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Erstes Kapitel.
Die Sektierergemeinden.

1. Die Shakers.

Unter den Sektierergemeinden in den Vereinigten Staaten ist die Gesellschaft der Shakers eine der ältesten existierenden. Die erste Shakerniederlassung wurde in Watervliet, New York, 1776 gegründet. Die Gründerin der Bewegung und die erste »Führerin« der Gesellschaft war »Mutter« Ann Lee, eine Engländerin ohne Bildung, die mit einer Handvoll Jünger im Jahr 1774 nach Amerika kam, um den religiösen Verfolgungen in ihrer Heimat zu entgehen.

Ann Lee starb 1784, und es folgten ihr James Whitacker, Joseph Meacham und Lucy Wright, unter deren Leitung die Gesellschaft an Mitgliedern und Reichtum gewaltig zunahm und sich in eine Anzahl von Gemeinden verzweigte. Besonders gestärkt wurde diese Bewegung durch die epidemisch auftretenden Glaubenserweckungen, die gegen Ende des achtzehnten und Anfang des neunzehntem Jahrhunderts periodisch auftraten, und vor allem durch die beispiellose religiöse Erregung, die in Kentucky im Jahre 1800 ausbrach und einige Jahre lang andauerte.

Die Shakergesellschaften scheinen ihre höchste Blüte im zweiten Viertel des letzten Jahrhunderts erreicht zu haben, als ihre gesamte Mitgliederzahl 5000 überschritt. 1874 gibt Nordhoff die ganze Shakerbevölkerung dieses Landes aus 2415 an; die Zahl sank im Jahre 1890 laut Volkszählungsbericht auf 1728, und gegenwärtig sind kaum mehr als tausend übrig.

Die Shakers sind in drei Klassen oder Orden geteilt:

  1. 1. Die Novizen: Das sind Kommunikanten der Shakerkirche, die sich den offiziellen Namen »Tausendjährige Kirche« oder »Vereinigte Gesellschaft der Gläubigen« beilegt; doch leben sie außerhalb der Gesellschaft und verwalten ihre weltlichen Angelegenheiten selbst.
  2. Die Junioren: Sie sind Mitglieder auf Probe, wohnen in der Gesellschaft und geben zeitweise ihr persönliches Eigentum auf, doch dürfen sie in die Welt zurückkehren und ihr Eigentum jederzeit wieder an sich nehmen.
  3. Die Senioren oder der Kirchenorden. Diese Kategorie besteht aus Personen, die ihr Eigentum vollständig aufgegeben und sich unwiderruflich dem Dienste der Shakerkirche gewidmet haben.

Die gesellschaftliche Einheit der Shakerorganisation ist die »Familie«. Diese besteht aus Männern und Frauen, welche zusammenleben, und deren Zahl von nur sehr wenigen bis zu hundert und mehr beträgt. Sie führen einen gemeinsamen Haushalt und betreiben in der Regel neben dem Landbau ein oder zwei Gewerbe.

Die kirchlichen Angelegenheiten der Familie werden von »Ältesten«, die weltlichen von »Diakonen« verwaltet.

Einige Familien, gewöhnlich vier, bilden zusammen eine »Gesellschaft«.

Die Zentralregierung ist einer Exekutivbehörde anvertraut, welche »Ministerium« oder »Bistum« genannt wird und aus zwei älteren Brüdern und zwei älteren Schwestern besteht; das Haupt dieses Ministeriums wird »leitender Ältester« oder »Leiter« genannt. Das Ministerium ernennt die Diakonen und zusammen mit diesen die »Aufseher« oder Werkmeister für die verschiedenen Industriezweige.

Der leitende Älteste besetzt die erledigten Stellen im Ministerium und bezeichnet seinen Nachfolger. Jeder Beamte der Gesellschaft, sei er nun kirchlich oder weltlich, untersteht den Befehlen seiner unmittelbaren Vorgesetzten. Die Frauen sind in allen administrativen Körperschaften in derselben Weise wie die Männer vertreten.

Der Hauptlehrsatz ihres eigentlichen Glaubensbekenntnisses ist, daß Gott ein männlich-weibliches Doppelwesen sei, Jesus das männliche und Ann Lee das weibliche Element vertrete. Der Mensch, nach dem Vorbilde Gottes geschaffen, war ursprünglich auch ein Zwitter. Die Trennung der Geschlechter erfolgte, als Adam nach einem Genossen verlangte; da schnitt Gott in Gewährung der Bitte Eva aus seinem Leibe. Dies war die erste Sünde, die der Mensch beging. Daher betrachten die Shakers die Ehe als eine Einrichtung einer niederen Lebensordnung und leben in strengem Zölibat.

Die Religionsgeschichte der Menschheit teilen sie in vier Zyklen ein, von denen jeder einen besonderen Himmel und eine besondere Hölle hat. Der erste umfaßt die Zeit von Adam bis Noah, der zweite die Zeit der Juden bis zur Ankunft Jesu, der dritte reicht bis zur Zeit Ann Lees. Der vierte oder »der Himmel der letzten Offenbarung« ist jetzt in der Bildung begriffen und wird alle Shakers umfassen.

Sie behaupten, Verkehr mit der Geisterwelt zu pflegen; die Offenbarungen, die sie von jenen Regionen erhalten, werden gewöhnlich durch heftige Verrenkungen des Körpers eingeleitet. Diese Eigentümlichkeit brachte ihnen zuerst die Bezeichnung »Schüttelquäker«, dann »Shakers«.

Die Shakers führen ein wohlgeordnetes und gesundes Leben. Sie begeben sich ungefähr um neun Uhr zu Bett und stehen um fünf Uhr auf. Sie frühstücken um sechs, nehmen das Mittagsmahl um zwölf und das Abendbrot um sechs Uhr. Ihre Kost ist einfach aber genügend. Die beliebtesten Gerichte sind Gemüse und Früchte; viele verschmähen das Fleisch ganz und gar. Sie essen in einer gemeinsamen Speisehalle, wobei Männer und Frauen an getrennten Tischen sitzen.

Ihre Schlafräume, Speisesäle und Arbeitsstätten sind peinlich rein; überall herrscht die strengste Ordnung.

Ihre Vergnügungen sind nicht zahlreich und von sehr ruhiger Art: Instrumentalmusik ist keineswegs beliebt, die Lektüre ist auf nützliche und belehrende Gegenstände beschränkt. Hymnengesang und Vorträge im Versammlungszimmer finden häufig statt; neuerdings sollen sie ruhige Spiele im Freien, Ausflüge, Croquet und Tennis ausgenommen haben.

Der Kommunismus der Shakers ist ein Teil ihres religiösen Systems, erstreckt sich aber in Wirklichkeit nur auf die Familie. In der Shakergesellschaft als Ganzes gibt es keine Gemeinsamkeit des Eigentums; die eine Familie kann großen Reichtum besitzen, während die andere verhältnismäßig arm ist.

Zurzeit leben die Shakers in fünfzehn Gesellschaften verteilt, die über neun Staaten der Union hin verteilt sind. Ihr Gesamtbesitz wird auf Millionen geschätzt, ihr Landbesitz allein beträgt über 100 000 Acres.

2. Die Gesellschaft »harmony«.

Einige Meilen von Pittsburg entfernt, im Staate Pennsylvanien, liegt ein höchst sonderbares Dorf, das aus ungefähr hundert Wohnhäusern besteht. Es ist gemeinsames Eigentum einiger alter Männer mit puritanischen Gewohnheiten, die eine ziemlich strenge Aufsicht über die Lebensweise der Bewohner führen.

Der Name dieses Ortes ist »Economy« und die wenigen Dorftyrannen sind die letzten Überlebenden einer einstmals zahlreichen und blühenden Gemeinde.

Die Gemeinde, die sich »Harmony-Gesellschaft« nennt, ist allgemeiner unter dem Namen »Rappisten-Gemeinde« bekannt und hat eine ereignisreiche Geschichte, die eine Zeit von fast vollen hundert Jahren umfaßt.

Ihr Gründer Georg Rapp war der Führer der »Separatisten«, einer religiösen Sekte in Württemberg. Die absonderlichen Glaubenssätze dieser Sekte riefen eine Verfolgung seitens des Klerus und der Regierung hervor, und Rapp verließ im Jahre 1804 mit ungefähr 600 standhaften Anhängern Deutschland und kam auf dem Wege über Baltimore und Philadelphia nach Amerika. Die Hauptmasse der Einwanderer bestand aus Bauern und Handwerkern, doch fanden sich unter ihnen auch einige Leute von Bildung, deren einer, Friedrich Reichert, ein Adoptivsohn Georg Rapps, ein gut Teil künstlerischen Geschmacks und hervorragendes Verwaltungstalent besaß.

Die erste von ihnen gegründete Gemeinde war »Harmony« im Kreise Lycoming, Pennsylvanien. Im Laufe weniger Jahre errichteten sie eine Anzahl von Wohnhäusern, eine Kirche, ein Schulhaus, einige Mühlen und Werkstätten und rodeten mehrere hundert Acres Land.

Doch ungeachtet ihres sichtlichen Gedeihens kamen sie zu dem Schlusse, daß der Ort ihrer Niederlassung nicht gut gewählt sei. Im Jahre 1814 verkauften sie ihren Landbesitz mit allen erstellten Anlagen für 100 000 Dollar und zogen hinüber in den Kreis Posey, Indiana, wo sie einen Landstrich von 30 000 Acres kauften.

Ihre neue Heimat war bald kultiviert und bebaut und wurde ein bedeutendes Geschäftszentrum für das umliegende Land. Ihr Reichtum und ihr Einfluß wuchsen, und sie erhielten gewaltigen Zuwachs an Mitgliedern von Deutschland, so daß im Jahre 1824 die Gemeinde ungefähr 1000 Personen umfaßt haben soll.

In diesem Jahre zogen sie wieder weiter. Malariafieber, das in ihrer Niederlassung ausgebrochen war, hatte sie schon seit einiger Zeit veranlaßt, sich nach einem Käufer umzusehen, und als sie schließlich einen solchen in der Person Robert Owens fanden kauften sie die Ländereien, die sie noch jetzt in Economy besitzen, und ergriffen sofort Besitz davon.

Wie schnell sie ihr neues Dorf in die Höhe brachten, ist aus einem Bericht des Herzogs von Sachsen-Weimar zu ersehen, der sie im Jahre 1826 besuchte. Er war voll des Lobes über die Reinlichkeit und gute Ordnung im Dorfe, die Schönheit der Häuser, die vorzügliche Anlage der Werkstätten und Fabriken, und das Glück, das offenbar unter den Kolonisten herrschte.

Ihr friedlicher Lebenslauf wurde nur ein einzigesmal ernstlich gestört. Im Jahre 1831 kam ein »Graf Maximilian de Leon« in prächtigem Aufzug und umgeben von einem zahlreichen Gefolge nach Economy. Er gab vor, die religiösen Ansichten der Siedler zu teilen und äußerte den Wunsch, sich ihnen anzuschließen.

Die einfachen Leutchen hießen ihn herzlich willkommen und gestatteten ihm, ohne irgend welche Nachforschungen, den Beitritt zu ihrer Gesellschaft. »Graf de Leon«, mit wahrem Namen Bernhard Müller, war einfach ein Hochstapler. Er begann alsbald, die religiösen Überzeugungen der Harmonisten zu untergraben und weltlichen Verlockungen und Genüssen das Wort zu reden. Durch sein sanftes und einschmeichelndes Wesen gewann er die Unterstützung vieler Mitglieder. Als eine Trennung unvermeidlich war und eine Zählung der Anhänger jeder Partei vorgenommen wurde, fand sich, daß 500 Mitglieder treu zu »Vater Rapp« standen, während sich 250 für den »Grasen« erklärten. Die Minderheitspartei erhielt die Summe von 105 000 Dollar als ihren Anteil am gemeinsamen Eigentum und zog mit De Leon an der Spitze nach Philippsburg, wo sie eine eigene Gemeinde zu gründen versuchte. Ihr Führer aber verließ sie und brannte mit ihrem Kapital nach Alexandria am Roten Flusse durch, wo er im Jahre 1833 an der Cholera starb; die Dissidenten aber zerstreuten sich.

Inzwischen erreichten die Economisten ihre alte Blüte sehr rasch wieder. Beim Ausbruch des Bürgerkriegs besaßen sie ungefähr eine halbe Million an barem Gelds, das sie der größeren Sicherheit wegen in ihren Höfen bis nach dem Kriege vergruben.

Im Anfang waren die Harmonisten nicht Anhänger des Zölibats, aber im Jahre 1807, während einer starken »Glaubenswiedererweckung«, beschlossen Männer und Frauen einstimmig, ihre ehelichen Bande zu lösen. Fortan »wurden in Harmony keine Ehen mehr geschlossen und keine Kinder mehr geboren«.

Abgesehen von der Ehelosigkeit, waren die Harmonisten keineswegs Asketen; sie erfreuten sich gern an einem guten Mahl und an einem Glas guten Bieres, und führten in der Frühzeit ihrer Geschichte, als die Mitglieder noch zahlreicher und jünger waren, ein lustiges und heiteres Leben.

Ihr Kommunismus ist, gleich dem der Shakers, ein Teil ihres religiösen Systems und ist auf die Mitglieder ihrer eigenen Gemeinde und Kirche beschränkt. Solange die Mitgliedschaft groß und der Umfang ihrer Geschäfte gering war, beschäftigten sie keine Lohnarbeiter; als aber ihre Zahl abnahm und ihre Industrien sich entwickelten, überwogen zeitweise die Lohnarbeiter die Mitglieder im Verhältnis von zehn zu eins. Gegenwärtig bilden sie tatsächlich eine beschränkte Gesellschaft von Kapitalisten, der die Ländereien, Oelquellen und die Aktien verschiedener Eisenbahn-, Bank- und Bergbaugesellschaften gehören.

3. Zoar.

Die Gemeinde Zoar wurde, wie Economy, von Separatisten gegründet, die aus Württemberg ausgewandert waren.

Geraume Jahre hindurch führten die Gründer der Sekte einen hartnäckigen Kampf mit der Regierung ihres Landes, deren Feindschaft sie durch ihre abweichenden religiösen Lehren, insbesondere aber durch die Weigerung erregt hatten, im Heere zu dienen und ihre Kinder in den öffentlichen Schulen erziehen zu lassen. Sie wurden mit Geldstrafen und Gefängnis bestraft, von Dorf zu Dorf getrieben, bis sie sich entschlossen, an den gastlichen Küsten der Vereinigten Staaten einen Zufluchtsort vor den Verfolgungen ihres unduldsamen Vaterlandes zu suchen. Die großmütige Hilfe einiger wohlhabender englischer Quäker ermöglichte es ihnen, die Überfahrt zu bezahlen, und 1817 langte die erste Abteilung der Gesellschaft, ungefähr 200 an der Zahl, in Philadelphia an, an der Spitze Joseph Bäumeler, den sie zu ihrem Führer gewählt hatten.

Unmittelbar nach ihrer Ankunft kauften sie einige tausend Acres Land im Kreise Tuscarawas, Ohio, und gingen an die Arbeit; sie holzten einen großen Teil des Bodens ab und errichteten eine Anzahl von Blockhäusern für die Mitglieder der Gemeinde, von denen viele auf benachbarten Farmen als Arbeiter zurückgeblieben waren. Das so gegründete Dorf wurde von ihnen Zoar genannt.

Das Land, für welches nur eine kleine Anzahlung in bar geleistet worden war, war aus den Namen Joseph Bäumelers gekauft, unter der Voraussetzung, daß jedem Mitglied ein Stück zugeteilt werden sollte; dieses sollte von dem einzelnen bearbeitet und abgezahlt werden.

Sie hatten nicht die Absicht, eine kommunistische Gemeinde zu gründen. Doch hatten sie einige alte schwache Mitglieder unter sich, denen es schwer fiel, den nötigen Ertrag auf ihren Farmen durch eigene Arbeit zu erzielen. Bald wurde es offenbar, daß viele Mitglieder die Ansiedlung würden verlassen müssen, und daß das Unternehmen mißlingen würde, wenn es nicht auf eine andere Grundlage gestellt würde.

Im April 1819, nach einer gründlichen Besprechung der Lage, beschlossen sie daher einstimmig, Güter- und Arbeitsgemeinschaft einzuführen. Fortan gediehen sie. Sie gründeten eine Schmiede, eine Zimmermanns- und Schreinerwerkstätte, hielten Vieh und verdienten ein wenig Geld, indem sie für benachbarte Farmer arbeiteten.

Der Bau eines Kanals durch ihr Besitztum im Jahre 1827 war für sie ein außerordentlicher Glücksfall. Sie sicherten sich vertraglich ein Los dieses Werkes für die Summe von 21 000 Dollar und verschafften sich einen Markt für viele ihrer Produkte. Binnen kurzem tilgten sie die Hypothekenschuld auf ihrem Eigentum und kauften weiteres Land.

Zweifellos schuldeten die Zoariten einen großen Teil ihres anfänglichen Erfolges der klugen Verwaltung ihres Führers, Josef Bäumeler. Bäumeler, der sich in späteren Jahren Bimeler schrieb, war ein Mann von geringer Bildung, aber von großer natürlicher Begabung. Er war sowohl das weltliche als auch das geistige Haupt der Gemeinde, hatte die Oberaufsicht über alle ihre Angelegenheiten, besorgte ihren ganzen Verkehr mit der Außenwelt und hielt am Sonntag den Zoariten Vorträge über Religion und alle nur denkbaren Gegenstände. Viele von diesen Vorträgen wurden gesammelt und nach seinem Tode gedruckt. Sie füllen drei schwere Oktavbände und wurden von seinen Anhängern hoch geschätzt.

Anfangs verboten die Zoariten die Ehe, aber nach zehn oder zwölf Jahren ehelosen Lebens kamen sie zu dem Schlusse, daß es für den Menschen nicht gut sei, allein zu sein, und nahmen das Verbot zurück.

Wie berichtet wird, war dieser Gesinnungswechsel in der Ehefrage dadurch verursacht, daß sich Josef Bäumeler, in schon ziemlich vorgeschrittenem Alter, in ein hübsches Mädchen verliebte, die ihm von Gemeinde wegen zur Bedienung zugewiesen war. Wie dem auch sein mag, Tatsache ist, daß der Leiter von Zoar als einer der ersten von dem neuen Privilegium Gebrauch machte.

Im Jahre 1832 erhielt die Gesellschaft nach den Gesetzen des Staates Ohio die Rechte einer Korporation, wobei sie den Namen »Gesellschaft der Separatisten von Zoar« annahm. Nach ihrer Verfassung war die Leitung der Angelegenheiten der Gesellschaft drei Treuhändern übertragen, welche die Aufseher für die verschiedenen Industrien ernannten und jedem Mitglied eine gewisse Arbeit zuwiesen, wobei sie stets Neigungen und Fähigkeiten des Mitglieds erwogen.

Sie hatten ein ständiges, aus fünf Mitgliedern bestehendes Schiedsgericht, vor das alle inneren Streitigkeiten gebracht wurden, und jährliche Dorfversammlungen, in denen alle volljährigen Mitglieder, männliche wie weibliche, stimmberechtigt waren.

Den Höhepunkt ihrer Entwicklung scheinen sie kurz nach der Verleihung der Korporationsrechte erreicht zu haben; damals überstieg ihre Mitgliederzahl 500.

1874 hatten sie, nach Nordhoff, noch ungefähr 300 Mitglieder und ein Vermögen von mehr als einer Million Dollars.

Solange die Gemeinde arm war und den harten Kampf ums Dasein kämpfte, herrschte volle Eintracht unter den Mitgliedern. Als sie aber beträchtlichen Reichtum erworben hatte, wuchs die Versuchung, so daß von Zeit zu Zeit unzufriedene Mitglieder Anstrengungen machten, die Auflösung der Gemeinde und eine Aufteilung ihres Eigentums herbeizuführen. So wurden 1851 und dann wieder 1862 bei den Gerichten von Ohio von seiten früherer Mitglieder Klagen auf Aufteilung anhängig gemacht; doch die Gerichte schützten die Gemeinde und wiesen die Klagen ab.

Die auf Auflösung der Gemeinde gerichtete Bewegung dauerte jedoch fort und gewann 1895 bedeutend an Kraft, als sie durch Levi Bimeler, einem Nachkommen des verehrten Gründers von Zoar und gleichfalls ein einflußreiches Mitglied der Gemeinde, unterstützt wurde. Die Verhandlungen dauerten drei Jahre lang und waren zeitweise hitzig und bitter, bis endlich auf der Jahresversammlung des Dorfes von 1898 der Antrag aus Auflösung durchging.

Unter allseitiger Zustimmung wurden drei Mitglieder als Kommissäre gewählt, um eine billige Teilung durchzuführen; die jedem Mitglied zuerkannte Summe betrug ungefähr 1500 Dollar.

4. Die Amanagemeinde.

Die Amanagemeinde ist von den noch vorhandenen kommunistischen Gemeinden an Mitgliederzahl die stärkste. Sie wurde von einer religiösen Sekte mit Namen »Gesellschaft von der wahren Erfüllung durch den Geist« gegründet; diese soll ihren Ursprung in Deutschland in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts gehabt haben. Das Hauptdogma ihres Bekenntnisses ist, daß Gott von Zeit zu Zeit noch immer gewisse Personen inspiriere, die auf diese Weise unmittelbare Werkzeuge seines Willens werden.

Zwischen 1820 und 1840 hatte sich eine große Zahl Gläubiger um die Haupt-»Werkzeuge« der Gesellschaft, Christian Metz und Barbara Heynemann, an einem Orte Deutschlands, namens Armenburg, gesammelt. Sie fanden in den benachbarten Fabriken Beschäftigung und ihre materielle Existenz schien ziemlich gesichert; doch machte die wachsende Verfolgung durch die Behörden ihren weiteren Aufenthalt in Armenburg unmöglich.

In dieser kritischen Zeit hatte Metz hintereinander zwei Eingebungen; die eine befahl ihm die ganze Gemeinde aus Deutschland fortzuführen, die andere wies auf die Vereinigten Staaten als die zukünftige Heimat der Inspirationisten hin.

Gegen das Ende des Jahres 1842 langte also Metz in Begleitung von vier anderen Kongregationsmitgliedern in New York an und kaufte ungefähr 5000 Acres Land in der Nähe von Buffalo. In den nächsten zwei Jahren stießen nicht weniger als 600 ihrer Brüder aus Deutschland zu ihnen, die sich auf dem von Metz erworbenen Lande niederließen und die Gemeinde Eben-Ezer bildeten.

Gleich den Zoariten beabsichtigten sie zu Beginn ihrer Auswanderung keineswegs die Gründung einer kommunistischen Niederlassung. Indes fanden sich unter ihren Mitgliedern einige, die an Fabrikarbeit gewöhnt waren und dem Leben eines Ackerbauers keinen Geschmack abgewinnen konnten. Um diese Mitglieder festzuhalten, mußten Werkstätten und Fabriken auf ihrem Landbesitz errichtet werden, was jedoch nur durch die gemeinsamen Anstrengungen und Mittel aller ausgeführt werden konnte.

»Wir wurden damals«, erzählt eines ihrer Mitglieder, »durch Eingebung angewiesen, unser ganzes Vermögen zusammenzulegen und in Gemeinschaft zu leben, und wir sahen bald, daß wir auf eine andere Weise nicht hätten vorwärts kommen oder zusammenbleiben können.« Angeführt in Nordhoffs » Communistic Societies«.

Ihre Mitgliederzahl wuchs schnell, und bald fanden sie, daß ihr Land den Bedürfnissen ihrer wachsenden Gemeinde nicht genüge.

Unter diesen Umständen ist es nicht zu verwundern, daß ihnen »durch Eingebung befohlen wurde, nach dem Westen zu ziehen«.

1855 kauften sie ungefähr 20 000 Acres Land in der Nähe von Davenport im Staate Iowa, und gründeten hier die Amanagemeinde, die noch heute existiert und blüht und deren ursprüngliche Bevölkerung sich mehr als verdoppelt hat. Gegenwärtig besteht die Gemeinde aus sieben selbständigen Dörfern mit insgesamt ungefähr 1800 Einwohnern. » Amana, a Study of Religious Communism«, von Richard T. Ely, in Harper's Monthly«, Oktober 1902.

Die Namen der Dörfer sind Amana, Ost-Amana, Mittel-Amana, Amana beim Berg, West-Amana, Süd-Amana und Homestead. Sie liegen ungefähr ein und eine halbe Meile voneinander; jedes hat sein besonderes Schulhaus, sein Lagerhaus, sein Wirtshaus, seine Läden und Fabriken. Jedes Dorf verwaltet seine Angelegenheiten selbst und führt eigene Rechnung. Die letztere wird jährlich zur Prüfung und Feststellung nach dem Hauptquartier in Amana geschickt. Die Werkmeister und Ältesten des Dorfes kommen jeden Tag zur Beratung zusammen, stellen die Arbeit für den nächsten Tag fest und weisen die Mitglieder den verschiedenen Arbeitszweigen je nach den Erfordernissen der Jahreszeit zu. Die Zentralverwaltung der Gemeinde ist 13 Treuhändern übertragen, die jährlich durch Abstimmung aller männlichen Mitglieder gewählt werden. Die Treuhänder wählen einen Vorsitzenden.

Jede Familie lebt in einem Hause für sich. Doch haben sie gemeinsame Speisesäle, gewöhnlich mehrere in jedem Dorfe, wo Männer und Frauen an verschiedenen Tischen speisen, um »alberne Unterhaltung und läppisches Benehmen zu verhindern«.

Zur Beschaffung von Kleidern wird jedem Mitglied der Gemeinde eine Summe ausgesetzt; der erwachsene Mann erhält 40 bis 100 Dollar jährlich, je nachdem seine Stellung und Beschäftigung mehr oder weniger Kleider nötig macht; für jedes erwachsene Weib beträgt das Jahresgeld 25 bis 30 Dollar und für Kinder 5 bis 10 Dollar.

Das Lagerhaus des Dorfes enthält alle Waren, die die Amaniten gebrauchen, und die Mitglieder können entnehmen, was ihnen gefällt. Die entnommenen Waren werden ihnen zu Lasten geschrieben, bis die Höhe des bewilligten Jahresgeldes erreicht ist. Bleibt einem Mitgliede ein Guthaben, so wird dieses für das nächste Jahr gutgeschrieben.

In ihren Schulen wenden sie den gewöhnlichen Fächern der Elementarbildung und dem Handarbeitsunterricht gleiche Aufmerksamkeit zu. Kinder im Alter von sieben bis vierzehn Jahren besuchen die Schule während des ganzen Jahres; solche von vierzehn bis zwanzig nur während des Winters. Sie kleiden und nähren sich einfach, aber gut und genießen fünf kräftige Mahlzeiten des Tages. Bei ihrer Arbeit sind sie sehr gemächlich und beschäftigen in der Erntezeit viele gemietete Hilfsarbeiter.

Sie verbieten die Ehe nicht, begünstigen sie aber ebensowenig. Es wird überliefert, daß sie sogar einmal ihr großes göttliches »Werkzeug«, Barbara Heynemann, aus der Gesellschaft ausstießen, »weil sie gar zu freundlich auf die jungen Männer blickte«.

Die Ehe ist nur mit Zustimmung der Treuhänder gestattet und wenn der Bräutigam das Alter von vierundzwanzig Jahren erreicht hat. Ihre Hochzeiten sind sehr düstere Zeremonien und ähneln ziemlich ihren Begräbnisfeierlichkeiten.

5. Bethel und Aurora.

Das Dorf Bethel im Kreise Shelby, Missouri, und das Dorf Aurora bei Portland, Oregon, sind Schwestergemeinden, die beide ihre Existenz dem Dr. Keil verdankten. Keil hatte einen ziemlich abwechslungsreichen Lebenslauf hinter sich. Im Jahre 1812 in Preußen geboren, trieb er das Geschäft eines Putzhändlers bis zu seiner Auswanderung nach den Vereinigten Staaten. Nach einem kurzen Aufenthalt in New York kam er nach Pittsburg, wo er sich für einen Arzt ausgab, »magnetische Kuren« machte und vorgab, der Besitzer eines wundersamen, mit Menschenblut geschriebenen Rezeptbuches zu sein. Im Alter von 30 Jahren vollzog sich ein plötzlicher Wandel mit ihm; er wurde religiös, verbrannte sein Buch und schloß sich der Methodistenkirche an, die er jedoch bald wieder verließ, um eine eigene Sekte zu gründen.

Er sammelte ein beträchtliches Gefolge einfacher Leute um sich, zumeist Deutsche und »pennsylvanische Holländer«. 1844 schloß sich ihm eine Zahl von Dissidenten aus Economy an, die von dem treulosen »Grafen de Leon« im Stiche gelassen worden waren.

In jener Zeit faßten Keil und seine Anhänger die Idee, eine kommunistische Niederlassung zu gründen. Sie kauften zu diesem Zwecke ungefähr 2500 Acres Land im Kreise Shelby, Missouri. Das war der Anfang von Bethel. Die Ansiedler scheinen über sehr geringe Mittel, dafür aber über einen unerschöpflichen Vorrat von Fleiß und Ausdauer verfügt zu haben. Nach einigen Jahren war der größere Teil ihres Landes in Kultur; sie bauten eine Wollspinnerei, eine Kornmühle, ein Sägewerk, verschiedene Werkstätten, eine Kirche und ein Hauptlagerhaus. Sie fügten ihrem Besitze mehr als 1500 Acres hinzu; die Regierung richtete für sie ein Postamt ein, und im Laufe von zehn Jahren entwickelte sich ihre Niederlassung zu einer Stadt mit einer Bevölkerung von beiläufig 650 Seelen.

Aber Keils ruheloser Geist trieb ihn zu neuen Experimenten. 1850 finden wir ihn an der Spitze von ungefähr 80 Siedlern aus Bethel auf dem Wege nach der Küste des Großen Ozeans, um billiges und fruchtbares Land zu suchen. Während des nächsten Jahres organisierte er die Gemeinde Aurora in Oregon. Die Mitgliederzahl der neuen Siedlung, die sich teils von außen rekrutierte, teils sich durch Auswanderung von Bethel vermehrte, stieg bald auf ungefähr 400. Sie erwarben über 18 000 Acres Land in verschiedenen Bezirken von Oregon, richteten fast alle in Bethel betriebenen Industrien gleichfalls ein, und unternahmen außerdem die Obstkultur und das Dörren von Früchten in großem Maßstabe.

Die Verwaltungsformen und die Lebensweise waren in beiden Gemeinden fast dieselben. Keil war in beiden Präsident und wurde in der Verwaltung jedes Dorfes von einem Ausschuß von Treuhändern unterstützt. Bis 1872 stand alles Eigentum in Bethel und Aurora ungeteilt auf dem Namen Dr. Keils; in diesem Jahre aber teilte er das Land und gab jedem erwachsenen Mitglied eine Eigentumsurkunde über einen Anteil. Die Teilung war jedoch eine reine Formsache; die Verwaltung der Dörfer blieb, wie früher, rein kommunistisch.

Den Mitgliedern stand es frei, sich die Beschäftigung zu wählen und nach Wunsch zu ändern. Sie hatten weder regelmäßige Arbeitsstunden, noch eine wirkliche Kontrolle. Ihre Vorarbeiter und Aufseher wurden auf dem Wege natürlicher Auslese herangebildet.

Sie duldeten nicht nur die Ehe, sondern förderten sie und führten ein strenges Familienleben.

Jede Familie hatte ihr eigenes Haus und erhielt eine für ihre Bedürfnisse genügende Anzahl von Schweinen und Kühen. Mehl und andere Nahrungsmittel wurden von der Gemeinde in jeder gewünschten Menge geliefert; Kleider sowie andere Waren, die in dem Hauptlagerhaus enthalten waren, wurden den Mitgliedern auf Verlangen ausgefolgt. Sie führten über ihre Geschäfte mit Außenstehenden Rechnung, hatten aber keine Aufzeichnungen über Geschäfte zwischen der Gemeinde und ihren Mitgliedern.

Ihr Leben war außerordentlich friedlich und ihre Geschichte weist keine beunruhigenden und aufregenden Ereignisse auf. Sie hatten nur wenig Zuwachs von außen, verstanden es aber ziemlich gut, ihre Mitglieder festzuhalten. Von Zeit zu Zeit sprach wohl einmal ein Mitglied den Wunsch aus, sie zu verlassen; in solchen Fällen gaben sie ihm seinen billigen Anteil in Besitz oder in bar und gestatteten ihm zu scheiden.

Von allen religiösen Gemeinden hatten Bethel und Aurora die lockerste Organisationsform; sie wurden hauptsächlich durch den persönlichen Einfluß ihres Stifters zusammengehalten und zerfielen bald nach seinem Tode. Dr. Keil starb 1877, Bethel löste sich 1880 auf, Aurora im Jahre 1881.

6. Die Gemeinde Oneida.

Der erste Geschichtschreiber des Kommunismus in den Vereinigten Staaten war selbst Begründer einer der bemerkenswertesten kommunistischen Gesellschaften. Die Gemeinde Oneida war die Schöpfung John Humphrey Noyes'.

Noyes wurde geboren in Brattleboro, Vt., im Jahre 1811. Er absolvierte Dartmouth College und widmete sich anfänglich dem Studium der Rechtswissenschaft, wandte sich aber bald der Theologie zu und besuchte Unterrichtskurse in Andover und Yale. Während seiner theologischen Studien entwickelte er eine Reihe von religiösen Lehren, welche später den Namen Perfektionismus erhielten.

1834 kehrte er nach Putney, Vt., dem Wohnorte seiner Eltern, zurück und sammelte nach und nach einen kleinen Kreis von Anhängern um sich. Seine ersten beständigen Jünger waren seine Mutter, zwei Schwestern und ein Bruder; dann kamen seine und seines Bruders Frau und die Gatten seiner Schwestern, und ihnen folgten andere, bis er im Jahre 1847 ungefähr vierzig Schüler zählte.

Die Bewegung war zuerst rein religiös, und die Perfektionisten hegten keine Sympathie für den Sozialismus. Aber die Ausbildung ihrer religiösen Lehrsätze im Verein mit der Lektüre des »Vorboten« ( Harbinger) und anderer fourieristischen Schriften führte sie nach und nach zum Kommunismus; 1848 gründeten sie eine kommunistische Niederlassung in Oneida im Staate New York.

In den ersten Jahren der Unternehmung hatten sie mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen und nur armselige Erfolge. Noyes und seine Anhänger, von denen die meisten begütert gewesen zu sein scheinen, hatten bis zum 1. Januar 1857 über 107 000 Dollar in das Unternehmen hineingesteckt, und die erste am genannten Tage in der Gemeinde vorgenommene Inventur wies Gesamtaktiva im Werte von wenig über 67 000 Dollar und einen reinen Verlust von ungefähr 40 000 Dollar auf.

Doch hatten sie in dieser Zeit wertvolle Erfahrungen gesammelt und ihre industriellen Betriebe auf einer leistungsfähigen und vorteilhaften Grundlage organisiert. Sie fabrizierten stählerne Fallen, Reisesäcke und Taschen, eingemachte Früchte und beschäftigten sich auch mit Seidenfabrikation. Was immer sie unternahmen, führten sie sorgfältig und gründlich durch, und ihre Waren erwarben sich bald einen guten Ruf aus dem Markte.

Ihre Inventur für das Jahr 1857 zeigte zum erstenmal einen kleinen Reingewinn; während der folgenden zehn Jahre überschritt ihr Gewinn die Summe von 180 000 Dollar.

In der Zwischenzeit kauften sie mehr Land und gewannen neue Mitglieder. Im Jahre 1874 gehörten ihnen rund 900 Acres Land, und ihre Mitgliedschaft bestand aus ungefähr 300 Personen.

Ursprünglich hatten sie mehrere Gemeinden, aber im Jahre 1857 vereinigten sie alle ihre Mitglieder in Oneida und Wallingford, Connecticut.

Die Oneidagemeinde war die einzige bedeutende Sektierergemeinde rein amerikanischen Ursprunges. Der Hauptteil der Mitglieder bestand aus Bauern und Handwerkern aus Neu-England; doch hatten sie in ihren Reihen auch eine große Zahl von Männern der gelehrten Berufe, wie Ärzte, Advokaten, Priester, Lehrer usw., und der Stand ihrer Bildung und Erziehung war erheblich über dem Durchschnitt.

Ihre Angelegenheiten wurden von einundzwanzig ständigen Ausschüssen verwaltet; außerdem hatten sie achtundvierzig Vorstände für die verschiedenen Industrieabteilungen. Ungeachtet der offenbaren Kompliziertheit des Systems war die Verfassung durchaus demokratisch und bewährte sich.

Besonders charakteristisch für die Perfektionisten waren ihre religiösen Lehren, ihre Ansichten über die Ehe, ihre Literatur und die Einrichtung der »gegenseitigen Kritik«.

Sie glaubten, daß die zweite Ankunft Christi zur Zeit der Zerstörung Jerusalems und mit ihr damals eine erste Auferstehung und ein erstes Gericht in der Geisterwelt stattgefunden hätten; daß das letzte Reich Gottes damals im Himmel begonnen hätte, und daß die Offenbarung dieses Reiches in der sichtbaren Welt jetzt heranrücke; daß eine Kirche auf Erden entstände, um sich mit dem nahenden himmlischen Reiche zu vereinen; daß das Bindeglied zwischen diesen zwei Kirchen die Inspiration oder der Verkehr mit Gott sei, der zu vollkommener Heiligkeit – vollständiger Sündenerlösung – führe; daher ihr Name Perfektionisten.

Die folgende Definition des Perfektionismus zitiert Nordhoff, als von einem Gläubigen herstammend.

»Wie die Lehre der Temperenz gänzliche Enthaltung von alkoholischen Getränken, die Lehre der Antisklaverei sofortige Abschaffung menschlicher Knechtschaft bedeutet, so ist die Lehre des Perfektionismus sofortiges und gänzliches Aufhören der Sünde.«

Ihre kommunistischen Theorien erstreckten sich sowohl auf Personen als auch auf Sachen; sie wiesen daher die Einehe ebenso entschieden zurück, wie den Alleinbesitz von Eigentum.

Ihre Ehe war eine Kombination von Polygamie und Polyandrie. Innerhalb der Gemeinde wurden alle Männer als die Gatten aller Frauen betrachtet; beide Geschlechter wohnten einander ohne Unterschied bei. Jedoch waren die Mitglieder nicht gezwungen, die Aufmerksamkeit derer entgegenzunehmen, die ihnen nicht gefielen.

Sie behaupteten, die Erzeugung von Kindern auf wissenschaftlicher Grundlage zu leiten, indem sie vorzugsweise die Jungen des einen Geschlechtes mit den Alten des anderen paarten. Sie nannten dieses System das »zusammengesetzte Ehesystem«.

Mit großer Entschiedenheit wiesen sie den Vorwurf der Lüsternheit von sich ab und verlangten »Heiligkeit des Herzens«, ehe sie »Freiheit in der Liebe« gestatteten.

Die Kinder wurden in der Obhut ihrer Mütter belassen, bis sie entwöhnt waren, wonach sie in der allgemeinen Pflegeanstalt unter der Obhut besonderer Kinderwärterinnen untergebracht wurden. Außerhalb stehende Beobachter bezeugten, daß es eine lustige Kinderschar von gesundem Aussehen gewesen sei.

Sie unterhielten vorzügliche Schulen und schickten viele ihrer jungen Leute auf die Universität, um sie für solche gelehrte Berufe auszubilden, deren sie in ihrer Gemeinde bedurften.

Zwecks Verbreitung ihrer Ideen gaben sie eine Anzahl Bücher und Zeitschriften heraus, unter denen die bestbekannte das »Oneida-Zirkular« war. Diese Wochenschrift war in vorzüglichem Stil geschrieben und wurde unter den folgenden eigenartigen Bedingungen herausgegeben, die am Anfang ihrer Spalten gedruckt standen.

»Dieses Zirkular wird allen Bestellern zugesendet, ob sie zahlen oder nicht. Es kostet und hat einen Wert von mindestens zwei Dollar pro Band. Man kann die, die es gerne haben möchten und haben sollten, in drei Klassen teilen, nämlich: 1. solche, die zwei Dollar nicht bezahlen können, 2. solche, die nur zwei Dollar bezahlen können; und 3. solche, die mehr als zwei Dollar bezahlen können und bezahlen. Die ersteren sollen es frei haben; die zweiten sollen die Kosten desselben bezahlen; die dritten sollen soviel mehr bezahlen, als die Kosten, daß mit dem Überschuß das Defizit der ersten Gruppe gedeckt wird. Das ist das Gesetz des Kommunismus.«

Die »gegenseitige Kritik« soll Noyes in seiner Hochschulzeit erfunden haben. Sie wurde eine höchst bedeutungsvolle Einrichtung in der Oneidagemeinde gleich von Anfang ihres Bestehens an. Sie ersetzte die Untersuchungen und Strafen und galt den Perfektionisten nicht nur als wirksames Zuchtmittel gegen alle moralischen Mängel, sondern auch als Heilmittel für eine Menge physischer Uebel.

Die Kritik wurde in einigen Fällen ohne Ansuchen der betreffenden Person, öfter aber auf ihren eigenen Wunsch angewendet. Das Mitglied wurde bisweilen von der gesamten Gesellschaft, bisweilen von einem Komitee kritisiert, das aus seinen besten Bekannten gewählt wurde.

Kurz gesagt, die Prozedur bestand darin, daß jedes Komiteemitglied der kritisierten Person seine Meinung sagte, und zwar recht deutlich, und die heilsame Wirkung dieser »gegenseitigen Kritik« bestand, wie man annahm, darin, daß die verborgenen Fehler des Betreffenden enthüllt und dadurch geheilt wurden.

Nordhoff, welcher das Glück hatte, einer solchen Kritik beizuwohnen, gibt einen erheiternden Bericht davon, den wir im wesentlichen wiedergeben.

An einem Sonntag nachmittag stellte sich ein junger Mann, den wir Charles nennen wollen, der Kritik. Ein fünfzehngliedriges Kritikkomitee mit Mr. Noyes versammelte sich in einem Zimmer und die Prozedur begann mit der Frage Mr. Noyes', ob Charles irgend etwas zu sagen hätte. Charles erklärte, er sei in jüngster Zeit von Zweifeln gequält worden, sein Glaube werde schwächer, und er hätte hart zu ringen gehabt, um den bösen Geist in sich zu bekämpfen. Daraufhin sprachen sich die anwesenden Männer und Frauen der Reihe nach aus. Der eine machte die Bemerkung, Charles sei durch sein Glück verdorben worden, er sei ein wenig eingebildet; ein anderer fügte hinzu: Charles nähme keine Rücksicht auf das, was sich in der Gesellschaft schicke, er hätte, wie er neulich gehört habe, ein Beefsteak als zäh getadelt, und gewöhne sich Slangausdrücke an. Darauf beteiligten sich auch die Frauen an der Kritik. Die eine bemerkte, Charles sei hochmütig und anmaßend. Die andere fügte hinzu, er »sähe die Personen an« und zeige seine Vorliebe für gewisse Leute zu offenkundig, indem er ihnen vor aller Welt Kosenamen gebe. Die dritte kritisierte sein Benehmen bei Tisch. Je weiter die Kritik fortschritt, desto mehr häuften sich die Vorwürfe. Man erklärte, Charles habe Anzeichen von Ungläubigkeit und Unaufrichtigkeit an den Tag gelegt und gab allgemein der Hoffnung Ausdruck, daß er seine Irrungen einsehen und sich ändern werde. Während dieses Gerichtes, das über eine halbe Stunde dauerte, saß Charles sprachlos da; als sich aber die Anklagen vervielfachten, erblaßte er, und große Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Die Kritik seiner Genossen hatte offenbar einen tiefen Eindruck auf den jungen Menschen gemacht.

Diese offenherzigen Verhandlungen scheinen unter den Mitgliedern nie Unfrieden hervorgerufen zu haben. Die Geschichte der Oneidagemeinde zeigt uns keinerlei Zwistigkeiten; vollkommene Eintracht herrschte jederzeit, und nur ein einziges Mitglied wurde von ihnen ausgeschlossen.

Die Gemeinde bestand und gedieh mehr als dreißig Jahre lang; aber die öffentliche Meinung, aufgehetzt durch den Klerus der Nachbarschaft, wandte sich schließlich so bestimmt gegen das »zusammengesetzte Ehesystem«, daß es die Perfektionisten für geraten hielten, diese eigenartige Einrichtung auszugeben.

Dies war das Zeichen für die Auflösung der Oneidagemeinde als kommunistischer Gesellschaft. Noyes selbst, von einigen getreuen Anhängern begleitet, wandte sich nach Kanada, wo er 1886 starb. Der Rest der Gemeinde erwarb im Jahre 1880 als Aktiengesellschaft unter dem Namen »Oneidagemeinde, G. m. b. H.« Körperschaftsrechte.

Die Gesellschaft besitzt derzeit Eigentum von rund einer Million Dollar. Die früher von der Gemeinde betriebenen Industriezweige wurden alle beibehalten. Die Anteile der Mitglieder an dem Eigentum der Körperschaft werden durch ihren Aktienbesitz repräsentiert; die einzigen genossenschaftlichen Einrichtungen, die sie beibehielten, sind die gemeinsame Bibliothek, der gemeinsame Lesesaal, die gemeinsame Wäscherei und die gemeinsamen Anlagen.


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