Eduard von Keyserling
Wellen
Eduard von Keyserling

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8

Tun, tun, hatte Hans Grill gesagt, und so fuhren sie denn mit Wardein bei Nacht auf den Fischfang hinaus. Der Mond stand hoch am Himmel, das Meer war ruhig, nur von einem sanften, langatmigen Auf- und Abschwellen bewegt, wie über ein gläsernes Hügelland glitt das Boot hin. Wardein saß am Steuer und rauchte. Zwei blonde rundköpfige Burschen, Mathies und Thomas, ruderten; unförmig in ihren dicken Jacken bogen sie sich taktmäßig hin und her. Doralice war auf einem Klappstühlchen eingerichtet worden, fest in Decke und Mantel gehüllt. Hans saß neben ihr auf der Bank. Alle schwiegen, nur ab und zu gab Wardein ein Kommando, das wie ein tiefes Brummen klang. Die Ferne war von einem feinen, silbernen Lichtnebel verhangen, aber Doralice glaubte diese unendliche Weite zu fühlen, wie sie die dunkele Tiefe unter sich zu fühlen meinte, und beide, die Tiefe und die Weite, legten sich bedrückend auf sie, wie etwas, das ihr den Atem benahm, sie ängstigte, das ihr die Empfindung des Verlorenseins und der Einsamkeit gab. Warum sprachen alle diese Männer nicht? Warum saßen sie da still in ihre Mäntel gehüllt, die Hutkrempen auf die Gesichter niedergebogen wie dunkele, fremde Traumgestalten? Da beugte sich Hans zu ihr nieder, drückte ihre Hand und fragte: »Wie geht es?« – »Gut«, erwiderte sie und lächelte, es sollte niemand wissen, daß sie sich fürchtete, aber der Händedruck, die ruhige, freundliche Stimme taten ihr gut, gaben ihr ein wenig Sicherheit wieder. Und Hans, als fühlte er das, sprach weiter, fragte Wardein: »Fahren wir dort zu den Butten hinüber?« – »Ja, ja, zu den Butten«, brummte Wardein, »die liegen dort unten im Sande.« – »Aha«, meinte Hans, »die wühlen sich dort in den Sand ein und warten auf ihre Beute, die flachen Luder.« Die Burschen auf der Ruderbank begannen laut und rauh über die Butten zu lachen, Doralice lachte auch mit. Die Nacht war schwül, Mathies wurde es beim Rudern zu heiß, er wollte sich die Jacke ausziehen. Hans erbot sich für ihn zu rudern und nun standen sie auf, gingen im Boot hin und her wie in einer Stube, Mathies zog sich die Jacke aus, stand in Hemdsärmeln da, stützte den einen Fuß auf den Bootsrand, spuckte in das Meer und pfiff leise vor sich hin. Und wie sie sich alle um sie her so ruhig und gewohnt bewegten, als seien sie hier mitten auf dem Meer zu Hause, da wich auch von Doralice das bedrückende Angstgefühl, ja, es war köstlich zu spüren, wie sie allmählich in diese Welt als etwas Zugehöriges aufgenommen wurde. Es war ihr, als würde etwas in ihrer Brust sehr weit und sehr stark, als könnte sie ihren Atem auf den Takt des stillen, flimmernden Wogens um sie her einstellen und ein kindisches Gefühl des Stolzes, des Hochmutes machte sie froh. Zu denen zu gehören, die hier auf dem Meere zu Hause sind, die sich nicht fürchten, erschien ihr als etwas sehr Wichtiges und Großes. Hier und da tauchten jetzt andere Boote auf, sehr groß und schwarz in dem unsicheren Lichte. Wardein rief etwas hinüber, von drüben wurde geantwortet, einer schien sogar einen Witz zu machen, denn Thomas und Mathies lachten. Die Boote waren jetzt einander ganz nahe, es waren drei, die im Halbkreise hinruderten, die Männer machten sich an den Netzen zu schaffen und sprachen miteinander von Boot zu Boot. Plötzlich mischte sich in diese Stimmen, die jedes Wort mit einem tiefen Brummen besser hallen ließen, eine hohe, scharfe Stimme, die hier seltsam fremd klang, als spräche sie eine andere Sprache. »Das ist der Leutnant von Hamm«, sagte sich Doralice, und diese Entdeckung war ihr unangenehm, es empörte sie fast, als sei ein Unbefugter dort eingedrungen, wo die Berechtigten beieinander waren.

Im Boot begannen die Männer sich zu regen, das große Netz wurde vorsichtig in das Wasser hinabgelassen, das andere Boot wurde angerufen und ihm ein Seil zugeworfen. Im bewegten Wasser sprühte es wie silberne Flämmchen, im Netze hingen glitzernde Tropfen. Mathies hatte sich die Hemdsärmel aufgestreift, um im Wasser zu arbeiten, wenn er die nackten Arme emporhob, rann es silbern an ihm nieder. Doralice wickelte sich fester in ihren Mantel, alle Angst und Erregung waren fort, sie fühlte sich sicher und behaglich. Eine leichte Müdigkeit machte ihr die Augenlider schwer und wenn sie die Augen schloß, war es ihr fast wie als Kind, wenn sie in ihrem Bette lag und im Halbschlaf noch die Erwachsenen um sich her hantieren oder sprechen hörte, was dem Kinde stets ein wohliges Gefühl der Geborgenheit gegeben hatte. Schlug sie dann wieder die Augen auf, dann war die Weite voll weißen Lichtes in ihrer großen und kühlen Schönheit immer von neuem wieder eine wohltuende Erschütterung, immer wieder fühlte da Doralice, wie die engen, heißen Schranken des Ich sich verwischten und lösten, wie es auch in ihr weit und kühl wurde. Und es war hübsch, dieses Wechseln der Bilder, einmal im Halbtraum vertraute Gesichter und Räume der Kindheit, dann wieder das mondbeglänzte Meer. Einmal, als sie die Augen öffnete, waren die andern Boote nah herangekommen, die Männer riefen und sprachen, das Netz wurde gezogen. Doralice hörte einmal auch wieder die unpassende Stimme des Leutnants, die Fische schnalzten und klatschten in den großen Körben im Boot. Es wurde dann wieder still und man fuhr weiter. Nach einiger Zeit fand Doralice, daß es dunkel geworden war, der Mond mußte untergegangen sein, Sterne standen am Himmel und in der Finsternis regte sich das Meer wie eine sacht bewegte schwärzere Finsternis. Doralice wußte nicht, wie lange sie so gefahren waren, aber als sie wieder einmal die Augen öffnete, stand ein weißer Schein am Horizont und ein graues Dämmern lag über dem Wasser. Ein stärkeres Wehen ließ sie frösteln, alles Behagen war plötzlich hin, das graue Dämmern machte das Meer und den Himmel streng und nüchtern. Mathies und Thomas ruderten angestrengt, die Jacken über die Schultern geworfen, die Brust nackt, und stark atmend. Es schien sich um ein Wettrudern mit dem Boot nebenan zu handeln. In den Körben flüsterten und schnalzten fette, blanke Fischleiber. Hans stand im Boot, hielt einen großen Dorsch an den Kiemen, wog ihn und lachte ihn an. Scharen von Möwen kamen geflogen, groß und weiß im unsicheren Lichte, und stießen schrille, gierige Rufe aus. Wie gewaltsam das alles war. Welch ein starkes, rücksichtsloses Leben das alles atmete, zu stark für Doralice, es machte sie plötzlich ganz schwach, es machte sie krank, der Geruch des Seewassers, der Fische, der feuchten Fischerjacken, all dieses Fleisch der Männer und feisten Fische bedrückte sie, sie wurde ganz bleich. Da entstand ein Hin- und Herreden zwischen ihrem und dem Nachbarboot. Die Boote wandten sich einander zu, lagen nah beieinander. Leicht und gewandt über den Bootsrand balanzierend sprang Hilmar in das Boot, stand neben Doralice und lachte. »Ein Morgenbesuch«, sagte er. Hans nickte ihm zu und zeigte ihm den Dorsch, den er noch immer an den Kiemen hielt. »Ja, ja, so etwas ist schön«, meinte Hilmar, »das war ein gesegneter Zug.« Dann setzte er sich auf die Bank Doralice gegenüber. »Es hat Sie auch ein wenig angegriffen, gnädige Frau, wie ich sehe.« Doralice zog die Augenbrauen zusammen, als sie abweisend antwortete: »Das macht wohl die Beleuchtung.«

»Gewiß, gewiß«, bestätigte Hilmar höflich, »eine kritische Stunde.« Da es schien, daß Doralice schweigen wollte, schwieg auch er und zündete sich eine Zigarette an. Unter der niedergebogenen Krempe seines Filzhutes sah sein Gesicht mit den scharfen, gespannten Zügen, den schwarzen unruhigen Augen sehr bleich, fast kränklich aus. Es war etwas Überfeinertes, Schwächliches an der ganzen Gestalt, das Doralice in diesem Augenblick gefiel, das ihr das Gefühl gab, einen Kameraden der eigenen Schwäche zu haben, und der süße Duft der ägyptischen Zigarette schien wie ein Stück Luft einer Welt, die ihr befreundet war. Jetzt soll er weiter sprechen, dachte sie, daher lächelte sie und sagte: »Sie sehen übrigens auch ein wenig aus, als hätte es Sie mitgenommen, oder ist es auch die Beleuchtung?«

»Nein, nein, es ist schon was daran«, erwiderte Hilmar, »es ist vielleicht traurig, es sollte vielleicht nicht sein, weil es nicht natürlich ist. Stibbe fühlt nichts davon, aber die große Natur macht uns betrunken und Trunkenheit greift an, was Sie, gnädige Frau, natürlich nicht wissen können.«

Doralice nickte: Ja, ja, so was mochte es wohl sein. »Und doch«, fuhr Hilmar fort, froh darüber, daß er zum Sprechen ermutigt wurde, »es ist nicht nur Trunkenheit, es ist... es ist... geradezu eine große Verliebtheit, was wir dieser Natur gegenüber empfinden, ganz genau, es ist dieselbe Unruhe, dasselbe quälende Gefühl, ganz eng dazu zu gehören, und was die Hauptsache ist, der starke Wunsch zu imponieren, denn, wenn wir verliebt sind, wollen wir imponieren, das ist symptomatisch für den Zustand. Man hat ja seine Erfahrungen.«

»Sie sind ja auch verlobt«, schaltete Doralice ein.

»Gewiß, das auch«, fuhr Hilmar fort, »aber sehen Sie, gnädige Frau, vorhin im Boot war der Trieb in mir zu imponieren so stark, dem Meere zu imponieren oder den Fischern, gleichviel, denn die sind doch die Repräsentanten des Meeres, daß ich auf die Spitze des Bootes stieg und dort frei balanzierte. Ich bin in solchen Künsten ziemlich geübt. Meinen Zweck erreichte ich nun zwar nicht, denn Andree Stibbe sagte trocken: Wenn der Herr bei den Faxen ins Wasser fällt, wer anders muß ihn herausholen als wir. Mein Effekt war verfehlt. Aber ich habe das tun müssen.«

»Das ist seltsam«, sagte Doralice nachdenklich.

»Nicht so seltsam«, meinte Hilmar, »der Spielhahn, wenn er ein Rad schlägt und kollert, will auch dem Walde und der Wiese imponieren, ebenso wie der kleinen grauen Henne und er ist ebenso in den Wald und die Wiese verliebt wie in die kleine graue Henne.«

Doralice lachte: »Das ist hübsch, ja, ja, man möchte gerne dabei sein, dazugehören.«

Hilmar verbeugte sich ein wenig: »Sie, gnädige Frau, sehen ganz aus, als gehörten Sie hier dazu. Sie sehen in dieser Natur vollständig reçue aus.«

Doralice errötete und ärgerte sich, daß sie das tat, Hilmar aber schloß mit einem Seufzer: »Ach ja, wenn alles so schön um uns her ist., fühlen wir ein brennendes Bedürfnis, auch dekorativ zu sein.«

Das Boot fuhr jetzt durch die Brandung über weiße Schaumhügel in graugrüne Wellentäler. Hans kam und setzte sich neben Hilmar auf die Bank. Er rieb sich die Hände und schien sehr vergnügt. »Das war eine Nacht, herrlich, herrlich, was sagst du, Schatz? Du frierst, was? Sie scheinen auch zu frieren, Baron, ja, so ein Morgen auf dem Meere! Zu Hause machen wir uns einen warmen Tee, der wird gut tun. Trinken Sie nicht mit uns eine Tasse, Baron? Nicht war, Schatz, du machst uns doch Tee?«

Doralice schaute Hans ein wenig verwundert an, sagte aber dann: »O gewiß.« Hilmar verbeugte sich.

Jetzt stieß das Boot auf den Sand und man begann auszusteigen. Hans nahm Doralice auf den Arm und trug sie ans Land. Von den Dünen aber schossen mit flatternden Tüchern und Rücken wie gierige Möwen die Fischerfrauen auf die Boote zu.

In der Wohnstube eilte Hans zur Lampe, um sie anzustecken. »Nur kein Morgengrauen«, sagte er. Dann richtete er den Teekessel her, trug Tassen, trug Rum herbei. »So, so, das wird gut tun, warmen Tee, ja, den haben wir verdient, das will ich meinen, den haben wir redlich verdient.« Er sprach eifrig vor sich hin, als wollte er mit der Gemütlichkeit seiner Worte sich und die anderen erwärmen: »Setzen Sie sich, meine Herrschaften, setzen Sie sich.« Sie saßen um den Tisch herum und hörten schweigend dem Summen des Teekessels zu mit den starr vor sich hinsehenden Augen sehr müder Menschen. Endlich glaubte Hilmar etwas sagen zu müssen und bemerkte: »Es war doch wunderschön.« – »Es war so schön«, erwiderte Doralice und zog ihre Augenbrauen empor, »daß man lieber gar nicht davon spricht.« Das klang abweisend, fast feindselig. Sie nahm es Hilmar jetzt übel, daß er ihr dort im Boot so willkommen gewesen war. Hilmar lehnte sich in seinen Stuhl zurück und rauchte. Aber Hans lachte. »Sehen Sie, so macht es meine Frau immer, wenn ihr etwas sehr gefällt, dann darf nicht gesprochen werden, das ist dann heilig und kein anderer darf es berühren. Nun, nun, gib uns Tee.«

Doralice schenkte die Tassen voll. Der heiße Dampf und der starke Duft des Tees schien die Müdigkeit noch schwerer zu machen, alle schwiegen wieder eine Weile. Endlich seufzte Hans und sagte: »Immerhin ist es schade, daß man nach einer solchen Nacht eine Art Katzenjammer hat, den Katzenjammer der Weite. Das Land erscheint einem unerträglich eng. Dann ist es schon besser, seine Höhle dunkel zu machen und sich darin zu verkriechen.«

»Naturgesetz dieses Ab und Zu der Gefühle«, murmelte Hilmar zerstreut.

»Und doch«, fuhr Hans fort, »ich fühle eine seltsame Befriedigung, und warum? Weil wir so viel Fische gefangen haben. Das ist doch ein greifbares Resultat einer Arbeit. Wenn ich einen fetten Dorsch halte, so weiß ich, was ich habe. Wenn ich ein Bild male, weiß ich denn, ob es etwas ist oder nicht?«

»Und erst ich«, unterbrach ihn Hilmar, »wenn ich eine Stunde Rekruten gelehrt habe sich wie Holzpuppen zu bewegen, wie soll ich da Befriedigung über ein Resultat fühlen?«

»Ach ja«, meinte Hans und gähnte, »es ist schade, daß das Leben so selten bar zahlt.«

Es entstand wieder eine Pause. Doralice war auf ihrem Sessel eingeschlafen, das Gesicht, sehr bleich mitten in den blauen Schatten des Morgens, erhielt von der friedlichen Hilflosigkeit des Schlafes eine wunderbar kindliche Schönheit. Die beiden Männer saßen jetzt ganz stille da und schauten andächtig auf dieses schlafende Gesicht. Endlich erhob sich Hilmar, reichte Hans die Hand und flüsterte: »Ich gehe, die Sonne kommt.« Dann ging er leise hinaus.

Draußen war es schon taghell, über dem Horizonte schossen die ersten goldenen Strahlen empor. Hilmar ging sehr schnell, er wollte zu Hause sein, ehe die Sonne da war. Er wunderte sich über sich selber. Warum fühlte er sich elend? Die kleine Lolo hatte wohl recht, diese Frau war so schön, daß man traurig wurde, oder wie sagte doch der Maler: »Katzenjammer der Weite, in dem das Land und das Tageslicht uns eng scheinen«. Die arme kleine Lolo, Hilmar konnte nichts dafür, aber wenn er jetzt an sie dachte, schien es ihm, als habe sie etwas vom Lande und vom Tageslicht an sich.


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