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Nacht. Am Kreuztor in Münster.
Den Hintergrund nimmt ein niedriger Wall ein, zu dem eine Holztreppe emporführt. Etwa in der Mitte des Walles ist ein derbes niedriges Tor. Links und rechts niedrige Hütten; aus einigen kleinen Fensterchen schimmert kaum wahrnehmbares Licht.
Vorn links, etwas zur Seite, steht ein niedriger Tisch mit runder Steinplatte.
Abwechselnd greller Mondschein und tiefe Nacht.
Zu Beginn Dunkelheit.
Johann sitzt zusammengekauert auf dem Tisch. Trägt eine Art Kutte.
Divara kauert neben ihm, flehend: Rede, Johann! Sprich ein Wort! Johann!
Pause.
Johann, als spräche er zu sich selbst: Sieht dich der Herr an, so gedeiht dein Haus, deine Kinder blühen, dein Acker trägt vielfache Frucht. Wendet er aber seinen Blick von dir, wehe, so verbrennen deine Scheunen, Krankheit befällt deinen Leib, deine Felder verdorren. Der Mensch ist nichts ohne ihn ...
Divara umschlingt seine Knie: So bin ich nichts ohne dich, Johann!
Johann. Und doch, möge er mir vergeben: Weshalb verfolgt er die, die ihm gehorsam sind, und erhört er die Heuchler? Weshalb?
Divara. So müssen wir noch stärker glauben, Johann.
Johann. Noch stärker glauben? Stärker! Er ächzt. Noch stärker glauben! Noch stärker! Ja, Divara. All die Tage und all die Nächte habe ich zu ihm geschrien ohne Unterlaß –
Divara. Rufe erneut zu ihm!
Johann. Als ich zwanzig Jahre alt wurde, hat Gott mir zum erstenmal seine Gnade offenbart! Ich hatte bis dahin gelebt wie ein junges Tier, ohne Verstand, nach meinen Gelüsten, ganz wie die anderen Gesellen. Ich hatte ein Weib genommen und ein Kind gezeugt, arbeitete und feilschte. In einer Nacht aber, da träumte ich, ich sähe ein großes Feuer. Das Feuer blendete mich so stark, daß ich erwachte. Da sah ich eine Flamme in der Finsternis. Die Flamme, sie bewegte sich wie ein Licht im sanften Hauch des Mundes. Ich rieb meine Augen. Da sagte eine Stimme: Johann, folge mir. Ich erhob mich und die Flamme ging vor mir her. Da stand ich im finsteren Haus und die Flamme sprühte. Und wieder vernahm ich eine Stimme. Sie sagte: Johann, verlasse Weib und Kind und folge mir.
Divara. Du tatest es?
Johann. Ich zögerte nicht. Ich ging. Der Morgen kam und die Sonne ging auf, aber trotz der hellen Sonne sah ich die Flamme sprühen. Ich stand am Hafen, ein Schiff löste die Taue, und ich betrat dieses Schiff, ohne zu wissen, wohin es fuhr. – Das Schiff fuhr nach Portugal. Ich trat an Land und ging und kam an ein Kloster. Ein Jahr saß ich in der Stille des Klosters, arbeitete und dachte nach und lauschte.
Divara. Und die Flamme, Johann?
Johann. Sie war immer bei mir. Nun spürte ich weder Hunger noch Durst mehr, weder Kälte noch Hitze. Auch hatte mich die Furcht, die die Menschen haben, gänzlich verlassen. Ich lebte, als ob ich gebannt sei in einen Traum. Und die Flamme glänzte vor meinen Augen und sie verhieß mir: Warte, bald ist die Zeit erfüllt.
Divara. So war dein Herz voller Zuversicht.
Johann. Ich kehrte nach Holland zurück und wanderte durch Deutschland, nach Wittenberg, Münster, Straßburg, um die neuen Prediger zu hören, die erstanden waren. Hierauf kehrte ich wieder nach Leyden zurück und ging meinem Gewerbe nach. Ich lebte still für mich und forschte in der Schrift, um die Wahrheit zu ergründen. Eines Abends aber traf ich auf der Straße einen Mann mit dunklen Zügen und Augen, die wie Gestirne funkelten. Er blieb stehen und sah mich an.
Divara. Es war Mathys!
Johann. Es war Mathys, der Prophet! – Die ganze Nacht sprach er zu mir und seine Rede war Feuer, genommen von jenem Feuer, das ewig brennt. Seine Rede war die Wahrheit.
Und Mathys sagte: Gott hat mir offenbart, dich zu meinem Propheten zu machen, Johann. Und er taufte mich in der gleichen Nacht. Mein Herz aber war trunken von Seligkeit von dieser Stunde an.
Divara. Wunderbar hat Gott dich deine Bahn geführt, Johann!
Johann erhebt sich, düster: Auch hier, in Münster, glänzte die Flamme vor meinen Augen. Und oft ging sie, ohne zu erlöschen, Tag für Tag vor mir her. Liebliches Licht, süße Leuchte! Seine Stimme steigert sich. Und sie glänzte in der Nacht und manchmal wurde sie zu einem Feuer, dessen Wärme ich fast spüren konnte. Leise und hastig. Und Gott sprach aus dem Feuer ...
Divara versteht plötzlich seine Verzweiflung: Und jetzt, Johann?
Johann krümmt sich zusammen: Sie ist erloschen. Ich sehe sie nicht mehr. Er sinkt auf den Tisch.
Divara. Vertraue, Johann! Vertraue!
Johann. Der Herr hat sein Auge von mir gewendet.
Divara schreit: Sündige nicht, Johann!
Johann sich aufrichtend: Als Dusentschur seine Offenbarung vor dem Volk kundgab – siehe, da schien ein Glanz in der Luft zu schweben – plötzlich, so war es mir ... aber es war nur eine Blendung, die meiner spottete.
Divara heiß: Vertraue, Johann! Höre: der Versucher ist um dich! Er starrt sie an. Schreie zu Gott in seinen Himmeln! Ermatte nicht. Bete! Auch ich will beten! Höre, Johann, ich will gehen und beten und alle Frauen sollen mit mir beten, diese ganze Nacht. Das will ich tun, Johann, und kein Schlaf soll in unsere Augen kommen.
Divara geht. Johann bleibt ohne Bewegung auf dem Tisch sitzen.
Helles Mondlicht.
Knipperdolling, Gert tom Kloster, Tilbeck kommen von rechts, laut polternd, gutgelaunt, von zwei Knechten begleitet.
Tilbeck. Es ist merkwürdig ruhig heute nacht.
Gert tom Kloster. Haben sie nicht in den fünf Tagen und fünf Nächten genug getobt mit den Geschützen, Tilbeck?
Tilbeck. Man muß es dem Bischof Franz zugestehen, er hat manche Tonne Pulver drangegeben und ist über Münster gefallen wie ein Erdbeben. Manchmal warf es mich, bei Gott, einen Schuh hoch vom Boden.
Knipperdolling. Das kommt daher, weil du so leicht bist. Die Gelehrten haben kein großes Gewicht für gewöhnlich. Der Geist verzehrt die Schwere. Mich hat der Bischof nur etwas an den Fußsohlen gekitzelt, daß ich lachen mußte, Freunde. Speie dir die Zähne aus dem Rachen, du höllische Mißgeburt, dachte ich, und wurde heiter.
Gert tom Kloster. Ist dies Johann?
Tilbeck. Ich glaube, Johann, du hast in all den Tagen und Nächten auch nicht eine Stunde geruht. Überall und allerorts bist du, wie ein Gespenst.
Johann mustert sie, geistesabwesend, dann steht er auf und streckt Knipperdolling die Hand hin: Nochmals bitte ich dich, Bruder Knipperdolling, mir meine Heftigkeit und meinen Zorn am Gerichtstag zu vergeben. Ist auch noch ein Körnchen Arg gegen mich in deinem Herzen, so nimm meine Hand nicht.
Knipperdolling preßt Johanns Hand: Ich walle rasch auf, Johann, wie der Topf über dem Feuer. Aber stirbt die Glut, ist der Topf auch wieder still und vergißt, daß er kochte. Die Züchtigung war gut, Bruder Johann. Sie hat das Gift aus mir gezogen! Der Hochmut hatte mir den Kopf betäubt und der Neid. Mir vergib meinen Frevel, Johann. Ich habe gebüßt – und so geschah mir recht. Nie in seinem Leben wird Knipperdolling vernünftig werden, ihr Freunde.
Johann. Dank für deine Nachsicht, Knipperdolling. Dein Herz ist besser als das meinige. – Ihr macht die Runde, Freunde?
Gert tom Kloster. Wir sehen nach den Wallmeistern, Büchsenschießern und Wachen.
Tilbeck. In der Stadt, am Überwassertor, gab es einige Brände zu löschen.
Johann. Ist alles bereit?
Knipperdolling fröhlich, als schildere er die Vorbereitung zu einer Hochzeit: Es ist alles bereit, Johann, sei ohne Sorge. Das Pech kocht schon in den Kesseln. Holzstöße sind da in Haufen, damit wir ihnen brennende Scheite um die Köpfe schlagen können. Die Weiber bereiten ihnen schon den Morgenbrei. Willkommen, herzlich willkommen!
Gert tom Kloster. Die Schmiede haben lange Haken geschmiedet zum Umreißen der Sturmleitern.
Tilbeck. Alle Breschen sind ausgebessert. Auch die Erdschanzen und Laufgräben sind wieder in Ordnung gebracht worden, wo die Geschütze Schaden anrichteten.
Es pocht ans Tor. Eine Schildwache steigt die Treppe vom Wall herunter.
Erster Landsknecht. Die Losung!
Dusentschur draußen: Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.
Der Landsknecht öffnet. Dusentschur tritt ein; trägt die Kutte eines Mönches.
Erster Landsknecht erschrocken: Ein Mönch?
Dusentschur. Wenn du schon vor einem Mönch Angst hast, du Memme, so wirst du in die Hosen machen, siehst du den Bischof. Erblickst du aber gar den Papst, so wird dich der kalte Schweiß erwürgen. Er nähert sich der Gruppe, segnend. Pax vobiscum!
Tilbeck. Wahrhaftiger Gott: Dusentschur!
Lachen.
Dusentschur wirft die Kutte ab: Gott segne diese Nacht, Freunde!
Johann. Warst du im Lager, Bruder Dusentschur?
Dusentschur in Erregung, hin und her, mit hochgezogenen Knien: Ich war im Lager. Heissa, heissa! Habe da und dort gepredigt und da und dort ermahnt. Habe auch bei einigen Ängstlichen die Beichte abgenommen, habe einige Briefe geschrieben. Es hätte nicht viel gefehlt, hätte mich der Bischof zum Abendschmaus eingeladen. Lachen. – Höre, Freund, dies ist das Kreuztor? Wie? Heißt der Wallhauptmann nicht von der Langenstraaten?
Erster Landsknecht. Wenzel von der Langenstraaten.
Dusentschur. Wo ist er?
Erster Landsknecht. Wir haben ihn seit zwei Tagen nicht mehr gesehen.
Dusentschur. Heissa, heissa. Ich glaube, Freunde, ich bin ihm im Lager des Bischofs begegnet!
Gert tom Kloster. Sollte es möglich sein?
Tilbeck. Langenstraaten ein Verräter?
Dusentschur. Es ist eine große Anzahl von Knechten aus der Stadt entwichen, denn Fresser und Säufer beten den Speck an und das volle Faß! Jedenfalls heißt es, die Augen offen zu halten! Heissa, heissa! Welche Angst sie vor dir haben, Johann, die Knechte! Sie glauben, du bist der Satan und wirst sie auf deine Hörner spießen. Die Gesandten und Feldherrn aber stolzieren mit ihren Federbüschen. Und es wimmelt von Mönchen in Wolbeck! Und es wimmelt gleichfalls von Huren!
Knipperdolling. Werden sie angreifen heute nacht? Glaubst du?
Dusentschur lachend: So wahr Christus auferstanden ist. Sie stehen schon in Rotten bereit. Morgen wird die Hölle großen Zulauf haben, großen Zuspruch. Heissa! Gib das Zeichen der Bereitschaft, Johann! Auch die Federbüsche wird Gottes Atem versengen. Heissa, heissa! Ab.
Johann. Gott gebe es! – Stoße ins Horn!
Einer der jungen Knechte stößt ins Horn. Der Hornruf pflanzt sich über die Wälle fort.
Knipperdolling. Vorwärts, Freunde! Für den Himmel! Für Wahrheit und Frieden auf Erden!
Sie gehen. Johann bleibt.
Dunkelheit.
Johann keuchend: Gott! – Gott! – Herr! – Herr! – Vater über den Sternen!
Er stürzt in die Knie und brüllt wie ein Tier.
Erster Landsknecht nähert sich ihm: Weshalb brüllst du, Johann?
Zweiter Landsknecht öffnet die Tür und blickt hinaus: Wer brüllt hier wie ein Stier im Schlachthaus?
Johann. Laßt mich! Gott hat mich aus dem Paradies gestürzt. Ich bin unter die Tiere gefallen.
Erster Landsknecht zuckt die Achseln: Zur Ruhe sollst du gehen, Johann! Er begibt sich in die Hütte rechts.
Johann rutscht auf den Knien: Vater – Vater – Vater im Himmel! Er erhebt sich, keucht, geht zur Treppe und steigt langsam zum Wall empor: Höre mich, Vater im Himmel! Er rutscht auf den Knien die Treppe empor. Neige dein Ohr, ich bin elend und arm und kläglich! Speise die Seele deines Knechtes, du Gütiger, der du die Sterne lenkst und die Welten! Zürne mir nicht! Zürne mir nicht länger, du süßes Licht in der Finsternis! Schreit. Verlasse nicht deine Stadt Münster, die du auserwählt hast unter den Städten der Erde, daß sie deinen Ruhm verkünde. Verlasse sie nicht, die Brüder und Schwestern! Zertritt mich mit deinem Fuße, wenn du willst, aber überliefere sie nicht der Schmach! Gib nicht zu, daß das Blut der Gläubigen umsonst geflossen ist. – Herr, der du warst, bevor Leben und Tod war, antworte mir. Ist es wahr, was Roll verkündete? – Dein Reich ist ein Reich im Geiste und kein irdisches Reich! Hörst du mich? Antworte, antworte mir! Gib mir ein Zeichen, du Gütiger, Vater aller Kreatur!
Kanonenschüsse.
Er stürzt nieder. Antwortest du mir durch das Maul der Mörser? – Aus meiner Not schreie ich zu dir, da ich verblute. Erbarme dich deines gemarterten Volkes am Kreuze. Er erhebt sich, jagt über den Wall, schreiend. Herr, Herr, Gott, Vater im Himmel! Engel der Liebe und des Lichtes ...
Finsternis.
Es erscheinen fünf zerlumpte Kinder im Alter von zehn bis fünfzehn Jahren. Sie pochen an die Tür der Hütte rechts.
Erstes Kind. Soldat, mach auf!
Zweites Kind. Soldat, gib uns Brot! Hab Erbarmen!
Drittes Kind im Hemd: Uns hungert, Soldat!
Erster Landsknecht kommt heraus: Was wollt ihr, Gerippe? Mitten in der Nacht? – Kommt ihr aus dem Kirchhof?
Die Kinder weichen ängstlich zurück.
Erstes Kind. Soldat, hab Mitleid! Gib uns Brot!
Zweites Kind. Wir haben Hunger!
Zweiter Landsknecht kommt heraus: Freßt Gras! Johann sagt, ihr sollt Gras fressen. Auch das Vieh frißt Gras, sagt Johann!
Kinder. Soldat, Soldat!
Erster Landsknecht. Fangt Mäuse! Freßt Ratten! Kocht euch einen alten Stiefel. Morgen wird euch der Bischof füttern. Er hebt einen Stein auf.
Die Kinder entfliehen. Die Landsknechte lachen und schließen die Tür.
Gekreisch. Die Türe des Hauses links fliegt auf.
Hänslein, der Irre, in zerfetztem Hemd, erscheint schreiend, hinter ihm werden zwei lachende, betrunkene Landsknechte sichtbar.
Hänslein. Diebe, Mörder! Hilfe! Er faucht wie eine Katze, da ihn die Knechte festhalten.
Dritter Landsknecht legt eine Flinte an: Lauf, Hänslein! Tummle dich!
Hänslein. Diebe! Spitzbuben! Ich war Rektor in der freien Stadt Schmalkalden. Sprach einst Latein. Faucht wie eine Katze.
Vierter Landsknecht. Du bist nicht mehr im freien Schmalkalden. Bist in Münster und Münster ist eine Maus, um die die Katzen sitzen.
Hänslein bittend: Liebe Gesellen.
Dritter Landsknecht. Sag dein Sprüchlein auf und wir lassen dich laufen.
Hänslein.
Lag also in dem tiefen Turm,
Der war voll Ungeziefer und Wurm ...
Vierter Landsknecht. Gut, Hänschen, sage: Meine Mutter hurt mit dem Teufel.
Hänslein. Meine Mutter hurt mit dem Teufel.
Dritter Landsknecht. Lauf, Hänslein! Der Bischof kommt und wirft dich in den Turm!
Der Irre enteilt entsetzt. Die Knechte lachen.
Dritter Landsknecht. Heute nacht wird Knipperdolling nicht vor die Schanzen gehen und Geschütze vernageln!
Vierter Landsknecht. Die Zeiten haben sich bös verändert, seit wir aus dem Lager nach Münster übergingen.
Dritter Landsknecht. Auch der Stern, der sonst jede Nacht über Münster funkelte – wo ist er hingekommen?
Vierter Landsknecht. Seltsam ist es immerhin. Und er funkelte doch alle Nächte wie ein Edelstein. – Münster! Münster!
Dritter Landsknecht. Was ist deine Meinung, Bruder –?
Vierter Landsknecht. Meine Meinung ist: es wird bald Zeit sein, dem neuen Jerusalem den Hintern zu zeigen.
Dritter Landsknecht. Das glaube ich auch.
Schließen die Tür.
Zwei junge Mädchen in Tücher eingehüllt, bleich und verhungert, kommen, scheu, ängstlich.
Erstes Mädchen pocht an die Tür der Hütte rechts: Soldaten! Knechte! Die Tür öffnet sich. Wir haben Hunger! Gebt uns zu essen!
Zweites Mädchen. Seit drei Tagen haben wir auch nicht eine Krume bekommen.
Erster Landsknecht kommt heraus: Bei den gewaltigen Fürsten der Hölle! Kamerad, wir bekommen Besuch. Zwei zarte Jüngferchen machen uns ihre Aufwartung. Er tritt aus der Tür und mustert sie.
Zweiter Landsknecht erscheint in der Tür: Kommt herein, ihr Bräutchen. Wir haben Brot und Speck und gebratene Ratten in der Pfanne. Und auch Wein haben wir, das Mäulchen zu spülen.
Erstes Mädchen. Aber ihr müßt uns schwören, liebe Gesellen –!
Erster Landsknecht lacht: Wenn du sonst nichts von uns verlangst, im Schwören sind wir stark wie Könige und Feldherrn.
Zweiter Landsknecht lacht: Wir schwören wie der Papst und der Luther zusammen. Faßt eines der Mädchen an.
Zweites Mädchen. Wir haben Angst vor euch! Große Angst!
Erster Landsknecht. Niemals haben wir einer Jungfer etwas zuleide getan, die so lieblich war wie ihr. Kommt, oder wir schließen die Tür.
Zweiter Landsknecht. Wollen euch Kunststückchen beibringen, daß euch das Lachen bis in den Magen kitzeln soll. Könnt ihr auf dem Rücken tanzen? Könnt ihr auf Zehen und Fingerspitzen tanzen? Das alles sollt ihr bei uns lernen und noch mehr! Die Mädchen treten ein.
Schreien der Mädchen.
Wüstes Lachen. Die Tür wird geschlossen.
Grelles Mondlicht.
Johann erscheint von rechts auf dem Wall. Sein Antlitz ist mit Schweiß bedeckt. Schreit: Ich lasse dich nicht, Herr! Siehe deine Stadt! Dein Reich! Die Heiden umschwärmen deinen Thron, Herr! Vater im Himmel, laß diese Erde endlich Frieden haben. Siehe, sie haben dein Wort in den Staub getreten. Sie haben Lüge und Spott aus deinem Wort gemacht. Dulde nicht, daß sie dich länger verhöhnen. Die Armen und Elenden weinen zu dir Tag und Nacht und die Heuchler und Hochmütigen stolzieren einher.
Herr, Herr! Vater im Himmel!
Laß dein Reich kommen auf diese Erde!
Der große Mönch erscheint von links auf dem Wall.
Dunkelheit.
Johann steigt langsam die Treppe herab. Er spricht keuchend: Lösche mein Augenlicht aus, wenn es dir gefällt. – Schlage mich mit Aussatz, wie Hiob, wenn es dir gefällt. Fordere mein Blut, es gehört dir. Er ist unten angelangt und geht schwankend. Aber zürne mir nicht länger ... Verzückt lächelnd. Ich schlief und du wecktest mich auf. Du hast deinen heiligen Samen in mein Herz gelegt und er ging auf. Weshalb willst du jetzt die Saat verderben? Er kniet und neigt den Kopf bis zur Erde. Dein Wille geschehe!
Pause.
Der große Mönch steigt die Treppe herab und bleibt im Schatten stehen.
Der große Mönch. König Johann!
Johann richtet sich auf: Wer spricht hier? Er erhebt sich.
Der große Mönch tritt aus dem Schatten: Gegrüßt seist du, König der neuen Christenheit! Herr im neuen Tempel!
Pause.
Johann. Wie kommst du hierher in die Stadt? Mitten in der Nacht?
Der große Mönch. Für mich gibt es weder Tore noch Wächter, Johann.
Johann. Wer bist du?
Der große Mönch. Ein Bote, Johann!
Johann. Ein Bote? Des Lichts? Der Finsternis?
Der große Mönch. Was bedeutet Licht, was bedeutet Finsternis?
Johann. Dann gibt es auch nicht Himmel und nicht Hölle?
Der große Mönch. Auch Himmel und Hölle sind eine Einbildung der Menschen.
Johann. Lügner und Satan! Hinweg mit dir!
Der große Mönch. Ich wollte dich versuchen, Johann. Du hast bestanden. – Johann! Ich will dich mächtiger machen als den Papst und mächtiger als alle Kaiser und Könige. Ich will dich zum Herrn über den Erdball setzen. Da Johann zurückweicht, eindringlicher. Ich will dir die Macht verleihen, aus Steinen Gold zu machen und die Edelsteine in den Bergen mit deinen Augen zu sehen. Alle Reichtümer dieser Welt will ich dir geben und du sollst die Mächtigen der Erde damit kaufen, Johann. Gib ihnen Gold und sie sind dir zu Willen, mehr wollen sie nicht.
Johann wehrt ab: Was sollen mir deine Reichtümer. Ich will sie nicht! Behalte sie!
Der große Mönch. Johann, ich weiß, du bist in Bedrängnis. Deine Stadt Münster ist verloren und es gibt keine Rettung für sie!
Johann verzagt: Münster ist bedrängt, wohl weiß ich es. Wir werden kämpfen und Gott wird seine Stadt beschützen!
Der große Mönch. Die Übermacht des Bischofs ist zu groß. Du weißt es, Johann, und du weißt auch, daß Gott Münster nicht beschützen wird. Du weißt es, Johann, leugne es nicht. Ich aber habe dein Geschrei vernommen und bin zu dir gekommen, da Gott dich verlassen hat.
Johann ermannt sich: Wer sagt dir, daß Gott mich verließ?
Der große Mönch. Du weißt es selbst. Er hat dich gerufen, aber da du ihm folgtest, hat er sich von dir gewandt. Hat er nicht immer die im Stich gelassen, die ihm nachfolgten? Hat er nicht selbst den eigenen Sohn verlassen, als er am Kreuze nach ihm schrie?
Johann in Abwehr: Versuche mich nicht!
Der große Mönch. Johann! Ich will dich triumphieren lassen über deine Feinde! Höre, Johann, gibt es etwas Herrlicheres, als über seinen Feind zu triumphieren? Folge mir, und ich will dir den Bischof in die Hand geben.
Johann schwach: Könntest du das –?
Der große Mönch. Wenn du Mut hast?
Johann. Ich habe Mut!
Der große Mönch. So folge mir. Ich führe dich in das Haus des Bischofs und gebe ihn in deine Hand und du wirst ihn gebunden nach Münster zurückführen. Du, du, ganz allein, bevor deine Leute es gewahr werden, und dein Triumph wird groß sein.
Johann. Könntest du es wirklich? Voller Argwohn. Und was willst du, daß ich dafür tue?
Der große Mönch. Ich wünsche, daß du nichts tust.
Johann. Nichts?
Der große Mönch. Nichts. Fast nichts.
Johann. Doch etwas?
Der große Mönch. Nichts! – Lasse die Menschen leben, wie sie leben wollen, und lebten sie wie die Tiere. Und rufe Gott nie mehr an.
Johann. Satan – hebe dich von mir!
Der große Mönch umschlingt Johann: Komm, Johann, ich will dir den Bischof in die Hand geben!
Johann. Hinweg! Hinweg! Hebe dich von mir.
Sie ringen.
Der große Mönch. Komm, komm, Johann!
Johann. Herr! Herr!
Stimmen aus der Luft. Johann! Johann!
Der große Mönch verschwindet. Fahles Mondlicht.
Johann hat die Hände zum Gebet erhoben. Er ist in Schweiß gebadet.
Stimme aus der Luft. Johann! Johann!
Johann lauscht: Wer ruft mich? Ich höre!
Stimmen aus der Luft. Johann! Ich bin bei dir!
Ein Lichtschein steht auf dem Wall.
Johann fällt zu Boden.
Johann erhebt sich in die Knie, starrt auf den Lichtschein. Freudig, erlöst, ekstatisch: Herr –! Herr –! Ich verstehe dein Zeichen, ich, dein Knecht, Johann! In alle Ewigkeit seist du gelobt!
Mondlicht. Der Lichtschein auf dem Wall erlischt.
Drei von den Kindern, im Alter von zehn bis fünfzehn Jahren, kommen wieder. Sehen sich scheu um. Sie wollen an die Türe pochen, da erkennen sie Johann.
Erstes Kind. König Johann!
Zweites Kind. König Johann, gib uns Brot!
Johann wie betäubt, erhebt sich: Was wollt ihr? Was sucht ihr in der Nacht?
Drittes Kind. König Johann! Weshalb ist dein Gesicht so naß?
Erstes Kind. Wir haben Hunger!
Johann. Geht nach Hause. Eure Eltern werden böse sein.
Zweites Kind. Wir haben keine Eltern. Die Eltern sind tot. Die Türe des Hauses steht immer offen. Aber wir haben Hunger, Johann.
Johann. Ihr habt Hunger? Mit plötzlich leuchtendem Gesicht. Morgen sollt ihr weißes Brot essen und Kuchen aus Mehl und Eiern gebacken. Kommt, ich will euch etwas zeigen. Kommt!
Er steigt auf den Wall. Sie folgen ihm. Der Tag kommt herauf.
Johann. Kommt – kommt! – Seht ihr den Glanz in der Ferne leuchten? Dort, Dort! Am Himmel! Er hebt ein Kind in die Höhe. Siehst du?
Erstes Kind. Ja, Johann, ich sehe den Glanz.
Johann. Das ist Gottes himmlisches Reich, das sich auf die Erde senkt. Er hebt das zweite Kind in die Höhe. Siehst du Gottes heiliges Reich am Himmel schimmern? Siehst du es?
Zweites Kind. Ja, Johann!
Johann hebt das dritte Kind in die Höhe: Vielleicht sind meine Füße zu müde, es zu betreten. Vielleicht hat Gott es anders beschlossen. Vielleicht bin ich nicht würdig, meinen Fuß über die Schwelle des Reiches zu setzen. Ihr aber – ihr – ihr werdet das Reich betreten und selig sein.
Erstes Kind. O König Johann! Wir lieben dich!
Johann verzückt: Seht ihr das Feuer am Himmel stehen?
Die Kinder. Wir sehen es! Wir sehen es!
Johann in Ekstase, schreit: Seht ihr, seht ihr? Das ist Gottes heiliges Zeichen!
Die Kinder. Wir sehen es, Johann!
Johann erhebe die Arme: Gott, Herr, du hast deinen Knecht erhört! Gepriesen sei dein Name immerdar!
Johann eilt die Treppe herab. Die Kinder verschwinden auf dem Wall.
Johann pocht an die Türen.
Johann. Knechte, auf! Auf, Knechte! Die Türen öffnen sich ein wenig. Dritter und vierter Landsknecht kommen heraus. Geht, so befiehlt euch König Johann. Geht auf die Wälle zu den Brüdern und verkündet, was ich euch sage: Der Herr ist mit Münster! Unser ist der Sieg! Das Reich Gottes ist herbeigekommen.
Er eilt davon.
Dritter Landsknecht. Geh schlafen, Johann. Wir wachen für dich.
Johann ruft, nicht mehr sichtbar: Der Herr ist mit Münster! Unser ist der Sieg!
Dritter Landsknecht pocht an die Türe gegenüber: Seid ihr bereit?
Stimmen. Wir sind bereit!
Vierter Landsknecht. Johann mag sagen, was er will. Selbst der Teufel könnte Münster nicht mehr retten. Es riecht schon nach Leichen in den Gassen. Vorwärts, sonst schneiden sie morgen Riemen aus unserer Haut.
Dritter und vierter Landsknecht steigen die Treppe zum Wall empor.
Erster Landsknecht erscheint lachend: Wir haben Münster wenigstens etwas zurückgelassen. Haben uns nicht undankbar gezeigt! Steigt die Treppe empor.
Zweiter Landsknecht erscheint: Wir werden uns im Weidengebüsch verbergen und dann ins Getümmel mischen. Halt, wartet auf mich!
Sie verschwinden.
Pause. Dämmerung.
Auf dem Wall erscheint Wenzel von der Langenstraaten. Er steht eine Weile. Zwei, drei Gestalten tauchen neben ihm auf.
Sie steigen die Treppe herunter, um das Tor zu öffnen.
Eine Gestalt huscht über die Szene, im Hemd, mit gellender Stimme: Verrat! Verrat!
Vorhang.
Die Szene bleibt dunkel. Nach ganz kurzer Pause hebt sich der Vorhang zur Schlußszene.