Eduard Graf von Keyserling
Die dritte Stiege
Eduard Graf von Keyserling

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XVIII.

Der Holzplatz an der Ecke der Buden- und der Teich-Gasse brannte. Die kegelförmigen Thürme des aufgeschichteten Holzes bildeten riesige, dunkelrothe Feuerherde und in den schmalen Gäßchen zwischen ihnen begegneten sich die Flammen, leckten zu einander hinüber, dünn und durchsichtig wie blaue Schleier. Ein stetes Knattern und Zischen war hörbar. – Die Leute der Umgegend umstanden den Platz, auf dem die Feuerwehr arbeitete. In ihrer Nachtruhe gestört, sprachen sie jetzt schläfrig mit einander. Zu retten war nicht mehr viel. Ein kleines, dicht neben dem Platze gelegenes Holzhaus war von den Flammen erfaßt worden, nur stand es schon da, wie aus rothem Glas erbaut, Balken, Wände, Sparren – alles glühte, schien durchsichtig und besäet mit Goldpünktchen.

»Sind die Bewohner jenes Hauses gerettet?« fragte Klumpf einen dicken Mann, der schläfrig und wie betäubt von Hitze und Licht neben ihm stand.

»Ja doch,« antwortete dieser, »dort im Hofe sitzen sie ja mit ihrem Kram. Mehr wird's wohl nicht gewesen sein. Was nutzt denn solch' eine Bude, die eins, zwei, drei hin ist!« und er lachte ärgerlich. –

Nicht weit von ihnen, in einem Hof, waren Betten, Kasten, Hausgeräth aller Art aufgethürmt. Auf einem Stuhl saß eine junge Frau; erhitzt vom Weinen wiegte sie ein Kind in ihren Armen und schalt beständig auf ihren betrunkenen Mann, der theilnahmslos auf einem Bette saß und in das Feuer stierte. Zwei größere Kinder hockten auf dem Pflaster und spielten, jetzt wieder beruhigt, leise mit einander. Neben ihnen packte ein sauber gekleideter Herr ruhig und sorgsam seine Bücher und Kleider in einen Koffer.

»Sieh, dort brennts auch!« sagte Jemand hinter Klumpf. Es war Oberwimmer, der mit der Hand zur Donau wies.

»Ja, ja!« meinte ein Anderer – ein Fremder, » und in Währing und im Sachshaus brennt's auch.«

»Teufel!« bemerkte Kehlmann und lachte.

»Freilich –« begann wieder der Fremde, »und wissen's, wer's angezündet, – die Socialdemokraten – – Alle sagen's.« – –

»So geht das Gerücht,« berichtete Oberwimmer, »die ganze Stadt ist in Aufregung.«

Nun fand sich auch Tost ein. Nach seiner schönen Rede war er gut aufgelegt – und lachte, sodaß man im Feuerschein all' seine kranken Zähne sehen konnte. »Was sollten die Socialdemokraten daran haben,« meinte er.

»Möglich wär's immerhin,« wandte sich Heyser wieder an den Fremden und blickte ihn mit seien hellen, starren Augen kalt an. »Aber – warum sie das wohl thun?«

Der Fremde sah scheu zur Seite, als fürchte er sich vor diesem bleichen jungen Mann und zog sich zurück.

Die Ziegel eines Daches begannen jetzt knatternd abzuspringen und vertrieben die Leute. Im Hofe hatte sich der trunkene Mann auf das Bett geworfen und schlief; der Zimmerherr saß still auf seinem Koffer und schaute den Flammen zu, während die junge Frau wieder angefangen hatte zu weinen und die Vorübergehenden anrief, damit sie es mit anhörten, wie sie die Socialdemokraten – – diese Teufel verfluchte.

Amalie Remder hing sich an Klumpf's Arm und flüsterte: »Kommen Sie, ich fürchte mich.«

Er lächelte und fragte: »Vor wem denn?«

Amalie wies auf Tost, Kehlmann und Heyser hin. »Wenn man an seine Worte denkt,« meinte sie.

Klumpf nickte kummervoll. »Ja – gehen wir,« sagte er dann.

Sie hatten einen weiten Gang vor sich durch die Nebengassen der Landstraßen und Wiedner Vorstadt. Nach der Helle und Hitze erschien die Nacht dunkel und kühl. Ein schnell hinstreichender Wind schüttelte an den Bäumen der Anlagen und trieb das welke Laub durch die stillen Straßen.

Amalie und Klumpf gingen schweigend dahin. Amalie hätte gerne gesprochen, doch sie hätte mit ihm doch nur von ihm sprechen können; und er war in tiefe Gedanken versunken, wohl in jene großen, traurigen und doch wieder so sanft tröstenden Gedanken, die nur er haben konnte. Sie mochte ihn nicht stören. Auch still neben ihm hinzugehen, machte sie glücklich. Ja! er war der Auserwählte – der Retter, wenn es einen gab! Doch, sie hatte es seinem schönen, ernsten Gesicht oft angesehen – auf seinen Höhen mußte er sich verlassen fühlen. Das Kleinliche, das Gemeine des Lebens drückte ihn. Er bedurfte eines Gefährten, der für ihn sorgte, ihn verstand, ihm die Wege ebnete, der warme Liebe in die kühle, erhabene Klarheit dieser Seele brachte. Sie sprach sich alles in Gedanken vor, suchte nach schönen Worten für das, was sie empfand; es wollte heraus – und sie bewegte tonlos die Lippen.

Vor ihrem Hause in der Margarethen-Straße sagte Klumpf ein wenig verlegen: »Schicken Sie mich schon heim, liebe Freundin? Sonst hätte ich Sie noch um eine Tasse Thee gebeten. Der Schlaf wird uns wohl beiden heute nicht sobald kommen.«

»Freilich! Kommen Sie nur mit herauf,« erwiderte Amalie schnell.

Auf der Stiege begegnete ihnen der Vater Remder mit zwei Freunden. Sie schienen erschrocken, als Amalie vor ihnen stand. »Wohin?« fragte diese kurz.

Remder war kleinlaut. »Sieh, Kind,« erwiderte er mit schwerer Zunge, »als Du fortwarst, kamen einige Freunde, ganz zufällig; da haben wir uns einen Grog gebraut, nur ganz wenig. Das Zimmer ist hübsch in Ordnung geblieben. Jetzt wollen wir, für wenige Minuten, in das Café hinab...«

»Schon gut,« unterbrach ihn seine Tochter, »geh! In diesem, Zustand könntest Du Dich ohnehin nicht vor unserem Gast sehen lassen.«

»Kind, was sprichst Du von Zustand,« stotterte er und eine kindliche Freude leuchtete in dem alten Gesicht auf. »Aber Malerl, wenn Du einige Kreuzer hättest...«

– »Hier!« Ungeduldig steckte sie ihm ihre Börse zu; sie wollte ihn forthaben, sie schämte sich seiner. Er aber stürmte heiter in großen Sprüngen die Stiege hinab, seinen Freunden nach.

In ihrem Zimmer steckte Amalie die Lampe an, holte ihren Schnellsieder herbei und begann den Thee zu bereiten. Sie sah heute jünger, mädchenhafter als sonst aus, mit ihren gerötheten Wangen, den blitzenden Augen und jenem sanften Zug um den Mund, der der Anfang eines glücklichen Lächelns zu sein schien.

»So, Doctor,« meinte sie und schob ihm seine Tasse zu, »ich denke, er wird stark genug sein.« Sie selbst setzte sich Klumpf gegenüber und zündete sich eine Cigarrette an. Jetzt wollte sie sprechen. »Sie müssen's sich schon gefallen lassen, lieber Freund,« begann sie, »daß ich hier vor Ihnen meiner Begeisterung über Ihre Rede freien Lauf lasse, obgleich Sie das nicht mögen.«

»Sie haben also meine Rede gebilligt?« fragte Klumpf und rührte zerstreut seinen Thee um.

»Gebilligt!« rief Amalie. »Ja – wie wir eine Freundeshand billigen, die uns aus einem wüsten, bedrückenden Alp erweckt!+ Die Reden, welche sie gehört, hatten auch in ihr das Bedürfniß zum Sprechen erregt. »Was jener Tost sagte, weiß ich nicht recht, es war unklar und dennoch that es weh. Es schien mir, als bewerfe er Alles, was mir lieb und verehrungswürdig ist, mit Koth. Da kamen Sie und reinigten und verklärten wieder alles. Klumpf, wenn Sie führen, muß das Gute siegen, selbst wenn das wahr wäre, was die Leute dort beim Brand sagten. Als Sie von der großen Arbeit sprachen, da empfand ich wieder die Freude, daß ich – daß wir Frauen mitarbeiten dürfen. Dürfte ich nicht neben Ihnen kämpfen, was bliebe mir im Leben?...« Sie schöpfte tief Athem. Nein! Sie konnte es doch nicht alles sagen, was sie so tief bewegte.

Er schwieg, er fand ihre Worte wohl weibisch und verworren. Sie wollte auch schweigen, ihn seinen ernsten Gedanken überlassen. Sie lehnte sich in den Sessel zurück, die Augen feucht und glänzend auf den geliebten Mann gerichtet. Der arme, große Mann; wie gramvoll er dreinschaute! Er litt um die Welt. –

Plötzlich schaute Klumpf auf und sagte leise: »Seit zwei Tagen ist sie fort.« – –

»Wer?« fragte Amalie.

– »Sie – die Kleine von drüben.« Schüchtern und hülfesuchend blickte er Amalie an. »Mit Ihnen, liebe Freundin, darf ich davon sprechen, Sie werden mich verstehen. Ich habe sie nur selten gesehen. Zuweilen ging ich einer Abschrift wegen zu Hempel – ihrem Vater – hinüber. Oder auf der Stiege –, im Theater hab' ich sie gesehen. Gesprochen hab' ich nie mit ihr.«

Er stützte den Kopf auf die Hand, sah starr in das Licht und sprach halblaut, eintönig und bekümmert vor sich hin.

»Das ist ja auch gleichgültig! Dieses junge Mädchen aber ist mir ein Bedürfniß, – wie uns Schönheit und Jugend Bedürfniß sind. Ich glaube, daß wir zusammen gehören. Ich glaube, daß diese Schönheit und Jugend, in meine Hand gelegt, zu dem werden würden, was sie werden sollen. Nun ist sie fort. Ich weiß nicht, warum mir ein Glück versagt sein sollte, dessen so mancher sich freut. Ich bedarf dieses Mädchens, um weiter arbeiten zu können. Ich kann nicht anders.«

Er hielt inne. Amaliens Züge hatten wieder ihre herbe Strenge angenommen, die Augenbrauen berührten sich, bildeten einen schmalen, schwarzen Strich, die bleichen Lippen verzogen sich ein wenig schief, wie höhnisch. Sie fröstelte, erhob sich und ging langsam im Zimmer auf und ab, vorsichtig auftretend, als fürchte sie einen Schläfer zu wecken. Dann sagte sie rauh und heiser, ohne Klumpf anzusehen: »Ja – was kann ich thun?«.....

– – »Mit ihr sprechen –«

– »Ich?«

– »Sie wären die Einzige, die das könnte, die es vielleicht für mich thäte.«

– Amalie lachte jetzt ihr böses, höhnisches Lachen. »Um der Sache willen, nicht wahr? Sonst verlieren wir unseren Führer? Diese Statistin mit dem hübschen Gesicht macht ihn uns abtrünnig?«

Klumpf breitete die Arme aus. »Ach – um mich ist's ja nicht. Aber, daß dieses Kind verderben soll! Sie ist zu einer Frau gegangen, bei der sie nicht gut aufgehoben ist. Hier habe ich die Adresse notirt. Wäre sie glücklich, meinen Schmerz trüge ich schon. Aber ohne mich wird sie nicht glücklich – – das ist kein Aberglaube. Sagen Sie ihr das. Sagen Sie ihr, daß ich mich an sie binden will – heute – morgen –, der Priester, an den sie glaubt, soll uns zusammengeben. Sagen Sie ihr... nun – Sie wissen es ja besser... aber bringen Sie sie mir.« Er stand auf, streckte Amalie seine Hand hin: »Wollen Sie, liebe Freundin?«

Amalie jedoch wandte ihm den Rücken zu und brachte mühsam ein rauhes – »Nein« hervor, das wie ein Schluchzen klang.

Einen Augenblick war es ganz still im Zimmer, nur im Theetopf zischte es leise. – Endlich sagte Klumpf mit seinem gewöhnlichen – sanftklingenden Stimmton: »Gute Nacht, liebe Freundin. Sollte ich Sie gekränkt haben, so verzeihen Sie mir. Ich habe das nicht gewollt.« Damit ging er.

Amalie stand auf und horchte. Erst als das Hofthor unten sich schloß, begann sie sich zu regen. Mit zitternden Händen räumte sie das Geräth fort, schob die Stühle zurecht, ordnete alles –, dann plötzlich, wie von Mattigkeit überwältigt, sank sie in einen Sessel.

»Diese Jugend und Schönheit brauche ich.« – Er braucht sie! War es möglich – Klumpf, – der Erlöser der Gesellschaft war wie die anderen alle? Er hatte die ganze Zeit über an diese kleine, freche Näherin gedacht. Er – der die Welt durch sein großes, thätiges Mitleid umgestalten sollte, drehte sich – wie ein jeder Andere – nur um seine kleine, eigensüchtige Sinnlichkeit. Pfui! Einer Genossin, die ihn versteht, einer Mitarbeiterin bedarf er nicht. Nein, die kleine, rosa Näherin braucht er, ohne sie kann er nicht weiter arbeiten, diese Mietzi Hempel braucht er, um die Welt zu erlösen!« Sie begann zu lachen, ein krampfhaftes Lachen, das ihr in der Brust wehthat, als wollte es sie sprengen, und als dieses Lachen in Weinen umschlug, empfand sie es wie Erleichterung. Die Thränen beruhigten sie. Nach einer Weile konnte sie tief aufseufzen und sich sagen: »Gut! ich werde zu seiner Näherin gehen... da er sie braucht.«


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