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Die gelehrte Reliquien des vortrefflichen (oft auch ins Komisch-Burleske malenden) Mösers fielen in die Hände seines vieljährigen Freundes, des Herrn Friedrich Nicolai. Es war ein Teil einer fragmentarischen Abhandlung Mösers mit der Aufschrift: Über Theorie und Praxis, welche jenem in der Handschrift mitgeteilt worden, und wie Herr Nicolai annimmt, daß Möser selbst sie würde mitgeteilt haben, wenn er sie noch ganz beendigt hätte, und wobei angemerkt wird: daß Möser nicht allein Royalist, sondern auch, wenn man es so nennen will, ein Aristokrat oder ein Verteidiger des Erbadels zur Verwunderung und zum Ärgernis vieler neueren Politiker in Deutschland gewesen sei. – Unter andern habe man (S. Kants metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, erste Auflage, Seite 192) behaupten wollen: daß nie ein Volk aus freiem und überlegtem Entschlusse eine solche Erblichkeit einräumen würde. Wogegen denn Möser in seiner bekannten launichten Manier eine Erzählung dichtet: da Personen in sehr hohen Ämtern gleich als Vice-Könige doch eigentlich als wahre Untertanen des Staats auftreten und zwölf Fälle angeführt werden, in deren sechs ersteren die Söhne des verstorbenen Beamten übergangen werden, dafür es mit den Untertanen schlecht steht; dagegen man sie in den sechs letztern wählt, wobei das Volk sich besser befindet; – woraus dann klar erhelle: daß ein ganzes Volk seine eigne Erbuntertänigkeit unter einem höheren Mituntertanen gar wohl beschließen und handgreifliche Praxis diese, so wie manche andere luftige Theorie zur Belustigung der Leser als Spreu wegblasen werde.
So ist es mit der auf den Vorteil des Volks berechneten Maxime immer bewandt: daß, so klug es sich auch durch Erfahrung geworden zu sein dünken möchte, wen es sich zum subalternen Herrscher wählen wollte: es kann und wird sich dabei oft häßlich verrechnen, weil die Erfahrungsmethode klug zu sein (das pragmatische Prinzip) schwerlich eine andere Leitung haben wird, als es durch Schaden zu werden. – Nun ist aber hier jetzt von einer sicheren, durch die Vernunft vorgezeichneten Leitung die Rede, welche nicht wissen will, wie das Volk wählen wird, um seinen jedesmaligen Absichten zu genügen, sondern, wie es unbedingt wählen soll: jene mögen für dasselbe zuträglich sein oder nicht (das moralische Prinzip); d. i. es ist davon die Frage: was und wie, wenn das Volk zu wählen aufgefordert wird, nach dem Rechtsprinzip von ihm beschlossen werden muß. Denn diese ganze Aufgabe ist als eine zur Rechtslehre (in jenen metaph. Anf. d. R.-L. S. 192) gehörige Frage, ob der Souverän einen Mittelstand zwischen ihm und den übrigen Staatsbürgern zu gründen berechtigt sei, zu beurteilen, und da ist alsdann der Ausspruch: daß das Volk keine solche untergeordnete Gewalt vernunftmäßig beschließen kann und wird, weil es sich sonst den Launen und dem Gutdünken eines Untertans, der doch selbst regiert zu werden bedarf, unterwerfen würde, welches sich widerspricht. – Hier ist das Prinzip der Beurteilung nicht empirisch, sondern ein Prinzip a priori; wie alle Sätze, deren Assertion zugleich Notwendigkeit bei sich führt, welche auch allein Vernunfturteile (zum Unterschiede der Verstandesurteile) abgeben. Dagegen ist empirische Rechtslehre, wenn sie zur Philosophie und nicht zum statutarischen Gesetzbuch gezählt wird, ein Widerspruch mit sich selbst. Nach dem Prinzip der Eudämonie (der Glückseligkeitslehre), worin keine Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit angetroffen wird (indem es jedem Einzelnen überlassen bleibt, zu bestimmen, was er nach seiner Neigung zur Glückseligkeit zählen will), wird das Volk allerdings eine solche erbliche Gouvernementsverfassung wählen dürfen; – nach dem eleutheronomischen aber (von der ein Teil die Rechtslehre ist) wird es keinen subalternen äußeren Gesetzgeber statuieren: weil es sich hiebei als selbst gesetzgebend und diesen Gesetzen zugleich untertan betrachten und die Praxis sich daher (in Sachen der reinen Vernunft) schlechterdings nach der Theorie richten muß. – Es ist unrecht so zu dekretieren, es mag auch noch so gebräuchlich und sogar in vielen Fällen dem Staat nützlich sein; welches letztere doch niemals gewiß ist.
Das war nun gut: aber – wie die alten Muhmen im Märchenton zu erzählen pflegen – auch nicht allzugut. Die Fiktion nimmt nun einen anderen Gang.
Nachdem nämlich in den sechs folgenden Gouvernements das Volk nun zur allgemeinen Freude den Sohn des vorigen gewählt hatte, so traten, wie die visionäre Geschichte weiter sagt, teils durch die während der Zeit allmählig fortrückende leidige Aufklärung, teils auch weil eine jede Regierung für das Volk ihre Lasten hat, wo die Austauschung der alten gegen eine neue vor der Hand Erleichterung verspricht, nunmehr Demagogen im Volke auf, und da wurde dekretiert, wie folgt:
Nämlich im siebenten Gouvernement erwählte nun zwar das Volk den Sohn des vorigen Herzogs. Dieser aber war in Kultur und Luxus mit dem Zeitalter schon fortgerückt und hatte wenig Lust, durch gute Wirtschaft die Wohlhabenheit desselben zu erhalten, desto mehr aber zu genießen. Er ließ daher das alte Schloß verfallen, um Lust- und Jagdhäuser zu festlichen Vergnügungen und Wildhetzen, zur eigenen und des Volks Ergötzlichkeit und Geschmack einzurichten. Das herrliche Theater samt dem alten silbernen Tafelservice wurden, jenes in große Tanzsäle, dieses in geschmackvolleres Porzelaine verwandelt; unter dem Vorwande, daß das Silber als Geld im Lande einen besseren Umlauf des Handels verspreche. – Im achten fand der nun gut eingegraste, vom Volk bestätigte Regierungserbe es selbst mit Einwilligung des Volks geratener, das bis dahin gebräuchliche Primogeniturrecht abzuschaffen; denn diesem müsse es doch einleuchten: daß der Erstgeborene darum doch nicht zugleich der Weisestgeborene sei. – Im neunten würde sich das Volk doch bei der Errichtung gewisser im Personal wechselnden Landeskollegien besser, als bei der Ansetzung der Regierung mit alten, bleibenden Räten, die zuletzt gemeiniglich den Despoten spielen, und glücklicher finden; des vorgeschlagenen Erbpastors nicht zu gedenken: als wodurch sich die Obskurantenzunft der Geistlichen verewigen müßte. – Im zehnten wie im eilften, hieß es, ist die Anekelung der Mißheuraten eine Grille der alten Lehnsverfassung zum Nachteil der durch die Natur geadelten, und es ist vielmehr ein Beweis der Aufkeimung edler Gefühle im Volk, wenn es – wie bei den Fortschritten in der Aufklärung unausbleiblich ist – Talent und gute Denkungsart über die Musterrolle des anerbenden Ranges wegsetzt; – – so wie im zwölften man zwar die Gutmütigkeit der alten Tante, dem jungen, unmündigen, zum künftigen Herzog mutmaßlich bestimmten Kinde, ehe es noch versteht, was das sagen wolle, belächeln wird; es aber zum Staatsprinzip zu machen, ungereimte Zumutung sein würde. Und so verwandlen sich des Volkes Launen, wenn es beschließen darf, sich selbst einen erblichen Gouverneur zu geben, der doch selbst noch Untertan bleibt, in Mißgestaltungen, die ihrer Absicht (auf Glückseligkeit) so sehr entgegen sind, daß es heißen wird: Turpiter atrum desinit in piscem mulier formosa superne.
Man kann also jede aufs Glückseligkeitsprinzip gegründete Verfassung, selbst wenn man a priori mit Sicherheit angeben könnte, das Volk werde sie jeder anderen vorziehen, ins Lächerliche parodieren; und, indem man die Rückseite der Münze aufwirft, von der Wahl des Volks, das sich einen Herren geben will, dasselbe sagen, was jener Grieche vom Heuraten sagte: »Was du auch immer tun magst – es wird dich gereuen.«
Herr Friedrich Nicolai also ist mit seiner Deutung und Verteidigung in der vorgeblichen Angelegenheit eines Andern (nämlich Mösers) verunglückt. – Es wird aber schon besser gehen, wenn wir ihn mit seiner eigenen beschäftigt sehen werden.
Die Buchmacherei ist kein unbedeutender Erwerbszweig in einem der Kultur nach schon weit fortgeschrittenen gemeinen Wesen: wo die Leserei zum beinahe unentbehrlichen und allgemeinen Bedürfnis geworden ist. – Dieser Teil der Industrie in einem Lande aber gewinnt dadurch ungemein: wenn jene fabrikenmäßig getrieben wird; welches aber nicht anders als durch einen den Geschmack des Publikums und die Geschicklichkeit jedes dabei anzustellenden Fabrikanten zu beurteilen und zu bezahlen vermögenden Verleger geschehen kann. – Dieser bedarf aber zu Belebung seiner Verlagshandlung eben nicht den inneren Gehalt und Wert der von ihm verlegten Ware in Betrachtung zu ziehen: wohl aber den Markt, worauf, und die Liebhaberei des Tages, wozu die allenfalls ephemerischen Produkte der Buchdruckerpresse in lebhaften Umlauf gebracht und, wenn gleich nicht dauerhaften, doch geschwinden Abgang finden können.
Ein erfahrener Kenner der Buchmacherei wird als Verleger nicht erst darauf warten, daß ihm von schreibseligen, allezeit fertigen Schriftstellern ihre eigene Ware zum Verkauf angeboten wird; er sinnt sich als Direktor einer Fabrik die Materie sowohl als die Fasson aus, welche mutmaßlich – es sei durch ihre Neuigkeit oder auch Skurrilität des Witzes, damit das lesende Publikum etwas zum Angaffen und zum Belachen bekomme, – welche, sage ich, die größte Nachfrage, oder allenfalls auch nur die schnellste Abnahme haben wird; wo dann gar nicht darnach gefragt wird: wer oder wie viel an einer dem Persiflieren geweihten, sonst vielleicht dazu wohl nicht geeigneten Schrift gearbeitet haben mögen, der Tadel einer solchen Schrift aber alsdann doch nicht auf seine (des Verlegers) Rechnung fällt, sondern den gedungenen Buchmacher treffen muß.
Der, welcher in Fabrikationen und Handel ein mit der Freiheit des Volks vereinbares öffentliches Gewerbe treibt, ist allemal ein guter Bürger; es mag verdrießen, wen es wolle. Denn der Eigennutz, der dem Polizeigesetze nicht widerspricht, ist kein Verbrechen; und Herr Nicolai als Verleger gewinnt in dieser Qualität wenigstens sicherer, als in der eines Autors: weil das Verächtliche der Verzerrungen seines aufgestellten Sempronius Gundibert und Konsorten als Harlekin nicht den trifft, der die Bude aufschlägt, sondern der darauf die Rolle des Narren spielt.
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Wie wird es nun aber mit der leidigen Frage über Theorie und Praxis in Betreff der Autorschaft des Herrn Friedrich Nicolai: durch welche die gegenwärtige Zensur eigentlich ist veranlaßt worden, und die auch mit jener in enger Verbindung steht? – Der jetzt eben vorgestellte Fall der Verlagsklugheit im Gegensatz mit der der Verlagsgründlichkeit (der Überlegenheit des Scheins über die Wahrheit) kann nach denselben Grundsätzen, wie der in der Möserschen Dichtung abgeurteilt werden; nur daß man statt des Worts Praxis, welches eine offene und ehrliche Behandlung einer Aufgabe bedeutet, das der Praktiken (mit langgezogener Penultima) braucht und so alle Theorie in den Augen eines Geschäftsmannes kindisch und lächerlich zu machen sucht; welches dann nach dem Grundsatze: die Welt will betrogen sein, – so werde sie dann betrogen! – auch seinen Zweck nicht verfehlen wird.
Was aber die völlige Unwissenheit und Unfähigkeit dieser spöttisch nachäffenden Philosophen, über Vernunfturteile abzusprechen, klar beweiset, ist: daß sie gar nicht zu begreifen scheinen, was Erkenntnis a priori (von ihnen sinnreich das Vonvornerkenntnis genannt) zum Unterschiede vom empirischen eigentlich sagen wolle. Die Kritik der r. V. hat es ihnen zwar oft und deutlich genug gesagt: daß es Sätze sind, die mit dem Bewußtsein ihrer inneren Notwendigkeit und absoluten Allgemeinheit (apodiktische) ausgesprochen, mithin nicht wiederum als von der Erfahrung abhängig anerkannt werden, die also an sich nicht so oder auch anders sein können; weil sonst die Einteilung der Urteile nach jenem possierlichen Beispiel ausfallen würde: »Braun waren Pharaons Kühe; doch auch von andern Farben.« Aber niemand ist blinder, als der nicht sehen will, und dieses Nichtwollen hat hier ein Interesse, nämlich durch die Seltsamkeit des Spektakels, wo Dinge, aus der natürlichen Lage gerückt, auf dem Kopf stehend vorgestellt werden, viel Neugierige herbei zu ziehen, um durch eine Menge von Zuschauern (wenigstens auf kurze Zeit) den Markt zu beleben und so im literarischen Gewerbe die Handelsindustrie nicht einschlummern zu lassen; welches dann doch auch seinen, wenn gleich nicht eben beabsichtigten Nutzen hat, nämlich vom zuletzt anekelnden Possenspiel sich hernach desto ernstlicher zur gründlichen Bearbeitung der Wissenschaften anzuschicken.