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«Wochenblatt der Schweizergesellschaft», München, März 1841.
Es möchte nicht ganz unpassend für uns junge Schweizer sein, wenn wir in einer Zeit, wo man angefangen hat, unsere Nationalität zu bestreiten, wo man uns geistig zwingen will, unser Vaterland nicht als helvetisches, sondern als deutsches, als französisches, als italienisches zu lieben, wo jeder fade, lumpige Winkeljournalist des Auslandes sich herausnimmt, über die Schweiz einen Mist herzuschwatzen, der von nichts als von der lichtscheuen Unwissenheit desselben zeugt, wo in jeder Kaffernzeitung die Schweiz und ihre inneren Einrichtungen verhöhnt werden, wenn wir in einer solchen Zeit bisweilen unsre Gedanken nach diesem Vaterlande richten und unsre Gefühle in dem großen Kampfe der Grundsätze, der gegenwärtig Europa bewegt, zu ordnen suchen; dazu fordern uns auch die innern Zustände der Schweiz auf, und zu diesem Ende hin nehme ich mir die Freiheit, euch heute mit einigen unmaßgeblichen Ideen und Betrachtungen zu bewirten, mit der vorangehenden Bedingung jedoch, daß ich sie bloß als meine individuellen Ansichten gebe und jeden Andersgesinnten auffordere, seine Gegenmeinung in geeigneten Einsendungen ebenfalls zu äußern; dadurch wird unser Wochenblatt an Interesse gewinnen und mancher, der sonst nicht viel zur Unterhaltung der Gesellschaft beiträgt, gezwungen werden, sein Scherflein beizulegen. Vor allem aus wenden wir unsre Blicke auf die neulichen Angriffe Deutschlands gegen unsre Nationalität. Ich hoffe, es wird keiner unter uns sein, der über diesen Punkt im geringsten verwirrt worden wäre, obgleich man in Deutschland von der unfehlbaren Richtigkeit dieser ungründlichen Behauptungen allgemein überzeugt zu sein scheint. Die Deutschen glauben uns dadurch hauptsächlich zum Schweigen zu bringen, daß sie behaupten, das schweizerische Volk gehöre seiner Abstammung nach gar nicht zusammen, sondern die deutsche Schweiz gehöre eigentlich zu Deutschland, die französische zu Frankreich usf., kurz jeder Teil unsres Landes gehöre zu dem seiner Abstammung entsprechenden Teil der angrenzenden Staaten, und das ist vorsätzliche Nichtbeachtung unseres Nationalcharakters. Denn, zugegeben, daß wir den nämlichen Völkerstämmen entsprossen sind wie unsere Nachbaren, so tut das durchaus nichts zur Sache. Der Geist der Generationen verändert sich unendlich, und wenn wir jener Ansicht und der Bibel folgen müßten, so wäre die ganze Menschheit nur eine Nation und müßte folglich nur einen einzigen Staat ausmachen. Die jetzige Bevölkerung Englands ist entstanden aus Britanniern, Römern, Angelsachsen, Normannen, Kelten usf., die alle einander wechselweise besiegt, verdrängt oder unterdrückt haben, und doch ist die englische Nation jetzt eine ganze, unteilbare, originell in ihrem Charakter und weder mit den jetzigen Franzosen noch Deutschen noch irgendeinem Volke ähnlich. So ists auch mit den Schweizern gegangen. Die Urkantone waren von jeher frei in ihren Bergen, man weiß von keinem Herren, der sie gesetzlich jemals regiert hätte. Albrecht suchte sie mit Gewalt zu zwingen, und von da an schufen sie sich ihr eigenes Geschick, und an dieses knüpfte sich nach und nach, bis auf unsere Zeiten, die ganze gegenwärtige Schweiz teils aus innerem Drange und Neigung, teils aus äußerlichem Bedürfnis an; und durch die Verfassungen, die sie sich selbst gaben, sind sie eben so verschieden worden von denen, mit denen sie gemeinschaftliche Abstammung hatten. Der Nationalcharakter der Schweizer besteht nicht in den ältesten Ahnen, noch in der Sage des Landes, noch sonst in irgend etwas Materiellem; sondern er besteht in ihrer Liebe zur Freiheit, zur Unabhängigkeit, er besteht in ihrer außerordentlichen Anhänglichkeit an das kleine, aber schöne und teure Vaterland, er besteht in ihrem Heimweh, das sie in fremden, wenn auch den schönsten Ländern befällt. Wenn ein Ausländer die schweizerische Staatseinrichtung liebt, wenn er sich glücklicher fühlt bei uns als in einem monarchischen Staate, wenn er in unsre Sitten und Gebräuche freudig eingeht und überhaupt sich einbürgert, so ist er ein so guter Schweizer als einer, dessen Väter schon bei Sempach gekämpft haben. Und umgekehrt, wenn ein Schweizer mit Frankreich oder Deutschland zu sehr sympathisiert, wenn er sich behaglich und glücklich befindet als Untertan irgend eines fremden Souveräns, wenn er fremde Gewohnheiten aus Neigung annimmt und heimatliche Sitten verachtet, so ist er kein Schweizer mehr, er ist ein Franzose, ein Östreicher, wo ihn sein Herz hinzieht, und das kann man ihm nicht immer zur Sünde anrechnen; denn der Neigungen und Wünsche des Menschen sind so viele wie Sterne am Himmel. Während Schiller mit der ganzen Glut seines Herzens die feurigen Worte singt: «Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, und war er in Ketten geboren!», läßt der Herr Geheimerat von Goethe in nobler Behaglichkeit seinen Tasso sagen: «Der Mensch ist nicht geboren, frei zu sein, und für den Edeln gibts kein größer Glück, als einem Fürsten, den er liebt, zu dienen.»
Wenn die zwei größten Schriftsteller unsrer Zeit so verschiedene Worte sprachen, wie kann man es beschränkteren Sterblichen verdenken, wenn der eine da, der andere dort seine wahre Heimat sucht. Aber was der Mensch einmal als wahr empfunden hat, an das soll er Sich halten; was er als sein geistiges und materielles Glück erkannt hat, Von dem soll er nicht lassen, bis er eine andere Überzeugung bekömmt. Nun hat der Schweizer einmal gefunden, daß die Unabhängigkeit des gesamten Vaterlandes, die Freiheit des Gedankens und des Wortes, die völlige Gleichheit der Rechte und Nichtgeltung des Standes und anderer Äußerlichkeiten das Bedürfnis seiner Seele ist. Diesem allem aber müßte er durch die Anschließung an andere, ihm ehemals verwandte Stämme nach den jetzigen Staatsverhältnissen entsagen; oder er müßte sein Prinzip geltend zu machen und auszubreiten suchen, und das liegt nicht im Wesen eines wahren Schweizers. Denn das eben war von jeher die schönste Tugend unsers Bundes, daß er nicht, wie Frankreich, überall Proselyten zu machen sucht, sondern sich in sich selbst begnügt, und es waren die blühendsten Zeiten der Schweiz, sie war am geachtetsten, als sie in der Einfalt ihrer alten Sitten und in der Nichtachtung fremder Händel stark war. Der Schweizer spricht gern von seiner Freiheit, aber er sucht sie niemandem aufzudringen, und warum sollte er nicht mit Liebe davon sprechen; Spricht doch jeder gute Untertan ebenso gern von seinem König, und unser König ist einmal die Freiheit, wir haben keinen andern. Möchte es immer die wahre, die unzweifelhafte Freiheit sein; aber eben das war immer der Stoff zu den innern Zwistigkeiten unseres Landes, daß sie von dem einen Teile in dieser, vom andern in jener Form gesucht und heftig bestritten wurde. Die einen glauben sie nur in der aristokratischen, die andern in der demokratischen Verfassung zu sehen, und letztere werden wieder, während sie die Wahrheit zu besitzen glauben, arg in der Irre herumgeführt von einer Kaste, die hoch über beiden Parteien stehen sollte; ich meine die Geistlichkeit. Es hat Republiken gegeben, wo die Aristokratie geeigneter war fürs Wohl des Volkes als die Demokratie; allein jene Aristokraten liebten ihr Volk, sie achteten es und erkannten ihren wahren Beruf. Von den unsrigen kann man es nicht sagen. Die jetzigen Überreste und Anhänger der Patrizier in den meisten Kantonen, vorzüglich in Zürich und Basel, sind selbstsüchtig, geldgierig, schmutzig, zopfig, sie lieben das Volk nicht, suchen nur aus Privatinteressen und Herrschsucht das Ruder zu halten, sind oft in der stupidesten Spießbürgern versunken und ermangeln ganz jener feinern Bildung und höhern Kultur des Geistes, welche sonst die Aristokraten anderer Republiken so sehr auszeichnete; kurz, was ihre Haupteigenschaft sein sollte, sie sind nicht nobel. Hievon gibt es einige sehr ehrenwerte Ausnahmen, aber deren sind so wenige, daß sie keine Wirkung unter der Masse machen. Obgleich ich keinen der jetztlebenden Souveränen kenne, dessen Untertan ich sein möchte, so hat es doch schon solche gegeben, dessen Herrschaft ich lieber ertragen hätte als diejenige unsrer Regierungen im 17. und 18. Jahrhundert, der Zeit der geistigen und körperlichen Unterdrückung, der totalen Seelenfinsternis im Volke, wo die herz- und geistlosen Regenten das Licht unter einen Scheffel stellten und darauf saßen, den steifen Zopf im Nacken; wo ihre Weiber und Töchter die Habe der sogenannten Bauern und der Gewerbsleute in seidene und damastene Kleider verwandelten und frech darin herumbuhlten; wo die Pfaffen die besten Alchimisten waren, indem sie den Schweiß des Volkes in eitel Gold zu verwandeln wußten, das sie in schweren Ketten um die immer durstige Kehle hingen und in dicken Ringen an die habsüchtigen Finger steckten. Doch diese Zeit ist, Dank sei es dem, der die Nacht haßt und den Tag liebt, längst vorüber; sie hat wie ein drückender Alp auf den Herzen des Volkes gelegen, aber es hat sich geregt und hat frischen Atem geholt und die Augen geöffnet dem ewigen Lichte, das ins Land leuchtete. Noch nicht überall kann es dies Licht vertragen, obgleich es kein neues ist; denn unsre Väter haben es schon gesehen; aber es wird sich wieder gewöhnen daran, wenn es das scheue Geschlecht der Nachtvögel vertreibt, die das Licht umflattern und auszulöschen trachten.
Die Zeit ist da, wo die geistigen Elemente unsers Landes im heftigsten Kampfe verwickelt sind. Beinahe feindselig stehen sie sich gegenüber, und unter ihren Vertretern sehen wir auf beiden Seiten tüchtige Männer, aber auch auf beiden Seiten viele bloße Maulhelden. Wir werden wahrscheinlich die Krise noch erleben; geben wir uns der schönen Hoffnung hin, daß jeder redliche Schweizer in ihr sein wahres Heil erfüllt sehen werde. Zu dieser Hoffnung ist aber nur der berechtigt, der auch an sich selbst nichts fehlen läßt, was dem Ganzen frommen kann, der unparteiisch und unbestechlich den Nutzen jeder Meinung still bei sich selbst erwägt und, hat sie sich als gut bewährt, sie annimmt, komme sie von einem Aristokraten oder Demokraten, passe sie in sein bisheriges System oder nicht. Nun können wir uns aber nicht leugnen, daß auch auf unsrer liberalen und radikalen Seite nicht immer alles so war. Unsre Radikalen sind oft so schroff, so verblendet, so intolerant, als nur ein eingefleischter Aristokrat es sein kann. Die Freiheitsliebe ist nicht gar selten in eine gedankenlose Schreierei ausgeartet, die religiöse Gedankenfreiheit zum kalten Hohne und Wegleugnen jedes religiösen Prinzipes und zum frechen Spotte alles Heiligen geworden. Es sind zwar nur einige wenige, denen man dies nachsagen kann, aber traurigerweise sind diese gerade die talentvollsten Köpfe. Ebenso hat man einige Male zu wenig bedacht, daß nicht alles Neue gut, nicht alles Alte untauglich und schlecht geworden sei. Während man dem Geist immer mehr Nahrung gibt und die Köpfe erhellt, läßt man nicht selten das Herz erkalten. Man ist zu prosaisch geworden in vielen Sachen. Dazu gehört hauptsächlich die gänzliche Vernachlässigung der schönen Wissenschaften und Künste und schroffe Abtrennung vom Auslande; denn in dieser Hinsicht ist uns Deutschland weit voran; und es schadet unsrer politischen Nationalität durchaus nichts, wenn wir das in Kunst und Literatur höher stehende Ausland zum Muster nehmen. Nur dadurch, daß wir jeden guten Gedanken in uns aufnehmen, komme er, von wem er wolle, daß wir die Wahrheit an jeder Partei zu schätzen wissen, daß wir in unsern Gegnern nicht die Person, sondern nur die falschen Grundsätze hassen und selbst während dem hitzigsten Kampfe die Versöhnung im Herzen tragen, dadurch daß wir ohne allen Dünkel gerne anerkennen, daß auch der Bürger anderer Staaten glücklich sein könne, dadurch endlich, daß wir niemals den göttlichen Funken der Ewigkeit in unsrer Brust ersticken und nie das heilige Vertrauen zu jenem verlieren, der die Sterne lenkt: nur dadurch können wir dem Sonnenaufgange der alleinigen Wahrheit ruhig und gefaßt entgegensehn; sie wird vielleicht blutrot aufgehen, diese Sonne; in düsterm Purpur werden vielleicht die Firnen und Eiskuppen unsers freien Vaterlandes glühen, aber der kristallhelle Tag wird dennoch anbrechen und sein glückliches, reines Blau über unsere silbernen Berge ausbreiten.