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Ich wurde immer bewacht. Nicht in jeder Station, doch in vielen pendelte ein weißer Zugwächter an mir vorüber und warf einen Blick in das Abteil. Das geschah, weil mehrere Frauen getötet worden waren und weil die Engländer immer mehr als andere Völker auf die Sicherheit einer Europäerin schauen. Auf Java hätte man mich vierteilen können, und vielleicht hätte man noch ruhig zugeschaut, doch nicht in Britisch-Indien. Der Schaffner riet mir, mich einzuriegeln und, wenn ich Furcht hätte, die Fenster zu schließen. Das tat ich nicht, denn mein Gepäck war unter dem Sitz, also nicht erreichbar, die Tasche mit Paß und Geld lag unter mir, und überdies wachte ich auf, so oft wir hielten, denn ein indischer Zug ist nicht ein europäischer.
Kaum hielt er, so stürzten die durstigen Reisenden beider Hauptreligionen aus dem Zuge, um ihre Tonkrüge mit Wasser zu füllen, doch hatte jeder Glaube seinen eigenen Brunnen. Unterdessen kamen die Neueinsteigenden, beladen mit Bündeln wie Mount Everest, mit Körben voll unheimlich riechender Leckerbissen, mit Kindern und Frauen und Dienern … Dieses Getue und Geschrei! Dieses Verstauen von Menschen und Gepäck, dieses Sich-zurechtschieben, Sich-freundschaftlich-puffen, bis man eingekeilt saß, dieses züchtige Vorziehen der Schleier, wenn einmal alles Hasten vorüber war! Ich dankte Gott, nicht in der Dritten zu sitzen.
Aber auch ich wurde nicht selten heimgesucht. Einmal kamen vier Mohammedanerinnen mit der Burka herein, das ist ein wallender weißer Umhang, um den Kopf etwas verengt, der ein Stoffnetz trägt, durch das die Frau wohl durch die winzigen Löchlein hinausspähen kann, niemand aber auch nur ahnt, was daruntersteckt. Es geschieht manchmal, daß sich ein Mann, unter einer Burka verborgen, in ein Frauenabteil einschleicht, das Weib vergewaltigt und – die Hülle zum Fenster hinauswerfend – vom Trittbrett aus in das Gedränge der Reisenden springt und so entkommt. Leicht geschieht es nicht, und man hat als Frau immer das Recht, die Notleine zu ziehen.
Ich wartete mit bedeutender Neugierde, bis wir den Ort verließen und sich die vier unförmigen Massen in schöne Lichter der Zenana verwandeln würden. Sie nahmen auch richtig die Burka, die sehr heiß macht, ab, doch, o weh! es waren dicke, alte Tudeln, an denen nichts als Speck zu sehen war. Ich dachte mir, daß ihre Tugend mehr bewahrt werden würde, wenn sie sich zeigen wollten …
Sie aßen dicke, speckige Kuchen und tranken indische Kracherl, so daß gar bald das ganze Abteil nach dem eigentümlichen Parfüm ihrer Kleider, nach dem Honig und den Gewürzen der Kuchen und nach weiß Gott was noch roch. Wer sagt, daß diese vier behäbigen Damen nicht ebenso gut und vermutlich sogar besser als ich waren, aber meinen Geschlechtsgenossinnen des Westens war ich zur Begleitung gewiß tausendmal lieber. Das ist nicht Rassenvorurteil, das ist einfach Gewohnheit, aber deshalb sagt Kipling so treffend, daß der Osten der Osten, der Westen der Westen sei und sich die beiden nicht treffen können. Schon unsere gegenseitigen Nasen nehmen Anstoß, denn wir stinken ihnen ebenso kräftig wie sie uns – alle Trugvorstellung beiseite! Mir wurde zum Schluß von ihren Zenanadüften ganz elend.
Man fährt nur einige Stunden dahin und muß die Nacht, gegen ein Trinkgeld an die Warteraum-Amah, dort verbringen. Auf einer Holzbank. Es tun einem alle Knochen weh, doch erspart man ein Nachtlager in einem Hotel. Nur in Indien kann man so ungehindert in Wartesälen herumlungern (unangenehm genug ist es ja, um glatt verziehen werden zu können), und das kommt daher, daß für den Inder des niederen Volkes Zeit keine Rolle spielt. Er entschließt sich zu einer Wallfahrt, packt sein winziges Bündel, nimmt die Frau mit, schnallt ein Kind auf ihren Rücken, eins auf den eigenen, nimmt zwei mit Bündeln an die Hand, und sein Weib schleppt den Eßkorb hinterdrein. Sie erreichen den Bahnhof. Wo erhält man den magischen Zettel? Dort, bei jenem Fenster? Salaam! Nach Benares. Er zählt mühsam das Geld vor, Kinder reisen frei. Wann geht der Zug? Morgen früh? Auch recht. Sie begeben sich hinaus auf die kleine Plattform, entfalten ihre Decken, rollen sich und die Kleinen hinein und warten, bis der Zug kommt. Manchmal ist er zu voll, und sie müssen den nächsten Zug abwarten. Auch recht. Nur die Teufel und die Weißen haben keine Geduld im Leib und fahren immer planlos hin und her.
Delhi war einst die Residenz der Großmoguln und ist seit mehr als dreitausend Jahren der Punkt, an dem der Handel mit dem Punjab und allen Grenzgebieten zusammenläuft, wohin alle Großhändler kommen, und ist auch heute der Brennpunkt der Politik, der Kunst, vieler Gewerbe, wie zum Beispiel der Zucker-, Baumwoll-, Mühlenindustrie und Sitz vieler Kunstgewerbe, die man nirgends so gut wie gerade in Delhi sehen kann, wo aus Messing der Tadsch Mahal, die herrlichsten Gongs, die prächtigsten Tassen, Tiere, Fingerschalen, Götter gemacht werden und wo man die unvergleichlichen Brokate herstellt, denen nur noch die von Benares gleichwertig sind.
Die Stadtmauer hat sieben Tore, darunter ist das Kaschmirtor, durch das die Kamelkarawanen aus dem Norden kommen, das wichtigste, und um dieses Tor spielt sich am stärksten das Leben der Eingeborenen ab. Vor der heutigen Stadt breitet sich das alte Delhi über vierzehn Kilometer aus. Es besteht aus unzähligen Ruinen, die von Schakalen und Hyänen heimgesucht werden und besonders in einer Mondnacht unendlich romantisch zu durchwandern sind. Indessen nicht allein!
Delhi ist uralter Boden. Man nimmt an, daß die erste Ansiedlung, von Ptolemäus » Indabara« genannt, schon seit dem zweiten Jahrtausend vor Christi bestanden haben soll; jedenfalls hat die Stadt in der Geschichte Indiens immer eine große Rolle gespielt und auch heute berührt es einen eigentümlich, mitten in der ausgedehnten Ruinenstadt die Siegestürme des Islams emporragen zu sehen. Der bedeutendste Herrscher gehörte zum Mongolengeschlecht und hieß Akbar. Er ermutigte Kunst und Wissenschaft, lebte indessen vorwiegend in Agra, und erst unter Sha Jenan, der den Tadsch erbauen ließ, blühte Delhi zu unerwartetem Glanze auf. Da entstand die herrliche Moschee und die Kaiserburg, doch wurde er von seinem Sohne Aurangzeb verdrängt, und wachsende Unduldsamkeit gegen die Hindus führte zu inneren Zerwürfnissen. Im Jahre 1803 fiel Delhi in die Hände der Engländer, und hier begann auch die fürchterliche Meuterei von 1857. Man sagt, daß die Engländer nichts wahrnahmen als die sonderbare, ihnen unverständliche Tatsache, daß sich die Eingeborenen von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt Tschipatis schickten, und sie ahnten nicht, wie schwerwiegend dieses geheime Zeichen ihnen werden sollte.
Das Fort ist nicht so gut erhalten wie in Agra; man findet in der Stadt die üblichen Bazare, die schönen, oft beschriebenen Moscheen, die einstigen Paläste, die schwarze Moschee mitten im Eingeborenenviertel, doch das Fesselndste bleiben nach wie vor die kleinen Geschäfte, in denen gearbeitet wird und in denen sich das Leben abspielt. Die Beschreibung der bekannten Bauten findet man in jedem Reisewerk.
Vom Delhi-Tor führt die sogenannte Grand Trunk Road nach Agra und weiter nach dem Süden, und das ist ein wunderbares, unvergeßliches Bild, denn hier fahren alte Purdafrauen (die hinter dem Schleier leben müssen) in Ochsenwagen, die zu einer Sänfte umgestaltet sind und an deren Seite die beschützenden Diener laufen; da begegnet man den komischen Wagen, von Kamelen gezogen, die ich schon beschrieben habe; da laufen Zebukühe (die alle einen Höcker haben und das wahre Rind Indiens sind), da steht man Polizisten zu Pferd und Bettelmönche zu Fuß, Wallfahrer mit Frau und Kind, ganze Karawanen, Teppichhändler aus Afghanistan, Lamamönche aus Tibet, kurz, auf dieser breiten Heerstraße bewegt sich ganz Indien in seiner vollen Farbenbuntheit und Natürlichkeit.
In Delhi war ich so müde, daß ich nicht weiter wollte und – da mein Geld beschränkt war – auch nicht bleiben durfte. So suchte ich einen Bummelzug aus, der schon um zehn Uhr Delhi verließ und erst um sieben Uhr früh in Raewind war, anstatt den Schnellzug nach Mitternacht abzuwarten, der direkt nach Lahore fuhr. Ich wollte schlafen, und das konnte ich gewiß besser im langsamen Zuge.
Ich fand kein Frauenabteil und stieg in eins, in dem ein Inder saß. Er war jung, sprach englisch, und ich hoffte jedenfalls, daß er mir nicht die Kehle durchschneiden würde, nachdem wir aus der Station heraus waren. Jedenfalls hatte ich so starke Malaria, daß ich lieber auf weicher Lederbank den Hals durchschnitten erhielt, als noch länger auf der Holzbank oben im Warteraum liegen zu müssen. Das versuchte ich den beiden weißen Eisenbahnern begreiflich zu machen, die mir sehr zuredeten, lieber mit dem Schnellzug zu fahren. Ich rührte mich nicht. Hier lag ich und … Der Zug pfiff, da fragte der Wächter, ob ich nicht wenigstens vorn im Frauenabteil liegen wollte, damit er »ein Auge auf mir lassen« konnte, und da ich ihm gern das Auge auf mir gönnte, hielt er den Zug an, bis ich umgestiegen war. Nun hatte ich fünf Bänke für mich allein und pries die Engländer sowie meinen Eigensinn.
Wo aber hätte man so liebevoll über mich gewacht? Was tat eine durchschnittene Kehle den meisten Regierungen? Aber so sind eben die Engländer. Es ist daher eine unrichtige Politik unwissender Europäer, England den Verlust Indiens zu wünschen. Ich möchte sehen, wie wir Weißen dann fahren würden. Ich werde es jedenfalls abwarten, nicht als Erste ausprobieren. Alle Achtung vor den Indern, doch Asiaten sind – Frauen gegenüber – eben Asiaten und Mohammedaner eo ipso …
Raewind ist ein Loch, doch ein so malerisches Loch! Ich aß dort die besten Pfirsiche Indiens, aß ein volles Dutzend auf einem Sitz. Dann genoß ich im vollsten Maße das Bild meiner Mitreisenden.
Es waren viele Leute aus dem Punjab und von den Abhängen des Himalayas hier, und ihre Trachten waren so verwirrend wie interessant. Die Punjabimänner trugen Schnabelschuhe, das heißt Sandalen, die vorne in einer gekrümmten Spitze hinaufgingen und auch hinten eine spitze Verlängerung nach oben hatten. Die Hosen saßen fest an den Beinen, die lose Jacke wurde von einer gestickten Weste um den Leib gehalten, manche hatten auch einen weichen Gürtel oder ein Tuch zu einem breiten Gürtel gedreht. Andere Reisende hatten ein Hemd wie die unsrigen, doch hing es über die Hose hinunter, was mich sehr belustigte, und die Frauen hatten das Sari bald auf diese Weise, bald auf eine andere Weise um den Leib gewunden. Bei mancher sah man die Umrisse der Brust nackt, bei anderen war auch der Rücken unter dem Schleier noch dicht verhüllt, – und der Schmuck! Dicke Knöchelspangen, so daß sie kaum zu gehen vermochten; das machte ihren Gang langsam und schleppend und verlieh angeblich Anmut, denn der Gang einer schönen Frau wird immer mit dem einer Gans oder einer Pfauhenne verglichen; andere hatten kleinere silberne Knöchelspangen, doch dafür Silberringe auf jeder Zehe, und immer hatten sie Armbänder – aus Silber, aus Bein, aus buntem Glas, sehr oft vom Handgelenk bis zum Ellbogen. Die Ohren trugen langen und schweren Goldschmuck, die Nase hatte den Nasenring, der manchmal die eine Gesichtshälfte einnahm und der Schwere wegen mit einem Band am Haarknoten befestigt werden mußte. Bei einigen Frauen lief die Schnur auch um das Ohr ins Haar zurück. Um den Hals lagen schwere Silberketten, um den der Kinder allerlei Amulette (Abschriften aus dem Koran in einer Silberkapsel, bei Hindus ein Glücksstein, bei Tibetanern ein Stückchen Palmenblatt mit Pahlischrift), und die Farben der Gewänder waren so bunt wie in einem Märchen. Alle diese Menschen saßen auf der steinernen Plattform im ersten Morgensonnenlicht, blickten über die weite Sandebene hin, aßen ihre flachen Brote mit Ghi oder Reiscurry oder – die Islamiten – ihr Ziegenfleisch.
Der Zug fährt durch die Sandwüste, und man kann nicht sagen, wie heiß es ist. Darüber werde ich später noch weiter zu klagen haben. Lahore ist nach zwei Stunden erreicht. Es ist die »Stadt der fruchtbaren Nächte«, wie Kipling, dessen Heimat es ist, erzählt. In der Tat kann man sich denken, wie wahnsinnig heiß es im Innern des Landes, wenn kein Wind weht, auf diesen flachen Steindächern sein muß, die eben erst all die ungeheure Hitze ausstrahlen, die sie zwölf Stunden hindurch eingesogen haben. Auch bieten die nahen Dächer ein reiches Feld zu Intrigen, denn kleine geschmeidige Gestalten springen leicht von einem Haus aus das andere, tragen heimliche Botschaft …
Von hier biegt der Weg nach dem berühmten Khaiberpaß an der Grenze von Afghanistan ab. Der König gestattet indessen keine Durchreise, wenigstens wurde unsere Bitte (die einer Amerikanerin und die meine) glatt abgewiesen.
Sehr schön sind die Lawrence Gardens mit indischen und europäischen Bäumen, und die breiten Straßen des Europäerviertels sind nicht ohne Reiz, doch gerade die Eingeborenenstadt ist das Wertvollste für den, der das Volk kennen lernen will, und da sieht man schon die kräftigen, wilden, bärtigen Gestalten der Berge, die sonderbaren Händler aus Kaschmir mit ihren prachtvollen Stickereien und den Kaschmirschalen aus Tibetziegenwolle, die so weich und zusammenlegbar sind, daß man sie leicht in eine kleine Tasche stopft. Ein Schal, der Königin Viktoria gewoben, paßte in eine Nußschale …
Wunderbar ist das Lahoremuseum mit seinen Resten aus buddhistischen Tagen, den Erzählungen aus der Jataka in Stein, den Arbeiten aus den verschiedenen Provinzen, von den Eingeborenen das »Wunderhaus« genannt.
Vor dem Museum steht das mächtige Geschütz Zamzammah, was »Löwengebrüll« bedeutet, und man sagt, daß, wer diese Kanone besitzt, den ganzen Punjab hält, und der Punjab ist bekanntlich das Tor ganz Indiens. In der Markthalle sieht man die Tropenfrüchte aus dem Süden neben den Aepfeln und Pfirsichen aus Peshawar und weit mehr aus dem wunderschönen, entlegenen Kaschmir, dessen Landschaften mich indessen nicht so reizten, da ich nicht der Naturschönheiten halber reiste, besonders nicht solcher, die der Schweiz glichen, da mein eigenes Land genug davon bot. An seltsamen Sitten aber hätte ich oben viel lernen können, und es war lange Zeit meine Absicht, nach Kaschmir zu reisen, um mich einmal in einem Höhenklima zu erholen. Das, wenn es mir erspart bliebe, heimzukehren.
Ja, ich saß nun oft im Dämmern der Subtropen irgendwo in einem Park oder unweit einer alten Mauer (Klagemauer!) und wünschte, wenigstens nicht heimkehren zu müssen. Seit die Freundschaft mit meinem literarischen Vertreter gelockert war, schien mir auch in Europa alles blaß und wertlos. Er hatte sieben Jahre lang an all meinen Reisen und Erlebnissen teilgenommen, von jedem Ort waren Bilder, Gegenstände, Manuskripte, Beiträge an ihn abgegangen, er hatte »von jeder Laus einen Flügel« bekommen (wie meine Mitbürger oft sagen), und alle Briefe strotzten von meinen Skizzen, so daß er so gereist war wie ich selbst, nur mit weniger Kosten und Leiden. Und stets hatte es geheißen: Warten! Nur warten! Nun aber war alles verloren, was ich allein mühsam aufgebaut hatte, und ich trug keine Sehnsucht, nach Europa zu reisen. Es ist sehr verschieden, ob man als Sieger oder gerade nur als Mensch heimkehrt.
Meine Mutter war alt, sehr alt, ihr konnte ich nur das Unpersönliche schreiben, das man einer Zeitung zur Veröffentlichung schrieb, und wer mir unterwegs lieb geworden, den hatte ich durch das Weiterwandern verloren, blieb mir ja oft nicht das Geld für ein Brot, geschweige denn eine Briefmarke. Ich fühlte nun, daß ich ein Leben lang einsam, krank und in der Hölle sein würde, denn der Himmel oder die Hölle ist nur ein gedachter Ort, der Widerschein unserer Seelenstimmung, und ich sah all mein Wirken an einer unsichtbaren Schicksalsschranke zersplittert werden und hegte keinen Wunsch mehr, von Ort zu Ort zu gehen. Wo ich auch hinkam, geschah es, um zu leiden; in diesem Leben oder einem anderen, in Indien oder daheim, es gab für mich weder Frieden noch Glück.
Mein einziges Heil war die Arbeit; ich segnete sie.
Von Lahore nach Karachi fährt man ungefähr sechsundzwanzig Stunden mit dem Eilzug, und eine schrecklichere Fahrt ist kaum zu denken. Engländerinnen, Gattinnen von Beamten, die zu jener Zeit die Fahrt zurücklegen müssen, werden als Märtyrerinnen bemitleidet und mit jedem erdenklichen Luxus in der Ersten umgeben; ich fuhr in der Zweiten und kaufte viermal Eissoda.
Man durchfährt die Sindwüste, die Alexander der Große einst gekreuzt hat und die heute, von Multan und besonders von Sukker aus, überschwemmt wird und fruchtbares Land werden soll, was gewiß großen Einfluß auf das Klima dieser Orte haben wird. Die Gegend ist trostlos, endlose Sandstrecken, sich da zu winzigen Hügeln erhebend, da zu unmerklichen Becken abfallend, fast nie ganz unbewachsen, denn sehr zähe, niedrige Sträucher mit schmalen, harten Blättern begrenzen die Bahn, und dazwischen steht man weiße Stellen, genau als ob Frost auf der Erde läge – wohl Salzablagerungen wie oben auf den Anden von Peru. Es wirkt ganz eigenartig, diese Frostlandschaft inmitten des Grauweiß des unendlichen Gesichtskreises. Von Zeit zu Zeit merkt man Kuppeln, bauschen sich Masten zu etwas zusammen, man erkennt allmählich Lehmbauten und darunter eine verstaubte Moschee. Häuser wie Stallungen, die Straßen bunt von den hellen und oft grellen Trachten der Bewohner. Der Zug hält, man stürzt um Wasser; Obst und Kuchen, geröstetes Ziegenfleisch werden angeboten, der Staub wirbelt grausamer auf, und – – weiter geht es.
Der feine, glühende Sand tost unaufhörlich wie starker Regen gegen die festgeschlossenen Scheiben. Die erhitzten Wände des Zuges verwandeln das Abteil in die Bleidächer von Venedig, die Bänke, der Boden, die Kleidung wird staubbedeckt. Kein Putzen hilft. Man hustet, keucht, schüttelt sich, versucht zu schlafen. Es ist bester, das Fenster offen zu lassen, selbst wenn ganze Berge von Sand auf den Kleidern liegen. Tagsüber geht es nicht. Da mischt sich die glühende Luft von draußen mit der glühenden Luft drinnen, die der Fächer dreht und dreht, wie wenn man Grieß in einem Topf siedenden Wassers mischt.
Man kann nicht sprechen, denn die Zunge klebt dick und bitter an dickem, bitterem Gaumen; was man trinkt, schmeckt schlecht, das Eis durchschneidet kaum die Schicht erhitzter Ablagerungen, die man nicht zu entfernen vermag. Das Blut brennt in den Adern, die Muskeln erschlaffen, die Augen brennen vom Widerschein der Ebene, vom Sand, der Krankheiten mit sich führt, die Lungen wollen nicht mehr diese vergiftete Luft einsaugen, und je länger man fährt, desto furchtbarer erhitzt ist der Zug. Man beginnt sich zu fragen, ob er plötzlich in Flammen aufgehen werde.
Draußen nichts als große Pfauenherden, wenn die Sonne ihre sinkenden Strahlen blutrot über den Wüstensand zieht; dann vielleicht ein Tschita (eine Art kleiner Leopard), der diesen Herden blutgierig nachschleicht, ein Friedhof und darum Schakale oder unweit eines Sterbehauses eine hungrige Hyäne. Hunde laufen durch die trostlosen Gassen der trostlosen, glühenden Städte, und erschöpfte Reisende, in Schweiß und überflüssige Schleier gehüllt, sinken auf die leeren Plätze. Ein Mann mit sieben Frauen pfercht sich ein. Ich kann nicht länger liegen, muß sitzen. Die älteste Frau befiehlt über alle, selbst den Herrn und Gebieter, aber seine Augen gehen immer zur jüngsten, die sehr bescheiden am äußersten Rande der Bank sitzt und sich nichts zu sagen getraut, kaum die Augen aufschlägt. Für sie holt er Limonade, und für sie findet er den besten Kuchen, wenn er die schlechteren auch zuerst der dicken Würdevollen überreicht, die wie eine gestürzte Ruhmeshalle den Ecksitz einnimmt. Der Diener fährt in der Dritten, kommt jedoch bei jedem Halten, schleppt Wasser herbei, bringt dies oder das, fegt das Abteil so rein, als dies in fünf oder zehn Minuten geht. Die Würdevolle fragt in Sindhi, meinen ungläubigen Ohren unbekannt, wohin? Ich erwidere, mit der Seele den Sinn erratend, Karachi. Allein? Oh ja, allein! Da seufzt sie, denn sündhaft und schwer ist es für eine Frau, allein zu reisen, und sie freut sich auch, denn sie hat einen Mann, wenn sie auch nicht mehr die erste Violine spielt.
Eine der Frauen stammte aus Ratjputana, dem nördlichen, denn sie trug den Ehering am Daumen und hatte einen Riesenspiegel daran …