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Die Romantik und die Gegenwart

Zu Lebzeiten Kellers unveröffentlicht; datiert: Heidelberg, Juni 1849.

Ich meine nicht die systematische Romantik der Reaktion, noch die blutschauerliche Romantik der Franzosen, auch nicht die subjektive, ironische Partie der Schule, ich denke nur an die unschuldige, reinliche Romantik an sich, wie sie sich in den liebenswürdigeren Äußerungen der deutschen Schule dargestellt hat, wie sie im «Oktavian» und anderen Gedichten Tiecks, im «Ofterdingen», in den helleren Seiten Arnims, in einigen Märchen Brentanos und in Uhlands Balladen und Romanzen lebt. Ich ging auf den grünen Bergen zu Heidelberg spazieren, wo man in die Hardt hinüber sieht, zu seinen Füßen die herrliche Ebene, weiter hin den schimmernden Rhein, an ihm südlich der Dom von Speyer und nördlich die Türme von Worms und zuhinterst der blaue schöne Gebirgszug der Hardt. Hinter mir hervor aber kam der Neckar, dem gebrochenen Bergpalaste vorbei, und schlängelte sich ebenfalls in das flache Land hinaus. Er brachte aus seinen Tälern hervor die schwäbischen Erinnerungen mit, während der Odenwald mit seinen Sagen sich fast bis unter die Füße heranschob. Ich spekulierte just über die Art von Sehnsucht, welche das Anschaun eines schönen Landstriches in uns erweckt; denn schon oft glaubte ich beobachtet zu haben, daß die schönste Landschaft, gerade weil sie so schön ist, noch irgend eine Befriedigung unerfüllt läßt und irgend einer unbekannten Ergänzung mangelt. Besonders die klare Ferne tut dies aller Orten, so wie fern glänzendes Wasser. Ebenso überkommt einen dies Gefühl, in einem tüchtigen, stillen Wald, wenn man allein ist. Wie ich also darüber nachdachte, was dies Fehlende wohl sein möge, gingen Fremde an mir vorüber und ließen das Wort «romantisch» in meine Ohren fallen.

Wie ein heller Glockenton ertönte alsobald das Wort Romantik in mir wieder. Ich hatte seit Jahr und Tag dieses Begriffes nicht mit Liebe gedacht, obgleich ich alle Jahre wenigstens einen seiner Vertreter wieder lese; aber in diesem Augenblicke war es mir, als ob er dasjenige sein müßte, was zum Genüsse des vor mir liegenden Landes gehört, wie Salz zum Brote. Alle Poesie bedarf zuvorderst eines günstigen Terrains, eines entsprechenden Bodens, auf welchem ihre Gebilde leben und handeln können. Dies nährende Land muß sogar vor den Leuten vorhanden sein und dem Ganzen den Grundton geben. In Neapel und Sizilien, am Strande des Meeres, hat Goethe erst den Homer und das antike Leben recht begriffen, und er wurde sofort zu eigener Produktion in jenem Sinne angetrieben. Der Norden mit seiner düstern See, mit seinen gigantischen Wolkenmassen, mit seinen mattsonnigen Heiden nährt wieder andere poetische Gestalten, welche sich zu den griechischen verhalten wie er selbst zum Süden. In unserer schönen Mittelzone, links und rechts vom Rheine, können aber seine schattenhaften Riesen so wenig Platz finden, als Achill und Odysseus angemessenen Raum für ihre Taten finden würden; es bedarf hier einer dritten Sorte von Leuten und Trachten, von Schicksal und Lebensart, von Göttern und Menschen, und hier mag man sich drehen wie man will, ich glaube, man wird am Ende doch eingestehen müssen, daß die Romantik im oben angedeuteten besseren Sinne der einzige und beste Ausdruck ist für das, was man bisher beim Anblick dieser mäßigen Berge und Flüsse, dieser Wälder und Felder, dieser Burgen und alten Städtchen fühlte, abgesehen von aller lächerlichen und schlechten Tendenz und vorausgesetzt, daß die Geschichte überall einen tüchtigen Boden durchblicken lasse.

Ich sage bisher. Wenn jede Poesie ihren gehörigen landschaftlichen Boden braucht, so braucht auch jede Landschaft ihre poetischen Bewohner; am liebsten möchten wir selbst eine tüchtige Rolle darin spielen; ist dies nicht der Fall, so müssen die Vorfahren, welche auf diesem Boden wandelten, mit ihrem poetischen Leben aushelfen, und dies haben gerade die Romantiker bisher am besten vermittelt; denn mich wenigstens dünkt, daß durch ihre Gläser besehen das Land noch einmal so reizend geworden ist.

Gegenwärtig aber ringt alle Welt nach einem neuen Sein und nach einem neuen Gewande. Ein Teil sucht dies im Vergangenen, von oben herab möchte man am liebsten sich ganz wieder zurückstürzen und wird es im ersten besten günstigen Momente versuchen, von unten herauf will man vorwärts, in ein neues Leben. Jeder möchte frei und ganz, ein voller Mensch, ein Mann der Tat durch das Leben schweifen, ohne Vormundschaft und ohne Rücklehne, nach allen Seiten seine vorteilhafteste Seite herauskehrend, nur durch eine geschworne Gleichheit seine kühnsten Wünsche beschränkend. Bloß eine blutlose Bourgeoisie möchte bleiben, wo und wie wir sind, an dem halbverdorrten Zweige hangend mit der ganzen Last und seine paar Beeren benagend, bis er reißt und der ganze Klumpen in den Abgrund purzelt. Wahrlich, wenn ich nicht zu gut wüßte, daß die Philister eben Philister sind, so müßte ich sie für die leichtsinnigsten allerpoetischsten Käuze halten, denn nur solchen kann es eigentlich in einer solchen zweideutigen Lage Wohlgefallen. Doch komme es, wie es wolle: aus der Reibung dieser verschiedenen Tendenzen ist schon Handlung und Poesie die Fülle entstanden, und mithin sind die bisherigen Surrogate entbehrlich in Hinsicht der poetischen Bevölkerung unserer Räume. Die Junitage zu Paris, der ungarische Krieg, Wien, Dresden, und vielleicht auch Venedig und Rom, werden unerschöpfliche Quellen für poetische Produzenten aller Art sein. Eine neue Ballade sowohl wie das Drama, der historische Roman, die Novelle werden ihre Rechnung dabei finden. Daß man sie aber auch unmittelbar am Leben selbst findet, habe ich nun in der badischen Revolution gesehen.

Wie «deutsch» eigentlich nichts anderes heißt als volkstümlich, so sollte auch «poetisch» zugleich mit inbegriffen sein, weil das Volk, sobald es Luft bekommt, sogleich poetisch, das heißt es selbst wird. Als die Waffenvorräte aus Karlsruhe und Rastatt nach den Pfingsttagen durch das ganze Land verbreitet wurden, kamen große Züge Landvolk in die Städte, um sie in Empfang zu nehmen; da glaubte man öfter wandelnde Gärten zu sehen, alle Hüte und die Mündungen der Gewehre waren mit den ersten Mairosen und andern roten Blumen vollgesteckt, so daß ganze Straßen von Blumen wogten, und darunter hervor tönten die Freiheitslieder. Andere Züge hatten sich mit grünen Zweigen und Farrenkräutern geschmückt, so daß man gleich Macbeth den Birnamswald nahen zu sehen glaubte. Einem solchen marschierenden Park ging ein Jüngling mit einer Kindertrommel, einem anderen ein alter lustiger Geiger voran. Nach und nach verschwand dies liebenswürdige Volk wieder, um sich in den Gemeinden einzuüben; dafür erschienen aber bald die geordneten Bataillone, die Offenburger Volkswehr und Freischaren. Die Blumen waren zwar weg, aber die keckste malerische Tracht und Behabung in der größten Mannigfaltigkeit da: Der Turnerhut in der größtmöglichsten Auswahl von Aufstülpungen und mit Bändern aller Art geschmückt, die blaue Bluse, dreifarbig oder rot gegürtet, Ränzel und Bündel in den kühnsten Lagen an Hüften und Rücken, kampflustige, frohe Gesichter und bei alle dem Durcheinander eine feste kriegerische Haltung, nur durch den feurigsten Willen so bald erworben, machten viele dieser Scharen zu einem Paradiese für Maler und Romanschreiber, freilich auch zu einer Hölle für Herrn Bassermann. Es gab köstliche Gruppen, wo man stand und ging. Da halten einige Führer zu Pferd, etwa Metternich und Böhning; der erstere jung, den braunen Bart bis auf die Brust, in Reiterstiefeln und Lederhose, Bluse und Hut, der zweite ein alter Philhellene mit grauem, herrlichem Bart und fliegenden grauen Locken, ebenfalls in der Bluse; zu Fuß stehen andere Offiziere bei ihnen, auf schwere Säbel gestützt, mit roter wallender Feder und breiten Feldbinden, und nicht weit davon endlich als Schildwache ein dünner spitziger, aber entschlossener Schneidergeselle, eine zerrupfte Hahnenfeder auf dem alten Seidenhut, begeistert salutierend. Gutmütige Bummler, welche ihr Blut spottwohlfeil anschlugen und sehr humoristisch anzusehen waren, tranken zum permanenten Schrecken der Heidelberger Gelehrten sehr viel Bier. Die Hitze war auch darnach, und man hätte es ihnen wohl gegönnt, wenn man nur hätte nachweisen können, daß sie das Kupfer dazu gestohlen hätten.


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