« Diese Mitteilung machte indes nicht den geringsten Eindruck auf die Herren; Colorado wirkte hier nicht. »Wo hapert's denn hier?«
»Je nun, gestern hat der König zwei Weiber genommen – Sie können die Gongs in der Stadt immer noch schlagen hören. Er macht den Versuch, ein neues Reiterregiment auszurüsten für die indische Regierung und hat sich mit dem politischen Agenten überworfen. Seit drei Tagen belagere ich Oberst Nolans Thüre, aber er behauptet, ohne Genehmigung der Oberregierung nichts thun zu können. Ich habe alles aufgeboten, um den König abzufangen, wenn er auf die Saujagd geht, an den Minister schreibe ich fortwährend, wenn ich nicht gerade auf einem Kamel um die Stadt reite, und hier ist ein ganzer Pack Briefe von der Firma, die sich wundert, daß ich nichts einkassiere!«
Nach Verlauf von zehn Minuten begriff Tarvin endlich, daß diese verwelkten Vertreter eines halben Dutzends Firmen in Kalkutta und Bombay den Platz regelmäßig im Frühjahr belagerten, um von einem König, der tonnenweise bestellt und grammweise bezahlt, Geld einzuziehen. Er hatte Gewehre, eingerichtete Reisetaschen, Spiegel, Kaminschmuck, Häkelarbeiten, bunte Glaskugeln für den Christbaum, Sattelzeug, Kutschierwagen, Breaks und Landauer, chirurgische Instrumente, Porzellanfiguren, dutzend-, hundert-, tausendweise bestellt, je nach Laune. Interessierten ihn seine Einkäufe nicht mehr, so legte er auch keinen Wert darauf, sie zu bezahlen, und da seine abgenützte Phantasie selten länger als zwanzig Minuten an einem Gegenstand Gefallen fand, geschah es zuweilen, daß sein Interesse schon mit dem Einkauf erschöpft war und daß die kostbaren Kisten aus Kalkutta gar nicht geöffnet wurden. Der vom indischen Kaiserreich angeordnete Friede verbot ihm, die Waffen zu ergreifen gegen andre Fürsten seines Volks, was doch seit Jahrtausenden seiner Vorfahren und seine höchste Lust gewesen war, der Kampf mit seinen Gläubigern war das Einzige, was einigermaßen seine kriegerischen Gelüste befriedigte. Auf der einen Seite stand der Vertreter Englands, der höchsten Obrigkeit, der ihm gute Sitten, Regierungskunst und Sparsamkeit beibringen wollte, auf der andern Seite, nämlich vor den Thoren des Palastes, stand immer ein Handlungsreisender, schwankend zwischen Verachtung für einen säumigen Schuldner und der dem Engländer angeborenen Ehrfurcht vor einem König. Zwischen diesen beiden Mächten hindurch ging seine Majestät seinem Vergnügen nach, das teils in Saujagd, Wettrennen, Einexerzieren seiner Truppen, in Bestellung weiterer unnötiger Gegenstände, sowie in geschickter Beherrschung seiner Weiber bestand, die von den Rechnungen jedes einzelnen Reisenden bedeutend mehr wußten, als sein Minister. Im Hintergrund aber stand die anglo-indische Regierung, die verständlich erklärte, daß sie keinerlei Gewähr leiste für Bezahlung der königlichen Schulden, und dem Maharadscha von Zeit zu Zeit auf einem blauen Sammetkissen einen juwelenstrotzenden kaiserlichen Orden schickte, um ihm die Einsprache in seine Angelegenheiten zu versüßen.
»Nun, ich hoffe, Sie legen den König dafür tüchtig herein?« sagte Tarvin.
»Wie meinen Sie das?«
»Nun, wenn bei mir daheim ein Kunde Geschichten macht, den einen Tag verspricht, den Herrn im Gasthof zu treffen, und nicht kommt, und den andern Tag wieder eine Zusammenkunft verabredet, sie aber nicht einhält und nicht zahlt, da sagt sich der Reisende: ›Ja, mein Sohn, wenn es dir Spaß macht, mich warten zu lassen, so macht es dir gewiß auch Spaß, meine Hotelrechnung zu bezahlen, und ich werde mir nichts abgehen lassen‹ und vom zweiten Tag an kreidet er ihm auch seine Verluste im Spiel an, denn irgendwie muß er sich doch die Zeit vertreiben!«
»Das ist ja höchst interessant! Aber in welcher Form bucht er diese Posten?«
»Die werden natürlich bei der nächsten Lieferung der Firma auf die Ware geschlagen. Die Preise sind dann einfach gestiegen.«
»O, die steigen bei uns auch, die Schwierigkeit ist nur, das Geld zu kriegen!«
»Ich kann mir nur gar nicht erklären, woher die Herren die Zeit nehmen, hier so herumzulungern,« bemerkte Tarvin, dem noch manches unklar war in diesem Land. »Da, wo ich herkomme, macht der Mann seine Tour in scharf abgemessener Zeit, und wird er irgendwo einen Tag aufgehalten, so muß er dafür seinen Kunden in der nächsten Stadt telegraphisch an die Bahn bestellen und seine Geschäfte mit ihm in der Haltezeit abmachen. Du liebe Zeit, bis einer von den Büffelkarren hier zu Lande eine Meile fährt, würde er die Welt verkauft haben! Und was das Geld betrifft, ja warum in aller Welt setzen Sie denn nicht die Gerichte in Bewegung? Ich würde in Ihrem Fall Beschlag legen auf das ganze Land, auf den Palast, auf des alten Sünders Krone sogar! Ich würde Zahlungsbefehle gegen ihn erwirken, ich würde im Notfall persönlich den Gerichtsvollzieher machen und sie persönlich vollstrecken. Wenn nichts anderes mehr übrig bliebe, würde ich den alten Burschen sogar einsperren und an seiner Stelle Radschputana regieren, aber zu meinem Geld würde ich kommen!«
Ein mitleidiges Lächeln stand auf allen Gesichtern.
»Das verstehen Sie einfach nicht,« erklärten mehrere zugleich, und nun begann eine wortreiche, vielstimmige Erklärung.
Die lässige Trägheit war ganz von den Herren gewichen, sie redeten sich alle zumal in den größten Eifer hinein, und Tarvin begriff nach einiger Zeit, daß er trotz des faulen Herumliegens tüchtige Geschäftsleute vor sich hatte. Sich am Thore des Großen hinzustrecken wie ein Bettler, war einfach hier zu Lande Geschäftsbrauch und auch eine Arbeit. Es kostete allerdings Zeit, aber man erreichte doch sein Ziel, besonders, schaltete der Gelbseidene ein, wenn man es fertig brachte, bis zum Minister durchzudringen und durch diesen des Königs Frauen für die Sache zu gewinnen.
Tarvin lächelte vor sich hin – er dachte an Frau Mutrie!
Der Gelbseidene führte jetzt das Wort und Tarvin erfuhr, daß die jetzige Königin eine Mörderin sei, die ihren ersten Mann mit Gift umgebracht habe. In einem eisernen Käfig die Hinrichtung erwartend, habe der König sie sich zum erstenmal zeigen lassen und habe sie gefragt, so erzähle man sich, ob sie ihn auch vergiften würde, wenn er sie heiraten wollte. Ganz gewiß, habe sie erwidert, wenn er sie auch so behandelte, wie ihr erster Mann. Und daraufhin habe der König sie geheiratet, teils weil ihn das Weib gereizt, teils weil ihn diese vermessene Antwort so sehr ergötzt habe.
Diese Zigeunerin, von deren Ursprung niemand etwas wußte, habe binnen Jahresfrist König und Staat unter ihre Füße gebeugt gehabt, Füße, von denen die andren Weiber hohnvoll sagten, daß sie hart und rauh seien vom Wandern auf dem Pfad der Schande. Sie habe dem König einen Sohn geboren, der ihr ganzer Stolz sei, und nach dessen Geburt sie sich mit brennendem Ehrgeiz in die Staatsgeschäfte gemischt habe. Die oberste Regierung wisse trotz der weiten Ferne, daß sie eine Macht sei, mit der man zu rechnen habe, und zwar eine böse Macht. Der weißblonde, milde Statthalter, Oberst Nolan, der kaum einen Büchsenschuß vor dem Stadtthor in dem rosa Haus wohne, habe viel von ihr auszustehen. Ihr letzter Sieg sei besonders demütigend für ihn gewesen: sie habe plötzlich entdeckt, daß ein in den Felsen gehauener Kanal, der geplant war, um im Sommer die Stadt mit Wasser zu versehen, durch einen Orangengarten unter ihren Fenstern führen würde, und habe den Maharadscha so weit gebracht, Einsprache dagegen zu erheben. Jetzt müsse wirklich eine andre Trasse für den Kanal gewählt werden, die ein bedeutender Umweg sei, den vierten Teil vom Jahreseinkommen des Agenten verschlinge und wogegen dieser mit Vorstellungen, Bitten, ja beinahe Thronen angekämpft habe.
Sitabhai, die Zigeunerin, habe die Unterredung zwischen dem Radscha und dem Statthalter hinter seidenen Vorhängen mit angehört und mitangesehen und sich halb zu Tod gelacht!
Tarvin sog diese Erzählungen mit gierigem Ohr ein. Sie kamen ihm ja sehr gelegen, waren Wasser auf seine Mühle, selbst wenn sein Plan, blindlings aufs Ziel loszugehen, dadurch über den Haufen geworfen wurde. Eine neue Welt that sich vor ihm auf, für die er keinen Maßstab und Standpunkt hatte und worin er bewußt und willig auf die Eingebung des Augenblicks bauen mußte, denn mit seinen Berechnungen war es nichts. Es war unmöglich gewesen, viel von dieser Welt zu erfahren, ehe er den Fuß darein gesetzt hatte, und er sah ein, daß er von den »faulen Gesellen« hier viel lernen konnte. Ihm war überhaupt, als ob er wieder beim A B C anzufangen hatte. Was mochte dem seltsamen Wesen, das sie hier König nannten, wohl angenehm sein, was ihn reizen und locken? Vor allem, was ihm Furcht einflößen?
Die Gedanken jagten sich in Tarvins Kopf, aber er sagte nur: »Kein Wunder, daß der König bankerott ist, wenn er einen solchen Hofstaat zu füttern hat!«
»Er ist einer der reichsten Fürsten in Indien,« entgegnete der Gelbseidene. »Er weiß selbst nicht, wie reich er ist!«
»Warum bezahlt er dann nicht seine Schulden, statt die Herren hier herumwinseln zu lassen?«
»Weil er eben ein Inder ist! Für ein Hochzeitsfest gibt er Hunderttausende aus, aber eine Rechnung von zweihundert Rupien bleibt vier Jahre unbezahlt!«
»Die Gewohnheit sollten Sie ihm eben austreiben; lassen Sie doch seine Juwelen pfänden,« schlug der hartnäckige Amerikaner vor.
»Sie kennen sich nicht aus in Indien, kennen indische Fürsten nicht! Eher würden sie ihr Leben lassen als die Kronjuwelen, die sind heilig, die sind ein Teil der Königswürde!«
»Was gäb' ich drum, das ›Staatsglück‹ nur ein einziges Mal sehen zu dürfen,« rief eine Stimme aus dem Hintergrund, von der Tarvin später erfuhr, daß sie dem Vertreter eines großen Juwelenhauses in Kalkutta angehörte.
»Was ist denn das?« fragte Tarvin so leichthin, als es ihm gelingen wollte, indem er sich sein Glas abermals füllen ließ.
»Haben Sie nie vom Naulahka gehört?«
Der Gelbseidene enthob Tarvin der Notwendigkeit zu antworten.
»Pah,« bemerkte er, »all diese Gerüchte vom Naulahka sind von den Priestern erfunden und ausgesprengt.«
»Das glaube ich denn doch nicht,« versetzte der Juwelenmann überlegen. »Das letzte Mal, als ich hier war, hat mir der König selbst erzählt, er habe das Naulahka einmal einem englischen Vizekönig gezeigt, der sei aber auch der einzige Ausländer, der es je zu Gesicht bekommen habe. Der König versicherte dabei, jetzt wisse er selbst nicht, wo es sei.«
»Ammenmärchen! Glauben Sie etwa an geschnittene Smaragden von zwei Kubikzoll?« fragte der andre den Fremdling.
»Die bilden nur das Mittelstück,« bemerkte der Juwelier, »und ich würde eine Wette riskieren, daß es ein talgichter Smaragd ist. Das macht mich gar nicht stutzig, aber ein Rätsel ist mir, daß diese Burschen, die gar keinen Sinn haben für reine Steine, sich die Mühe gegeben haben sollen, ein halbes Dutzend, geschweige denn fünfzig Steine vom reinsten Wasser zusammenzubringen. Es heißt, das Halsband sei um die Zeit, wo Wilhelm der Eroberer nach England kam, angefangen worden.«
»Nun, da brauchten sie sich jedenfalls nicht zu übereilen,« bemerkte Tarvin. »Wenn man mir acht Jahrhunderte Zeit läßt, bringe ich am Ende auch einen Schmuck zustande!«
Damit legte er sich abgewendeten Gesichts in seinen Stuhl zurück; sein Herz klopfte stürmisch. Er hatte bei Minenspekulationen, Länder- und Viehhandel auch Augenblicke erlebt, wo ein Zucken der Wimper, ein halbes Wort ein Vermögen aufs Spiel gesetzt hätte, aber acht Jahrhunderte hatten sich bis jetzt noch nie gegen ihn verschworen gehabt!
Die Herren sahen wieder mit mitleidiger Ueberlegenheit zu dem Neuling hinüber.
»Fünf unbedingt tadellose Exemplare der neun kostbarsten Edelsteine,« fuhr der Juwelier fort. »Rubin, Smaragd, Saphir, Diamant, Katzenauge, Türkis, Amethyst und . . .«
»Topas?« fragte Tarvin rasch mit Besitzermiene.
»Nein, schwarzer, nachtschwarzer Diamant.«
»Woher wissen Sie denn alles so genau?« fragte Tarvin eifrig. »Woher haben Sie diese Kenntnis?«
»Die ist wie alle Kenntnis in Indien auf der Straße aufzulesen, aber die Richtigkeit nachzuweisen hat seine Schwierigkeiten. Kein Mensch hat ja überhaupt eine Ahnung, wo sich dieses Halsband, das Naulahka, was Staatsglück bedeutet, aufbewahrt wird.«
»Vermutlich im Grundstein irgend eines Tempels in der Stadt,« sagte der Gelbseidene aufs Geratewohl.
»Wo ist denn die Stadt?« entfuhr es Tarvin trotz aller Vorsicht mit verdächtigem Eifer – er sah sich im Geiste schon den Boden durchwühlen, die ganze Stadt umgraben.
Man wies in die Sonnenglut hinaus, durch die er bei angestrengtem Hinsehen einen dreifach mit Mauern umgürteten Felsen schimmern sah. Bis an den Fuß des Felsens erstreckte sich der gelbe Sand der Wüste, der richtigen Wüste, die weder Baum noch Strauch trägt, in der nur der milde Esel lebt und, wie manche behaupten, tief im Innern das wilde Kamel.
Tarvin starrte lange durch den blendenden Dunst der sengend heißen Luft, aber er konnte nicht das geringste Anzeichen von Leben und Bewegung in dieser Stadt wahrnehmen. Es war jetzt kurz nach Mittag und die Unterthanen Seiner Majestät schliefen. Dieser ungeschlachte finstere Brocken Einsamkeit war also Rhatore, das Ziel seiner Reise, das Jericho, das zu erobern er von Topaz ausgezogen war!
»Wenn einer in einem Büffelkarren von New York herkommen wollte, um vor einer unsrer Ranchen sein Liedchen zu pfeifen, was für einen Narren ich den nennen würde!« überlegte Tarvin bei sich.
Er stand auf und reckte die staubbelasteten Gliedmaßen.
»Um welche Zeit wird's denn kühl genug, daß man sich die Stadt besehen kann?« fragte er.
»Was in aller Welt wollen Sie denn mit der Stadt thun – sie besehen? Da seien Sie nur ein wenig vorsichtig! Sie könnten leicht in Schwierigkeiten geraten mit dem Statthalter,« warnte sein gelbseidener Ratgeber freundschaftlich. Tarvin konnte nicht begreifen, inwiefern ein Spaziergang durch die lebloseste Stadt, die ihm je vorgekommen war, gefährlich oder gar verboten sein sollte, aber er äußerte sich nicht darüber, denn er merkte mehr und mehr, daß in diesem Land alles anders war als anderwärts – bis auf den Einfluß der Weiber! Er wollte diese Stadt aber gründlich vornehmen, und zwar ehe ihre monumentale Ruhe – es war immer noch kein' Lebenszeichen wahrzunehmen – ihn anstecken und verschlingen oder ihn in einen faulenzenden Kalkutta-Geschäftsmann verwandeln würde!
Jawohl, er mußte handeln, ehe sein Geist benommen und eingeschläfert würde. Vorläufig erkundigte er sich nach dem Telegraphenamt, obwohl es ihm trotz der Drähte fast verwunderlich vorkam, daß Rhatore eine derartige Einrichtung besitzen sollte.
»Uebrigens muß ich Sie darauf aufmerksam machen,« rief ihm einer von den Herren nach, »daß jedes Telegramm, das Sie von hier abschicken, vorher am ganzen Hofe die Runde macht und dem Maharadscha gezeigt wird!«
Tarvin dankte für diesen Wink, der in seinem Fall besonders beachtenswert war, dann watete er durch den tiefen Sand auf eine entweihte Moschee an der Straße zur Stadt zu, die sich's gefallen lassen mußte, das Telegraphenamt zu beherbergen.
Ein eingeborener Soldat lag in tiefem Schlaf quer über der Schwelle zum Eingang ausgestreckt, sein Pferd hatte er an den in den Boden gerammten langen Lanzenschaft von Bambus gebunden. Sonst kein Zeichen des Lebens; nur ein paar Tauben gurrten schläfrig unter dem dunkeln Thorbogen.
Tarvin sah sich fragend nach dem blauweißen Schild der Western UnionEine große Telegraphengesellschaft. Anm. d. Uebers. um, oder nach etwas, was in diesem wunderlichen Land dessen Stelle vertreten mochte. Er bemerkte, daß die Telegraphendrähte in einem Loch der Kuppel verschwanden, und sah jetzt, daß sich unter dem spitzbogigen Portal zwei oder drei niedere Holzthüren befanden. Aufs Geratewohl eine davon aufstoßend, trat er auf etwas Warmes, Haariges, das brummend aufsprang, und Tarvin hatte gerade noch Zeit, beiseite zu treten, sonst würde ihn ein Büffelkalb überrannt haben. Gelassen versuchte er's mit der zweiten Thüre und entdeckte nun eine Treppe mit ungeheuer breiten, niederen Stufen, die er sehr unbequem zu steigen fand. Er hoffte dabei immerzu, das Ticken der Apparate zu vernehmen, aber das Gebäude war still wie das Grab, das es ursprünglich gewesen war. Er öffnete wieder eine Thüre und stolperte in ein Zimmer, dessen gewölbte Decke im Schmuck von Tausenden kleiner Stückchen Spiegelglas und sehr bunter Bemalung prangte. Der Uebergang von dem pechfinstern Treppenhaus in diesen sonnendurchfluteten, von Farben und Glas funkelnden Raum mit seinem schneeweißen Fußboden, war so jäh, daß er die Augen zudrücken mußte. Ein Telegraphenamt aber mußte es sein, denn Tarvin hatte auf den ersten Blick einen altmodischen Apparat auf einem geringen tannenen Tischchen wahrgenommen. Das Sonnenlicht fiel grell herein durch das Loch, das man in die Kuppel geschlagen hatte, um die Drähte hereinzuführen, und das nie wieder geschlossen worden war.
Tarvin stand mitten in dem breiten Sonnenstreifen und sah sich um. Er nahm den weichen amerikanischen Filzhut vom Kopf, der für dieses Klima entschieden wenig geeignet war, und wischte sich die feuchte Stirne. Wie er so dastand, hoch aufgerichtet, geschmeidig, kraftvoll in jeder Bewegung, würde sich ein etwa im Hintergrund dieses geheimnisvollen Gebäudes lauernder Bösewicht wohl zweimal besonnen haben, mit diesem Mann anzubinden – ein bequemer Gegner war der sicher nicht! Er zerrte an dem langen blonden Schnurrbart, der von den Mundwinkeln herabfiel und von häufigem Fingerspiel eine bestimmte Kurve angenommen hatte, und brummte sehr anschauliche Bemerkungen in einer Sprache, die das Echo dieser Wände noch nie wiederholt hatte. Wie sollte er von diesem Abgrund der Vergessenheit aus je mit den Vereinigten Staaten von Amerika in Verbindung treten können? Selbst sein eigenes »Hol's der Teufel!«, das ihm von der Wölbung der Kuppe zurückschallte, klang saft- und kraftlos, unheimatlich!
Eine in ein weißes Leintuch gehüllte Gestalt lag auf dem Fußboden.
»Das stimmt!« rief Tarvin, jetzt erst den weißen Fleck entdeckend. »Ein Toter eignet sich außerordentlich für diese Amtsstube! Heda, Mann – aufgestanden!«
Das Leintuch kam in Bewegung, ein Grunzen drang darunter hervor und dann enthüllte sich ein sehr verschlafener Eingeborener, der von Kopf bis zu Fuß in taubengraue Seide gekleidet war.
»Ho!« rief er betroffen.
»Jawohl,« versetzte Tarvin ungetrübten Sinns.
»Sie wollen mich sprechen?«
»O nein, aber telegraphieren will ich, falls in dieser Gruft elektrischer Strom vorhanden ist.«
»Mein Herr,« versicherte der Eingeborene freundlich, »da haben Sie an die richtige Thüre geklopft. Ich bin Telegraphenbeamter und Generalpostmeister dieses Staats.«
Damit setzte er sich auf den wackeligen Stuhl, zog die Tischschublade auf und begann eifrig darin zu kramen.
»Was suchen Sie denn, mein Sohn?« fragte Tarvin. »Etwa den Anschluß an Kalkutta?«
»Meiste Herrn bringen Formulare mit,« versetzte der Taubengraue so vorwurfsvoll, als seine Höflichkeit gestattete, »doch hier ist Formular. Hab' Sie Bleistift?«
»Ich will keine zu großen Anforderungen an die Behörde stellen – wollen Sie sich nicht wieder hinlegen und weiterschlafen? Ich kann meine Botschaft selbst tippen – was für ein Signal haben Sie mit Kalkutta?«
»O, mein Herr, Sie nicht verstehen diesen Apparat!«
»Nicht verstehen? Sie sollten mich die Drähte melken sehen an einem Wahltag!«
»Diesen Apparat bedarfen sehr sach-ver-ständige Behandlung. Sie schreib', ich telegraphiere, so gehört sich's – ist Arbeitsteilung, ha ha!«
Tarvin that, wie ihm geheißen wurde, und schrieb die Worte: »Bin am Werk, hoffe Gleiches von C. C. C. Tarvin.«
Die Adresse lautete an die Präsidentin Mutrie in Denver.
»Nun legen Sie los, Mann!« gebot Tarvin, indem er dem mild lächelnden Jüngling das Blatt reichte.
»Ganz gut, ohne Sorge, bin hier dafür,« versetzte der Eingeborene, der zu begreifen schien, daß dieser seltsame Kunde Eile hatte.
»Wird das je an seinen Bestimmungsort kommen?« sagte Tarvin, dem Taubengrauen kameradschaftlich zunickend, als ob er ihn aufmuntern wollte, ihn doch einzuweihen, falls die ganze Geschichte ein Mumpiz oder ein Betrug sei.
»O ja, morgen. Denver ist in Vereinigte Staaten Nordamerika,« versetzte der Beamte, mit kindlichem Stolz auf seine Weisheit zu Tarvin aufblickend.
»Eure Hand, Bruderherz!« rief Tarvin, ihm eine behaarte Faust hinstreckend. »Seid Ihr ein gelehrtes Haus!«
Er blieb wohl eine halbe Stunde, freundete sich auf Grund der gemeinsamen Wissenschaft mit dem Taubengrauen an, sah ihm zu, wie er seinen Apparat bearbeitete, und hatte ein seltsames Gefühl, als dieser wirklich spielte und er sich nun plötzlich mit der fernen Heimat verbunden fühlte. Mitten in ihrer lebhaften Unterhaltung tauchte die Hand des Taubengrauen wieder in die Schublade, um alsbald ein mit Staub überzogenes Telegramm hervorzuziehen, das er Tarvin hinstreckte.
»Sie kenn' einen Engländer in Rhatore, heißt Turgiv?« fragte er.
Tarvin starrte einen Augenblick auf die Adresse und riß dann den Umschlag auf – es war das erwartete! Frau Mutrie beglückwünschte ihn zu seiner Wahl, er hatte mit einer Mehrheit von 1518 Stimmen über Sheriff gesiegt!
Der neue Gesetzgeber im Staate Colorado erhob ein Freudengeheul, führte auf dem weißen Fußboden der indischen Moschee einen indianischen Kriegstanz aus, zog den verblüfften Generalpostmeister hinter seinem alten Waschtischchen hervor und wirbelte ihn in einem tollen Walzer herum. Dann machte er dem Mund und Nase aufsperrenden Eingeborenen einen tiefen Salaam, stürmte die Treppe hinunter und machte, sein Telegramm hochschwingend, im Staub der Landstraße wahre Bockssprünge.
Ins Rasthaus zurückgekehrt, ließ er sich ein Bad bereiten, um sich ernstlich mit dem Wüstensand auseinanderzusetzen, während die Geschäftsreisenden auf der Veranda eifrig seine Person besprachen. Als er sich wohlig in der thönernen Riesenschüssel dehnte und sich von einem braunhäutigen Wasserträger den Inhalt eines Ziegenschlauchs über den Kopf gießen ließ, hörte er eine Stimme draußen sagen: »Wahrscheinlich geht er auf Goldkäufe aus, oder plant er Oelbohrungen und will nur nicht mit der Sprache heraus.«
Nikolas Tarvin zwinkerte mit seinem nassen linken Auge.