Adam Karrillon
Bauerngeselchtes
Adam Karrillon

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Die Macht der Gewohnheit

Doktor Ebenich war zurzeit sehr verdrießlich. Aber wahrhaftig die Zeit war auch darnach. Es war so kalt, daß die Grillen am Backofen, die Flöhe unter der Zudecke froren. Wäre eine halbe Stunde vom Stadttore entfernt das Pfund lebend Gewicht zu einem Zehner ausgeboten worden, kein Metzger wäre hingegangen, um zu steigern.

Ebenich hatte sich vor dem eisigen Winde, der durch die Spalten seines Fensterrahmens pfiff, nach dem Kachelofen geflüchtet. Gleichwohl zitterte er wie ein frischgeschorener Hammel von innen heraus. Mehr noch als das, was wirklich war, erschütterte ihn der Gedanke an das, was nicht alles sein konnte. Wer garantierte ihm dafür, daß nicht im nächsten Moment die Türe aufging und einer eintrat, der ihn viele Stunden ins Land hinein zu einem Kranken rief? Bei näherer Erwägung dieser Möglichkeit schliefen dem Doktor die Zehen ein, und er war bis zu den Waden an beiden Beinen bereits gefühllos geworden, 222 als ihn eine rauhe Bauernstimme aus seiner sorgenschweren Lethargie weckte:

»Das kann Euch aber nun alles nichts nützen,« so prasselten dem Doktor die Worte wie Hagelkörner aufs Trommelfell. »Und wenn auch seine Haut nicht mehr wert ist als ein Kaninchenfell im Sommer. Der Bauer will sich nicht nachsagen lassen, daß er für seinen Knecht nichts getan hätte. Ihr müßt mit, Doktor, durch das Kochertälchen in die Spatzenmühle. Was der Teufel mit dem Kranken macht, ist einerlei. Unsereiner will auf alle Fälle wie ein Christenmensch fürs Dies- und Jenseits gesorgt haben. Außer Euch ist nämlich noch, der größeren Sicherheit wegen, der Pfarrer bestellt. Der alte Mann kann mich dauern. Er muß den weiten Weg in dieser Hundekälte zu Fuß machen, und Euch, Herr Doktor, trägt doch noch Euer Gaul.«

»Der Gaul, ach der Gaul!« jammerte der Doktor, »lahmt er nicht an drei Beinen und stolpert mit dem vierten? Schleift er nicht wie ein Dachshund den Bauch fast auf dem Erdboden? Wenn ich mich dem anvertrauen wollte, Euer Knecht würde schon halbwegs im Himmel sein, bis wir auf der Spatzenmühle ankämen. Und nun gar noch der Schnee, der Schnee, der viele, himmelviele Schnee!«

»Seht, wie Ihr tut,« sagte der Bote, »aber der Spatzenmüller hat für Euch kein ›Grüß Gott‹ mehr übrig, wenn ihm der Knecht stirbt, ohne daß Ihr ihn 223 gesehen habt.« Und der Grobian setzte seine Mütze auf und ging.

Doktor Ebenich ging auch, und zwar nach dem Kleiderschrank. Er wickelte sich ein, daß er aussah wie ein Bündel Haferstroh, und stieg auf seine lendenlahme Rosinante. Gern tat er es nicht, aber er wußte, daß er dem Spatzenmüller zu willen sein mußte, denn dieser saß im Bezirksausschuß. Also denn vorwärts und ins verschneite Kochertälchen hinein. Ein kalter Winternebel umhüllte Roß und Mann und versperrte die Aussicht. Mehr als auf Steinwurfweite konnte man nach keiner Richtung hin sehen, wie sehr man auch das Auge anstrengen mochte. Und dann, es hatten sich da an den Wimpern so kleine Eisfädchen gebildet, die mit feinem Zwirn die Lider zusammennähten, so daß es schmerzte, wenn man die Augen öffnen wollte. Und wozu auch sollte sich der Arzt dies Leid antun? Er hatte lange genug die Welt angeguckt, um sie verachten zu können. Hatte er überdies nicht seine Ohren, die ihm schon sagen würden, daß die Mühle nahe sei, wenn ihr Geklapper das enge Tälchen füllte? So schwankte der blinde Reiter auf seinem Rößlein herüber und hinüber, ohne daß er gerade allzusehr gefroren hätte; denn ein stiller Ärger über die Rücksichtslosigkeit der Menschen heizte ihm des Wegs entlang gehörig ein, bis zu seiner Verwunderung das Pferd plötzlich stillestand. Nun half das nichts. Die Augendeckel mußten 224 auseinander. Und da hielt denn nun Doktor Ebenich vor einem sonderbaren Gebilde. Halb glich es einer Orgel und halb auch einer Tropfsteinhöhle. Es dauerte eine Weile, bis der Reiter orientiert war und wußte, daß er des Spatzenmüllers Mühlrad vor sich habe, das mit Eiszapfen umwachsen war wie das Schaf mit Wolle.

»Wie war ich doch so dumm, daß ich auf das Mühlengeklapper wartete,« sagte der Doktor, indem er sich mit den Fingern vor die Stirne schlug. »Konnte ich mir denn nicht denken, daß der Müller und sein Gelorch eingefroren sein müssen, wie hätte sonst einer seiner Knechte Zeit finden sollen, krank zu werden? Bei schönem Wetter ist noch keines von diesen Bauernviechern in den Himmel gekommen. Ins Bett liegen und sterben besorgen sie immer nur dann, wenn sie sonstwie nichts anderes schaffen können. Ich wette, daß dieser Lackel von Knecht sich nur krank meldet, weil ihn der Gendarm wegen irgendeiner Schelmerei ins Zuchthaus holen will. O, daß ich noch einmal zu Hause wäre,« seufzte der halberstarrte Mann unter hörbarem Zähnegeklapper.

Da aber der Arzt nun doch einmal da war, stieg er ab und zog das Rößlein unter das Schuppendach. Sich selber schraubte er langsam die vereiste Haustreppe empor.

Beim Eintritt in die Stube begrüßte den Doktor ein vielstimmiger Männerchor. Die Kunde, daß in 225 der Mühle jemand krank sei, und das Apfelweinrenommee des Spatzenmüllers hatten eine Anzahl Bauern aus der Nachbarschaft herbeigelockt. Da war der Hintersteiner und der Teschemoschler, der Hammelbacher und der Mückelocher. Sie alle waren gekommen, weil sie in dem Schneewetter zu Hause nichts zu tun hatten und weil sie nicht haben wollten, daß der Spatzenmüller seinen Wein und seine Würste allein verzehre. Die Krankheit des Knechtes war nur die willkommene Gelegenheitsursache, ihr Erscheinen zu rechtfertigen.

Alle diese verschmitzten Ehrenmänner begrüßten den Doktor und lobten an ihm den Pflichteifer, der einen Mann in seinen Jahren bei einem solchen Wetter von der warmen Ofenbank weg nach einem so entlegenen Posten ins Land hineinführe. Freilich der Arzt lebe ja auch besser als andere Leute, und er sei von der Arbeit nicht so abgerackert wie so ein armes Bauernluder, wußten sie, das Lob herabstimmend, einzuflechten. Der Spatzenmüller vor allem beteuerte, daß er den heutigen Gang dem Doktoronkel hoch anrechne und daß er nicht verfehlen werde, bei der nächsten Bezirksratssitzung den Oberamtmann auf die Pflichttreue des Arztes aufmerksam zu machen.

Doktor Ebenich, der jeden Gedanken kannte, der unter diesen Leuten möglich war, und der deshalb wohl wußte, daß man sich so halb und halb über seine gutmütige Bereitwilligkeit lustig mache, verbiß 226 seinen Ärger, indem er so nebenbei auf eine günstige Gelegenheit hoffte, sich an den heimtückischen Spitzbuben zu rächen. Er schnickte so versehentlich den Schnee seiner Pelzmütze den Bauern ins Gesicht und ging mit einem grimmigen Lächeln über der Nasenwurzel und den Mundwinkeln auf die Kammer zu, in welcher der Kranke lag.

Ein Blick über das Bett hin genügte, um den Arzt zu überzeugen, daß sein Patient am leichtesten mit einer Hammelkeule kuriert werden könne. Aber Ebenich gönnte dem Racker dieses Remedium nicht. Hatte der Spitzbub ihn bei solchem Hundewetter hier herausgesprengt, so sollte er auch seine Mixtur hinunterwürgen, und zwar eine solche, die seinen Geschmacksnerven wie die Schrift auf einem Grabstein für ewige Zeiten eingegraben blieb. Der Arzt schnitt nun zunächst eine recht bedenkliche Berufsgrimasse, sah dem Kranken in die Augen, klopfte ihm mit der Reitpeitsche auf die Schienbeine, schüttelte den Kopf und ließ wie in ein Selbstgespräch verloren das Wort »Hirnentzündung« fallen.

Niemals seit Adams guten Tagen im Paradies ist eine Wursthaut von einem Hunderachen schneller aufgeschnappt worden als dieses Wort von dem Teschemoschler. Der aber behielt den hingeworfenen Brocken nicht, sondern würgte ihn aus gegen seinen Hintermann, den Hammelbacher hin. Etwas verändert ging er von diesem an den Mückelocher, und 227 als das Wort an den Hintersteiner kam, war aus der Hirnentzündung durch Metathesis eine Nierenentzündung geworden. Der Kranke selbst im Bett erblaßte, als er das nur allzu vernehmlich geflüsterte Wort hörte und erfuhr, mit welcher Geschwindigkeit so ein Krankheitsprozeß von einem Organ zum anderen galoppieren kann. Der Arzt aber drehte sich bedächtig um, stülpte mit dem Knopf seiner Reitpeitsche die Nase in die Höhe und seufzte aus den untersten Tiefen seiner Stiefel herauf: »Da ist guter Rat teuer.«

Daß er aber auch ein solches unwahres Wort gebrauchen mochte! – – Als ob es noch etwas gäbe, was billiger wäre als gute Ratschläge! Ganz umsonst konnte er sie haufenweise von den fünf Bauern seiner allernächsten Umgebung haben. Der Mückelocher zunächst rief: »Man solle den Patienten an einem feuchten Strohseil kauen lassen. Das habe in seinem Stall bei seinem Rindvieh immer eine gute Wirkung getan.«

Der Hintersteiner meinte: »Daß man zwar Mensch und Vieh nicht vergleichen solle, allein er habe seinem Esel bei derartigen Erkrankungen immer Leinöl in den Magen geschüttet, und er sei sicher, daß der Graue ohne dieses Heilmittel längst schon das Zeitliche gesegnet hätte.«

Von einem alten Zigeuner wollte der Teschemoschler wissen: »Daß Blutegel in Schneckenbrüh gekocht und bei Mondschein genommen ein Mittel sei, 228 womit man nicht nur die Türken und Franzosen, sondern auch die Pestilenz und den leibhaftigen Tod selber vertreiben könne.«

Der Hammelbacher wollte hinter seinen Genossen nicht zurückstehen und fing an, Schäfer Quickeborn von Kirchbrombach und seinen Spitzwegerichtee in die vorderste Gefechtslinie zu rücken: »Nichts gehe über die Wirkung seiner Kräuter, die er unter einem ausrangierten Galgen sammle. Sie brächten ein lahmes Schaf zum Ausschlagen, und einen halbverreckten Ochsen ließen sie auf den Vorderfüßen tanzen.«

Herr Ebenich hatte während dieser Hin- und Herrederei am Tische sitzend auf einem Stückchen Papier Lebertran und Kreosot, Moschus und Baldrian gar appetitlich für den Kranken zusammengeschrieben. Er erhob sich jetzt in seiner ganzen imponierenden Größe und verlangte Aufmerksamkeit für sich und seine Worte.

»Ihr habt gehört, Leute, wie es um den Kranken steht. Sorgt schleunigst, daß das Rezept in die Apotheke gebracht wird, und macht derweilen Aufschläge auf den Kopf des Patienten.«

»Aufschläge?« fragte der Spatzenmüller, »etwa mit einem Schälprügel, und auf den Hinterkopf oder auf die Stirn?«

»Nein, nicht mit dem Knüppel, sondern mit Eis,« sagte der Doktor, »das Ihr, in eine trockene Schweinsblase gefüllt, dem Kranken auf den Schädel stülpt.«

229 »Mit Eis,« bemerkte in verzweifeltem Tone der Spatzenmüller, »verlangt nicht mehr, Doktor, als in den Kräften eines armen Mannes steht. Wo soll unsereiner zu dieser Jahreszeit das Eis hernehmen?«

Jetzt fuhr dem Arzt ein Gedanke durch den Kopf, wie er den alten faulen Dachs aus dem Bau locken und sich an ihm rächen könne für seine gönnerhafte Großtuerei von vorhin.

»Nun,« sagte er, und zwar in einem so sanften Tone, als ob er das Sonntagsevangelium vorzulesen hätte, »Ihr nehmt den Schälprügel, den Ihr vorhin verwenden wolltet zu Aufschlägen für Euern Knecht, über die Schulter, hängt einen Korb daran und begebt Euch damit zu dem Brauer Dünnbier in Kaltengrub. Er ist, soviel ich weiß, Euer Gevatter, und wenn er dies nicht sein sollte, so seid Ihr jedenfalls an Sonn- und Feiertagen sein guter Kunde. Seid dessen sicher, er wird Euch Eis geben, soviel Ihr nur haben wollt. Der Weg zu diesem guten Mann ist eine gute Meile nur; keine Leistung für einen Kerl mit Beinen, wie Ihr sie habt.«

»Ganz recht,« pflichteten die anderen bei. »Ganz recht, zum Brauer Dünnbier in Kaltengrub! Er ist die gute Stunde selber. Keinem kann er etwas abschlagen. Nicht bei Tag und nicht bei Nacht; nicht im Sommer und nicht im Winter. Er ist doch auch noch ein Vetter von uns, und wir holen alle unser Eis bei ihm, sei's Wetter kalt oder warm, sei die 230 Zeit früh oder spät. Geht nur zum Vetter Dünnbier hin, da müßt Ihr hingehen, da könnt Ihr Eis haben, wie Ihr es braucht und soviel Ihr braucht.«

»Ihr habt's gehört,« sagte der Doktor zum Spatzenmüller, indem er seine Handschuhe sorgfältig über die Finger streifte und seine Mütze über die Ohren zog, »also tut danach, und Ihr werdet später von Euch rühmen können, daß Ihr einem Menschen das Leben gerettet habt.«

Herr Ebenich hatte nach dieser Vermahnung die vereisten Treppenstufen glücklich hinter sich gebracht. Er stand im knietiefen Schnee und zog sein Rößlein unter dem Schuppendach hervor. Dabei warf er heimlich verschmitzte Blicke nach dem Mühlrad hinüber, das mit handgroßen schwarzen Holzstücken durch seinen Eispanzer hindurch höhnisch in die kalte Gegend hineinäugte.

»Ob er wohl ein solches Rindvieh ist, daß er sein Eis in Kaltengrub holt, während er es doch hier mit dem Handbeil vom Rade herunterhacken könnte?« murmelte der Doktor schadenfroh in sich hinein.

»Immerhin, möglich ist es schon. Die Leute sind ja zu faul zum Nachdenken. Beziehen sie im Sommer von einem zwei Stunden weit entlegenen Ort ihren Eisbedarf, nun, so tun sie es eben auch im Winter. Ihr Leben läuft wie ein Eisenbahnzug auf festgenagelten Schienen, und kommt ihr Fuhrwerk an eine Weiche, so setzen sie als selbstverständlich voraus, daß 231 diese von einem Beamten für sie gestellt werde. Gut, dem Spatzenmüller seine ist durch mich bedient, und der Semaphor steht auf freie Fahrt. Warten wir ruhig den späteren Reisebericht ab.«

Mit diesen Gedanken warf sich der Arzt auf sein Pferd und trug heimwärts eine bedeutend bessere Laune mit sich, als er sie hergebracht hatte.

Fünf Tage gingen ins Land, da stand der Spatzenmüller im Sprechzimmer vor Ebenichs funkelnden Brillengläsern. Er sah nicht aus wie einer, der eine frohe Botschaft bringt, und der Arzt fragte überrascht: »Ob denn wider alles Erwarten der Knecht immer noch nicht in der Reihe wäre?«

»O der schon, ja der frißt Euch wieder soviel wie fünf Schweine zusammen. Redet nicht von dem. Schaut mich an. Bin ich nicht gebückt als wie ein Radschuh und so windschief wie eine Wendeltreppe?« So jammerte der Spatzenmüller.

Der Doktor hätte wahrhaftig seine Brille nicht gebraucht, um zu erkennen, daß in der Tat der Schwerpunkt des Bauern nicht mehr im Lot lag. Er stand so windschief da wie eine Mistgabel im Dunghaufen, und es war fast unbegreiflich, daß er überhaupt stand und nicht seitwärts umkippte.

»Wodurch seid Ihr denn in eine solch desperate Verfassung gekommen?« erkundigte sich mit klug geheucheltem Mitleid Herr Ebenich.

»Das wollt' ich eben Euch fragen,« antwortete 232 der Müller. »Wenn mir nicht irgendeine alte Vettel die Gicht an den Leib gehext hat, dann kann ich mir nur noch denken, daß am Ende gar das verfluchte Eistragen an meinem Zustand schuld sein könnte.«

»Richtig, das Eis, das Eis,« erinnerte sich plötzlich Herr Ebenich, »das Eis, das Ihr für den kranken Knecht gebraucht und beim Vetter in Kaltengrub geholt habt. Ihr habt es doch hoffentlich an Euerem Stecken in einem Korbe über der Schulter heimgetragen, wie es meine Vorschrift war?«

»Daß mich der Kitzel stach, nicht an dem Strang zu ziehen, an den Ihr mich gespannt hattet! Versteht mich wohl! Da ich einen Korb nicht zur Hand hatte, dachte ich: ›Ein Sack tut's auch,‹ und habe einen solchen über die Schulter gehängt.«

»Einen Sack, warum nicht gar einen Sack?« wunderwerkte der Doktor und war froh, daß er eine Ursache gefunden, dem Bauern die Schuld an seiner gegenwärtigen baufälligen Verfassung in die Schuhe zu schieben. »Seht, ein solcher Sack, aus Zwilchleinen wohl gar noch, ist das Schlechteste, was Ihr hättet wählen können. Er legt sich mit seinem kalten Inhalt allzu dicht die Wirbelsäule hinunter. Die Hunderte von kleinen Muskeln längs dieses Gebildes geraten in eine rheumatische Affektion, und der Mensch verzieht sich und wird krumm wie ein Peitschenstecken, der im Keller steht. Sagt an, wie kamt Ihr in des Teufels Namen nur dazu, zu Euerem 233 Eistransport einen Sack zu wählen? Einen Sack, einen Sack?« – –

Der Bauer gab auf diese Frage zunächst keine Antwort, sondern sah nur nachdenklich auf das geschmierte Rindsleder seiner Schaftstiefel hernieder. Plötzlich aber richtete er seine Blicke auf den Doktor und sagte mit eindringlicher Betonung: »Wenn ich einmal dumm fragen darf, Herr Ebenich, so verzeiht, wenn ich wissen möchte, ob denn der Eistransport von Kaltengrub her überhaupt nötig war? Ist nicht gefrorenes Wasser gefrorenes Wasser, und hätte man nicht auch jenes zu den Kopfaufschlägen verwenden können, was so ums Haus herum in jenen Tagen zusammengefroren war?«

»Ihr hattet also selber damals das Eis sozusagen unter den eigenen Dachpfannen?« bemerkte der Arzt ganz erstaunt.

»Nicht gerade unter den Dachpfannen, aber doch so dicht dabei, daß es mir das Mühlrad zusammengedrückt hat, so aus dem Fundament heraus, daß mir jetzt noch seine Fetzen im Hofe herumliegen wie Kuhfladen.«

»Was Ihr nicht alles zu erzählen wißt! Das Gewicht des Eises hat Euch das Mühlrad in Trümmer gelegt? In solchen Massen ist es aufgetreten? Ja gewiß, dieses Eis wäre zu Heilzwecken so gut gewesen wie irgendein Eis auf der Welt, so gut wie das Eueres Vetters in Kaltengrub. Daß einem doch 234 die guten Gedanken oft zu spät kommen. An Eueren eingefrorenen Mühlgraben hätten wir denken sollen, ja, das hätten wir, das hätten wir sollen, jeder von uns beiden. Und Euch wären viel Schmerzen erspart gewesen.«

»Ihr nehmt also die Hälfte von der Schuld an meiner Krankheit auf Euer Teil,« betonte der Spatzenmüller mit Nachdruck. »Nun gut, so schreibt mir ein Rezept, das mich von meinen Schmerzen befreit, unentgeltlich natürlich, und ich will dafür sorgen, daß Euer Teil an der Dummheit nicht unter die Leute kommt.«

Doktor Ebenich war mit dem Vorschlag einverstanden. Hatte er nichts verdient, so hatte er doch seinen Spaß gehabt und hatte erkannt, daß der Mensch wie ein Schubkarrenrad am liebsten im ausgefahrenen Gleise läuft. 235

 


 


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