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Wir fuhren durch Bab el Mandeb, das Tor der Tränen. War es symbolisch, daß ich am Löwen von Gibraltar ausgefahren war, stolz, mutig, siegesbewußt, und daß ich krank und gebrochen durch das Tor der Tränen heimkehren mußte?
War man heute wirklich nur tüchtig, wenn man das Pressetamtam hinter sich hatte?
Es gab wenige Mitreisende an Bord; einige Patres aus China, die so zurückhaltend auf dem Deck auf- und abgingen wie ich selbst; eine Frau mit Zwillingen, die sich zuzeiten an mich ketteten und denen ich Märchen aus aller Welt erzählte; eine kranke Frau, die im Liegestuhl lag und von ihrem Gatten, auf den sie sehr eifersüchtig war, umhätschelt wurde, und ein Hochzeitspaar, das den Himmel voll Geigen und das Herz voll Sonne hatte.
Ich speiste in der Kabine, wie natürlich, und sehr gut. Der Cameriere nahm Rücksicht darauf, daß ich kein Fleisch essen durfte und brachte mir »Pasta«, Gemüse, Fisch, und später schickte der Koch immer Eis, so daß ich ausgezeichnet verpflegt war. Man gab mir sogar Wein, und die Cameriera schenkte mir Obst und zum Abschied geschmuggelten Tee, weil ich einmal ihr Haar mit Henna gewaschen hatte, wodurch es einen Stich ins begehrte Rot erhielt.
Es fehlte mir auch nicht an Büchern, denn man versorgte mich damit, und die Angebote von schwarzem Kaffee zwischen ein und zwei Uhr nachts waren rührend zahlreich. Ich lächelte nur und meinte, zu dieser Zeit der Nacht schliefe ich wie ein Murmeltier, und sperrte mich nach neun Uhr abends immer ein. Um sechs Uhr klopfte der Cameriere, und ich hatte ein heißes Bad wie die Glücklichen der Ersten. Wenn ich unter etwas litt, so war es an jener scharfen Grenzlinie, die ich fühlte und die mich von den anderen trennte. Ich fuhr angenehm, aber – oh, daß ich auf dem elendsten Kutter gefahren wäre, ohne andere Reisende, die auf mich wie auf ein Wrack blicken konnten! Gewiß war dies krankhaft meinerseits, aber es bohrte in mir wie ein stumpfes Messer. Und in Port Said, mir unbekannt, lagen die fünfzig Pfund, die mich erlöst hätten …
Ungefähr hundert Meilen gegen Osten vom Tor der Tränen liegt Aden, die trostloseste Niederlassung der Engländer. Es regnet so gut wie nie; die Sonne sticht mit ihrer vollen Kraft auf die Felsen hinter den meist aus weißem Stein erbauten Häusern der Stadt nieder, und der Widerschein des schimmernden Wassers erhöht das Blenden und die Glut. Dennoch sind die Beamten gern in Aden, weil das gesellschaftliche Leben schön und herzlich ist. Wo so wenige Menschen unter so ungünstigen Verhältnissen zusammenleben müssen, entsteht ein guter, großzügiger Ton, der über vieles hinweghilft.
Ein Großteil des Handels von Arabien findet hier seinen Auslauf. Es ist unglaublich, wie billig man hier Straußenfedern kaufen kann, doch wer will sich durch allerlei Zoll mit ihnen beschweren, nun sie so unmodern geworden sind?
Auf den Straßen sieht man das übliche Bild der nördlichen Wüstengegenden. In den Geschäften Datteln, Feigen, Trauben neben anderen, in denen Kaffee feilgeboten wird, und außerdem viele Läden mit Gewürzen und mit allerlei Weihrauch. Kamele, die einen Karren mit Holzgitterwerk ziehen, andere hoch mit Teppichen oder anderen Lasten beladen, versperren den Weg. Von nichts wird man so leicht überfahren wie von einem Kamel. Das klingt unglaublich, wenn man an die Größe des Tieres denkt, doch wer nicht in die Luft schaut, der merkt nicht den vorgestreckten Kopf, und die Beine sind so hoch und schlank, der Gang ist so lautlos im Staub und so langsam, daß er gar nicht auffällt, und Kamele weichen nicht wie Pferde aus – sie beißen leicht, wenn erzürnt, und die ganze Welt ärgert sie. Ob das Temperament der Tiere eines Landes auf die Menschen zurückwirkt? Da könnte ich mein Brummigsein den Karachikamelen zuschreiben …
Hinter dem Felsen, am Ende einer langen Bergstraße, liegen die Türme des Schweigens, denn auch hier findet man noch Parsis, die sonst hauptsächlich in Karachi, in Bombay und zerstreut in Gujarati zu finden sind. Kein Volk hat seine Rasse so rein erhalten, und Mischehen sind streng verboten, daher sind sie so stark, so tüchtig, so lebensfähig und so schön als Menschenschlag. Ihre Hautfarbe ist so licht, daß einige schon weiß wirken, aber nicht die Farbe, die ja nebensächlich ist, – das ganze Gebaren ist sicher, fest, fortschrittlich. Ihre Feinde nennen sie die Juden des Ostens. Das ist an und für sich ein Lob, denn es beweist, daß sie fleißig und tüchtig sind. Wenn die Christen schlauer wären, könnten ihnen die Juden nichts anhaben. Ein Jude sitzt daheim bei seiner Familie, während der Christ sein Geld im nächsten Gasthaus verjubelt, vertrinkt, verraucht. Der Jude hängt in der Regel allen Schmuck, den er zu erstehen imstande ist, auf die eigene Frau; der Christ auf die Frau, die eben nicht ihm gehört.
Manchmal glaube ich an den »Untergang des Abendlandes«, wenn ich sehe, wie alles, was heute anzieht, nur Schund ist: Lichtspielhäuser mit seichtem Liebesgrimenassentum; Jazzmusik, wohin man kommt; Radiogebrüll aus vielen Kaufhäusern; selten etwas Tiefes, Gutes, aber immer Lärm, Lärm, der ablenkt, zerstreut, alles Denken vernichtet; Schundbücher die begehrtesten auf dem Markt; von den Vorträgen das seichteste Thema vorgezogen; immer das Bestreben, nicht zu denken, sich treiben zu lassen.
Einmal mußten die Leute zu dem Vortragenden hinaufdenken und ebenso zu den Schriftstellern; heute soll man fortwährend zu den Leuten hinabsprechen, hinabschreiben. Wenn sich die Europäer von dieser Seichtheit nicht befreien, wird der Japaner die Welt erobern und wir das Schicksal der Inkas und Azteken teilen …
Nicht kriegerisch unbesiegbar, auf geistigem Gebiete führend, müssen wir bleiben! Und das verbietet Verflachung.
Die Parsis sind stark, reich, mächtig, weil sie geistig wachsen, ohne ins Traumhafte, Weltabgewandte der Inder zu versinken.
Es war so heiß, daß die Reisenden still oben aus dem zweiten Deck lagen und die Diener mit verzweifelten Gesichtern Wasser und Eis hinaufschleppten. Ich empfand es nicht so quälend, weil ich an Aergeres gewöhnt war und auch weil ich mir mit wachsender Trauer sagte:
»Vielleicht wirst du es nie, nie wieder im Leben so warm haben!«
Auch ich liebte Europa über alles, doch jenes verklärte Europa, das Mittelpunkt des Denkens und Handelns war, das Heim der Weißen. Wie anders hatte ich mir die Heimkehr gedacht!
Die Seeluft, von einer kaum merklichen Brise aufgewirbelt, fegte über das Deck hin, anstatt brütend auf uns zu lasten, und mit jedem Hauch verdunstete etwas, setzte sich als Salzkruste an der Reeling, den Rauchfängen, sogar der Schiffswand und dem Deck fest. Es wirkte wie Schnee. Das Rote ist das salzigste Meer der Welt und verdunstet bei der großen Hitze am schnellsten, daher war alles salzgepudert.
Hie und da gab es Inseln, trostlose, hellbraune Punkte, und zuzeiten zeigte sich die Küste als hellfarbiger, undeutlicher Fleck. Wie geschichtlich wertvoll war alles, was man eher um sich fühlte, als tatsächlich sah. Mekka und Medina, der Sinai, der Durchmarsch der Israeliten durch dieses Meer, allerdings weit höher oben …
Es war lang und heiß und einsam, dieses Meer, das den Weg zum Osten ermöglichte. Mir schien es endlos, seit ich den Fuß auf diese Planken gesetzt. Kein Lesen, kein Schreiben, kein Denken erschöpfte die Tage dieser Schiffahrt, in denen es mir zum letztenmal auferlegt wurde, einen Rückblick zu halten. Wie oft hatte ich in den nun vollendeten acht Jahren den Wellen nachgeschaut, die um den Propeller tanzten und immer, irgendwie, auf Trümmer.
Ich war nach Westen ausgefahren und kehrte von Osten zurück. Ich hatte vollendet, was zu tun ich mir vorgenommen. Ich hatte die entferntesten, wildesten Länder bereist und hatte mehr mitgebracht, als meine kühnsten Träume es jemals verraten hatten. Alles war gelungen, erreicht, getan, und dennoch blieb dieses Gefühl lähmender Niederlage. So mochte in der alten Zeit ein Kriegerkönig gefühlt haben, der den Sieg nach schwerem Kampfe errungen hatte und dem man dennoch Land und Krieger nahm …
Kahle, hellgelbbraune, seltsam geformte Berge, schmale, flache Küstenstriche, ohne Haus, ohne Feld. Wie verjährte, verhärtete Furchen in dem Gesicht eines Greises wirkten die Höhenzüge. Ja, Afrika war alt, uralt, der schwarze Weltteil, das Land geheimnisvollen Zaubers, versunkener Kulturen. Eine tiefe, drückende Schwermut, die sich nie hob, lag über und auf allem. Es war nicht nur der Sand, die Hitze. Der Sand in Karachi konnte freudig oder langweilig, oder – nachts, wenn die Hyänen heulten – schaurig sein, aber nie so kummertrunken wie diese ausgetrocknete hellbraune Erde, die so leer wirkte, die dennoch im Innern so wunderbare Schätze barg.
Die Italiener zahlen erwiesenermaßen bei der Ansiedlung darauf. Die Kolonie enthält Reichtümer, doch gehört flüssiges Geld dazu, sie zu heben; sie bringt, wenn bewässert, Tropenfrüchte hervor, doch Italien hat in Tripolis und Umgebung genug daran. Schön ist es indessen auch hier, eine Macht zu sein und eine Fahne wehen zu haben! Warum nicht? Das sind Wünsche, an denen alle Völker kranken.
Massawa ist ein Loch. Das soll nicht als Geringschätzung gesagt sein. Alle Orte an einsamer Küste sind Löcher, und wenn man sich hinter die erste Häuserreihe begibt, die wie überall dem Fremdenverkehr geweiht ist, ob sie nun viel oder wenig bietet, sieht man sogar manches Interessante. Die indischen Gurtenbetten sind hier zu breiten Bänken geworden, und darauf sitzen die Araber und spielen Karten. Sie tragen den weiten, weißen Burnus und sind nicht ganz schwarz. Erst die ganz armen Leute, das echte Volk, gehört den Negerstämmen an.
Man muß vor die Stadt gehen, um sie zu sehen. Da wohnen sie in niederen und finsteren Holzbauten, die fensterlos oder bei denen die Fenster sorgfältig mit allerlei Hadern verhängt sind, und kochen ihren Reis, ihre grobe Hirse oder rösten in heißer Asche die Bananen, die man aus den fruchtbaren Teilen bringt. Die Männer tragen das Haar sonderbar dreieckig zugeschnitten, was dem schwarzen Kopf etwas Pyramidenförmiges gibt. Die Mädchen tragen die unglaublichsten Ketten als Schmuck über der in der Regel nackten Brust. Ein Tuch ist wie ein Rock um die Mitte geschlungen und reicht bis zu den Knöcheln. Die Frauen sind dick, gemütlich, lang- und gleichzeitig vollbrüstig, und haben das typische Negerlachen, das ansteckend wirkt und Vertrauen einflößt.
Die einheimischen abessinischen Fürsten machen den Italienern nicht selten Angelegenheiten, und als »erobertes Gebiet« kann das Land kaum angesehen werden. Wenn es fruchtbarer wäre, würde es kaum im Besitz Italiens geblieben sein. Zuzeiten ist es gut, wenn etwas wenig Wert hat oder doch wert scheint.
Massawa hat einen tiefeinschneidenden Kanal, scheint indessen wasserarm zu sein, denn ich sah mehr als einen Wasserhändler mit der charakteristischen Schafhaut herumlaufen – dem Lederbeutel, der wie ein braunes Schweinchen aussieht, in dem man in wasserarmen Ländern (Agra und Delhi in Indien zum Beispiel) das Wasser von Haus zu Haus trägt. In der starken Haut bleibt es lauge frisch.
Obschon man hier mitten in Afrika ist und ein reiches Hinterland hat (reich an sonderbarem Schmuck, Waffen und Werkzeugen in jedem Fall), bieten die kleinen Geschäfte nichts, gar nichts Fremdes außer einigen neuen Hülsenfrüchten. Bunte, grelle Stoffe, alle aus Europa eingeführt, Glasketten aus böhmischem Glas, Schuhe aus England oder Amerika. Verladen wird außer Bananen nur noch Kaffee und Palmöl.
Die Häuser sind trostlos in ihrer weißen Oede. Es gibt wenige Fenster, und diese wenigen sind verstopft; die Frauen tragen den Schleier über das Gesicht gezogen, doch nur die Braunen, nicht die Schwarzen. Die Weißen sind wie überall, nur etwas bleicher und matter.
Eine schmalspurige Bahn führt von Massawa hinauf in die Berge von Eritrea, in das geheimnisvolle Innere, das Gold und andere kostbare Erze in seinem Schoß verborgen halten soll. Steinig ist der Weg, von seltenen Flüssen unterbrochen. Auf der breiten Landstraße sieht man nur Kamele, begleitet von den halbnackten Schwarzen. So einsam ist das Gebiet, daß es einen nicht wundern würde, einen Löwen hervorspringen zu sehen, doch nichts regt sich – einzig eine lange, schwarze Schlange verschwindet unter einem der gelben Steine, durch den wie Blut eine feine, rote Ader läuft.
Asmara liegt so hoch, daß man hier schon eines Mantels bedarf, um behaglich umhergehen zu können, während unten in Massawa die glühendste Sonne den gelben Sand zum Flimmern gebracht hatte. Man findet auch Obstbäume, Wiesen, vereinzelte Gärten und die kleinen Häuschen, die an die Bauten in Süditalien erinnern, und aus jener Gegend scheinen auch die meisten Ansiedler zu sein. Groß wirken die mächtigen Berge selbst von hier, im Herzen des Gebirges, und fremd, feindlich, wissend wie Riesen, die mit Verachtung auf das fremde weiße Volk herabblicken. Warum hat man in all jenen Gegenden immer das Empfinden, daß die Europäer nie bestimmt waren, da zu leben? Daß sogar das Gestein ihnen feindlich ist und in der heißen, trockenen Luft etwas wie feindlicher Zauber liegt?
Rührend ist es, in einem Laden die kleinen Gipsfigürchen zu sehen, mit denen Italiener im Auslande so gern handeln. Solch ein Gipsarbeiter war damals an Bord der »Bologna«, war vielleicht schon lange in Carácas gestorben, und hier, unter dem glutenden, vernichtenden Himmel Afrikas wieder ein kleiner, schmächtiger Mann mit sehnsüchtigen Augen – vielleicht von » la bella Napoli« träumend –, der Gipsfiguren verkaufte!
Um das kleine Postamt drängten sich die Leute. Was schrieb man von daheim? Was würde man antworten? Dieses Fieber nach Verbindung mit Europa, hatte ich es nicht tausendmal an mir selbst erfahren? O, die furchtbare Entheimatung jener fernen Erdstriche …
Die schwarzen Kinder schienen seltsam abgemagert, mit einem Bauch wie ein Tamtam und dabei Beinchen wie Besenstiele, und Augen, die schon Hunger kennen gelernt hatten. Nackt waren sie, hatten höchstens bunte Wollfäden zum Schmuck um den Hals oder eine Blume im kurzen, krausen Negerhaar. Sie waren nicht so laut wie weiße Kinder, aber wenn ihre Augen aufleuchteten, so sprach eine so volle Freude daraus, daß es erschütternd wirkte.
Der Zauber von Eritrea mußte drinnen, ganz drinnen im wilden Gebiete liegen, wohin die Häuptlinge wilder Stämme in Verfolgung der tierischen oder menschlichen Beute kamen. Asmara war noch zu europäisch, hatte zu wenig vom Lande an sich. Auch war die Zeit zu beschränkt.
Unten, in Massawa, war gerade großer Fischfang. Man zog die großen, runden Fische ans Land, und die Fischer drängten sich ganz ergriffen um den Fang. Ein so guter Fischzug und gerade, wo ein Schiff im Hafen war, das etwas mitnehmen konnte! Man fühlte ordentlich, wie tot Massawa sein mußte, wenn der Dampfer einmal als schwarzer Punkt in der Ferne verschwunden war.
Ich durchwanderte noch einmal den winzigen Park, die lange Straße des Fremdenviertels jenseits der Brücke und kehrte auf das Schiff zurück, wo es schmutzig nach dem Verladen und heiß wie in einem Backofen war. Dann begann wieder das müßige Liegen auf meinem Bette, ein Buch vor mir und zwischen den Zeilen und meinen Augen der Film der Vergangenheit. Um leben zu können, sollte man immer nur vorwärts schauen.
Weiser Rat, aber zuzeiten schreckt auch der Blick in die Zukunft.
Gerade vor der Einfahrt in den Suezkanal liegt auf der flachen, gelbsandigen Küste im prallsten Sonnenlicht, das geradezu das Auge schmerzt, ein Ort, etwas größer und hübscher als Massawa, und den Engländern gehörend. Das ist Port Sudan, und von hier führt die Bahn durch ganz Aegypten bis nach Kairo und Alexandrien. Die Dame mit den Zwillingsmädchen nahm diesen Weg, ich aber wollte den Suezkanal sehen und begnügte mich daher mit einem Durchstreifen von Port Sudan.
Außer den von kleinen Gärten umgebenen spärlichen Villen der Europäer gab es nur lange, weiße Steinbauten mit schattigen Säulengängen, und in diesen untergebracht die einzelnen Geschäfte. Man konnte da Bamien, die beliebten Hülsenfrüchte, kaufen, die so viel gegessen werden, an unsere Bohnenschoten erinnern, doch stärker und größer sind und die man in Europa nur im südlichsten Griechenland findet. Bamien sollen sehr nahrhaft sein und werden von der Bevölkerung stark gegessen.
Die Leute sind kohlschwarz mit stechenden Augen. Ganz wie in Karachi wußte ich schon nach dem Blick, welcher Mann dem Islam angehörte. Sie haben etwas Lauerndes, Besitzergreifendes in ihrem Prüfen, in der Art, wie der Blick gleichsam entblößend an der Gestalt niederfährt, und immer mischt sich etwas Verächtliches in die Handlung, das empört. Als ob Frauen nichts als das Spielding unreiner Lüste wären …
Hier findet man allerlei recht hübsche Arbeiten – Waffen, bemalte Lederkissen, Perlmutterarbeiten, Ketten aus Glas, aus afrikanischen Halbedelsteinen, aus Mosaik, aus Elfenbein. Ledersandalen wurden sogar auf das Schiff gebracht, und ich erstand im Orte selbst nach langem Feilschen einen sudanesischen Dolch mit eingelegten Glücksbohnen. Es gab auch, für den, der mehr zahlen konnte, schönes Elfenbein. Sehr hübsch waren die verschiedenen Holz- und Tonarbeiten.
Sonst nichts als Geschäfte mit bunten Stoffen, wie die Neger sie lieben; mit Reisläden, in denen man auch Hirse, Bohnen, trockene Erbsen und Bamien kaufen konnte, und Händler mit östlichen Riechessenzen und afrikanischem Räucherwerk. Auf den niederen Bänken, ähnlich den indischen Betten, saßen langbärtige dunkle Männer – nicht Araber – und tranken Kaffee vor den kleinen Kaffeehäusern mitten auf dem großen Platze. Einzelne spielten Karten. Um den Brunnen scharten sich die Wasserträger, die Kinder, die dicken Frauen mit ihren schweren Tonkrügen. Es war alles so eintönig, so leblos gleichsam, daß man froh war, sich wieder entfernen zu können. Die Berge lagen als feiner, brauner Streifen am Rande des Gesichtskreises. Was mochten die Leute hier, in dieser trostlosen Ecke der Welt, inmitten der glühenden Sandebene treiben? Wie verging ihnen der Tag? Darf man sich wundern, daß die dunkelfarbigen Menschen nur die Freuden des Harems bis zum Aeußersten auskosten und den heißen Tag verschlafen, und daß so viele Europäer sich kurzerhand in den Tod trinken?
Schon Ptolemäus hatte seinerzeit eine Oeffnung geschaffen, die eine Verbindung von Aegypten mit dem Roten Meere und von da mit dem Indischen Ozean ermöglichte, doch hatten die ewigen Sandanschwemmungen des Nils und der starke Wellenschlag des Mittelmeeres seine Arbeit immer wieder vernichtet, so daß der Weg um das Kap der Guten Hoffnung der beste und oft einzige blieb. Durch den Einsturz dieser Verbindungsstraße waren die Araber auch lange Zeit hindurch die einzigen, die den Gewürzhandel in Händen hatten, und eben dieser Umstand bewog die Holländer sowie die Portugiesen, einen anderen Weg zu den Gewürzinseln zu entdecken. Die wichtigsten Seereisen wurden um der Gewürze willen angetreten.
Heute erwartet das Schiff einfach den Lotsen und damit die Erlaubnis einzufahren, denn die Dampfer dürfen nur der Reihe nach und ganz langsam einfahren, damit die Ufer nicht beschädigt werden und auch keine Hemmungen im Verkehr eintreten. Sehr verschieden ist der Suez- vom Panamakanal. Keine grünen Ufer bis auf einzelnes Strauchwerk, ganz dicht am Wasser. Manchmal niedere, manchmal sich hügelnde Uferlinien, immer der braungelbe Fels, die weite und doch farbenreiche Oede, die schon einen Hauch von der Sahara an sich hat. Globetrotter sehen hier die schweifwedelnden Löwen. In Wahrheit sieht man nicht einmal eine zahme Katze. Ich habe die Neger im Verdacht, daß sie sie alle aufessen. Allmählich sieht man einige Felder, trocken, verlassen und daneben eine elende Lehmhütte, das Heim eines Fellah. Nicht immer haben die Bauten ein Dach, denn es regnet nie, so daß sie sich den Luxus einer freien Oeffnung nach oben gestatten können. Gegen die Sonne spannen sie oft nur ein grobes Stück Gewebe.
Man streift viele Orte, alle aus niederen Bauten bestehend, schmucklos, mit europäischen Anklängen. Frauen, den Schleier halb über das Gesicht gezogen, wandern auf und ab. Eine Arbeiterin, in grober, doch dunkelbunter Gewandung, hat etwas wie ein Stück Holz unter das Tuch gebunden und ist stärker vermummt. Männer in flatternden, weißen Mänteln mit schwarzen Bärten und stechenden Augen und daneben mit müdem Schritt einige Mischlinge in europäischer Kleidung. Umträger, Ausrufer, Kamele und Esel – – es ist immer das gleiche Bild.
Schön wird der Kanal erst nach Sonnenuntergang, weit hinter Suez, das bald nach Port Sudan kommt und am Eingang des Kanals liegt. Die Lichter spiegeln sich in den stillen Wassern, das Schiff windet sich langsam von Arm zu Arm; man streift dicht an anderen Dampfern vorbei, die warnend aufpfeifen. Niemand schläft, die Hitze und das Treiben hält wach und die eigene Unruhe, die das Herz fühlt, das da weiß, man nähert sich dem Mittelmeer. Schon fängt es an kühl zu werden, je näher man Port Said kommt, und ein kalter Wind treibt über die vereinzelten, etwas zerzausten Palmen. Durch solch einen Kanal – die Verbindung zweier Meere, zweier Welten, war ich in mein eigentliches Leben hineingeglitten; nun fuhr ich, gebrochen, durch solch einen Kanal meinem Ziele zu …
Kurz nach Mitternacht flammten in der Ferne unzählige Lichter auf, man ahnte eine ausgedehnte Stadt, vernahm dumpf den Lärm einer solchen, blieb draußen im sich weitenden Strom; warf Anker. Die Reisenden begaben sich in ihre Kabinen. Man war am Ende des Kanals, in Port Said.
Kurz nachdem es tagte, stieg ich auf Deck. Es war kalt, und mich fror in den leichten, weißen Tennisschuhen. In Zukunft würde ich auf Leder und hindernden Absätzen laufen müssen. Ein Mann mit einem Lächeln wie der Schlitz in einer Tonsparbüchse ruderte mich ans Land. Es war kaum sieben, und ich fürchtete nichts zu erreichen, doch zu meiner Freude war das Postamt offen und ich imstande, meine Riesenpost abzuholen. Einen Scheck fand ich vor und auch die Aufforderung, mich zu einer gewissen Bank zu begeben, die indessen erst um zehn Uhr öffnete. Unser Schiff ging angeblich schon um diese Zeit wieder ab, und ich wagte es nicht, dem Rufe Folge zu leisten. Selbst den Scheck einzuwechseln blieb mir keine Zeit, da die Banken zu spät öffneten und ich mich fürchtete, den Dampfer zu versäumen. So verfolgten mich Geldknappheit, Sorgen und Demütigungen bis zur Schwelle der Heimat …
Die Briefe riefen mich ängstlich zurück. Ich begann dumpf zu befürchten, überhaupt zu spät daheim einzutreffen. Wenn ich es doch hier schon wüßte! Dann würde ich mit dem nächsten Dampfer umkehren, und wenn es nur nach Asmara wäre! In die Wärme und unter Fremde.
Es hatte sich nichts ereignet. Ein Werk, das ich selbst verschickt hatte, kam zurück, da ich die Tendenz des Verlages nicht gekannt hatte. Die Kritik war sehr günstig, doch nahm der Verlag nur Romane mit streng katholischer Weltanschauung, und meine Arbeiten waren alle vom Buddhismus stark durchtränkt. Von den Schriftleitungen kein Wort; von meinem Vertreter nur Schweigen. Wie konnte eine jahrelange Freundschaft so verschwinden wie ein Regentropfen im Sand der glühenden Sahara? Warum entglitt alles meinen Händen?
Ich drückte meine Briefe fest an mich. Sie enthielten nichts Erfreuliches. Die Parteien meines Hauses warfen mir die kleinlichen Händel schon als Zukunftsgruß vor die Füße. Das erwartete mich.
Die Gassen von Port Said sind breit, haben die überbauten Fußsteige, die so angenehm wirken, ob es nun regnet oder die Sonne herniedersticht. Ich zweifle nicht, daß die unzähligen Geschäfte mit den schönen Straußenfedern, den orientalischen Arbeiten, den Wundern Aegyptens, Japans, Chinas, die Augen derer blenden, die herausfahren, denen der Osten neu ist. Mir blieb alles gleichgültig. Auch merkte ich nicht einmal etwas von Port Saids berüchtigter Sündigkeit. Allerdings ist die achte Morgenstunde immer die sittlichste an jedem Orte, weil da nur die Braven auf sind und die Sünder schlafen …
Es ist eine Stadt, die nicht einmal einen auffallend östlichen Charakter hat. Sie ist in Wahrheit ein Mischling – ein Gemenge von Osten und Westen – sehr nüchtern, oft häßlich, die Schönheiten von keinem aufweisend, dennoch mit einem Versuch, beide darzustellen. Eine Moschee, ein Kaffeehaus, in dem man nackte Frauen tanzen sieht (danach trug ich kein Verlangen) und in den Hintergäßchen jene Orte des Lasters, die in jeder Hafenstadt bestehen müssen und die hier durch die unbeherrschte Sinnlichkeit der Araber, der Perser, der Neger, der Aegypter, der zugewanderten Chinesen eine Höhe erreicht, wie sie vermutlich nur Panama noch bietet. Die unnatürlichsten Dinge soll man sich da nachts ansehen können – Laster, von denen wir nicht einmal (oder erst seit dem verderblichen Kriege mit seinem Brechen aller Ueberlieferungen und Fesseln) die Namen kennen, doch dies mir anzusehen, hatte ich kein Begehren. Ich war nur zu oft unfreiwillig Zeugin derartiger Ausschweifungen geworden. Es gab indessen Frauen, die sich mit Genuß durch solche Räume von einem Mann führen ließen. De gustibus …
Wie in Paris standen die Stühle vor den Kaffeehäusern um runde Tische auf dem guten, weiten Pflaster – das Beste von ganz Port Said – doch der Himmel hing grau und schwer über uns, ein kalter Dezemberwind schnitt eisig vom Mittelmeer her durch die breiten Straßen, und ich war froh, auf den Dampfer zurückkehren zu können. Es gab nichts zu sehen.
Meine Augen waren endlich müde – müde wie mein Herz.
Erst gegen elf Uhr glitt der Dampfer am Wellenbrecher vorüber, hinaus in das Mittelmeer, das große, feindliche, grünblasse Wellen warf.
» Bora! Bora!« meinten die Camerieri. Die Damen der Ersten riefen nach den Schüsseln. Es war kalt. Ich kroch ins Bett und bat um eine Extradecke.
Es war Weihnachtsabend.
Die Bora fegte über das Meer. Von Alexandrien sah man nichts und auch am folgenden Morgen nichts von der Küste Griechenlands. Wir waren mitten auf den stürmischen Wassern, und der Cameriere brachte mir etwas Hühnerfleisch mit dem Bemerken, ich müsse an dem Tage doch auch etwas Fleisch essen. So tat ich es. Man feierte eigentlich nicht. Der Kapitän ärgerte sich, keine Frau zum Flirt zu haben, und überdies sehnte er sich heim. Was sollte er da den Narren für andere abgeben?
Die Cameriera, eine Frau, die zwei Mädchen daheim hatte, die sie mit dem versorgen mußte, was sie verdiente, und von denen eins blind war und sich so sehr aus der Anstalt heimsehnte, war ebenfalls in die eigenen traurigen Gedanken eingesponnen. Sie brachte mir eine Schachtel Rahatlakun (türkische Freude) mit einem Gruß der einen Dame. Das sei für mich. Ich wollte es lange nicht glauben. Da sagten auch die Zwillinge:
»Ja, es ist von der kranken Dame, weil du ein nettes Mädchen bist!«
Das bezweifelte ich nun allerdings sehr, denn in dieser Gemütsstimmung war ich sehr entfernt davon, »nett« zu sein oder selbst, fürchte ich fast, »nett sein« zu wollen; dennoch rührte mich die unerwartete Gabe, die ich meiner Mutter mitnahm, sehr.
Am Tage des heiligen Stephanus erreichten wir Brindisi. Aus dem müden Grau des Frühmorgens, durch den feinen Regen hindurch, der die steinernen Treppen näßte und die Häuser wusch, tauchte der ansteigende Ort. Ich hatte Lust gehabt, das Schiff hier zu verlassen und quer durch Italien, über Rom und sicher über Neapel, langsam Triest zu erreichen. Da es jedoch ein Feiertag war und die Banken geschlossen blieben, es überdies so trübselig regnete und mir die Lust an allem vergangen war, fuhr ich einfach weiter.
Der Wind wechselte häufig. Einmal schien es, als ob wir Sirocco haben würden, und der Nebel bauschte sich infolgedessen in so dichten Massen um uns, daß wir kaum fahren konnten. Im Quarnero streifte uns wieder der kalte Bergwind, und erst kurz vor Venedig, als der frühe Winterabend uns einhüllte, merkten wir den schaurigen Nebel, der jedwedes Vordringen vereitelte. Ich hatte gebeten – eben weil ich den Scheck erst einlösen mußte – die Nacht an Bord verbringen zu dürfen. Zum Schluß aber mußten wir alle, ob wir es wollten oder nicht, auf dem Schiff bleiben, da keine Gondeln heran durften und die Zollbehörde sich nicht bequemte, uns bei diesem Wetter abzufertigen.
In den Gängen brannten die Oefchen, doch in den Kabinen war es sehr kalt. Wir konnten nichts tun, als das Abendbrot einnehmen und uns hierauf ins Bett legen.