Eduard Graf von Keyserling
Die dritte Stiege
Eduard Graf von Keyserling

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Im Zimmer herrschte Stille. Auf dem Antlitz all dieser Männer war eine gewisse Spannung sichtbar. Ein jeder wollte etwas sagen; zögerte jedoch und ließ seine Blicke im Kreise umgehen, wartend, ob nicht ein Anderer beginnen würde. Nur Satzinger kicherte wieder sein trockenes, leises Kichern und ließ zwei seiner runzeligen Finger gespreizt über den Tisch laufen, wie zwei steife Beine. »Sieg – Sieg!« meinte er. »Wozu! Hunger ist der beste Lehrmeister. Wenn sie hungern, kriegen sie Courage – hihi.«

Endlich begann auch Feitinger zu sprechen, Klumpf mit blanken, begeisterten Augen anschauend. »Schön, sehr schön! Wissen um die Freiheit ist Zweck an sich. Die Bedrückten stehen auf, werfen ihre Fesseln ab. Das ist groß! Aber es hat Eile; wie lange sollen diese Qualen dauern?...« Er konnte nicht weiter sprechen, denn Lemke ergriff das Wort. Als hörte er ihn nicht, überdeckte seine scharfe Stimme die heisere Stimme des Lehrers und er sprach so rasch, daß die Worte sich überstürzten.

»Schön, sehr schön! Das stand ja in Ihrem Blatte. Ich hab's gelesen. Das ist wohl das neue Evangelium? Alles still und ordentlich. Ein jeder lernt seine Lection, und ist sie ausgelernt, so thut man sich eines Tages zusammen und macht die Sache. Ja – ja; ich kenne das! Dazu gehören Comités und Cassirer und Präsidenten; wie drüben im Reich; und rührt sich einer zu stürmisch, so erhält er vom Comité eine Nase – wie Most und Hasselmann. Man spielt Minister, vertrödelt die Zeit. Mir kann's recht sein! Wir werden ja sehen, welche Methode Recht behält. Wissen soll das Volk? Ha – ha! Ein jeder weiß nur, wo ihn der Schuh drückt. Wir – wir haben aus diesen Privatklagen die eine große Anklage zusammenzustellen. Die Bäckergesellen, der Teufel hole sie, wenn sie nicht meinen Zwecken dienen. Das ist es – Herr – das ist es! Sie sitzen in Ihren Schreibstuben und erdenken sich Methoden; so wird es sein, so muß es sein. Nein, meine Herren, so ist es nicht, das wissen wir, die mit dem Volke leben, die es kennen. Ja, in Ihrer – von der Polizei concessionirten Redaktion werden Sie es nicht kennen lernen. Aber die Kneipen, die Bordell's, das ist Ihnen zu schmutzig. Philosophie werden Sie dem Volke nicht beibringen, Sie können es aber lehren, seinen eigenen Schmerz verstehen: »wie ein Hund wirst Du behandelt, schlimmer noch. Laß es Dir nicht gefallen!« Das verstehen sie, das steigt zu Kopf. Zwar die Polizei liebt das nicht – –. Uebrigens, gleichviel. Wir wollten wissen, wie weit die Herren in diesem uns vorliegenden Fall mit uns zu gehen beabsichtigen. Dieser Punkt wäre erledigt.«

»Wir erwarteten mehr,« hub der Studiosus Racher zu sprechen an – erröthend und mit dicker Zunge, die ihm zwischen die Zähne gerieth. »Wir erwarteten einen offenen und entschiedenen Anschluß an uns... man könnte zusammen... dieses Trennen...« er verwirrte sich und Lemke mußte seine Gedanken beenden.

»Freilich! Racher spricht da allerdings eine Erwartung aus, die wir hegten. Aber Dr. Klumpf hat uns gezeigt, was uns trennt. Hie Statuten und Comité – hie persönliche Arbeit, Krieg bis auf's Messer.«

»Das Ziel ist das gleiche,« sagte Klumpf freundlich, »und so mag es gut sein. Getrennt marschieren, gemeinsam schlagen. Der Weg, den die Herren einschlagen, ist nicht der meine, ich läugne es nicht. Das unbedingte Verwirren, Aufregen und Zerstören vergiftet die Gemüther derer, für die wir arbeiten, macht sie untauglich. Nun – ein jeder thue das Beste nach seiner Art,« und er machte eine seiner sanften, fortschiebenden Handbewegungen.

»Prosit, Doctor! Prosit, Freund!« rief der begeisterte Feitinger und stieß mit Klumpf an: »Auf die Zukunft! Auf das Wissen!«

Im Hintergrunde des Zimmers wurde jetzt eine tiefe, rauhe Stimme laut; es war der Mann mit der Hasenscharte. Er drängte sich vor, die Daumen in den Armlöchern seiner Weste, und sein dunkles, schiefes Gesicht sah böse und verzerrt aus, als schmerze ihn diese gespaltete Lippe, die er im Sprechen noch mehr verzog. »Ich wüßte gern, wer denn diese Herren von »der Zukunft« überhaupt sind. Was vertreten sie? Welches Vertrauen verdienen sie?«

»Kahlmann, warum so giftig?« meinte der stets muntere Satzinger und kniff den Sprecher in das Bein.

Jetzt war der Augenblick, wo Rotter sprechen konnte; er hatte lange darauf gewartet und er sprach heftig und zornig: » Wir sind nicht hier, eine Rechenschaft abzulegen, denke ich. Unsere Ansichten findet Jedermann in unserem Blatte. Hier handelt es sich um eine Berathung, nicht um ein Credo. Ich kenne übrigens den Herrn, der eben gesprochen, auch nicht, kenne seine Ansichten nicht. Aber ich weiß, daß Lemke keinen mitbringen wird, der unseres Vertrauens nicht würdig ist. Wenn nicht brüderliches Vertrauen und ein brüderlicher Ton herrschen, dann läßt es sich freilich nicht zusammen arbeiten.«

»Gewiß!« äußerte der Apotheker Kökert am Kartentisch, »will man Weltbürger sein, so muß man auch einen gewissen Weltton haben.«

Da mischte sich Oberwimmer in das Gespräch: »Was giebt's; warum so scharf? Freilich brauchen wir nicht Rechenschaft abzulegen; aber wir haben ja nichts zu verbergen. Wir sind doch hier, um uns auszusprechen? Kehlmann wird uns seine Ansichten auch darlegen. Wir – also – wir haben unsere Zeitung; der widmen wir uns ganz. Das Volk soll wissen... Klumpf – sag' Du's doch, Du sagst's ja so schön – weißt Du, das vom Wissen – –«

»Ich hab's den Herren soeben gesagt,« wehrte Klumpf ruhig ab.

Lemke hatte sich erhoben und war im Zimmer auf- und abgegangen, ohne dem Gespräch Aufmerksamkeit zu schenken. Nur als jetzt Tost zu sprechen begann, blieb er stehen und zog die Brauen zusammen.

Tost – mit der einen Hand in den Haaren wühlend, mit der anderen sich vorne den Rock zuhaltend, sprach sehr schnell und seine trockenen, aufgesprungenen Lippen zuckten dabei in überlegenem Lächeln: »Noch eine Frage würde ich gern an die Herren vom neuen Club richten. Sie können antworten, oder es bleiben lassen; das ist ihr Recht. Ich habe mich im Blatt »die Zukunft« über die Richtung dieser Herren unterrichtet. Nur, – es ist die gewöhnliche, offizielle, parlamentarische Socialdemokratie. Nichts weiter! So finde ich in dem ersten Artikel eine Auseinandersetzung über das Glück.«

»Da ist von einer Idee des Glückes die Rede, von welcher der Mensch eine angeborene Kenntniß haben soll. Das riecht nach Mystik. Soll diese Idee eine Art Gott sein? Es klingt fast so. Das Volk wird jedenfalls so etwas herauslesen. Das wäre nun uncorrekt. Solch' ein mystisches Wissen um eine Unglücksidee giebt es nicht. Der sociale Staat entsteht nach natürlichen Entwicklungsgesetzen. Gott sind wir glücklich los; wozu dieses Gespenst einer Idee? Das verwirrt nur.« Er schwieg und blickte Klumpf herausfordernd an; da dieser jedoch ruhig weiter rauchte und keine Anstalten machte zu antworten, wurde Tost zornig; er rief mit heiserer Stimme, die umschlug: »So etwas brauchen wir nicht; altes, platonisches Gerümpel! Ahnungen! Wozu Ahnungen? Was ist das? Die Ahnungen liegen in meinem Bauche, der sich sattessen will; in meinen Gliedern, die ein gutes Bett brauchen; in dem, was in mir ein schönes Weib will; und ohne angeborene Idee weiß ich es, daß andere mit das rauben; ohne Idee weiß ich, daß ich nun an die Reihe komme und jene fort müssen. Wozu diese Idee? Die ist nur ein maskierter Gott. Das kennt man...«

Da Klumpf nicht antwortete, so fühlte Rotter sich dazu verpflichtet: »Erlauben Sie, – ich bitte sehr – Sie haben diesen Artikel nicht verstanden. Von Gott steht Nichts in diesem Artikel, nicht das Geringste. Idee ist nicht Gott. Idee? warum nichts? Kennen Sie nicht Plato?«

»Nein,« sagte Tost verdrießlich, »Plato war ein Aristokrat.«

»Wir sind alle Arisokraten!« schrie Rotter jetzt förmlich, »alle Menschen; und die Idee hat mit Gott nichts zu schaffen.«

»Jedenfalls,« bemerkte Kehlmann, »steckt etwas Mystisches dahinter. Der liebe Gott schlüpft überall wieder herein. Ich mag diese Idee auch nicht. Wozu diese vornehmen Worte. Mit dem lieben Gott müssen wir auf unserer Hut sein; jedes neue Wort müssen wir nach allen Seiten hin durchsuchen, wie die Heuwagen an der Linie, ob er da nicht darin steckte.«

Der dicke Gewürzhändler erhob sich, um feierlich auch seine Meinung abzugeben. »Gott? Gott ist abgeschafft seit dem socialdemokratischen Arbeitstage zu Mainz 1872.«

»Glauben Sie denn an Gott?« fragte Racher und sah sich nach Rotter um. –

»Nein, gewiß nicht!« erwiderte Rotter, »natürlich nicht. Aber Idee ist nicht Gott. Idee ist – – Nichts eigentlich...«

»Wenn's Nichts ist, wozu dann sprechen,« warf Tost verächtlich hin.

Die Unterhaltung zersplitterte sich nun. Die Herren vom anderen Tisch setzten sich wieder auf ihr Bett. Lemke führte mit Klumpf eine halblaute, höfliche Unterhaltung. Die Herren am Kartentisch, müde des Schauspieles, hatte eine wirkliche Partie Tarok angefangen. Rotter gab Lothar leise Auskunft über die Anwesenden. »Satzinger? Er soll in Ungarn Apotheker gewesen sein. Er ist Doctor der Chemie. Dann ist er in Amerika gewesen. Eine geheimnißvolle Persönlichkeit, die hier eine große, unheimliche Rolle spielt. Tost giebt italienische Stunden; ein Hungerleider und bitter wie Chemie.« .... Die halblaut geführten Unterhaltungen, das Zählen der Stiche und das Ansagen der Pagat's, zuweilen ein leises Aneinanderklingen der Biergläser gab der Versammlung jetzt wirklich das Aussehen eines gut bürgerlichen Namentages.

Da wurde es jedoch dort am Bett wider unruhig. Kehlmann war von seinem Sitz aufgesprungen, roth im Gesicht, den Mund fast unter dem Ohr, sprach er sehr laut, zornig auf den Tisch schlagend: »Das Material der Zukunft verderben; den Zukunftsbürger vergiften – – das sind ja wohl die Redensarten? Wo ist dieses Material der Zukunft? Sind wir dieses Material? Sind die Arbeiter von heute vielleicht die Zukunftsbürger? Haha – da ist nichts zu verderben! Dünger sind wir, nur das, nur das! Dünger, der verrotten muß, ehe die Bürger der Zukunft wachsen können. Daß er schnell und ganz verrotte, das ist unsere Aufgabe. Zu verderben ist an der heutigen Generation nichts. Die ist da, um aufzuräumen. Die große Orgie muß kommen, in der die Einen gefressen werden, die Anderen fressen, bis sie bersten, dann ist Platz für die Zukunft da.«

»Kehlmann!« rief Lemke mit Donnerstimme: »Du bist betrunken. Schweige lieber.«

»Warum?« legte sich Oberwimmer ins Mittel, »wir sind ja unter uns; wir sprechen uns aus. Lassen Sie ihn doch. – Und was sagt Freund Heyser dazu?« wandte er sich munter an den jungen Mann im Flausrock.

»Ich? O! nichts! Ich kümmere mich um dieses Reden nicht,« erwiderte dieser und schaute Oberwimmer ruhig an mit seinen grauen Augen, die so hell und durchsichtig waren, daß sie fast weiß erschienen.

Im Zimmer war es wieder sehr laut geworden; alle sprachen durcheinander. Feitinger hielt eine Rede, auf die Niemand hörte. Satzinger lachte, daß ihm der Athem verging: »Dünger, Dünger – hihi – die Banquiers und Aristokraten sind der theuere Dünger – Guano; wir Hungerleider sind nur Knochenmehl – hi – hi.«

Die Herren am Kartentisch stritten sich um einen Pagat.

Klumpf erhob sich; er wollte fort. Da waren auch die Anderen für den Aufbruch; man hielt es in dieser heißen, vollgequalmten Stube nicht länger aus.

»Gut, Doctor,« sagte Lemke und schüttelte kräftig Klumpf's Hand, »ich will Ihnen Gelegenheit geben, Ihre Prinzipien vor unseren Leuten darzulegen. Mehr kann ich nicht thun. Wir werden sehen, wer die Leute packt....«

Oberwimmer wollte unten noch mit Tost und Kehlmann ein Glas trinken: Sie können uns wichtig werden,« flüsterte er Rotter zu, »Tost ist heute betrunken – –«

Feitinger hing sich an Klumpf's Rockschößchen: »Wir bleiben heute zusammen – Doctor – Freund!« flehte er.


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