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»Ich werde Ihre Mutter vorbereiten!«
Der junge Mann stieg die Treppe empor, von der in vergangenen Tagen Böswillige behauptet hatten, daß ihre Hauptbestimmung schien, sich darauf das Genick zu brechen. Es tat mir leid, daß sie diesen Zweck in dem Fall bei mir nicht erfüllt hatte. Unser Küchengeist, mit hängendem Haar, als ob es nie einen Kamm gesehen, mit nicht verschnürten Schuhen und einer Bluse, rot wie eine halbgekochte Kornelskirsche, kam zu mir herunter und küßte mir die Hand.
Unweit der Treppe wartete ich, so fremd wie irgend jemand, der Einlaß begehrt, nur mit dem Unterschied, daß er gehen durfte und ich bleiben mußte. Eine Katze lief an mir vorüber und noch eine und noch eine …
Der junge Mann winkte mir, und ich trat ein; vorsichtig, voll Angst. Ich wollte nicht aufregen; ich mußte gleichmütig und heiter sein, was immer ich auch empfinden mochte. Da, im Großvaterstuhl, unendlich alt und verrunzelt geworden, saß sie, die für mein Leben die Verantwortung trug. Die »Geberin meiner Tage«, wie ich sie immer nannte.
Sie wollte weinen und in Ohnmacht fallen, und ich lachte, lachte, weil sie es nicht sollte und weil ich weinen wollte, wie ich es selten getan. Weil ich auch nicht zeigen wollte, daß die Traumschlösser zerronnen waren wie Reif in der Aprilsonne.
Nahezu blind war sie und merkte deutlich nur den hellen Schein meines weißen Kleides. Sie sah nicht, wie schlank ich geworden und wie krank ich war. Wir lachten beide aus sehr verschiedenen Gründen.
Der junge Mann entfernte sich. Er war viel bekannter daheim als ich selbst.
Nach und nach ging ich durch das Haus, dessen einzige Erbin ich werden sollte. Die Küche sah wie die Köchin aus, ohne die Mutter angeblich nicht leben konnte, und wie die Köchin die Bedienerin und wie die Bedienerin die Katzen – eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs …
Alle gleich schmutzig, unverschämt, zudringlich.
Ich betrat meine Zimmer. Ein modriger Geruch schlug mir entgegen. Der Ofen im Schlafzimmer rauchte, daß ich nicht atmen konnte und ich meinen Zimmernachbar bei einem Haar auch noch im Schlaf erstickte. Die Tapeten hingen in feuchten Fetzen nieder, auf dem Sofa bäumten sich die Matratzen, und an Stühlen gab es von jedem Dorf einen Hund. Wohin war alles gekommen, was mein eigen gewesen?
Kalt und verwahrlost und modrig und … wie ausgeraubt. Ich konnte mir kaum ein Lager zurechtmachen. Lärm von dem jungen Mann her, der nachts mit den Türen schlug, Lärm von der hinkenden Kroatin, die nie zu Bett zu bringen war und frühmorgens nie vor neun Uhr sichtbar wurde. Und auf den Tischen aller Zimmer, bei allen Schüsseln Katzen …
Deshalb – um zu dem zurückzukehren, hatte ich offenbar eine achtjährige Forschungsreise um die Welt gemacht! Es war, als ob jemand zum Mond gefahren wäre, um einen Kieselstein zurückzubringen, den er besser am Sannufer fand.
Ich lachte.
Es ist noch nicht ein Jahr seit meiner Heimkehr.
Viele Vorträge habe ich gehalten, und es ist mir zugejubelt worden – daheim und draußen. Ich halte alle Fäden selbst in Händen und zwei meiner Werke sind schon verkauft. Die Schriftleitungen, die mich nicht gefressen fanden (ein bedauerlicher Umstand für sie wie für mich) haben alle gezahlt.
In vielen Zeitungen hat man von meiner Rückkehr geschrieben, und viele meiner Mitbürger, (meist -innen), haben mich besucht, vorwiegend, weil sie sich gefreut hatten, mich »schwarz« wiederzusehen. Wenn ich diesen Wunsch geahnt hätte, würde ich mich nicht mit so viel Eifer mit Eidotter gebleicht haben. Man tut im Leben unbewußt immer das Unrichtige.
Das Einleben unter die hiesigen Behörden war viel leichter, als ich es gedacht hatte. Und dieser Umstand ließ mich den Plan, wegzuziehen, aufgeben.
Immer mehr werden es der Rufe, die mich nach Oesterreich, nach Deutschland führen, um über meine Erfahrungen, insbesondere über meine Südsee-Erlebnisse, zu sprechen; langsam baue ich auch meine gebrochene Journalistentätigkeit wieder auf, und mehr als eins meiner großen Werke hat schon seinen Verleger gefunden, aber –
»Nur einmal bringt das Jahr uns Frühlingslieder,
Nur einmal blüht die Rose düfteschwer,
Und blüht sie auch im hohen Sommer wieder,
Des Frühlings Rose ist sie doch nicht mehr –«
Wie würde meine Heimkehr gewesen sein, wenn ich schon bekannt gewesen wäre, wenn es mir im Taumel vieler Freunde in vielen Ländern zu vergessen erlaubt gewesen wäre, daß ich in Wahrheit mutterseelenallein war? Wenn sich der Traum, der mich so oft erstarkt hatte, von Mitbürgern, die mich jubelnd willkommen geheißen, wie verdient erfüllt hätte?
Gewiß sind sie auch gekommen. Ein seltsamer Narr war ich ja immerhin. Sie betrachteten mich wie meine Sammlungen: als ein Kuriosum, das sich verlohnte, in Augenschein genommen zu werden. Bis auf wenige hat niemand den Versuch gemacht, im Kuriosum ein Herz zu suchen, daher hat auch fast niemand eins gefunden.
Nun sind es drei Jahre her, seit ich den Bericht meines Lernens und Fahrens zum erstenmal niedergeschrieben habe. Ein verbittertes, nach Ansicht der Aerzte sterbendes Menschenkind war es, das die Feder niederlegte, einsam, mit unverankertem Herzen, mit toten Träumen, aber mit den Fingern noch immer, selbst angesichts des Todes, auf der Erika, finster entschlossen, nie nachzugeben.
Meine Mutter war gestorben; ich hatte alle Beziehungen gelöst, die mich – hemmend oder feindlich – an das Einst banden; ich hatte das Haus von unangenehmen Leuten und von einer erstaunlichen Anzahl zudringlicher Katzen gesäubert, und sehnte mich nach nichts als nach dem fernen Stern im Weltall, auf dem ich vergessen wollte, daß ich je gelebt hatte. In meine Trauer wie in einen grauen undurchdringlichen Schleier gehüllt, schrieb ich als Abschluß:
»Was ist's, warum sich's leben läßt
Trotz alledem auf dieser Erden? –
Die Welt, sie ist ja überall ein Nest,
Doch jedes Nest kann eine Welt dir werden – –«
Mir aber war die ganze weite Welt bei all ihrer Schönheit immer nur Nest geblieben …
War das nun wirklich – nach so viel Kampf und Sieg – das Ende vom Lied?
Heute jedoch ist mir, Gott sei Dank, die ganze Welt zur Heimat geworden. Ich bin nicht tot, wenn ich auch mit stark erschütterter Gesundheit an meiner alten Erika sitze, viele meiner Bücher sind erschienen, weitere Werke sind in Vorbereitung, doch meine Versöhnung mit dem Schicksal erfolgte durch meine Leser. Tausend schimmernde Fäden laufen heute von meinem Herzen zu unzähligen Menschen weit und breit, und ihr helles Leuchten erfüllt mein Sein mit Licht, daher liegt auch mein tiefer Dank jenseits aller Worte. Aus dem Nest ist eine Welt geworden …
Und da wir Menschen in unserem Drang nach Einkreisung immer etwas besitzen wollen, was uns ganz angehört, dessen Liebe einschließend ist, kaufte ich mir einen Mannheimer Zwergspitz, in seines Frauerls Augen der schönste auf dieser Erde.