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Wir haben im fünften Kapitel dieses Abschnitts gesehen, daß es nicht genügt, Lohnarbeiter anzuwenden, um ein Kapitalist im vollen Sinne des Wortes zu sein. Der Anwender von Lohnarbeitern wird erst Kapitalist, wenn die von ihnen erzeugte Masse von Mehrwerth groß genug ist, um ihm ein »standesgemäßes« Einkommen zu gewähren, und seinen Reichthum zu vermehren, ohne daß er genöthigt ist, selbst Hand an die Arbeit anzulegen. Dies setzt die gleichzeitige Beschäftigung einer Zahl von Arbeitern voraus, welche das beim zünftigen Handwerk zulässige Maß weit übersteigt. »Das Wirken einer größeren Arbeiteranzahl zur selben Zeit, in demselben Raum (oder, wenn man will, auf demselben Arbeitsfeld), zur Produktion derselben Waarensorte, unter dem Kommando desselben Kapitalisten, bildet historisch und begrifflich den Ausgangspunkt der kapitalistischen Produktion.«
Der Unterschied zwischen der kapitalistischen und der handwerksmäßigen Produktionsweise ist daher zunächst nur einer des Grades, nicht der Art. Ob ich drei Tuchweber an drei Webstühlen oder dreißig Weber an dreißig ebensolchen Webstühlen in gleichem Raume und zur gleichen Zeit beschäftige, scheint zunächst nur den Unterschied zur Folge zu haben, daß im letzteren Falle zehnmal so viel Werth und Mehrwerth erzeugt wird, wie in ersterem.
Aber die Beschäftigung der größeren Zahl bringt noch andere Unterschiede mit sich. Zunächst sei an das Gesetz der großen Zahlen erinnert, an den Umstand, daß die individuellen Eigenthümlichkeiten sich um so mehr bemerkbar machen, je weniger Individuen man in Betracht zieht, und um so mehr verschwinden, je mehr die Beobachtung eine Massenbeobachtung ist. Wenn ich die durchschnittliche Lebensdauer des Menschen erfahren will, werde ich wahrscheinlich Irrthümern unterworfen sein, wenn ich sie aus der Lebensdauer von 5-6 Personen berechne. Ich kann aber mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, der Wahrheit sehr nahe zu kommen, wenn ich sie aus der Lebensdauer von etwa einer Million Menschen berechne.
So werden auch die individuellen Unterschiede der einzelnen Arbeiter sich viel mehr bemerkbar machen, wenn ich nur drei, als wenn ich dreißig anwende. In letzterem Falle wird die größere Arbeitsleistung der guten und die mindere der schlechten sich ausgleichen, so daß Durchschnittsarbeit geliefert wird. Nach Burke sollen schon bei gleichzeitiger Anwendung von fünf Ackerknechten alle individuellen Unterschiede verschwinden, so daß beliebig herausgenommene fünf Knechte in der Regel ebenso viel Arbeit verrichten, wie andere fünf zufällig herausgegriffene.
Für den kleinen Meister ist es zufällig, ob seine Arbeiter gesellschaftliche Durchschnittsarbeit leisten. Erst für den Kapitalisten wird es möglich, daß die von ihm in Bewegung gesetzte Arbeit in der Regel gesellschaftliche Durchschnittsarbeit ist.
Die gleichzeitige Beschäftigung vieler Arbeiter am gleichen Ort bringt noch andere Vortheile mit sich. Ich muß nicht zehnmal mehr zahlen für Errichtung eines Arbeitslokals, in dem dreißig Tuchweber weben, als für die eines Raumes, in dem nur drei weben. Auch kostet ein Magazin für 100 Zentner Wolle nicht zehnmal so viel als eines für 10 Zentner u.s.w. Der Werth des konstanten Kapitaltheils, der im Produkt wiedererscheint, verringert sich also im Verhältniß zur Zahl der beschäftigten Arbeiter umsomehr, je mehr Arbeiter unter sonst gleichen Verhältnissen in einem bestimmten Arbeitsprozeß thätig sind. Damit wächst der Mehrwerth im Verhältniß zum vorgeschossenen Gesammtkapital, damit sinkt aber auch der Werth des Produkts, und, unter gewissen, im vorigen Kapitel erörterten Umständen, der Werth der Arbeitskraft. In diesem Fall wächst der Mehrwerth auch im Verhältniß zum variablen Kapital.
Die gleichzeitige Anwendung vieler Arbeiter an gleichem Ort zur Erzielung eines bestimmten Resultats führt zu ihrem planmäßigen Zusammenwirken, das heißt, zur Kooperation. Diese schafft eine neue, gesellschaftliche Produktivkraft, die mehr und anders ist, als die Summe der einzelnen Produktivkräfte, aus denen sie besteht.
Die neue Kraft ist von vornherein Massenkraft; sie macht manche Arbeitsprozesse möglich, die mit geringeren Kräften gar nicht oder nur unvollkommen durchführbar sind. Dreißig Mann heben mit Leichtigkeit in wenigen Augenblicken einen Baum, an dem drei Mann sich vergeblich den ganzen Tag abquälen würden. Die Kooperation macht auch die Durchführung von Arbeiten möglich, bei denen nicht Massenkraft, wohl aber die Zusammendrängung einer möglichst großen Arbeitsleistung in einem kleinen Zeitraum erforderlich ist; dies ist z.B. bei der Getreideernte der Fall.
Auch wo weder eine große Masse der Kraft noch ihre räumliche oder zeitliche Zusammendrängung und Konzentrirung erforderlich, wirkt die Kooperation vortheilhaft; sie erhöht die Produktivität der Arbeit. Jeder kennt die Art und Weise, wie bei einem Hausbau die Bausteine auf die Gerüste befördert werden; es wird eine Kette von Arbeitern gebildet, die einer dem andern die Steine zureichen. In Folge dieses planmäßigen Zusammenwirkens legen die Bausteine ihren Weg viel schneller zurück, als wenn sie von den einzelnen Arbeitern auf die Gerüste hinaufgetragen würden.
Endlich ist nicht zu übersehen, daß der Mensch ein gesellschaftliches Thier ist, daß seine Lebensgeister in geselligem Wirken sich beleben, und daß Ehrgeiz und Wetteifer dabei ins Spiel kommen. So geht die gesellschaftliche Arbeit schneller von Statten und die Arbeitsleistung ist verhältnißmäßig größer, als die isolirter Arbeiter.
Unter dem kapitalistischen System können Lohnarbeiter nur zusammenwirken, wenn ihre Arbeitskräfte von einem und demselben Kapitalisten gekauft worden. Je mehr Arbeitskräfte gekauft werden sollen, desto mehr variables Kapital ist nothwendig; je mehr Lohnarbeiter angewendet werden sollen, desto größer die Masse des Rohmaterials, der Werkzeuge, die diese wiederum anwenden etc., also desto größer die nothwendige Menge konstanten Kapitals. Die Durchführung der Kooperation in gewissem Umfang setzt daher eine gewisse Größe des Kapitals voraus. Diese wird jetzt eine Vorbedingung der kapitalistischen Produktionsweise.
Die Kooperation ist nicht der kapitalistischen Produktionsweise allein eigenthümlich. Wir sahen sie in urwüchsigen Formen bereits bei den Indianern. Es zeigte sich uns, daß deren planmäßiges Zusammenwirken bei der Jagd eine planmäßige Leitung erfordert. Diese ist für alle gesellschaftliche Arbeit nöthig, in welcher Form immer sie vor sich gehen möge. In der kapitalistischen Produktionsweise wird die Leitung der Produktion nothwendig zu einer Funktion des Kapitals. Auch bei dieser Untersuchung zeigt sich uns die Fruchtbarkeit der Marx'schen Unterscheidung des zwieschlächtigen Charakters der Waaren produzirenden Arbeit. Diesem zwieschlächtigen Charakter entsprechend, ist unter der kapitalistischen Produktionsweise, wie wir gesehen haben, der Produktionsprozeß die Einheit von Arbeitsprozeß und Verwerthungsprozeß. Soweit der Produktionsprozeß als Arbeitsprozeß erscheint, erscheint der Kapitalist als Leiter der Produktion, erscheint die Funktion, die er versieht, als eine solche, die unter jedem gesellschaftlichen Arbeitsprozeß mehr oder weniger nothwendig sein wird. Der kapitalistische Produktionsprozeß als Verwerthungsprozeß hat aber zur Grundlage den Gegensatz der Interessen von Kapital und Arbeit, wie er sich uns bereits anläßlich des Arbeitstages offenbart hat. Soll der Verwerthungsprozeß ungestört in der gewünschten Weise vor sich gehen, dann bedingt er die Unterordnung des Arbeiters, die despotische Herrschaft des Kapitalisten. Verwerthungsprozeß und Arbeitsprozeß bilden aber nur zwei verschiedene Seiten eines und desselben Prozesses, des kapitalistischen Produktionsprozesses, und somit erscheinen die Leitung der Produktion und die despotische Herrschaft des Kapitals über den Arbeiter auch als eins – und da die erstere eine technische Nothwendigkeit, erzählt uns die bürgerliche Oekonomie, daß die Herrschaft des Kapitals über die Arbeit eine technische, durch die Sachlage der Dinge gebotene Nothwendigkeit sei, daß mit der Beseitigung der Herrschaft des Kapitals auch die Produktion selbst, soweit sie gesellschaftlicher Natur, vernichtet werde, daß die Herrschaft des Kapitals die naturnothwendige Vorbedingung der Zivilisation sei!
Auch Rodbertus hat erklärt, als Leiter der Produktion seien die Kapitalisten Beamte der Gesellschaft und zum Empfang eines Gehalts berechtigt. Aber wie der Kapitalist nur Gebrauchswerthe produziren läßt, weil er in anderer Weise nicht in den Besitz von Werthen kommen kann, so ist auch für ihn die Leitung der Produktion nur ein nothwendiges Uebel, dem er sich mir deswegen unterzieht, weil es mit der Verwerthung seines Kapitals untrennbar verknüpft ist. Er entgeht diesem Uebel, wo er es kann, ohne den Mehrwerth zu schädigen. Ist sein Unternehmen groß genug, dann läßt er seine »Beamtung« von Miethlingen, Direktoren und Unterbeamten versehen. Mitunter benutzt er auch andere Methoden, die Leitung der Produktion los zu werden. Während der Baumwollkrisis Anfangs der sechziger Jahre z.B. schlossen die englischen Baumwollspinner ihre Fabriken, um auf der Baumwoll-Börse zu spielen und dort ihr »Gehalt« herauszuschlagen. Die Behauptung, daß die Kapitalisten für ihre Leitung der Produktion bezahlt zu werden verdienen, erinnert uns an jenen Jungen, der einen Baum voll herrlicher Aepfel sah, zu dem er nicht anders als über eine hohe Mauer gelangen konnte. Die Aepfel waren zu verführerisch, und so übernahm er die Arbeit, die Mauer zu übersteigen, was ihm nach vieler Mühe auch gelang. Eben delektirte er sich an den Aepfeln, als der Besitzer des Gartens kam und ihn fragte, welches Recht er habe, die Aepfel zu nehmen. »Ich habe sie redlich verdient,« erwiderte der Knabe, »sic sind die Bezahlung für die harte Arbeit, über die Mauer zu steigen.« Wie der Knabe zu den Aepfeln nur über die Mauer, kann der Kapitalist in der Regel zum Mehrwerth nur als Leiter der Produktion gelangen.
Noch eine sonderbare Anschauung, die man in ökonomischen Büchern findet, ist hier zurückzuweisen. Der Kapitalist kauft, wie bisher angenommen wird, jede Arbeitskraft zu ihrem vollen Werth. Aber die gesammten Arbeitskräfte, die er gekauft, entfalten in ihrem planmäßigen Zusammenwirken eine neue Produktivkraft. Sie produziren mehr, als wenn er jede von ihnen für sich beschäftigen würde. Diese neue Produktivkraft bezahlt der Kapitalist nicht. Sie hat nichts zu thun mit dem Waarenwerth der Arbeitskraft, sie bildet eine Eigentümlichkeit ihres Gebrauchswerthes. Diese neue Kraft äußert sich auch erst während des Arbeitsprozesses, also erst, nachdem die Waare Arbeitskraft in den Besitz des Kapitalisten eingegangen, nachdem sie Kapital geworden. Daher erscheint es den Kapitalisten und ihren Anwälten, als wenn diese Erhöhung der Produktivität der Arbeit nicht dieser, sondern dem Kapital zuzuschreiben sei. »Weil die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit dem Kapital nichts kostet, weil sic andererseits nicht von dem Arbeiter entwickelt wird, bevor seine Arbeit selbst dem Kapital gehört, erscheint sie als Produktivkraft, die das Kapital von Natur besitzt.«
Die Kooperation ist, wie schon erwähnt, nicht der kapitalistischen Produktionsweise allein eigenthümlich. Gesellschaftliche, gemeinsame Produktion ist bereits dem urwüchsigen Kommunismus eigen, der sich an der Wiege des Menschengeschlechts findet. Der Ackerbau wurde ursprünglich überall kooperativ, gemeinsam betrieben. Die Landanweisung an die einzelnen Familien ist erst später erfolgt. Wir haben Beispiele der Kooperation bei den Indianern und Indern im ersten Abschnitt gegeben.
Die Entwicklung der Waarenproduktion hat diese urwüchsige Kooperation vernichtet. Wohl erweitert sich mit der Waarenproduktion der Kreis derjenigen, die für einander arbeiten, aber das miteinander arbeiten hört im Wesentlichen auf, außer unter der Form der Zwangsarbeit, Arbeit von Sklaven, Leibeigenen oder Unterthanen für ihre Herren.
Das Kapital, das im Gegensatz zu der Isolirung und Kräftezersplitterung der Bauernwirthschaft und des Handwerksbetriebes ersteht, entwickelt wieder die Kooperation, die gesellschaftliche, gemeinsame Arbeit. Die Kooperation ist die Grundform der kapitalistischen Produktionsweise, ihre besondere historische Form innerhalb der Waarenproduktion. Das Kapital sucht die gesellschaftliche Produktion immer mehr zu entwickeln, es entfaltet immer höhere Formen der Kooperation: die Manufaktur, die große Industrie. Sein Ziel dabei ist die Steigerung des Mehrwerthes. Aber ohne es zu wollen, bereitet es auf diese Art den Boden vor für eine neue, höhere Form der Produktion.
Die handwerksmäßige Waarenproduktion beruht auf der Zersplitterung und gegenseitigen Isolirung der Betriebe; ein kapitalistischer Betrieb beruht dagegen auf der Vereinigung der Arbeiten, auf einer gesellschaftlichen, gemeinsamen Produktion. Die handwerksmäßige Waarenproduktion setzt als Regel viele kleine selbständige Waarenproduzenten voraus; der kapitalistische, auf der Kooperation beruhende Betrieb unterstellt die unbedingte Autorität des Kapitalisten über die einzelnen Arbeiter.
Wir haben im ersten Abschnitt die urwüchsige Kooperation und Arbeitstheilung an zwei Beispielen beobachtet; wir haben die Entstehung der Waarenproduktion verfolgt; jetzt sehen wir die kapitalistische Produktionsweise sich entwickeln, welche Waarenproduktion und kooperative Produktion gleichzeitig ist.
Unterscheidet sich die kapitalistische von der handwerksmäßigen Waarenproduktion durch die Konzentration der Betriebe, die Organisation gemeinsamer, gesellschaftlicher Arbeit, so unterscheidet sich andererseits die kapitalistische Kooperation von der urwüchsigen kommunistischen durch die unbedingte Autorität des Kapitalisten, der gleichzeitig Leiter der Produktion und Besitzer der Produktionsmittel ist und dem auch die Produkte der kooperativen Arbeit zufallen, die bei der urwüchsigen Kooperation den Arbeitenden selbst gehören.