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Von H. Lindemann
Um die Geschichte des Sozialismus in Frankreich in der zweiten Hälfte des siebzehnten und im achtzehnten Jahrhundert verstehen zu können, ist es notwendig, ins sechzehnte Jahrhundert zurückzugehen und in großen Zügen die Entwicklung der modernen Industrie zu verfolgen, die Geschichte der arbeitenden Klassen, der Bauern und Handwerker zu erzählen und den philosophischen, politischen und religiösen Gedankeninhalt dieser Periode aufzuzeigen. Der Sozialismus eines Vairasse zum Beispiel, um im siebzehnten Jahrhundert zu bleiben, ist nach seiner ökonomischen Seite auf dem Boden der sich entwickelnden Manufaktur, nach seiner moral- und rechtsphilosophischen auf dem des Kalvinismus gewachsen; der Kommunismus Mesliers hat sich aus der Kenntnis der Lage der Bauern und ihrer alten Hausgemeinschaften entwickelt. Es ist nicht möglich, diesen und anderen Männern ihre Stellung in der Geschichte der Geistesentwicklung Frankreichs anzuweisen, ohne den wichtigsten Fäden, die aus dem großen Gewebe der Kultur dieses Landes herausschießen und sich in ihnen wie in den hervortretenden Blumen eines Musters verknüpfen, wenigstens eine Strecke lang nachzutasten.
In Frankreich ist das Königtum der Träger der Zentralisation und der mächtige Förderer des modernen Staates gewesen. Es sind die Könige, die im Kampfe mit den Feudalherren im dreizehnten Jahrhundert zunächst den Hörigen ihrer Besitzungen durch Umwandlung der Leibeigenschaft in Halb- oder Ganzfreiheit bedeutende Erleichterungen verschaffen, dann auch durch ihren übermächtigen Einfluß den Eigenen der feudalen Herrschaften dieselben Vorteile zuwenden; es sind die Könige, die den Kampf gegen die Zünfte und ihre Exklusivität führen, sie sich unterwerfen und durch den Verkauf von Meisterbriefen eine Art von Gewerbefreiheit schaffen; es sind die Könige, die im Kampfe mit der Geistlichkeit und dem Adel die schamlose Plünderung der Stiftungen für die Armenpflege durch ihre Edikte zu verhindern und die reichen Einkünfte ihren rechtmäßigen Zwecken, der Unterstützung der arbeitenden Klasse, wieder zuzuwenden streben. Die Motive, welche das Königtum in diesen Kämpfen bewegten, waren allerdings meist egoistischer Natur. Sein eigenstes Interesse veranlaßte es, die politische Macht des Feudaladels zu brechen und ihn in einen Hofadel zu verwandeln, wobei die ökonomische Entwicklung, welche den Schwerpunkt nach den Städten verlegte, es nachdrücklich unterstützte. Gründe finanzpolitischer Art, die Rücksicht auf die neue, sich erhebende Klasse der Industriellen, die Feindschaft gegen jede unabhängige organisierte Macht waren die Ursachen seines Kampfes gegen die Zünfte. Auch in der von ihm angestrebten Regelung der Armenpflege treten die sein Verhalten bestimmenden Interessen deutlich hervor. Sie ist zunächst ein Vorstoß gegen die finanzielle Macht des Adels und des sich aus ihm rekrutierenden und mit ihm verbündeten höheren Klerus, welche die reichen Geldmittel zu ihren Zwecken benutzten. Zugleich aber war sie von der Rücksicht auf die Bourgeoisie der großen Städte diktiert. Das Zusammenfließen des bettelnden, der Unterstützung der Stiftungen beraubten Proletariats des flachen Landes in jene steigerte die Steuerlast für das Armenwesen rapid und erweckte den Unwillen der besitzenden Klasse. Auf sie aber pflegte sich das Königtum in seinem Kampfe gegen den Adel zu stützen, und auf ihre Interessen mußte daher weitgehend Rücksicht genommen werden. So heißt es in der Einleitung des Ediktes vom 15. Januar 1545: »Da wir gebührend davon unterrichtet werden, daß die in unserem Königreich gegründeten Armenhospitäler bisher schlecht verwaltet wurden und noch von Tag zu Tag schlechter geleitet werden, sowohl durch ihre Verwalter wie die Prälaten unseres Königreichs und andere, die ihr Auge auf dieselben haben müßten, die alle sich bemüht haben und noch täglich bemühen, die Einkünfte der genannten Hospitäler für sich oder ihre Diener zu verwenden und sie zu ihrem Eigentum zu machen ..., und was noch mehr ist, die Gebäude der genannten Hospitäler zerfallen und Ruinen werden lassen, und sich nur darum kümmern, ihre Einkünfte an sich zu nehmen und den Namen Hospital auszulöschen und abzuschaffen, um für immer über das Einkommen nach ihrem Willen und ihrer Laune verfügen zu können, woraus verschiedene Übelstände gefolgt sind, sogar, daß die Bewohner der Städte unseres Königreichs ... gezwungen wurden, sich zum Unterhalt der armen Bettler zu besteuern, die doch von den genannten Hospitälern und Wohltätigkeitsanstalten genährt und unterhalten werden sollten ...« Noch klarer in der Ordonnanz Heinrichs III., Artikel 65, Mai 1579: »... Und sollen in Zukunft zu Kommissären für die Leitung und Verwaltung der Einkünfte und Revenuen genannter Krankenhäuser und Hospitäler nur einfache Bourgeois, Kaufleute und Arbeiter und nicht Geistliche, Edelleute, Archers, öffentliche Beamte, ihre Untergebenen oder von ihnen vorgeschobene Leute eingesetzt werden.« – Vergl. über die Armengesetzgebung A. Monnier, Histoire de l'Assistance, Paris 1856. Diese gewaltigen Kämpfe, die sich durch Jahrhunderte hindurchziehen, endigten durchaus nicht mit einem absoluten Siege des Königtums: es ist der Kompromiß, der das Ancien régime auch unter Ludwig XIV. charakterisiert.
Zwei neue Momente, die Manufaktur und die Reformation treten im sechzehnten Jahrhundert in die französische Geschichte ein, das eine durch die Könige von Italien importiert und ihre mächtige Stütze im Kampfe gegen die feudalen Stände, das andere dem Königtum und seiner Zentralisation feindlich und von ihm bis zur Vernichtung bekämpft. Die Geschichte der Manufaktur und ihres umgestaltenden Einflusses auf die feudale Gesellschaft werden wir in einem späteren Kapitel zu verfolgen haben; hier ist die Stelle, mit einigen Worten des französischen Kalvinismus und der Religionskriege des sechzehnten Jahrhunderts zu gedenken. Unter Franz I. und Heinrich II. hatte die Reformation nur unter der niedrigen Bevölkerung ( peuple) der Städte Fortschritte gemacht, wie die von Crespin aufgestellte Liste der Märtyrer beweist, unter denen sich innerhalb eines Zeitraums von vierzig Jahren nur zwei Landleute und drei Adlige befinden. »Nur törichte Leute in geringen Verhältnissen wagten es, öffentlich von der genannten Häresie und angeblichen Religion zu sprechen und sie auszuüben, wie Schuhmacher, Schneider und andere Handwerker.« Claude Haton, I, 81, zitiert bei Weill, Les théories sur le pouvoir royal en France, Paris 1891, S. 62. Es ist dieser demokratische Charakter, der, wie in Deutschland, so auch in Frankreich, anfänglich die Reformation auszeichnet, der aber in beiden Ländern sehr schnell wieder verlorengeht und sehr bald einem durchaus volksfeindlichen Platz macht. In der kirchlichen Verfassung des französischen Kalvinismus kommt er in der ersten Zeit in der Unabhängigkeit der einzelnen Gemeinden und der freien Priesterwahl durch sie zum Ausdruck, findet aber nur zu bald ein oligarchisches Korrektiv in der bald befolgten Wahlmethode der Kooptation. Polenz, Geschichte des französischen Kalvinismus, Gotha 1857 usw., II, 1, S. 593 ff. Schönen Ausdruck hat diesem egalitären Gedanken Estienne de la Boëtie in seiner berühmten Schrift » De la servitude volontaire« gegeben: »Aber sicherlich, wenn es etwas Klares und Offenbares in der Natur gibt; etwas, demgegenüber man sich nicht blind stellen kann, so ist es dies, daß die Natur, die Dienerin Gottes und die Regiererin des Menschen, uns allen dieselbe Gestalt gegeben und, wie es scheint, nach demselben Muster gemacht hat, damit wir uns als Genossen oder vielmehr als Brüder untereinander erkennen. Und wenn sie bei der Verteilung der Geschenke, die sie uns gab, den einen mehr als den anderen mit Vorzügen, sei es des Geistes, sei es des Körpers, ausgestattet hat, so hat sie uns doch nicht in diese Welt wie in ein Schlachtfeld setzen wollen, und hat nicht die Stärksten und Klügsten wie bewaffnete Krieger in sie wie in einen Wald geschickt, um dort die Schwächsten zu verzehren. Sondern man muß vielmehr glauben, daß sie, dem einen die Anteile größer, dem anderen kleiner zumessend, Platz für die Anwendung brüderlicher Zuneigung hat machen wollen, wenn die einen imstande sind zu helfen, die anderen Hilfe zu empfangen bedürftig sind. Da dann diese gute Mutter uns allen die ganze Erde zur Wohnung gegeben, uns sozusagen in dasselbe Haus einquartiert hat, so hat sie uns auch alle gleich gebildet, damit ein jeder sich in dem anderen spiegeln und wiedererkennen könne; wenn sie uns ferner allen gemeinsam das große Geschenk der Stimme und der Worte gemacht hat, um uns einander zu nähern und noch mehr zu verbrüdern und durch die gemeinsame und gegenseitige Erklärung unserer Gedanken eine Gemeinschaft unserer Willen zu stiften; wenn sie mit allen Mitteln bestrebt gewesen ist, den Knoten unserer Allianz und Gesellschaft zu knüpfen und fester zu schlingen; wenn sie in allem gezeigt hat, daß sie uns nicht so sehr vereinigt, als eins hat machen wollen, so darf man nicht daran zweifeln, daß wir alle von Natur frei sind, da wir alle Genossen ( compagnons) sind, und kann es niemand beifallen, zu glauben, daß die Natur jemand in die Knechtschaft ( servitude) gesetzt habe, da sie uns vielmehr alle in Genossenschaft ( compagnie) gesetzt hat.« Oeuvres complètes d'Estienne de la Boëtie par L. Feugère, Paris 1846: De la servitude volontaire, S. 26 und 27. Im allgemeinen ist aber der Kalvinismus eine Bewegung, in der die Aristokratie Gut ist das Ziel der kalvinistischen Aristokratie gekennzeichnet von Du Cellier, Histoire des classes laborieuses en France, Paris 1860, S. 210: »Die Gewissensfreiheit hatte für sie das Recht im Gefolge, die Klöster, die von ihren Domänen eingeschlossenen geistlichen Lehen zu zerstören, für ihren Vorteil die Zehnten zu konfiszieren und die religiöse Leitung ihrer Gerichtssassen zu erobern.« und höhere eigentliche Bourgeoisie herrschen; so ausgesprochen demokratische Ideen, wie sie La Boëtie ausspricht, kehren nur in außerordentlich wenig Schriften und Pamphleten wieder. Die Mémoires de Condé erwähnen, daß nach 1563 im niedrigen Volke neue Predigten gehalten worden seien, und daß man zum Beispiel in Châlon-sur-Saône davon gesprochen hätte, die drei Ungeziefer: Adel, Geistlichkeit und Richter zum Lande hinauszuwerfen. Mémoires de Condé, IV, S. 392, zitiert bei Weill, Les théories etc., S. 71. Noch klarer ist diese demokratische Unterströmung bezeugt durch eine äußerst interessante Schrift aus dem Jahre 1568: Avertissement à la noblesse tant du parti du roi que des rebelles et conjurés, Lyon. Weill, Les théories etc., S. 75. Der Autor derselben weist darauf hin, daß die Interessen des Adels und des Königs aufs engste miteinander verbunden seien: »Denken wir daran – und das ist sehr sicher, und die Erfahrung macht uns jetzt schon nur zu klug –, daß dem König der Gehorsam von seinen Untertanen nicht versagt werden kann, ohne daß die unsrigen es uns ebenso machen.« Die Geistlichen, heißt es weiter, haben nur Antipathien für die feudale Klasse und treiben die Landleute zur Zerstörung der Häuser der Feudalherren an. Sie sagen, daß durch das Gesetz der Gnade und nach der Reinheit des Evangeliums alle Personen frei und gleich sind, und daß man in der Schrift nichts von Edelleuten liest.
Schon seit dem Ende der Regierung Heinrichs II. (1559) verschiebt sich der Schwerpunkt des Kalvinismus von den kleinen Handwerkern der Städte zum Landadel und der eigentlichen Bourgeoisie. Der Adel sah in ihm ein Mittel in dem Kampfe, den er mit dem Königtum für die Herrschaft der Feudalität führte; die Bourgeoisie, deren Scheidung von den Kleinhandwerkern in diesem Jahrhundert sich vollendet, Wie klar die Abscheidung des » Peuple« in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts bereits von einigen Köpfen erkannt wird, beweist folgender Vorfall. In der Provence waren die Tailles Grundsteuern gewesen, aber nach der Vereinigung derselben mit Frankreich (1471) waren sie allmählich persönlich geworden. Die unmittelbare Folge dieser Änderung war die Steuerfreiheit des Adels und der Magistratur und ein rapides Anwachsen des Elends des Volkes. Da ein zweites Edikt gegen diese Mißbräuche ebenso wie das erste seines Vaters, Franz I., von 1534, ohne Erfolg geblieben war, zog Heinrich II. die Sache vor seinen Richterstuhl zur Entscheidung. In den Verhandlungen trat nun die tiefe, mitleidslose Verachtung der drei Stände für das Volk aufs deutlichste hervor. Riaut, der Redner des » commun populaire«, bemerkte darauf, ihm erscheine hier das Volk wie ein vierter Stand, den die drei anderen verstoßen hätten. Vergl. Bonnemère«, Histoire des paysans, Paris 1856,1, S. 489. schloß sich ihm an, weil sie in der die kirchliche Autorität bekämpfenden Lehre etwas ihrer historischen Aufgabe Kongeniales herausfühlte. Hotoman, Languet und den anderen kalvinistischen Publizisten stellte sich daher auch die Nation nur in der Aristokratie dar, und sie erklären, daß das Volk durch die Magistratspersonen, Reichsversammlungen, die Patrizier und Parlamentsmitglieder vertreten werde, die in ihrer Gesamtheit über dem König stehen. Polenz, Geschichte des französischen Kalvinismus, II, 2, S. 203. Auch in den Staatsrechtstheorien des Kalvinismus, der übrigens wie ein Staat im Staate, wie eine Art aristokratischer Republik in der Monarchie organisiert war und seine Machtstellung erst unter Richelieu verlor, tritt diese souveräne Verachtung des Volkes deutlich genug hervor. Eine der wichtigsten Fragen, mit denen sich die kalvinistischen Publizisten beschäftigten, war die Frage nach der Berechtigung zur Rebellion gegen einen Tyrannen. Wie, fragt zum Beispiel Beza, wenn der Herr uns Fürsten gegeben hat, welche entweder mit offenbarer Grausamkeit oder in krasser Unwissenheit Christi Reich bekämpfen? – und antwortet darauf, daß dann die Kirche vor allem zum Gebet, zu Tränen und zur Buße, als den Waffen der Gläubigen, ihre Zuflucht zu nehmen habe, die Unterobrigkeit aber unterdessen mit höchster Besonnenheit und Mäßigung, jedoch standhaft und mutig die wahre Religion, soviel an ihr liegt, beschützen müßte, wovon Magdeburg ein so ruhmvolles Beispiel gegeben habe. Beza, Tract. theol. T. 126, ed. secunda. 1582, zitiert bei Polenz, Gesch., II, 2, S. 52. Ebenso entschieden spricht Languet sich dahin aus, daß nicht jeder beliebige Privatmann, wenn Tyrannei ein Volk bedränge, die Untertanen zu den Waffen rufen und den Fürsten bekämpfen könne. Languet, Vindiciae contra tyrannos, Amsterdam 1660, S. 286 und 287. Dieselbe Ansicht auch in der Magdeburger Schrift von 1530. Dies Recht stehe nur der Unterobrigkeit, nicht aber dem Volke zu. Die Souveränität liegt hier also nicht beim ganzen Volke, sondern nur bei den privilegierten Ständen desselben. Mit Notwendigkeit ergibt sich daraus der weitere Satz des kalvinistischen Staatsrechts, daß Frankreich kein Erbreich, sondern ein Wahlkönigtum und daher das königliche Regiment nichts anderes als eine lebenslängliche obrigkeitliche Würde sei.
Denselben aristokratischen Charakter wie der Kalvinismus trägt der angeblich zum Schutze der katholischen Religion vom katholischen Adel ins Leben gerufene Bund, die Liga von 1576. In einem Manifest, das in der Pikardie, der Wiege derselben, redigiert und fast ohne Modifikation im übrigen Frankreich angenommen wurde, heißt es, daß man sich vorgenommen habe, »den Provinzen die alten Rechte, Privilegien und Freiheiten, wie sie zu der Zeit des ersten christlichen Königs Clovis existierten, wieder zu verschaffen und noch bessere und vorteilhaftere dazu«. Weill, Les théories etc., S. 141. Nichts ist verkehrter als die Behauptung, daß die Liga sich die Verteidigung der Einheit Frankreichs zur Aufgabe gemacht hätte; das Ziel der Guisen ebenso wie der protestantischen und katholischen Feudalherren war die Selbständigkeit und Unabhängigkeit ihrer Besitzungen von der zentralen königlichen Gewalt. Hatten in dieser Liga von Péronne die Edelleute die Oberhand und die Städte sich nicht an derselben beteiligt, so ergriff im Jahre 1585 die ligistische Bewegung auch die letzteren, unter ihnen besonders Paris. Die Bourgeoisie in Paris, mit der Arbeiterklasse verbündet, erhob mächtig ihr Haupt und gewann den aristokratischen Elementen gegenüber für eine Zeit die Oberhand. In dem Maße, wie in die königliche Gewalt durch die Parteien Bresche geschossen wurde und sie sich als untauglich erwies, die politische und administrative Zentralisation aufrechtzuhalten, emanzipierten sich die Bourgeoisien der Provinzen; ihre Magistrate versuchten die vergessenen Traditionen des zwölften Jahrhunderts wieder aufleben zu lassen und die großen Städte, in denen sie herrschten, in unabhängige Republiken zu verwandeln. Zu gleicher Zeit aber regte es sich auch im Volke, unter den Bauern und den Kleinhandwerkern. Die beispiellose Agitation, die die Liga in Verbindung mit der katholischen Kirche nach dem Tode des Herzogs von Anjou, als damit die Nachfolge des kalvinistischen Heinrichs von Bearn wahrscheinlich wurde, gerade unter diesen Klassen betrieb, mußte unter ihnen eine gewaltige Unruhe und eine Bewegung erzeugen, die an vielen Stellen über die beabsichtigten Grenzen hinausging, sich der Leitung ihrer Anstifter entzog und zu selbständigem Handeln vorwärts schritt. Was kümmern das Volk die unter religiösen Vorwänden gefochtenen Kämpfe der privilegierten Stände mit dem Königtum? – das ist der Gedanke, der das niedere Volk bewegt und in einer Reihe von Pamphleten zum Ausdruck kommt. So heißt es zum Beispiel in einer solchen Schrift ( Discours sur la comparaison et élection des deux parties qui sont pour le jourd'hui au ce royaume): Zitiert bei Weill, Les théories etc., S. 204. »Was soll sich das arme und unglückliche Volk darum kümmern, was für eine Religion herrscht, wofern es nur nicht eine solche ist, die lehrt, es bis auf die Knochen zu verzehren? Was sich zeigt, ist nur ein Gewirr einander entgegengesetzter und feindlicher, ehrgeiziger Parteien, die sich versammelt haben, um einen Bissen zu verschlingen, der sie ersticken sollte.« Die Ermordung König Heinrichs III. – er fiel 1589 unter dem Messer eines fanatischen Dominikaners, Jakob Clément – trug noch dazu bei, die Verwirrung zu vergrößern. Ein großer Teil des Adels, so schildert D'Ossat den Einfluß der Liga, will keinen König haben: »Alle großen Edelleute wollen seine Rolle spielen. Das Volk will weder von Souverän noch Adel etwas wissen und erkennt weder Fürst noch Edelmann an. Bis zu den geringsten Bewohnern des Landes wollen sich alle ihrer Herrschaft entziehen.« D'Ossat, Discours sur les effets de la ligue en France, cité par Frémy, Diplomates du temps de la ligue, 2. Auflage, S. 134 und 135.
Mit der Thronbesteigung Heinrichs IV. erleidet die Politik der Kalvinisten eine totale Änderung. Sie schließen sich zum Schutze der königlichen Macht zusammen, die in ihren Reihen jetzt ebenso begeisterte Verteidiger wie früher Angreifer fand. Nur zu bald brachte die Furcht vor den populären Aufständen die Bourgeoisie, die Furcht vor einer feudalen Restauration, deren drohende Gefahr von ihm begriffen wurde, den reicheren und aufgeklärteren Teil der Landbevölkerung in das Lager des Bearners, mit dessen Übertritt zur katholischen Kirche jede Opposition schwindet. Das monarchische Prinzip war aus dem langen Kampfe nicht ungeschwächt hervorgegangen, die Zentralisation durch die Errichtung der hugenottischen Freistädte durchbrochen worden.
Es ist das Unglück Frankreichs gewesen, daß seine Könige schon als Kinder auf den Thron berufen wurden und die schwache Regentschaft einer Frau die entrissene Macht wieder in die Hände des Adels zurücklegte. Das Werk Heinrichs IV. und Sullys ging verloren während der Regentschaft Marias von Medici; das Richelieus zu retten, hatte sein Nachfolger Mazarin einen außerordentlich langwierigen Kampf während der Regentschaft Annas von Österreich zu führen. Wie die ihrer Vorgängerin beginnt auch die Regierungszeit Annas mit einer allgemeinen Plünderung Frankreichs durch den Adel. » Le roi est mineur, soyons majeurs« Der König ist minderjährig, seien wir großjährig! ist stets der Wahlspruch des Adels gewesen, den derselbe aufs treulichste befolgt hat. Solange die Regentin mit verschwenderischer Hand ihn mit Geld, Privilegien, Monopolen überschüttete, sang er das Lob der »guten Königin«, sobald Mazarin, am Rande aller Hilfsmittel, ihm die Geschenke zu verweigern anfing, begann der Kampf, nicht mehr gegen den König direkt – dazu war das trotzige Selbstgefühl des Adels, wie es uns in den Zeiten der Liga noch entgegentritt, doch schon zu sehr von Richelieu gebrochen –, sondern gegen das Ministeriat und seine Intendanten, wie einige Organe der Zeit sich ausdrückten, das heißt gegen die Ausdehnung und Zentralisation der königlichen Macht, deren Vertreter eben diese Beamten waren. Mit dem Adel geht anfänglich die Bourgeoisie Hand in Hand, in deren Privilegien das Königtum oft genug mit rücksichtsloser Hand eingegriffen hatte. Ja die Fronde ist zu Beginn durchaus bürgerlich und parlamentarisch. Der Konflikt zwischen Bourgeoisie und Regentschaft wurde durch einen Angriff des Finanzministers Mazarins, d'Emery, auf den Geldbeutel des Parlaments Eine Anzahl oberster Gerichtshöfe Frankreichs, welche in der Ausdehnung ihrer Jurisdiktion in Rechtssachen letzte Instanz waren, trugen damals den Namen Parlamente. Sie hatten gleichfalls die Aufgabe, die Edikte, Erlasse und Ordonnanzen der Könige zu registrieren, wodurch dieselben rechtskräftig wurden. Hieran knüpfte sich der öfters wiederholte Versuch der Parlamente, die Vertreter der Großbourgeoisie waren, eine Art über dem Könige stehende Revisionsinstanz zu werden. von Paris provoziert. Das Parlament nahm den Kampf mit großer Energie auf; es verlangte Unterdrückung der Intendanten, den Erlaß des vierten Teiles der Taille, der wichtigsten, vom dritten Stande allein getragene Steuer des französischen Königtums, die Freilassung der Steuerschuldner, deren mehr als zwanzigtausend in Eisen gefangen lagen, es verbot die Erhebung irgendwelcher Steuer und die Errichtung neuer richterlicher Stellen und neuer Ämter in der Finanzverwaltung ohne seine Erlaubnis und vollendete die Reihe seiner Reformvorschläge mit der Forderung, daß kein Untertan des Königs länger als 24 Stunden gefangen gehalten werden dürfe, ohne befragt und vor den zuständigen Richter gestellt worden zu sein.
Als Vertreter der Bourgeoisie und unterstützt von dem Volke, auf das die Forderung des Steuererlasses berechnet war, übernahm das Parlament eine Zeitlang die Führung des Kampfes. Als aber der Konflikt sich verschärfte, entfiel ihm der Mut, und es dankte in die Hände des Adels ab, der sich der Bewegung angeschlossen hatte; das Volk, das sich zum Kampfe für seine Interessen erhoben hatte, diente nunmehr unbewußt den Zielen der aristokratischen Partei und hatte die Kosten des Friedens von Saint-Germain zu bezahlen. Damit endigte die erste Fronde. Die zweite Fronde ist durchaus ein adliger Aufstand, angezettelt von einer kleinen Zahl ehrgeiziger Männer und Frauen: große Namen, kleine Interessen, unsägliches Elend. Das Volk ist, wie immer, der Boden, auf dem diese mehr als zehnjährigen Plünderungszüge eines verwilderten Adels und einer verwilderteren Soldateska geführt werden. Von allen Seiten erhält der Bauer die Schläge; seine Ländereien und Hütten werden geplündert und vernichtet, seine Weiber und Töchter werden geschändet, er selbst mißhandelt, gefoltert und hingeschlachtet. Die große Abnahme in der Zahl der Ehen und Geburten, sowie die rapide Abnahme der Bevölkerungszahl überhaupt zeigt aufs deutlichste das ungeheure Elend, in dem sich Frankreich am Ende dieses frivolen Krieges befand. Die Fronde endigt mit einer vollständigen ökonomischen wie moralischen Erschöpfung des Landes; ihr Resultat ist der Absolutismus Ludwigs XIV.
Ludwig XIV. ist absoluter Monarch, aber ein absoluter Monarch, der zugleich der erste Edelmann seines Königreiches ist. Mit welcher Geringschätzung er auf die anderen, nicht adligen Volksklassen herabsieht, dafür ist ein guter Beweis sein berüchtigtes Duelledikt von 1679, in dem er die Bürgerlichen unwürdige Individuen, ihre Angelegenheiten verworfene nennt und eine schreiende Rechtsungleichheit sanktioniert. Ludwig XIV. ist der Anwalt und Vertreter des Adels, durch den dieser die Ausbeutung Frankreichs in seinem Interesse bewerkstelligen läßt. Seine Absolutheit offenbart sich nur gegenüber dem Volk, dem Bürger und Bauer und gegenüber den einzelnen Personen des Adels, zu dem wir den höheren Klerus ohne weiteres rechnen können, niemals aber gegenüber dem Adel als Stand. Das ganze Königreich wird zur Domäne des Königs, aber die Revenuen müssen an die Mitglieder des Adels abgeführt werden. Dieser ist alles in allem; für ihn arbeitet der Bauer und Handwerker, für ihn ist das stehende Heer da, für ihn die Ämter und Einkünfte des Staates. Nur solange Colberts mächtiger persönlicher Einfluß herrschte – und Colbert war der Geschäftsführer der neu auftretenden Kapitalmacht –, nahm die Bourgeoisie eine wenn auch nicht sehr bedeutende Stellung ein. Mit seinem Tode fällt aber diese Stütze; das Edikt von Nantes wird widerrufen, und die kalvinistische Bourgeoisie, in deren Händen der größte Teil der Industrie des Landes lag, verläßt Frankreich. Die Kraft der Bourgeoisie ist damit für lange Zeit gebrochen. Aber die fortwährenden Kriege und die Verschwendung Ludwigs XIV., die Unterhaltung eines großen, nimmersatten, parasitischen Adels, die ein unaufhörlich wachsendes Geldbedürfnis erzeugen, schaffen damit zugleich wieder eine mächtige Finanz- und Steuerpachtbourgeoisie.
Es war eine alte Anschauung, die besonders von den Kronjuristen gegen die Privilegien des Feudaladels verteidigt wurde, daß der König das allgemeine direkte Eigentum an allem Lande im ganzen Königreich habe. Als oberstem Lehnsherrn ( souverain fieffeux) stehe ihm nicht nur die Übertragung aller feudalen Besitzungen zu, sondern gehe auch der Genuß des Allodialbesitzes von ihm aus. Laveleye-Bücher, Das Ureigentum, S. 266; siehe auch Tocqueville, L'Ancien régime etc., S. 288. Ludwig XIV. griff auf diese Anschauung zurück. Wie Jurieu berichtet, wurde es unter dem Ministerium Colbert in Erwägung gezogen, ob sich nicht der König in den tatsächlichen Besitz aller Güter und Ländereien Frankreichs setzen sollte. Das Land würde dann, in eine königliche Domäne verwandelt, ohne Rücksicht auf alten Besitz, Erbschaft oder andere Rechte verpachtet werden, genau wie die mohammedanischen Fürsten der Türkei, Persiens und Mongoliens sich zu Privateigentümern alles Grund und Bodens gemacht hätten, dessen Genuß sie nach ihrem Belieben, aber nur auf Lebenszeit, an die Untertanen überließen. Les soupirs de la France esclave qui aspire après la liberté, Amsterdam 1690, S. 15. Diese anonyme Schrift ist wohl von Jurieu verfaßt. Colbert wandte sich deshalb an den berühmten Reisenden Bernier und forderte von ihm einen Bericht über das Reich des Großmoguls, in dem der ganze Grund und Boden Staatseigentum war, und eine Kritik dieses Systems. Bernier kam dieser Aufforderung mit seiner Schrift: Brief über die Verhältnisse Hindustans ( Lettre sur l'état de l'Hindoustan) Histoire de la dernière révolution des états du Gran Mogol, Paris 1670; hierin findet sich Bd. 2, S. 191 bis 294 die Schrift: Lettre sur l'état de l'Hindoustan. nach, auf die wir etwas ausführlicher einzugehen haben.
Nach einer Schilderung des hindustanischen Reiches wirft Bernier die Frage auf, ob es dort nicht nur für den Staat und Souverän, sondern auch für die Untertanen nicht besser sein würde, wenn, wie in den europäischen Königreichen und Staaten, der Fürst nicht alleiniger Eigentümer des Grund und Bodens wäre, sondern auch unter den Privatleuten ein Mein und Dein bestünde? Nach einer Vergleichung der Zustände in den Staaten mit und ohne privates Grundeigentum entscheidet sich Bernier für die ersteren und sucht seine Ansicht durch eine Reihe von Gründen zu stützen. 1. Obschon Gold und Silber in großen Massen in das Reich des Großmoguls fließen, verschwinden die edlen Metalle daselbst außerordentlich schnell aus der Zirkulation. 2. Die Tyrannei der Gouverneure und Timarioten ist ganz ungeheuer. Der Druck, der auf Bauer und Handwerker liegt, ist so groß, daß sie fast vor Hunger und Elend sterben und auf jede Art und Weise ihrem Schicksale zu entfliehen streben. Nur noch durch Gewalt kann der Bauer zum Ackerbau gezwungen werden. Kanäle und Häuser verfallen, da der eigentumslose Arbeiter kein Interesse hat, für die Tyrannen zu arbeiten. Der Handwerker findet keine Kundschaft bei den verarmten Bauern; für die Großen zu arbeiten ist nicht lohnend, da sie entweder schlecht oder gar nicht bezahlen. Mit dem Mangel jeder Rechtspflege verbindet sich eine außerordentliche Unwissenheit der Bevölkerung, mit dem Daniederliegen des Ackerbaues und jeder Industrie der Mangel jedes Handels.
Die drei orientalischen Staaten, die Türkei, Persien und Hindustan, in denen kein Privateigentum an Grund und Boden, das die Basis alles Schönen und Guten in der Welt ist, für die Untertanen existiert, müssen sich daher außerordentlich gleichen. Sie kranken an demselben Fehler und müssen daher früher oder später in dieselben Unzuträglichkeiten fallen, die dessen natürliche Folgen sind, in die Tyrannei, den Ruin und die Verödung. Es ist daher sehr gut, daß die europäischen Könige nicht Eigentümer des gesamten Grund und Bodens sind. Sie würden sonst nur zu bald nur noch Könige von Wüsten, Bettlern und Barbaren sein, wie es die Monarchen des Ostens sind. Um alles zu besitzen, richten diese alles zugrunde und finden sich am Ende ohne Reichtümer, da sie, von blindem Ehrgeiz und der ausschweifenden Leidenschaft verführt, absoluter zu sein, als die Gesetze Gottes und der Natur es gestatten, zu reich zu werden bestrebt sind. Nach diesen Deklamationen macht sich nun Bernier selbst eine Reihe von Einwürfen, die er natürlich siegreich widerlegt. – Aber es gibt doch solche Staaten, in denen das Privateigentum sich nicht findet! – Ja, aber sie sind in einem vollständigen Verfall begriffen. – Aber warum können nicht diese Staaten gute Gesetze haben und sich die Bewohner der Provinzen beim König oder Großwesir beschweren? – In der Tat haben sie gute Gesetze, aber diese werden nicht beobachtet, und für die Bauern oder Handwerker ist es unmöglich, sich zu beschweren, da es ihnen an Geld und Macht fehlt. – Aber wir haben ja sogar in Frankreich Domänen des Königs! – Gewiß, nur ist es ein ungeheurer Unterschied, ob der König in einem großen Königreich nur einige Grundstücke zu eigen hat, was die Form des Staates und der Regierung nicht verändert, oder ob er sie alle besitzt, was dies durchaus tun würde. – Aber auf jeden Fall wird es in solchen Staaten nicht so viele und so lang dauernde Prozesse geben. Man würde durch Abschaffung des Mein und Dein die Wurzel einer Unzahl von Prozessen abschneiden, und zwar gerade solcher, die heute von so großer Wichtigkeit sind. Die Zahl der Richter könnte dann ganz bedeutend vermindert werden, und viele Personen, die von Prozessen leben, würden überflüssig werden. – Ganz richtig, aber der Zustand einer Rechtspflege, wie sie in den Staaten des Großmoguls existiert, spricht den geringsten Anforderungen an eine solche Hohn und ist unendlich viel schlechter als ihr Zustand bei uns.
Das Eigentum an Grund und Boden abschaffen, so faßt er die Resultate seiner Untersuchung zusammen, hieße zu gleicher Zeit mit Notwendigkeit Tyrannei und Sklaverei, Ungerechtigkeit, Betteltum und Barbarei einführen, hieße blühendes Land in unbebaute Wüsten verwandeln, hieße den breiten Weg zu Ruin und Zerstörung des menschlichen Geschlechtes, der Könige und Staaten öffnen. Dagegen sei dies Mein und Dein mit der Hoffnung, die ein jeder habe, für ein dauerndes, ihm und seinen Kindern gehöriges Gut zu arbeiten, das Hauptfundament alles Guten und Schönen in der Welt. Wer die verschiedenen Länder und Königreiche vergleiche und besonders dabei auf die verschiedenen Arten des Eigentums achte, werde finden, daß diese die Ursachen der Verschiedenheiten seien und ihnen der blühende Zustand der einen Länder wie die Verödung der anderen zuzuschreiben sei.
Wir sehen, Bernier bekämpft in diesem Brief mit großer Energie die Absicht der Monarchie, allen Grund und Boden zum Staatseigentum zu machen, und verteidigt mit ebenso großem Eifer die Rechte des Individuums, den Grund und Boden als privates Eigentum zu besitzen. An dem Beispiel von Hindustan, dem Reich des Großmoguls sucht er zu zeigen, welche unheilvollen Folgen mit dem Staatsmonopol an Grund und Boden verknüpft sind, aber die von ihm angeführten Gründe treffen den Despotismus, nicht das Staatseigentum als solches. Seine Schilderung der verwüstenden Wirtschaft des Despotismus ist geschickt und lebendig geschrieben und trifft zu gleicher Zeit die Zustände in Frankreich so scharf und sicher, daß man nur zu geneigt ist, in dem hindustanischen Despotismus ein Spiegelbild des französischen zu erkennen. Übrigens ist der Vergleich der absolutistischen Bestrebungen der französischen Könige mit der Despotie des Sultans schon seit den Zeiten der Liga ein außerordentlich beliebter bei den Pamphletisten, die ihre Angriffe auf die ersten mehr oder weniger unter Angriffen auf den Sultan verstecken. So erzählt zum Beispiel ein unbekannter Verfasser schon 1576 in der Schrift » L'antipharmaque du chevalier Poncet«, daß Heinrich III. einen Rat abgehalten habe, um den Bericht des Chevalier Poncet nach seiner Rückkehr vom Orient anzuhören. Dieser habe nach einer Schilderung der unbegrenzten Macht des Sultans vorgeschlagen, ein ähnliches Regiment in Frankreich einzuführen. Zu diesem Zwecke müsse man zunächst die Aristokratie ruinieren und sich aller Prinzen und großen Seigneurs zu entledigen bemüht sein; die » foule confuse« (ungegliederte Masse), die dann noch übrigbliebe, würde leicht zu bändigen sein. G. Weill, Les théories etc., S. 125 ff., erwähnt noch zwei andere Pamphlete aus der Zeit der Liga: La France-Turquie und Les lunettes de cristal de roche par lesquelles on voit clairement le chemin tenu pour subjuguer la France à même obéissance que la Turquie. – Von ähnlichen Pamphleten, die Ludwig XIV. betreffen, erwähne ich noch: L'Alcoran de Louis XIV., 1695; Conversation du bouffon du grand-visir avec celui de Teléki 1684. Auch Richelieu wurde dieselbe Politik zugeschrieben. Vergl. J. Meslier, Le Testament, Ausgabe R. Charles II, S. 261, Kapitel 57, in dem er einen Auszug aus der Schrift: Salut de l'Europe en l'an 1694 gibt: Richelieu hatte bemerkt, daß man unter allen Monarchien nur in der der Ottomanen eine größere und mehr folgerechte Beständigkeit findet, da sie sich immer in ihrer ganzen Ausdehnung erhalten hat ..., während die anderen durch den Luxus, das Nachlassen der Disziplin und den Ehrgeiz der Großen sich selbst zerstört haben ... Deshalb kam ihm die Lust, die französische nach diesen Prinzipien zu gestalten ...
Nach der Darstellung Jurieus ist die Initiative in dieser Angelegenheit von Colbert ausgegangen. »Wenn eines Tages«, ruft er warnend dem Adel zu, »ein kühnerer Finanzminister als Colbert kommen wird, so wird man euch an einem Tage eure ganzen Erbgüter fortnehmen, und ihr werdet an den Fürsten für euer Eigentum Rente zahlen!« Wie kam Colbert zu einem solchen Plan, der in erster Linie den Besitz, des Adels bedrohte? Die Selbständigkeit desselben war durch das Fehlschlagen der Fronde total gebrochen, föderalistische Neigungen brauchte man nicht mehr von ihm zu befürchten; so konnten es nur Gründe einer fiskalischen Steuerpolitik sein, die Colbert zu einem solchen Schritt veranlaßten. Wurde das Eigentumsrecht des Königs auf den gesamten Grund und Boden des Landes proklamiert, so fiel damit auch die Steuerfreiheit des Adels; er würde, wie sich Jurieu ausdrückt, für sein Eigentum Rente an den Fürsten zu zahlen gehabt haben. H. Doniol, Histoire des classes rurales, Paris 1865, S. 407 ff., ist der Ansicht, daß der Brief Berniers von Colbert beeinflußt worden sei und dessen Ansichten wiedergäbe. Diese ohne Begründung gegebene Behauptung wird durch die Erzählung Jurieus in den » Soupirs« widerlegt. Bonnemère, in seinem Buche La France sous Louis XIV., Paris 1864, II, S. 212, schreibt diese Unterredung mit Bernier dem Nachfolger Colberts, Pontchartain zu und verlegt sie in das Jahr 1693. Die » Soupirs« sind aber bereits 1690 erschienen.
Diesem Gedanken, daß dem König das Eigentumsrecht auf den gesamten Grund und Boden zustehe, begegnen wir noch einige Male während der Regierungszeit Ludwigs XIV. So wurde er zunächst 1692 in einem fiskalen Edikt über die Allode wiederholt; ferner gab ihm der König selbst Ausdruck in der bekannten Stelle der Instruktion für den Dauphin: »Alles, was sich im Umfang unserer Staaten befindet, welcher Art es immer sei, gehört uns nach demselben Rechtstitel. Sie sollen davon überzeugt sein, daß die Könige von Natur die volle und freie Verfügung über alle Güter haben, die im Besitz des Klerus und der Laien sind, um von denselben zu jeder Zeit, wie weise Ökonomen, das heißt nach dem allgemeinen Bedürfnis ihres Staates Gebrauch zu machen.« Zum letztenmal wurde 1710 auf dieses Prinzip zurückgegriffen. In der außerordentlichen Finanznot, in der sich damals der Staat befand, nahm man seine Zuflucht zu dem »Königlichen Zehnten« ( Dîme royale), den Vauban bereits einige Jahre vorher empfohlen hatte, jedoch mit dem Erfolg, sich die Ungnade des Königs zuzuziehen. Jetzt wurde der Zehnte eingeführt, aber mit dem Unterschied, daß durch die Einführung der Dîme die übrigen Steuern nicht abgeschafft wurden, wie es Vauban in dem von ihm entwickelten System gewollt hatte. Die Bedenken, die Ludwig XIV. dieser neuen Ausplünderung gegenüber hatte, wurden siegreich von seinem Beichtvater, dem Jesuiten Letellier, durch eine Entscheidung der hervorragendsten Doktoren der Sorbonne widerlegt, in der ausgeführt wurde, daß der König der einzige und alleinige Eigentümer aller Güter seiner Untertanen sei, welche in Wahrheit dieselben nur in seinem Namen verwalteten. Bonnemère, La France sous Louis XIV., II, S. 462.
Derselbe Gedanke liegt auch der Getreidepolitik zugrunde, wie sie das Ancien régime. jahrhundertelang verfolgt hat. Ebensogut wie den Königen die Gesamtheit der Güter ihrer Untertanen gehört, haben sie auch das Recht, in die Verwaltung der ihnen zur Nutznießung überlassenen Güter einzugreifen, und weitergehend sogar die Pflicht, dafür zu sorgen, daß diese auch im Interesse der Gesamtheit verwaltet werden. »Seine Majestät«, heißt es im Eingang des Erlasses des Staatsrats vom 5. September 1693, »ist durchaus davon überzeugt, daß sie in erster Linie ihre Aufmerksamkeit darauf zu richten hat, ihren Untertanen eine leichte und ausreichende Subsistenz zu verschaffen, und sie will nichts unterlassen, um diese so wichtige Pflicht zu erfüllen.« Diese Auffassung von der Aufgabe des Staates verschwindet erst, nachdem die Bourgeoisie die unbestrittene Herrschaft errungen hat. Noch im achtzehnten Jahrhundert herrscht sie allgemein; schreibt doch zum Beispiel Montesquieu im Esprit des lois 1748, Buch XXIII, Kapitel 29: »Einige Almosen, die man einem nackten Menschen der Gasse gibt, erfüllen nicht die Verpflichtungen des Staates, der allen seinen Bürgern eine gesicherte Existenz, die Nahrung, eine passende Kleidung und eine nicht gesundheitswidrige Lebensart schuldig ist.« Das vom Staate garantierte Recht auf Existenz ist ein Satz, der gegen Ende des Jahrhunderts fast ebensowenig bestritten ist wie zu Anfang und beinahe dogmatische Gültigkeit hat. »Jeder Mensch hat ein Recht auf seine Subsistenz,« heißt es im Plan der travail du comité pour l'extinction de la mendicité von 1789. Da aber damals in noch viel höherem Grade als heute das Korn das für die Ernährung der großen Masse wichtigste Produkt war, so war es selbstverständlich, daß die Regelung des Getreidehandels, besonders in Zeiten schlechter, aber auch in Zeiten überreichlicher Ernten eine der wichtigsten Aufgaben der Regierung war. Wandte sich ja auch in Zeiten der Teuerung, an denen es unter dem Ancien régime. niemals gefehlt hat, das Volk sofort an die Intendanten, diese dreißig Regierer Frankreichs, und »schien von ihnen allein seine Nahrung zu erwarten«, Tocqueville, L'Ancien régime. et la révolution, Paris1856, S. 110. so daß gerade dann der private Handel fast vollständig aufhörte und die ganze Last der Versorgung auf die Regierung fiel. In öffentlichen Schriftstücken wurde ausgesprochen, daß das Eigentum an Getreide weniger geheiligt sei als das irgendeines anderen Gegenstandes, Oeuvres de Turgot, I, S. 223, zitiert bei Biollay, Études économiques sur le XVIII. siècle, Paris 1885, S. 21, der in seinem Buche eine ausführliche Darstellung der Getreidepolitik des Ancien régime. gibt. und noch 1770, sechs Jahre vor Turgots Reformversuch wird es in einem »Mémoire« als die Pflicht des Familienoberhauptes (des Königs) bezeichnet, die Verteilung »dieses gemeinsamen Reichtums (des Getreides), auf den alle Untertanen des Staates ein gleiches, natürliches Recht haben, da es ihre Subsistenz und Ruhe so wesentlich interessiert«, zu regeln. Mémoire sur la police de Paris en 1770, in Mémoires de la société de l'histoire de Paris, V, S. 117, zitiert bei Biollay, Études etc., S. 22. Für die Notwendigkeit des Eingreifens der Regierung in den Getreidehandel sprachen noch andere Gründe, die mit außerordentlicher Wucht an die Leidenschaften des Volkes appellierten. Man war damals allgemein so sehr von der Fruchtbarkeit des französischen Bodens überzeugt, daß man eine gute Ernte als für den Bedarf von zwei bis drei Jahren ausreichend ansah, und schrieb daher das Elend der Teuerungen, die so oft Frankreich verwüsteten, den Spekulationen eines gewissenlosen Handels zu. Überall suchte man die Ursache der häufigen Teuerungen: man beschuldigte die Spekulanten, die Intendanten, den Generalkontrolleur der Finanzen, den König; die wirklichen ökonomischen Gründe wurden übersehen. Die populäre Ansicht war auch die offizielle der Regierung und der Magistratur. »Die Maßregeln, die wir in den letzten Jahren getroffen haben, Getreide und andere notwendige Unterstützungen unserem Volk in einigen notleidenden Provinzen zu geben, haben uns die Erkenntnis verschafft, daß das, was am meisten dazu beigetragen hat, die Not zu vermehren, nicht so sehr die Teuerung der Ernten, als die Habgier bestimmter Privatleute ist,« heißt es in der Einleitung zu der Deklaration vom 13. August 1699; Vergleiche noch den Erlaß des Staatsrates vom 13. Oktober 1693: daß die Getreideteuerung eine Folge der Schuftereien der Kaufleute und anderer im Handel tätiger Personen ist, welche das Getreide versteckt haben, um den Preis zu steigern. der »Habgier einiger Geizhälse, die einem verbrecherischen und schmutzigen Gewinn die heiligsten Bande der Religion und Gesellschaft und oft sogar des allgemeinen Wohles des Staates opfern«, Delamare, Traité de la Police, II, S. 944, zitiert bei Biollay, Études etc., S. 14. wird die Hauptschuld zugeschrieben.
Aktiv griff die Regierung zum ersten Male im Jahre 1662 in den Getreidehandel ein, als eine furchtbare Hungersnot das Land heimsuchte. Colbert bestimmte für Getreideeinkäufe in Danzig die nicht unbedeutende Summe von 2 Millionen Livre. Die ganze Operation vollzog sich in größter Öffentlichkeit. Eine Ordonnanz verkündigte den Bürgern, »daß Seine Majestät in seine gute Stadt von Paris eine Quantität Getreide hätte kommen lassen, dessen Verteilung ... in den Galerien des Louvre zum Preise von 26 Livre für den Septier (gleich 1½ Hektoliter) stattfinden würde, und daß diejenigen, welche davon haben wollten, sich an den Kommissar eines jeden Viertels zu wenden hätten, um sich von ihm ein Zertifikat über ihre Wohnung und die gewünschte Quantität zu holen, die ihnen dann in Beträgen bis zu einem Septier und darunter geliefert werden sollte«. Ebenda, II, S. 1033, zitiert bei Biollay, Études etc., S. 35. Diese Operation schloß ohne Verlust, vielleicht noch mit einem kleinen Gewinn für die Staatskasse ab. Wiederholt wurden diese Getreidekäufe in den Jahren 1684 und 1693; bei den Teuerungen von 1689 und 1699 griff die Regierung wohl wegen ihres absoluten Geldmangels nicht ein, noch weniger in dem furchtbaren Jahre 1709, in dem außerdem der Krieg Käufe im Ausland unmöglich machte; 1713 fanden wieder Käufe statt, die mit einem Verlust von 60 0000 Livre endigten. Die Colbertsche Getreidepolitik berücksichtigte in erster Linie den Konsumenten, erst dann den bäuerlichen Produzenten. Die königliche Autorität hat das Recht, über die Ernten zu verfügen, die »das Produkt der Fruchtbarkeit des Bodens und der Temperatur des Klimas, eine Art freien Geschenks der Vorsehung« sind; sie sorgt dafür, daß der Bauer seine Steuern und Pachtgelder zahlt; sie gibt es sogar zu, daß er einigen Profit aus seiner Arbeit zieht, aber vor allem ist es notwendig, dafür zu sorgen, daß das Volk nicht in die Lage kommt, sich über den zu hohen Preis des Brotes zu beklagen. Biollay, Études etc., S. 81 und 82. Daher beschäftigte sich denn die Regierung eigentlich nur in Zeiten der Teuerung mit dem Getreidehandel und dem Getreidepreis. Selten, nur wenn eine zu reichliche Ernte den Getreidepreis so tief drückte, daß es für den Bauer fast unmöglich war, sein Getreide zu verkaufen, und für die Regierung oder vielmehr die Pächter derselben ebenso unmöglich, die Steuern einzutreiben, entschloß sie sich dazu, den Export zu gestatten, noch seltener ging sie so weit, die Ausgangszölle zu unterdrücken. Im allgemeinen aber tat sie es höchst ungern, da für dasselbe Quantum Getreide, wenn in Zeiten der Teuerung importiert, eine größere Summe Geldes an das Ausland gezahlt werden mußte als die war, welche in Zeiten des Überflusses das Inland vom Ausland erhielt, kurz, da das Resultat dieser Import- und Export-Transaktionen der von ihr befolgten Politik des sogenannten Merkantilsystems Unter Merkantilsystem versteht man den Inbegriff einer Anzahl wirtschaftlicher Grundanschauungen, die namentlich am Beginn der Neuzeit in den Erwägungen der nationalökonomischen Schriftsteller und der mit der Wirtschaftspolitik betrauten Staatsmänner von entscheidendem Einfluß waren. Die wichtigsten dieser hier in Betracht kommenden Anschauungen sind: 1. Je mehr Geld ein Land besitzt, desto größer ist sein Reichtum. 2. Die Quelle der Bereicherung mit den Edelmetallen ist der auswärtige Handel. 3. Der Reichtum wächst um so stärker, je mehr an das Ausland verkauft und je weniger vom Ausland gekauft wird. Leser im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, IV, S. 1168. widersprach. Unter diesen Verhältnissen mußte sich der Gedanke aufdrängen, den Überfluß reichlicher Ernten in öffentlichen Magazinen aufzuspeichern. Schon 1577 taucht derselbe in einer Ordonnanz auf, in der den »guten Städten« vorgeschrieben wurde, in den öffentlichen Speichern eine Getreidemenge vorrätig zu halten, die eine dreimonatige Konsumtion ausreichend deckte. Die Ordonnanz blieb auf dem Papier; nicht mehr Erfolg hatte die Forderung einer Notabelnversammlung von 1626 auf Wiederholung der Ordonnanz. 1688 und 1691 versuchte die Regierung Ludwigs XIV. dieses Projekt auszuführen, sah sich aber durch finanzielle und andere Schwierigkeiten von Beginn an gehindert. In der Regentschaft wurde es wieder aufgenommen. »Der Plan, den der Staatsrat hat, Getreidemagazine in den Provinzen einzurichten«, heißt es in einem Mémoire von 1717, »und Einrichtungen dafür in der Nähe der schiffbaren Flüsse zu treffen, kann für das Volk nur vorteilhaft sein und wird es verhindern, in ähnliches Elend wie in den Jahren 1700, 1710, 1713 und 1714 zu verfallen.« Zitiert bei Biollay, Études etc., S. 41. Erst unter der Regierung Ludwigs XV. wurde dieser Plan ausgeführt. Da man die An- und Verkäufe möglichst geheim veranstaltete, wurde der Verdacht der Bevölkerung sehr schnell rege, daß bei diesen Operationen der König nichts verlöre, daß er auf die Hungersnot seiner Untertanen spekuliere, um sich in infamster Weise zu bereichern. Wir werden später hierauf zurückzukommen und dabei zu untersuchen haben, ob ein solcher »Pacte de famine« wirklich je bestanden und welche Ausdehnung er gehabt hat.