Adam Karrillon
Bauerngeselchtes
Adam Karrillon

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Florian Feuerstein, der Zündler

Wißt Ihr, wie lange das Dörfchen Jörgenhain ist? Ach nein, Ihr könnt's nicht wissen. Vernehmt denn, daß des Heckenmüllers Esel regelmäßig ein Hufeisen durchtritt, wenn er es mit seinen Mehlsäcken auf dem Rücken durchwandert. Trotz seiner Länge hat der Flecken doch wenig mehr als zweihundert Einwohner, von denen jeder seinen eigenen Kopf hat. Ein jeder ist somit von seinem Nachbar außer durch Gärten, Wiesen, Äcker, Zäune und Gräben auch noch durch eine eigene Ansicht geschieden. Jörgenhain ist eine Welt von kleinen Selbstherrschern.

Auf der Talsohle hin läuft der Forellenbach durch Erlengebüsch, reißt, wenn er in Gewitterregen manchmal wild wird, dem Bauer Zwackel einen Fetzen seines Landes weg und schwemmt es dem Pächter Zwockel in seinen Krautgarten hinein. Ist dies Betragen des übermütigen Wassers nicht Grund genug, die Talbewohner gründlich zu entzweien? Doch 188 damit der Zank nicht aussterben kann, haben die Jörgenhainer außerdem noch zwei Religionen, die einander verdammen, zwei Kriegervereine, die einander bekriegen, zwei Gesangvereine, die einander Trutzlieder singen. Die Autorität ruht auf vier Armen, die, an Bürgermeister und Polizeidiener angewachsen, paarweise das Geschäft des Schweinestechens im Nebenamt betreiben. Brauch' ich noch zu erwähnen, daß beide Würdenträger aus Geschäftsneid sich aufs intimste hassen? Drum ist es wohlgetan, daß des einen Haus am Ostende des Tals steht, während das des anderen den Westausgang des Dorfes ziert. Wäre nicht das Gebell der Hunde aus den Hofraiten gedrungen, so hätte eigentlich von den Jörgenhainern keiner von dem andern etwas zu wissen brauchen. Jeder hätte nach seiner Fasson selig werden können. Aber da waren leider Gottes die Spinnstuben mit ihrem Weibergetratsch, die Viehmärkte mit den Raufhändeln der Männer und die Sonn- und Feiertagskirchgänge mit den Rätschereien beider Geschlechter, die immer und immer wieder die Glut altvererbten Hasses zur Flamme anbliesen und das Dorf nicht zur Ruhe kommen ließen.

Hatten die Leute von Jörgenhain auch kein gemeinsames Ziel, kein gemeinsames Interesse, keinen gemeinsamen Gott, so hatten sie doch einen gemeinsamen Teufel, der sie merkwürdigerweise in der Wut gegen die Feuerversicherungsgesellschaften 189 zusammenschweißte, und zwar zu einem festen und unlösbaren Klumpen. Man mußte zahlen für die Versicherung seines Hauses, seiner Scheune, seines Ackergerätes, seines Viehes. Der Großvater hatte das schon getan, der Vater hatte es ihm nachgemacht, und der Sohn mußte zahlen, ob er es gerne tat oder nicht. Und dieses Muß stand befehlend da in jeder Mühle, in jeder Kate, in jeder Hofraite. Herr Gott, was müßte da irgendwo für ein Haufen Geld zusammenliegen, wenn nicht die Spitzbuben da oben, die man sich mit Geheimrats- und Advokatengesichtern vorstellte, die Hände darin gewaschen hätten. Man hatte die Steuerboten, den Gerichtsvollzieher, den Straßenaufseher, kleine aber ehrliche Leute nach dem Verbleib des Geldes gefragt, aber niemals eine befriedigende Antwort bekommen.

»Sie wern's in Darmstadt verkartet haben,« hatte der Kutscher des Kreisphysikus gesagt, und das war eine Erklärung, die allen Einwohnern von Jörgenhain vom Bürgermeister bis zum Gänsehirten herunter sehr plausibel erschien.

»Daß sie das Gewitter verschmeiße,« hatte der Hinterwinkler gesagt, »wenn ich nur erst mit dem Herrgott im reinen wäre, dann wollt' ich meinen Teil von dem Gelde schon wieder in meinen Zugbeutel kriegen.«

Bei seiner nächsten Osterbeichte fragte er den Kaplan: »Hochwürden, sag' Er mir, darf ich mein Geld, 190 das ich einem anderen bis zum Tage der Not zum Aufheben gab, mir wieder heimholen?«

»Ja, Hinterwinkler,« hatte der geistliche Herr gesagt, »das dürft Ihr, ganz gewiß, das dürft Ihr tun, ohne Gewissensbisse dürft Ihr das tun, namentlich am Tage der Not.«

»Den Tag der Not kann ich mir schaffen lassen,« dachte der Bauer und nahm seinen Weg nach Jörgenhain aus dem Pfarrdorf heraus über Abtsfelden. Der Maurermeister Feuerstein guckte da mit bekümmertem Gesicht gerade zum Fenster heraus in das aufgeregte Schneetreiben eines stürmischen Apriltages hinein, als Hinterwinkler vorüberschritt.

»Hast du das große Los gewonnen?« fragte der Hinterwinkler, »wie kannst du bei solchem Wetter die Wärme aus deiner Stube herauslassen und dir den kalten Wind einfangen? Dich kann doch der Speck nicht brennen. Kerl, wie siehst du so viereckig aus und so herausgefüttert wie eines Leinewebers Kuh?«

»Spart Eueren Witz für Leute, die leichter lachen können wie ich, Hinterwinkler. Gesottene Kartoffeln einen ganzen Winter über und Steuerzettel dazu, davon wird keiner fett, zumal wenn um den Tisch herum noch sieben hungrige Mäuler sitzen. Wenn nur das Wetter aufginge, daß unsereiner doch wieder zum Verdienst käme.«

»Und sind deine Aussichten auf Neubauten gut über den Sommer hinaus?« fragte der Hinterwinkler.

191 »Bis gegen Pfingsten wird die Arbeit reichen, dann aber werde ich die Sense nehmen und zu den Bauern in die Heuernte gehen können.«

»Daß du dich so wenig auf deinen Vorteil verstehst,« bemerkte der Versucher. »Wenn keine Kegel umgeworfen werden, kann der Kegelbub keine aufsetzen und mag Lohkäs treten. Dem Niederstürzen folgt das Aufbauen wie das Kalb der Kuh. Hast du kein Gehirn im Kopf und verstehst du nicht, wie ich das meine?«

»Doch schon, so halb und halb. Schon beinahe dreiviertels ist's mir klar, wo Ihr hinaus wollt. Ihr meint, ich soll mir ein Automobil anschaffen und damit Euch Bauern im Tal drunten die Riegelwände einrennen, damit ich sie nachher aufs neue flicken kann. Ja, gerne möcht' ich so zu Verdienst kommen, wenn ich doch nur einen Gevatter hätte, der bei dem Handel für mich am Vorschuß seinen Namen auf die Bürgschaft querschreibt.«

»Dir fehlt's am praktischen Verstand,« entgegnete der Hinterwinkler. »Können nicht die kleinen Ameisen ein Haus zerstören und der Mauerschwamm? Kann es nicht sogar das dünnste Streichholz? Wenn du schon einmal ein Feuerstein bist, nun so gib auch Funken. Ist nicht St. Florian dein Namenspatron?«

Der Maurermeister hatte während dieser Rede des Bauern ein dummes, breites Gesicht gemacht. Als er aber zu begreifen anfing, wo hinaus der 192 Hinterwinkler wolle, wurden seine Züge spitz, und sein Gesicht glich dem einer Haselmaus, als er dem Versucher leise zuflüsterte:

»Kommt herein in die Stube, die Glucke ist mit dem Butterkorb über Land gegangen, um Pfennige zu verdienen, und die Kücken treiben sich auf dem Mist anderer Leute herum, um womöglich ein Stücklein Brot für ihren Schnabel herauszuscharren.«

Als der Hinterwinkler in die Stube getreten war, ging er zuerst nach der Küchentür und riegelte diese ab. Dann bückte er sich und warf einen Blick unter das Bett, und ehe er sich zu dem Maurer an den Tisch setzte, maß er noch mit fragenden Blicken den Uhrkasten daraufhin, ob er etwa geräumig genug wäre, einen unerwünschten Lauscher in sich zu beherbergen.

»Ihr seid doch ganz allein?« flüsterte er darauf dem Florian Feuerstein ins Ohr.

»Wenn du die Läuse nicht mitrechnest, die sich hinter meinem Hemdenkragen verlustieren, dann ist außer uns beiden kein lebendiges Wesen weit und breit.«

»Die Läuse, die plaudern nichts aus vor Gericht,« nahm der Hinterwinkler das Wort, »die sind verschwiegen. Kein Rechtsanwalt bringt's fertig, aus deren Maul auch nur einen Ton herauszuholen. Es sind vertrauenswerte, ehrliche Kreaturen, und ins Zuchthaus kommen sie immer nur in Gesellschaft von 193 unseresgleichen. Dieser Pfeffer verdirbt uns die Wurst nicht. So hör mich also an und sag' mir deine Meinung, wie du von meinem Vorschlag denkst.« Er holte tief Atem und fuhr fort:

»Du kennst meine Scheuer. Soweit sie nach der Straße hinschaut, macht sie noch ein leidlich junges Gesicht. Aber hinterwärts, so nach dem Bangert zu, bei allen Teufeln, da ist sie dir voller Löcher wie der Strohsack eines Kesselflickers. Glaub' mir, da hat's dir Stellen, wo eine Kuh das Heu herausziehen könnte wie aus einer Futterraufe – Stellen, die nach einem Streichholz schreien wie der Rabe nach der Saatzeit. Guck', wenn dir der Weg übern Berg nicht zu weit wäre in einer dunklen Nacht, Feuersteinchen, Feuersteinchen, du könntest deinen Rauchfang mit Schinken tapezieren. Das Handgeld, das ich dir geben will, soll so bemessen sein, daß du mitsamt deinen Jungen dreimal überwintern könntest. Und außerdem überlege doch: Der Neubau bringt dir und deinen Gesellen Verdienst. Bis zur Holzgleichung wird er dein Werk sein. Von dort ab kommt der Zimmermann ans Verdienen. Ist er nicht dein Schwager? Und braucht er nicht das Geld so notwendig als wie du? Hör nur! Einen Gotteslohn kannst du dir an dem armen Teufel verdienen und an seinen Ungewaschenen, Ungekämmten, Rotznäsigen erst recht. Hörst du zu, Feuersteinchen, verstehst du mich denn auch ganz, und was hast du zu den Konduiten, die ich dir mache, zu 194 sagen? Wenn dich dein Gewissen beißen sollte, nun so kratz' es, wie du ja auch deinen Buckel kratzen mußt, wenn er dich juckt, und bedenke, daß du dir und vielen andern hilfst und keinem schadest als der Feuerversicherung, die doch keiner ist. Du kannst sündigen gegen deinen Gott, gegen deinen Nächsten, gegen dein Vieh, aber gegen eine Feuerversicherung kannst du so wenig sündigen wie gegen eine Zeitung oder gegen den Kalender, der dort an der Wand hängt. Und wenn die Schwindelbande mir das Brandkassengeld herauszahlen muß, wessen Geld gibt sie mir? Etwa das der halbverhungerten Schreiber, die auf ihrem Bureau die Gänsefedern kauen? Nein, sie gibt nur heraus, was ich, mein Vater, mein Großvater und der Härle, an den du dich wohl auch noch erinnerst, einbezahlt haben. Höllendonnerwetter, Feuerstein, soll unser gutes Geld auf Nimmerwiedersehn verschwunden sein wie eine Wursthaut, die der Hund verschluckt hat?«

Während der Versucher noch redete, hatte der Versuchte im Mund herumgegriffen und mit dem nassen Finger eine Zahl auf die Tischplatte hingemalt.

»Soll ich Euch eine Brille holen oder könnt Ihr ohne sie noch lesen?« sagte er trocken.

Der Hinterwinkler neigte den Kopf über das Geschriebene und fuhr die Ziffern mit der Nase nach. »Abgemacht!« sagte er nach einer halben Sekunde, 195 und zwei Hände klatschten den Vertrag besiegelnd ineinander.

Während der Bauer nach seinem Stocke tastete, um zu gehen, drückte der Maurer seinen Besuch noch einmal an den Schultern auf seinen Stuhl nieder.

»Apropos, Hinterwinkler, Ihr habt zu Hause ein kröpfiges Weib und einen Sohn, der ein halber Wasserkopf ist. Daß Ihr mir reinen Mund haltet denen gegenüber. Weiber und Kinder sagen nur das nicht weiter, was sie nicht wissen.«

»Ich will morgen das Abendmahl drauf nehmen, daß ich schweigen kann, und überdies sei nicht bang. Mein engbrüstiges Weib hat schon die letzte Ölung hinter sich. Die macht's nicht mehr lang, und Peterphilipp, der Dilltapp, ist so dumm, daß er eine Gelberübe für einen Rettich frißt. Den kann man mit einem Schulmeisterzeugnis mundtot machen. Von beiden droht Euch keinerlei Gefahr.«

»Und die Jörgenhainer?« fügte der Maurermeister hinzu, »legen sie sich zeitig aufs Ohr oder sind die ziemlich nachtfertig? Nicht daß sie am Ende gar mit der Feuerspritze auf dem Brandplatz erschienen und das Feuer löschten, bevor es noch ganze Arbeit getan hätte.«

»Seid wegen deren außer Sorge. Erstens schlafen sie wie der Dachs zwischen Martinstag und Mariareinigung, und zweitens laufen die dem Geruch des Apfelweins nach wie die Katzen dem Gestank des 196 Baldrians. Paßt auf, wie ich die beschäftigen werde. Ihr wißt doch, daß unter meiner Scheune der Weinkeller ist! Das erste, was geschehen wird, wenn die Feuerwehr anrückt, ist, daß die Kellertür in Fetzen fliegt. Dann werden sich die Wildschweine über die Fässer hermachen und schlucken wie die Trichter. Nun gut, sie sollen haben von meinem Wein, was sich vorher nicht noch fortschaffen läßt. Aber ich will dafür sorgen, daß sie mir einen Teil meines Eigentums wieder da lassen. Ich werde den Wein mit Bitterwasser aufbessern, und die Säufer sollen mir in der Nacht noch meine Felder düngen, wofür das Bitterwasser zu sorgen hat. So wird zu Unrecht erworbenes Gut dem Eigentümer zurückgegeben, und die Sünden gegen das siebente Gebot sind gemildert, wenn nicht ganz ausgelöscht.«

Jetzt erhob sich der Redner und drängte der Stubentür zu. Der Maurer gab ihm das Geleite bis in den Hausgang. »Spart mir am Bitterwasser nicht!« bemerkte er noch beim Abschied.

»Wenn der Hinterwinkler etwas durchsetzen will, dann scheut er keine Kosten. Euch aber laßt noch gesagt sein: Richtet von jetzt ab Euer Leben so ein, daß Eure Frau jederzeit beschwören kann, daß an jedem Morgen des Monats Euer Bett warm war. Vor Gericht gibt es ein Ding, genannt das Alibi. Das will sagen, daß wenn einer an einem Orte war, er nicht zu gleicher Zeit am andern gewesen sein 197 kann. Habt Ihr zu Hause Euer Bett gewärmt, so könnt Ihr nicht wo anders einen Backofen mit Euerem Braten geheizt haben. Seid schlau, nur ein ganz klein wenig, und Ihr könnt mit diesem Alibi ein Dutzend Professoren im Lande herumführen wie Bärenführer den Meister Petz an einem Nasenring.«

Diese Worte waren auf der Schwelle gesprochen. Ein Bein des Hinterwinklers stand bereits im Schneetreiben draußen.

Drei Tage nach dieser Unterredung sagte der Maurer Feuerstein seiner Familie frühzeitig gute Nacht und ging mit einem warmen Henkelkrug, den er vor sich selber das Alibi nannte, in seine Kammer. Er verrichtete fromm sein Abendgebet und legte sich dann mit den Kleidern ins Bett. Mit dem Alibi auf dem Magen horchte er eine Zeitlang auf das Geräusch der Atemzüge seiner Frau im Zimmer nebenan, und als dieses von einem leichten Blasen in ein rauhes Kratzen übergegangen war, erhob er sich, legte das Alibi dahin, wo soeben noch sein Hinterteil geruht hatte, breitete die Decke darüber und kletterte durchs Kammerfenster in die rabenschwarze Nacht hinaus. Seinen Weg von Abtsfelden nach Jörgenhain hinunter nahm er mit Absicht durch Waldgebüsch, Wiesenklingen und Ackerland schnurstracks dem Ostende des Dorfes entgegen. Am Hause des Polizeidieners fiel ein matter Lichtschimmer durch den Herzausschnitt des Ladens.

198 »Noch schläft er nicht,« dachte Florian, »sollte er noch auf einer Runde durch das Dorf sein? Ich will mich an die Mauern des Häuschens herandrücken und zusehen, ob ich etwa einen Blick durch irgendeine Ritze ins Zimmer werfen kann.«

Richtig, da war am Fenstergesimse eine kleine Blechröhre, durch die zur Winterszeit das Kondenswasser der Fensterscheiben ins Freie hinausrann.

»Kruzi-Türken, Feuer- und Wasserdonnerwetter,« sagte der Feuerstein, »die Einrichtung ist wie extra für mich geschaffen,« und er lugte durch die kugelrunde Öffnung ins Zimmer hinein. Was er da sah, steigerte seine Heiterkeit zum Entzücken. Der Hüter des Gesetzes lag sternhagelvoll in seiner katzengrauen großherzoglich hessischen Uniform auf dem Boden. Seine besorgte Gattin trat ihm zuweilen mit einem Holzschuh zärtlich zwischen die Rippen, ohne jedoch eine andere Gegenzärtlichkeit auslösen zu können als ein zorniges Grunzen, das aus dem Rachen eines Wehrwolfes zu kommen schien. Der Feuerstein mußte beinahe laut lachen, als er diese Töne hörte.

»Der fängt heute keinen mehr, und wenn die Spitzbuben so dick aufeinandersäßen wie die Blattläuse auf der Rosenknospe,« sprach er belustigt vor sich hin und tänzelte leise pfeifend die lange Dorfgasse hinunter. Nirgends mehr der Schimmer eines Lichtes. Nirgends mehr ein Laut, der an das pulsierende Leben erinnerte. Kirchhofstille allüberall.

199 Wie Florian Feuerstein so im Dunkeln durch die lehmige Straße schritt, hielt er seine Hand vor die Augen und versuchte, seine Finger zu zählen. Hätte er nicht gewußt, daß es fünfe sein müßten, durch den Versuch, sie zu sehen, hätte er nicht einmal sich selber von dieser Zahl überzeugen können. »Erspähen tut mich keiner,« dachte Florian, »und daß mich keiner tastet, das verhütet mein Beinwerk und, so Gott will, mein heiliger Namenspatron,« und er pirschte sich an sein Objekt, die alte Scheuer, heran.

Alles ging ohne Störung zu. Die Lunte war gelegt, und der Brandstifter nahm seinen vorsichtigen Weg durch Brachfelder und Ödland zur Bergeskuppe empor, auf deren kahler Lichtung sein Abtsfelden lag. Ehe er auf der Höhe war, hörte er hinter sich im Tale die Hunde bellen. Er drehte sich um und gewahrte in der Richtung, aus der er kam, einen blutroten Feuerschein. »Mein Teil an der Arbeit ist getan, wenn nur der Segen des Himmels nicht fehlt, kommt das Werk zum guten Ende,« sprach er voll innerer Befriedigung vor sich hin, stieg durch das Kammerfenster in sein Haus, legte das Alibi unters Bett, sich selber mitten hinein in den Strohsack und schlief fest und ungestört.

Gönnen wir ihm die Ruhe nach getaner Arbeit und sehen wir zu, wie die Jörgenhainer mit den Schrecken einer Feuersbrunst umzugehen wissen, die 200 plötzlich wie Gottes Zuchtrute in ihr frommes Tal gekommen war.

* * *

»Horch doch, wie die Hunde toben,« rief die Kohlnickelsbäuerin und stieß dem Bauern, der neben ihr im Bette schnarchte, in die Rippen. »Vielleicht, daß der Fuchs um die Hühnerställe schleicht. Steh auf, du Faultier, und lug zum Fenster 'naus, eh' dir der Dieb die Hennen holt mitsamt dem Gockel.«

Der Bauer erhob sich schwerfällig und streckte den Kopf zum Fenster hinaus. Er sagte nichts weiter, sondern ließ sich wieder ins Bett fallen, streckte und dehnte sich in der behaglichen Wärme, die seine wohlbeleibte Gattin ausströmte.

»So red' doch, was ist los draußen,« schrie diese, indigniert über die Sprachlosigkeit ihrer Ehehälfte.

»Pst, pst,« tönte es ihr entgegen, »ich will dir's sagen. Daß du mir aber nicht das Dorf vollschreist. Der Hinterwinkler braucht eine neue Scheuer, und er hat ganz recht, wenn er illuminiert. Ist nicht morgen ein Hagelfeiertag? Daß du dich ja nicht mucksest! Man muß auf Nachbarschaft halten, – weil, weil, nun weil – eine Hand die andere wäscht. Ist nicht auch unser Nebenbau so gebrechlich, daß ihn der liebe Herrgott zu sich nehmen kann, wann er will? Werden wir dann etwa die Gemeinde 201 zusammentrommeln, wenn ein warmer Hauch sich sein erbarmt und ihn zum Himmel trägt?«

Nach dieser Bemerkung, die richtig vorgetragen und richtig aufgefaßt worden war, herrschte in dem Zimmer des Kohlnickelbauers mindestens über eine Viertelstunde hinaus eine geradezu brutale Stille. Von außen aber kam ein züngelndes Rauschen und zuweilen ein kicherndes Prasseln. »Nun ist die Flamme in dem Schindelwerk der Mauerverkleidung. Bald wird sie höher steigen in das Sparrenwerk des Daches, und die Ziegeln werden klappernd niedersausen auf das Pflaster des Hofes,« berechnete der Nickel. »Wenn es so weit ist, dann will ich aufstehen, durch das Dorf rennen und Mordio und Feuer schreien, daß die Schafe aus den Hürden brechen, als wär' der Wolf in der Nähe.«

Doch seiner Absicht war ein anderer zuvorgekommen. Von der Straße her erscholl bereits der Ruf: »Feuer, Feuer!« Der Kohlnickel riß das Fenster auf und erkannte im Scheine des Brandes den Schneider Fingerhut, dem er mit folgender Liebenswürdigkeit in die Parade fuhr:

»Was heulst du Störenfried, wenn ein kleiner Mann seinen Backofen einheizt? Willst du dir das bißchen Fett noch von den mageren Seitenstücken herunterschreien? Was soll denn an dir brennen, wenn einmal der Blitz in dich hineinschlägt? Geh deiner Wege, ausgehungerter Hundsknochen, und 202 überlaß das Feuer denen, die von Amts wegen berufen sind, es zu löschen. Wenn du aber durchaus etwas Überflüssiges tun willst, so nimm deinen Schubkarren aus dem Stadel, drücke ihn ans Ende des Dorfes und fahr den Bürgermeister an die Brandstelle heran, damit seine Klugheit anordne, was zu geschehen habe.«

Fingerhut ging wirklich das Tal hinunter, und zwar – da er aus den Worten des Kohlnickels herausgelesen hatte, wie der Barometer stand – in einem Tempo, als ob er eine Gans zum Markte zu treiben hätte. Als er am Hause des Bürgermeisters angekommen war, nahm er eine Handvoll Sand vom Boden auf und warf diesen wider die verbleiten Scheiben. Kling, klang! machten diese und weckten den Bürgermeister auf, der eben noch von einer Metzelsuppe geträumt hatte. Ein Fenster öffnete sich, und ein dickes Gesicht, so ausdrucksvoll wie das Hinterteil eines Mastschweines, kam zum Vorschein.

»Denkst du vielleicht, daß hier die Hebamme wohnt?« brüllte eine unhöfliche Stimme dem Meister Fingerhut entgegen.

»Mit Verlaub, Herr Bürgermeister,« antwortete eine verzagte Schneiderstimme, »die Ammebas brauch' ich nicht. Meine Frau will – Gott sei Dank – in dem Jahr eine Pause machen. Aber beim heiligen Florian und seinem Wassereimer: brennen tut's im Dorf, brennen tut's!«

203 »Was du nit sagst! O Höllendonnerwetter, wo wird denn nun der Schlüssel zum Spritzehäusel sein? Der Schlitzöhrle von Eiterbach hat meinen Sonntagsrock zu einer Hochzeit geliehen. Himmelsakra, wenn der Schlüssel noch in dem Kleide steckte. Na, das wär' eine saubere Geschicht'. Dann müßten wir am Ende gar vors Kreisamt, weil wir nicht gelöscht haben. Aber nein doch, halt, alleweil da fühl' ich was da unter den Sohlen in meinen Salbändelschuhen. Richtig, da haben wir ja den Schlüssel. Paß auf, gleich liegt er vor deinen Stiefeln. Bücke dich darnach und geh. Jag' die Hinkel aus der Feuerspritz' heraus und bring die Eier mit, die sie in der letzten Zeit hineingelegt haben. Die Nester aber, versteht du mich wohl, die Nester läßt du drinnen. Die genieren an keinem anderen Orte so wenig als da, wo sie gerade sind. Hätten wir etwa die Spritze angeschafft, damit sie Wasser spritzte, Brände löschte und den Feuerversicherungsgsellschaften Dividenden verschaffte?«

Der Schneider ging, und der Bürgermeister ging auch, das heißt vom Stubenfenster weg. Er stellte sich an sein Küchenfenster und sah das Tal hinauf.

»Dem Hinterwinkler seine Scheune ist's,« sagte er im Selbstgespräch. »Der Himmel ist nur noch zu hell. Wenn wir uns langsam eilen, wird die alte Baracke, so Gott will, auf einem Haufen liegen, bis wir mit der Spritz' angesaust kommen. Aber horch! 204 Hör' ich da nicht zwei Räder schlagen? Der Schneider Fingerhut scheint einen gefunden zu haben, der ihm hilft. Ich will nur eilen und die Feuerspritz' mit meinem Ranzen beschweren, daß sie langsam läuft und nicht ein Unglück geschieht und wir zu frühe vor der Brandstelle ankommen.«

Nun fuhr der Ortsgewaltige in seine Hosen hinein, stülpte einen Feuerwehrhelm über seinen Zyklopenschädel und eilte nach dem Spritzenhaus, wo sich zu dem Schneider noch Hufnagel, der Schmied des Tales, gesellt hatte. Die beiden Männer erblaßten, als sie den Koloß von Bürgermeister auf die Spritze steigen sahen.

»Mistgabel und Rechenstiel,« seufzte der Schmied, »wir müßten Kerle sein wie Birkenfelder Zugpferde, wenn wir mit dieser Ladung vor Sylvesterabend noch das Tal hinaufkommen wollten. Mach', daß du 'runterkommst, Bürgermeister, und trag deinen Wanst selber zur Brandstelle. Wer vermag es denn, einen Holofernes, wie du einer bist, zu ziehen.«

»Versucht's doch nur,« begütigte der Mann im Feuerwehrhelm, »ihr braucht ja nicht zu rennen wie Zirkusgäule. Ihr könnt so laufen, wie ihr laufen würdet, wenn im Hofe des Hinterwinklers der Galgen stünde, der auf eure Hälse wartete.«

Es geschah, wie der Bürgermeister wünschte. Die beiden zogen an und fuhren los. Schon wimmerte das Glöcklein einer kleinen Notkapelle gar kläglich 205 durchs Tal. Haustüren sprangen auf, und Menschen stürzten auf die Straße und sammelten sich um die Feuerspritze, die nun, von vielen Händen gezogen und geschoben, feierlich wie weiland die Bundeslade, samt ihrem Insassen langsam den Talweg emporschwankte. Vorm Hause des Siebenseppel ließ der Ortsgewaltige den Zug halten und rief den Schmied zu sich heran.

»Du,« sagte er, laut genug, daß es alle hören konnten, »der Seppel ist ein Feind des Hinterwinklers und könnte löschen wollen, um den Alten zu ärgern. Stell' dich hinter seinen Stall und sing': ›Freund, ich bin zufrieden,‹ dann meint er, ihm käme eine Kuh ans Kalben, und er bleibt daheim.«

Die Leute lachten einige Minuten über das witzige Dorfoberhaupt und setzten sich dann langsam wieder in Bewegung. Als der Haufen vor der Brandstelle ankam, hatte das Feuer schon ein gutes Stück seiner Arbeit getan. Der hintere Teil des langen Gebäudes, jener Teil, der die Futtervorräte und die Tenne beherbergte, war eingestürzt, und so glich das Ganze einem in die Hinterhachsen niedergesunkenen illuminierten Kamel. Ein Teil der Dachsparren flammte gegen die Mitte zu noch wie nackte Fackeln auf, während der westliche Dachgiebel sogar noch seine Ziegeln trug. In ihm war das Zimmer von des Hinterwinklers Sohn Peterphilipp eingebaut. Der Wasserkopf tat, was ihm sein verkrüppelter Verstand 206 vorschrieb. Er warf den Spiegel und den Ofen durchs Fenster und trug sein Federbett vorsichtig in den Hof hinunter. Man sammelte sich um ihn, man wollte sich totlachen über ihn, und man ermunterte ihn sogar, in seinem Wirken fortzufahren.

»Die Scherben kommen auf das Konto der Versicherungsgesellschaft,« rief ein Spaßmacher. »Ach, Peterphilipp, wirf nur getrost das Kaffeegeschirr mitsamt den Suppentellern durchs Giebelfenster!«

Indessen war die Spritze mit dem Bürgermeister doch zur Stelle gekommen. Hilfreiche Hände hoben den dicken Herrn von seinem Sitz herunter. Er stand, deutete mit dem Finger in den Wasserkessel hinein und kommandierte:

»Tut vor allen Dingen mal Wasser dahinein!«

Daß diese Selbstverständlichkeit befohlen worden war, machte einen guten Eindruck. Drei oder vier der seitherigen Gaffer liefen in der Tat mit Eimern nach dem Bächlein nieder, und ehe noch eine halbe Stunde vergangen war, hatte man wahrhaftig das Bassin der Spritze gefüllt. Die Pumpen wurden mit kunstvollem Geschick bedient, aber es kam um tausend Gulden nicht das kleinste Wasserstrählchen aus dem Ansatzrohre des Schlauches heraus. Allzu rücksichtslos hatte das Hühnervolk des Bürgermeisters sein Wohnrecht in der Feuerspritze mißbraucht. Siebe und Seiher waren aufs gründlichste verstopft.

Dem Ortsgewaltigen wurde es nun doch etwas 207 heiß unter den Haaren. Wenn irgendein Wind die Kunde von dem Brand in Jörgenhain nach dem nahen Kreisstädtchen trug, dann kamen die reitenden Gendarmen. Dann kam das Zweckwidrige der seitherigen Spritzenverwendung an den Tag. Dann konnte es einen Wischer absetzen von oben herunter. Potz Holzschuh und Stiefelknecht. Was waren das für Aussichten für einen Ortsvorstand! Auch rückte der Siebenseppel dem Dicken auf den Leib. Nicht, daß er persönlich an ihn heranwollte, nein, er verlangte nur kategorisch, daß gelöscht werde. Er mißgönnte dem Hinterwinkler das Brandkassengeld, weil – dieser ihn bei einem Kuhhandel betrogen hatte. Wenn da nicht die Knöpfe reißen und die Hosen herunterfallen sollen, mußte behördlicherseits irgend etwas geschehen, irgend etwas – – Der Siebenseppel war imstande und machte einen Bericht.

Der Bürgermeister überlegte einen Augenblick und stieg dann, damit seine Worte von oben heruntergesprochen einen größeren Eindruck machen sollten, auf die Feuerspritze.

»Ihr Männer,« rief er der Versammlung zu, »Jörgenhainer Bürger, wenn die Spritz' nit mithilft, so müssen wir wenigstens unseren guten Willen zeigen und ohne sie auszukommen suchen. Bedenkt, wie steht unsere Feuerwehr da, wenn die Gendarmen kommen und sehen, daß nichts geschehen ist. Ich bitt' euch,« flehte er, »greif' ein jeder zu den 208 Eimern und Ihr alle zusammen tragt Wasser. Überschwemmt den Hof und macht die Chaussee naß, daß es wenigstens so aussieht, als ob wir am Wasser nicht gespart hätten. Wenn die Geschichte mit der Feuerspritze an das Tageslicht kommt, spottet die ganze Umgegend noch über uns, wenn schon das jüngste Kalb in der Gemeinde eine Kuh sein wird.«

Doch die Leute hörten nicht auf ihren Führer. »Wozu sollen wir Wasser tragen, wenn der Hühnerdreck die Spritze ruiniert hat?« sagten sie, steckten die Hände noch tiefer in die Hosentaschen hinein und starrten gedankenlos in die prasselnde Lohe. Der Bürgermeister schwitzte in tausend Nöten durch alle Nähte seines Wamses hindurch. Er fühlte, daß er in Aktion treten, daß irgend etwas geschehen müsse, was ihn vor der Behörde rechtfertigte, und er schrie deshalb, von einem erlösenden Gedanken beseelt, in die gaffende Menge hinein:

»Kerle, wenn ihr zu faul seid, um Wasser zu tragen, so nehmt die Feuerhaken und reißt den ganzen Plunder zusammen.«

»Das ist gegen die Löschordnung,« antworteten einige aus dem Haufen und legten den Schwerpunkt ihres Körpers von einem Bein gemächlich aufs andere.

Einer solchen Indolenz gegenüber wußte sich der Bürgermeister nicht mehr zu helfen. Wie sehr auch seine irrenden Blicke suchend in die Runde gingen, 209 nirgends war ein Ausweg. Doch halt, einen Moment nur. War da an der steinernen Grundmauer des brennenden Gebäudes nicht der Kellerhals eingebaut, der mit einem Gewölbebogen den Zugang zu den Weinfässern überzirkelte? Wenn man die Meute auf den Apfelweinvorrat hetzen könnte! – – Die Aussicht auf eine Schlemmerei würde Bewegung in die Masse bringen. Der Ortsvorstand kannte seine Leute. Er wußte, daß sie über die Fässer herfallen würden wie die Hammel über die Salzlecke. Da war ein Saufen zu erwarten wie zur Kirmeszeit, und bei dem Mangel an Gefäßen würde der Boden nicht weniger schlucken als die Harmonikamagen der Feuerwehrleute. Mochten dann immerhin die Gendarmen kommen, man konnte ihnen das nasse Pflaster zeigen. Wenn die Menschen schwiegen, es würden dann die Steine dem Pflichteifer des Feuerwehrkommandos ein lautes Loblied reden.

Gerade schlotterte Hufnagel, der Schmied, an der Feuerspritze vorüber und drückte sich eine Handvoll Kautabak in die Backentaschen, als der Bürgermeister mit seinem Plane fertig war.

»Was zottelst du müßig da herum wie der Totengräber nach der Beerdigung? Gibt's hier nichts weiter mehr zu tun, als Tabak zu kauen und seinem Nächsten auf die Stiefel zu spucken? Hat der Hinterwinkler im vergangenen Herbst keinen Most gemacht? Soll der etwa im Keller drunten verstinken und 210 verderben? Ans Werk, ihr lendenlahmen Hunde! Schafft einen Balken zur Stelle und rennt mir auf meine Verantwortung hin die Kellertür ein!«

Was dem Schmiede gesagt schien, hatten ein Dutzend andere auch gehört. Im Nu war ein Stück Langholz zur Stelle. Mehr als fünfzig Hände umklammerten den Balken und bumb, bumb fuhr er dumpftönend wider die Kellertür, die krachend in sich zusammenbrach. Nicht lange, und halbbetrunkene Gestalten kamen mit blitzenden Augen die Treppe heraufgetorkelt, johlend, schreiend, die mostgefüllten Feuereimer im Arme. Man trank aus Milchhäfen, Stiefelschäften und Filzhüten. Man ließ beim Zutrinken Eimer und Waschschüsseln widereinander klingeln und achtete es gering, wenn der gestohlene Trunk überschwappte und im Hofe Rinnsale und Pfützen bildete, in denen man die Holzschuhe füllen konnte. Der Bürgermeister hatte erreicht, was er wollte. Mochten jetzt immerhin die Gendarmen im Galopp oder Trab heransprengen, an Feuchtigkeit, die einem bezeugte, daß man seine Schuldigkeit getan habe, fehlte es nirgends mehr.

Aber auch dem Hinterwinkler und seinem Bitterwasser blieb der schöne Erfolg nicht versagt. Anfangs ging ein dumpfes Rumoren durch die Zecher hin, als ob ein jeder einen Bauchredner verschluckt hätte. Dann kam ein starker motorischer Drang über die Leute, der sie nach Einsamkeiten trieb, die den 211 neugierigsten Späheraugen entrückt waren. Nur wer allenfalls auf Adlerflügeln über das Tal gestrichen wäre, hätte die Leute auffinden können, wie sie in schöner Anordnung, dem Lichtkreise des Feuers entflohen, dasaßen und voller Bedenklichkeiten ihre Blicke nach dem Mutterschoß der Erde versenkten.

Der Hinterwinkler lachte vergnüglich hinter dem verlorenen Haustrunk und seiner Wirkung her. So war's recht! Niemand sollte verderben, was Florian Feuerstein umsichtig und schlau angelegt hatte. Einsamkeit war um den Zündler, Einsamkeit vor allem sollte sein um das Walten des entfesselten Elementes, dann würde dieses schon gute Arbeit schaffen. Kein ganzer Ziegel sollte übrigbleiben und der Versicherungsgesellschaft die Möglichkeit bieten, einen Abzug vorzunehmen.

Schon leckte die hungrige Flammenzunge an dem vorderen Giebel, doch bevor er noch stürzte, hörte man den Hufschlag galoppierender Pferde das Tal heraufschallen. Klapp, klapp, klapp, erst ferner, dann näher. Dann ein Schnaufen und Wiehern, und der Gendarmeriewachtmeister mit seinem Adjutanten hielt still vor der brennenden Scheune. Als er außer vereinzelten Exemplaren von Weibern und Kindern niemand sah, der sich um die fressende Flamme zu schaffen machte, schrie er unter dem roten Schnauzbart hervor den Bürgermeister an:

»Warum ist die Mannschaft der Feuerwehr nicht 212 alarmiert worden? Was soll das heißen, daß hier die Spritze ohne Bedienung steht?«

»Vor drei Minuten noch,« log der Bürgermeister verwegen drauf los, »hätt's hier neben der Feuerspritze vor Schweißgeruch kein Teufel ausgehalten. Die Kerle waren am Arbeiten wie die Brunnenputzer. Da schauen Sie über den Hof hin, Herr Wachtmeister. Vom Himmel 'runter ist heute nacht die Feuchtigkeit nicht gefallen. Also woher soll sie rühren, wenn nicht aus der Feuerspritz'? Aber wer kann dafür, daß ein Unglück selten allein kommt? Kaum, daß die Feuernot in Jörgenhain ausgebrochen war, so fällt auch noch die Cholera über unser armes Tal. Hätten doch die Herren gleich den Kreisphysikus mitgebracht, er wäre hier vonnöten gewesen ebensogut wie einige Sicherheitsnadeln, die den Leuten die Hosen in der Taille festhielten.«

Während der Bürgermeister derartig für sich und die Gemeinde redete, war der Hinterwinkler mit schlotternden Knien nähergetreten. Er sah so leer aus wie der Opferstock einer Dorfkirche, und so gerupft wie die Gänse im Monat Februar. Seine Augen waren eine Tränenquelle, und seine Lippen verzapften kein anderes Wort mehr als: »Ich bin ruiniert, ein geschlagener Mann, zerhackt bin ich, wie der Hanf vor dem Brechloch! Was bleibt mir übrig außer dem Bettelsack. Und dazu ein krankes Weib und das Stierkalb von einem Sohn. Gott, 213 der das Unglück geschickt hat, mag sich meiner erbarmen.«

Der Gendarm bekam den Jammer dick und wandte sich wieder dem Bürgermeister zu mit den Worten:

»Und konnte denn gar nichts herausgeschafft werden, keine Mobilien, kein lebendes oder totes Inventar?«

»Wie Sie sehen, ist bis auf die Hohlziegel am vorderen Giebel alles radikal verbrannt,« bemerkte der Bürgermeister unvorsichtigerweise.

Der Mann in Waffen warf einen Blick zu den Dachpfannen hinauf. Richtig, da hingen noch Ziegel an den Sparren. Da bot sich Gelegenheit, den Leuten vorbildlich zu werden und ihnen zu zeigen, wie ein Bürger und Feuerwehrmann, »nicht achtend der Flammen und Kohlen,« sich benehmen soll.

Diensteifrig stieg der Gendarm aus dem Sattel. Auf den Boden springen, eine Leiter ergreifen und an die Brandruine stellen, war das Werk eines Augenblicks. Wie ein Affe hatte er schnell die oberste Sprosse erklettert, und nun scholl seine Kommandostimme über den Hof hin: »Mannschaft, Mannschaft!«

Da außer dem Bürgermeister nichts Mannschaftliches da war, so entschloß sich dieser, dem Rufe zu folgen. Schwerfällig schraubte der behäbige Mann seinen Doppelzentner Gewicht die Leiter empor und 214 hinter den Wachtmeister hin. Dienstbereit nahm er einen Ziegel nach dem anderen entgegen und ließ ihn, da er seinerseits einen Abnehmer nicht mehr hinter sich hatte, auf das Pflaster des Hofes niederfallen.

Diese ergötzliche Danaidenarbeit hatte so eine kleine halbe Stunde oder etwas mehr gedauert, als sie von dem lauten Beifall und dem unbändigen Gelächter aus hundert Kehlen unterbrochen wurde. Überrascht hatte der Wachtmeister sich umgedreht. Er sah nichts als am Fuße der Leiter einen Haufen Scherben und über diesen schwebend den Bürgermeister, der ihn mit ruhigem Gewissen fragte: »Ob's nicht am Ende auf das gleiche herausgekommen wäre, wenn man die Dachpfannen hätte hängen lassen?«

›Wo sind nur die Lacher?‹ dachte der uniformierte Mann des Gesetzes, ›daß ich ihnen an den Kragen könnte.‹

Wohl schickte er Späherblicke rund um sich her, aber er sah keinen. Sie blieben vorsichtig im Dunkeln. Der Beamte fühlte sich gekränkt. Er ließ die vorwitzige Frage des Bürgermeisters unbeantwortet. Er stieg von seiner Höhe nieder, wünschte den Jörgenhainern die Pest an den Leib, warf sich auf sein Pferd und floh tiefgekränkt mit seinem Kameraden ins Dunkel der Nacht hinaus.

Die Flucht der Gendarmen und der endlich erfolgte Giebeleinsturz beendeten für die Jörgenhainer 215 die Sensation. Man ging oder torkelte je nach der inneren Verfassung von dannen. Einzig nur von der Feuerspritze bewacht, schwälte und dampfte der Gluthaufen dem Tagesanbruch entgegen. Florian Feuersteins Brandopfer war dargebracht.

Einer der wenigen Talbewohner, deren Nachtruhe durch den Feuerlärm nicht unterbrochen wurde, war Doktor Ebenich. Erst am nächsten Morgen erreichte ihn die trübselige Kunde von dem traurigen Ereignis. Er konnte und durfte die erschreckliche Tatsache nicht übersehen. Er mußte sich aufmachen, um zu kondolieren, denn der Hinterwinkler hatte ihm, als seinem Hausarzt, beim letzten Schweineschlachten eine Wurst geschickt. So kreuzte denn der Medizinmann die Hände über seinem Sitzfleisch und schritt, den Doktorstecken unterm Arm, in den Morgennebel hinein, der schwer und faul und stinkend wie die Verleumdung am erlenbesetzten Bachufer hinschlich. Leute, die dem Manne begegneten, fragten mit verschmitztem Augenzwinkern, ob er dem Hinterwinkler Streichhölzer verkaufen wolle oder ob er der Feuerspritze Wachholdertee bringe, damit sie besser das Wasser lassen könne, und dergleichen Dinge mehr. Der brave Alte ließ seinen Glauben an die Redlichkeit des Hinterwinklers von derartigem Gerede nicht erschüttern. Da hätte schon ein Engel vom Himmel kommen und gegen den Bauern zeugen müssen, wenn Ebenich Schlechtes von seinem Freunde denken sollte. Und der 216 Himmelsbote kam, kam wahrhaftig, kam in der Gestalt und in der Livree des wasserköpfigen Peterphilipps.

Als nämlich der Doktor um die Ecke des Wohnhauses bog, stand der Tölpel mit einer Rodharke vor dem rauchenden Trümmerhaufen und wühlte in der Asche nach einem Gegenstand, der sich als halbverbranntes Gebetbuch entpuppte.

»Ach mein Gebetbuch, das ist auch verbrannt; das ist mir aber nicht recht,« seufzte der Geistesschwache.

»Und ist dir denn das Niederbrennen der Scheune recht gewesen?« forschte der Doktor neugierig.

»Gewiß,« entgegnete der Peterphilipp, »der Vater hat gemeint: es könne auch das Haus noch mitgehen. Die Mutter freilich war dagegen. Wissen Sie, Doktor, weil sie nämlich nicht ganz gesund ist. Sie erschreckt so!«

»Ei, die Schwerenot, also doch!« sagte der Doktor und machte sich auf die Suche nach dem Bauern Hinterwinkler. Er fand ihn in der Dunggrube stehend. Diese Position ersparte dem Arzte die Lüge einer Beileidskundgebung, und er begnügte sich mit dem wohlgemeinten Zuruf:

»Hinterwinkler, daß Ihr mir den Peterphilipp über Seite schafft, bevor das Landgericht kommt!«

»Sollte dies Hornvieh – –?« schrie der Bauer erschrocken auf.

217 »Ich mein' nur, er könnte – –« sagte der Arzt und ging seiner Wege.

* * *

Florian Feuerstein hatte in der Brandnacht nicht ganz so gut geschlafen wie in anderen Nächten. Ihn quälte der Gedanke, ob seine Frau die Geschichte mit dem Alibi richtig durchzuführen vermöchte. Er wollte eine Probe mit ihr machen. Leise, ganz leise stand er auf und zog sich fix und fertig an, so, als ob er eben von einem Festgelage nach Hause käme. Nach diesem Geschäft stieß er den Laden seiner Schlafstube auf, daß das Frühlicht hereinkam und weckte seine Alte. Diese rieb sich einen Augenblick die Augen und sagte dann: »Wozu treibst du Hanswurst solch eine Narrenkomödie mit mir?«

Florian wollte sich schier totlachen, als er seiner Frau nun umständlich erzählte, daß er in der Nacht aus dem Hause gewesen sei und mit dem Ratsschreiber gezecht habe. Frau Feuerstein hörte ihm ohne eine Spur von sittlicher Entrüstung zu und schnitt, als ihr die Aufschneiderei zuviel wurde, das Gerede ihres Mannes mit den Worten ab:

»Ich wollte einen Eid darauf schwören, daß du lügst. Windhund, infamer. Wie könnte denn dein Bett noch warm sein, Wildschwein, wenn du in einem anderen Koben genächtigt hättest?!«

218 Der Scharfsinn seiner Gattin beruhigte den Florian derart, daß er sich umzog, seine Pfeife ansteckte und auf die Arbeit ging. Ein Landbriefträger kam des Weges und fragte den Frühaufsteher, ob er nichts rieche. »Doch,« sagte Feuerstein, »ich wittere ein wenig Moorbrand in der Luft.«

»Falsch,« entgegnete der Briefträger, »du riechst dem Hinterwinkler seine Scheune. Sie ist heute nacht gen Himmel gefahren.«

»Wie mich der Mann dauert,« seufzte Florian.

»Gräm' dich nicht, er ist versichert.«

»Ich will dir schon glauben, daß er zu guter Letzt keinen Schaden nimmt. Aber denk', was einer alles auszustehen hat, bis er an sein Geld kommt. Da fährt das Landgericht mit der Lederchaise vor und verhört Zeugen. Advokaten fressen ihm während dieses Vorganges die Äpfel auf seinem Baumstück, Schreiberbuben schütteln seine Pflaumenbäume, und hinter all dem lauert das Zuchthaus.«

»Aber nur auf die Dummen, Florian! Wenn wir uns in acht Tagen treffen, weiß ich mehr wie heute und kann dich belehren.«

Die Freunde gingen auseinander, und die acht Tage gingen 'rum. Als der Briefträger mit seinem Kameraden wieder zusammentraf, richtete er diesem aus, daß der Hinterwinkler sein Brandkassengeld abholen und an des Maurers Haus vorbeikommen werde. Es sei allerlei zu reden wegen des Neubaues.

219 Und Hinterwinkler kam und mit ihm bessere Zeiten für den Maurer Feuerstein und – wenn man genauer zusieht – für das ganze Tal von Jörgenhain. Man bestellte auf Hinterwinklers Empfehlung hin bei Feuerstein redliche und unredliche Arbeit. Der Maurer schaffte sie und kam zu Geld. Er ließ sein Dach mit roten Ziegeln decken, strich seine Fensterläden hellgrün an und weiß das Fachwerk seiner Wände. Vor die Haustür stellte er eine blaue Holzbank. Das gefiel den Leuten, und wer ein Haus baute, ahmte das Vorbild nach. Der Zündler wurde der Träger einer neuen Geschmacksrichtung. Wo immer der Phönix eines Neubaues aus der Asche einer Feuersbrunst emporstieg, trug er die Farben von Florians Häuschen. Das ganze Tal schimmerte grün und blau.

Leider war ein Teil des sonderbaren Kolorits mit der Zeit sogar in des Zündlers Gesicht hineingeraten und hatte sich über das Riechorgan und die Wangen hin ausgebreitet. Florian konnte den Reichtum nicht vertragen und fing zu trinken an. Seine Nase wurde stärker, seine Beine schwächer. Und an dieser Stelle setzte sein Verhängnis ein. Als er wieder einmal vom Zündeln, das er so gewerbsmäßig und im Umherziehen betrieb, davonrennen wollte, trugen ihn die Ständer nicht mehr. Er stolperte und war, ehe er sich's versah, in eine Hanfdarre hineingefallen. Obwohl das Loch nur zwei Meter tief war, so hatte 220 der Fall aus dieser Höhe doch genügt, dem Florian Feuerstein das Genick zu brechen.

»So nahm die starke Heldenseele Abschied.
Und selten hatte, als sie ihn begruben,
Das kleine Dörfchen einen Leichenzug
Von größerer Kostbarkeit gesehen als diesen.« 221

 


 


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