Arthur Kahane
Der Schauspieler
Arthur Kahane

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1.

Das ganze Theater wartete auf ihn. Die Probe stockte.

Alle, die in der Vorstellung des Abends, an den Auftritten der Delila mitzuwirken hatten, waren eilig zusammengerufen worden und hatten sich allmählich eingefunden. Man hatte die Monologe der Delila, ihre Unterredungen mit den Philistern und mit den Mägden, kurz alle Szenen, in denen Samson nicht auftrat, bereits durchgesprochen und zwei- oder dreimal wiederholt, die Stellungen und ihren Wechsel, die Auftritte und Abgänge angegeben. Nun hatte es keinen Zweck, ohne den wichtigsten Partner, den Darsteller der Hauptrolle, weiter zu probieren. Die Mitglieder standen und liefen, ein aufgewühlter Schwarm, auf der Bühne und zwischen den Kulissen herum, räsonnierend, glossierend, kritisierend, ungeduldig und ungewiß, im Dunkel des Zuschauerraums beriet tuschelnd 12 der Prinzipal mit seiner Frau und dem Spielleiter, von Zeit zu Zeit erschien jemand aus dem Bureau oder der Kassierer des Theaters und fragte an, ob es bei der Abendvorstellung bleibe, oder Schneiderin oder Garderobière, um von der Frau des Prinzipals Weisungen entgegenzunehmen. In einer Ecke der Bühne, das Buch in der Hand, die jugendliche Anfängerin, die sich angeboten hatte, für die plötzlich erkrankte Heroine die Rolle der Delila mit einer Probe zu übernehmen, ruhig, gefaßt, beinahe gleichgültig, die Einzige, die an der allgemeinen Aufregung keinen Teil zu haben schien.

Plötzlich meldete jemand, er käme, und alles atmete auf.

Er aber näherte sich, durch die der Vorderfassade des Theaters vorgelagerte Gartenanlagen, mit langsamen und gemessenen Schritten, dem Hause, wie einer, der es darauf anlegte, es allen recht deutlich in die Augen fallen zu lassen, wie wenig es ihm auf Eile ankomme. An dem großen Rundbeet in der Mitte, das mit seinen zierlichen, wohl geordneten Farbenabteilungen das Bassin der Fontäne einfaßte, 13 blieb er stehen, beugte sich über die frühlingsbunte Pracht und sog ihre noch morgendliche Frische mit zu sichtlicher Schau getragenem Behagen ein.

Der Sekretär der Truppe, der ihn am Bühneneingang erwartet hatte, lief ihm entgegen, um ihn auf die Bühne zu führen. Er winkte ab: er habe vor der Probe noch ein Wort mit dem Prinzipal zu sprechen.

Der junge Mann, der ihn besser kannte als irgend jemand und sich darauf verstand, in diesen undurchsichtigen Zügen zu lesen, erriet mit einem ersten Blicke, daß sich der Unberechenbare wieder einmal in einer Laune befand, in der ihm Beruf und Stätte des Berufs bis zur Unerträglichkeit verhaßt wurden.

Und noch bevor sie den Prinzipal gefunden hatten, brach es aus: er denke nicht daran, sich mit der ersten besten Delila abzufinden. Wenn man keine Delila habe, könne man eben den »Samson« nicht aufführen. Dann solle man lieber das Stück absetzen und ein anderes geben. Rigolo könne ja seinen »lachenden Hahnrei« spielen, dessen schmutzige Zoten diesem 14 Publico ohnehin besser behagten als der edle Ernst seiner Tragödien, mit dem er es zu belästigen schon längst müde sei. Oder es wäre ja der Kapellmeister da, wie er sehe, und man könne die »Dörfliche Unschuld« geben, damit die Naive endlich wieder einmal ihre allgemein beliebten Beine zeigen könne. Oder irgend etwas anderes, was, ginge ihn nichts an. Möge sich der Prinzipal darüber den Kopf zerbrechen. Oder am besten die Bude ganz zusperren. Ihn aber möge man jedenfalls mit derartigen unkünstlerischen Zumutungen verschonen und er weigere sich, erst zu probieren, da er ja doch nicht mit einer Anfängerin spielen werde, die er kaum kenne. Wer sei denn die Dame überhaupt, daß sie sich eines derartigen Unterfangens vermesse? Es könne nur die ahnungloseste Anfängerin sein, denn jede andere, die der Bühne Tücken kennte und sich des Ernstes der Verantwortung, der Schwierigkeit der Aufgabe bewußt wäre, hätte sich eher geweigert, als daß sie sich zu so verwegenem Husarenstück gedrängt hätte.

Hier hakte, listig, der Sekretär ein und meinte, während sie gerade die Bühne passierten, um 15 in den Zuschauerraum zu gelangen, in dem sie den Prinzipal gewahrten, ob es nicht geraten wäre, wenn der Meister selbst mit der Kleinen sprechen wollte; er bat ihn nur, sie nicht gerade zu entmutigen. Und führte das Mädchen, es bei der Hand nehmend, aus der Kulisse, in der es stand, dem Meister vor, der, die schlanke und schmächtige Gestalt mit einem verwunderten Blicke flüchtig streifend, in einem geänderten, nicht unfreundlichen Ton die Frage stellte, ob sie, so jung noch, denn gar keine Angst empfinde: er wenigstens hätte die Courage nicht, eine so große Rolle fast ohne Probe zum erstenmal zu spielen.

Sie zuckte die Achseln und meinte, warum nicht; sie hätte ja, als Unbekannte, nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen. Übrigens sei sie des Textes vollkommen sicher, und wenn er sie nur ein wenig unterstützen wolle, hätte sie gar keine Furcht.

Daran würde es nicht fehlen, meinte er. Auf ihn könne sie sich verlassen. Er sei bereit, gründlich mit ihr alles durchzuprobieren. Warum gehe übrigens die Probe nicht weiter? Worauf warte man denn? Jede Minute sei kostbar. Aber so sei es 16 an diesem Theater, daß man des Schauspielers wertvollstes Gut, die Zeit, mit nichts vertue.

Und begann, mit Feuereifer zu probieren. Daß er die Absicht gehabt hatte, um jeden Preis noch vor der Probe den Prinzipal zu sprechen, hatte er vergessen.

Erst als der Umbau der Dekoration zur Szene des nächsten Aktes eine Pause ergab, die von der Kleinen zu Kostümveränderungen und -beratungen ausgenützt werden mußte, stieg er in den Zuschauerraum hinunter, in dem der Prinzipal, ängstlich um das Schicksal des Abends besorgt, mit seiner Frau, dem Spielleiter und dem Sekretär der Probe beiwohnte. Der brave Mann, der dem Urteil seines ersten Schauspielers mehr Gewicht beimaß als seinem eigenen, ja sogar als dem seiner Frau, befragte ihn um seinen Eindruck: ob er glaube, daß es am Abend gehen werde oder ob eine empfindliche Störung der Vorstellung zu befürchten sei; ein Eklat wäre ihm verdammt peinlich, umso peinlicher, als mit der Anwesenheit der fürstlichen Persönlichkeiten im Theater zu rechnen sei, denn es komme ihm so vor, als hätte er während des Aktes in der 17 dem Hofe gehörigen Loge die Figur des Intendanten bemerkt, der den Proben unbemerkt beizuwohnen liebte, schon um Ihrer Hoheit, der Fürstin, über die kleinen Vorkommnisse des ihr besonders am Herzen liegenden Instituts berichten zu können. Der Schauspieler erwiderte, eine wesentliche Beeinträchtigung der Wirkung oder gar einen four noir halte er für ausgeschlossen; dafür könne er bürgen. Die Kleine sei ohne Zweifel begabt und vor allem erstaunlich sicher. Eine Delila freilich sei sie nicht. Delila sei nun einmal ein volles, reifes, üppiges Weib und die Kleine mit ihrem schmalen Gesicht, den Kinderaugen und ihrem knabenhaft schlanken Körper, den eckigen Bewegungen, die an sich nicht ohne Reiz wären, das Gegenteil davon. Der Spielleiter, ein älterer Mann und erfahrener Komödiant, der sich während der Probe, wie immer, darauf beschränkt hatte, Auftritte, Abgänge und Stellungwechsel auf die Bühne hinaufzurufen, pflichtete ihm bei: Delila müsse ein verführerisches Weib sein und man könne sich verführerische Weiber nicht anders als dick vorstellen. Er sei überzeugt, auch der Fürst und der Intendant 18 stellten sie sich nicht anders vor. Der Prinzipal meinte: gewiß, aber er habe nun einmal keine andere Delila zur Verfügung und da müsse man ausnahmsweise mit einer mageren vorlieb nehmen und froh sein, daß sich diese bereit gefunden habe.

Der Sekretär aber war, in seiner bescheidenen, vor Verlegenheit fast stotternden Art, anderer Meinung: er sehe die Delila anders. Er könne sich eine ganz junge, ganz zarte Delila denken, fast ein Kind noch und schon alle Künste der Verführung in den Kinderaugen, in dem jungen Körper, denn das scheine ihm der Sinn und das tiefe Gleichnis dieser ewig gültigen biblischen Erfindung zu sein, daß Verführung des Weibes Gabe, Erbe und Wesen von Anbeginn, von Kind auf sei und nicht bloß Ergebnis besonderer buhlerischen Begabung und erfahrenen Handwerks und darum erscheine ihm zur Darstellung dieses Elementaren, unschuldig Schuldigen in der Delilanatur des Weibes Jugend und Unbewußtheit viel geeigneter als alle Täuschung einer allzu reifen, allzu wissenden Kunst.

19 Der Schauspieler bestritt dies. Aber selbst wenn dem so wäre, wenn Jugend zu Delila paßte, so paßte eine so junge Delila nicht zu seinem Samson. Für ihn sei sie jedenfalls zu jung und er jedenfalls zu alt für eine junge Delila. Er sei überhaupt bereits zu alt zum Liebhaber. Darüber gebe er sich keiner Täuschung hin. Und er habe es satt, Empfindungen zu spielen, für die er sich zu alt fühle. Den Leidenschaften der Jugend fühle er sich mit seinen fünfzig Jahren entwachsen. Er sei längst reif für Anderes, Größeres, Weiteres. Reife Männer möge man ihm jetzt zu spielen geben. Er müsse jetzt die Dinge spielen, die er in sich wachsen fühlte, Menschenhaß, Menschenverachtung, Lebensüberdruß, Weltekel. Man möge ihn den Philoktet spielen lassen, damit er der Welt seine Verachtung in die Zähne schleudern könne. Ja, er fühle sich gar nicht zu jung, um nicht auch schon alte Männer darzustellen. Weisheit und Alter, die Weisheit des Alters, die enttäuschte, lebensmüde Weisheit des Alters sei die nächste Aufgabe, die er sich wünsche. Und er glaube heute bereits so weit zu sein, um einen Belisar 20 zu spielen, wie er bis jetzt noch nicht gespielt worden sei.

Der Prinzipal schien vollkommen einverstanden. So wert er ihm als Liebhaber immer noch sei, bestehe er nicht darauf, ihn bloß als Liebhaber zu beschäftigen, und würde seine Wünsche, wie immer, gerne berücksichtigen. Er wolle gerne, um ihm den so heftig ersehnten Übergang in das Fach der älteren Rollen zu ermöglichen, eine Wiederaufnahme des Belisar in Erwägung ziehen und verspreche sich sogar einen großen Erfolg von seiner Darstellung dieser zur Zeit unbesetzten Rolle.

Der Theaterdiener meldete, daß Seine Exzellenz der Intendant den Herrn Prinzipal zu sprechen wünsche, und gleich hinter ihm trat die Exzellenz selbst heran, bat die Herren, sich ja nicht durch seine Anwesenheit in ihren Geschäften stören zu lassen, die er durch die Bitte um Beantwortung einer kurzen Frage nicht lange zu unterbrechen denke; er sei, da er von der Absage gehört, nur auf einen Augenblick ins Theater gekommen, um sich wegen der Abendvorstellung zu vergewissern, da der Hof gestern die Absicht geäußert habe, der heutigen Darbietung 21 beizuwohnen, und zufällig in die Probe geraten, von der er so einen Teil unwillkürlich mitanzuhören Gelegenheit gefunden habe. Er kenne die Debütantin nicht und verlasse sich, im übrigen, natürlich völlig auf das fachmännische Urteil der dazu Berufenen, dem er in keiner Weise vorzugreifen glaube, wenn er, in aller Bescheidenheit, seine Bedenken des erfahrenen Laien äußere, ob es nicht gewagt sei, die schwierige Partie der Delila einer Novize anzuvertrauen, die, in ihren äußeren Mitteln wenigstens, so gar nicht dem Bilde gliche, das man sich von dieser üppigen, und verführerischen Gestalt zu machen gewohnt sei. Aber wie gesagt, er frage nur, weil ihn die Meinung so hervorragender Kenner ihres Faches interessiere und nicht in der Absicht, sie zu beeinflussen, die ja auch die Verantwortung für die Folgen ihrer Entschließung zu tragen hätten, wobei allerdings auch die Berücksichtigung des Umstandes ins Gewicht fallen würde, daß es sich bei dieser Besetzung um eine Zwangslage handle, da sich wohl in der Schnelligkeit eine andere Vertreterin der Aufgabe kaum beschaffen ließe. Denn wenn etwa die verehrte Gemahlin des verehrten 22 Herrn Prinzipals die Rolle schon früher gespielt hätte, wären die Herren ja wohl von selbst auf diesen naheliegenden, jedenfalls vorzuziehenden Ausweg verfallen, zu dem sie seines Rates wohl kaum bedurft hätten.

Der Prinzipal schwieg betreten, aber ehe seine Frau zu der vermutlich bejahenden Antwort ansetzen konnte, kam ihm der Schauspieler zu Hilfe: die Exzellenz irre, es handle sich hier nicht um eine Besetzung aus der Not, sondern um eine wohlerwogene, neue künstlerische Absicht, für die sie gerade von dem feinfühligen Geschmack eines so einzigartigen Kenners Verständnis und Förderung, nicht Widerstand erwarteten. Es gäbe keine Aufgabe, die nicht mehrere Lösungen zuließe, keine dichterische Gestalt, ja überhaupt keine Erscheinung des Lebens, die sich nicht von mehreren Seiten ansehen ließe; und die Entdeckung neuer Seiten mache nicht den kleinsten Reiz des künstlerischen Schaffens aus. Nur so, nur durch kühnes Zugreifen neuer Auffassungen, könne man Althergebrachtem, in Traditionen Erstarrtem zu neuem Leben verhelfen, nur so könne sich das Werk des Dichters 23 ewige Jugend, der Beruf des Schauspielers seine Frische bewahren, ohne die er unrettbar in ehrwürdige Langeweile, das Grab aller schöpferischen Freudigkeit, verfallen müßte. Darin liege bereits der Wert und das Recht einer neuen Anschauung, auch wenn die ältere und übliche die sachlich richtigere wäre. Aber wo sei denn gesagt, daß die ältere, bloß weil sie die übliche sei, darum auch die richtigere sein müsse? Gewiß, es gebe eine Verführung, die man sich nicht anders denken könne, als in den üppigen und schwellenden Formen, in denen sie die alten Meister des Pinsels und der Farbe, ein Paul Veronese und der andere, der große Peter Paul, gemalt haben. Aber es gebe auch eine andere Verführung, die nicht minder verführerisch sei, jung, schmal, schlank, mit den knospenden Formen der ersten Blüte, mit den erstaunten Rehaugen der Unschuld, und ihre Verführung sei allgemeiner, weil hier nicht, in einem Einzelfalle, ein Einzelner den Künsten der Buhlerin, sondern der Mann, typisch, dem Weibe, dem Weibe an sich, erliege. Und darum sei sein, des Samson Fall, umso tragischer und umso bedeutsamer, 24 wenn ihm nicht die übliche Verführerin, sondern, in einem jungen, noch unverdorbenen Geschöpf, gewissermaßen das ganze Geschlecht, mit allen seinen Möglichkeiten und Gefährlichkeiten, gegenübergestellt würde. Die Absicht würde vielleicht nicht jedem, vielleicht nur den feinsten Ohren sofort klar werden. Es werde zunächst befremdend wirken, und Gewohnheit und Trägheit würden mit ihren Einwänden nicht zurückbleiben. Aber die Nachdenklichkeit würde gereizt, die Wirkung des Ganzen, sein tieferer Sinn könnten dabei nur gewinnen, und darauf komme es doch schließlich am meisten an.

Der Schauspieler trug diese Meinung mit so viel Überzeugung vor, als hätte er sie seit je gehabt, die anderen schienen darüber nicht weiter erstaunt, der Sekretär freute sich heimlich, der Prinzipal sah den Retter dankbar an, die Frau des Prinzipals mußte schweigen und der Intendant, durch die Entschiedenheit des Vorgebrachten in Verlegenheit gesetzt, meinte nur, fast schüchtern, was der Fürst dazu sagen werde, wenn er eine magere Delila zu sehen bekäme. Dann ging die Probe weiter.

25 Als sie zu Ende war, nahm der Schauspieler vertraulich den Arm des jungen Sekretärs und bat ihn, ihm, trotz der ungewöhnlich vorgerückten Stunde (die Probe hatte um ein Beträchtliches länger als üblich gedauert) und der argen Zumutung an seinen Magen, das wohlverdiente Mittagbrot noch weiter hinauszuschieben, auch heute die so oft erwiesene Freundlichkeit nicht zu versagen, ihn auf seinem Heimwege zu begleiten; er sei diese angenehmen Unterhaltungen so gewohnt, daß er sie, zur Erholung von der Probenarbeit, nicht mehr missen könne, und habe gerade heute das Bedürfnis danach in einem höheren Grade als sonst.

Der Sekretär willigte, ohne viele Umstände, ein, sie verließen das Theater, passierten die Anlagen und bogen in die mittagstillen Straßen der Stadt, nur ab und zu wenigen verspäteten Bürgern begegnend, die den weithin bekannten und angesehenen Mann mit respektvollem Hutziehen grüßten.

Der Schauspieler setzte seinen Gedankengang fort und versicherte dem jungen Manne, er habe, nach der Aufregung dieser Probe, seine 26 beruhigende Gegenwart nötiger als je. Allein gelassen, wäre er jetzt jeder Dummheit fähig. Am liebsten schmisse er in einer solchen Stunde den ganzen Krempel hin und liefe auf und davon. Diese unsinnigen, widernatürlichen, Gesundheit untergrabenden Erregungen seien es, die ihm den Beruf am meisten verleideten. Und dabei wisse er, daß sie unvermeidlich und unausbleiblich seien, und daß, mit den Jahren, man dagegen nicht nur nicht abstumpfte, sondern immer empfindlicher, die Erregung immer größer und quälender werde. Er bewundere, ja beneide dieses junge Geschöpf, das, in der Ahnungslosigkeit seiner Anfängerschaft, unbewegt und kühl wie ein Eiszapfen bleiben könne. Noch nach der Probe sei die Kleine zu ihm gekommen und habe ihn gebeten, ihr doch noch einige Winke und Ratschläge zu erteilen und ihr alles zu sagen, was er über ihre Leistung auf dem Herzen hätte, und als er ihr erwiderte, es hätte doch keinen Sinn, sie jetzt noch mit Einzeldingen, die sie sich doch nicht merken könne, zu verwirren und er könne ihr nur äußerste Ruhe, Spannung und Gefaßtheit empfehlen und nichts Besseres raten, 27 als bis zur Vorstellung zu schlafen, gemeint, sie bedürfe der Ruhe nicht, sie sei ohnehin ganz ruhig, und er möge ihr nur unbedenklich das Nötige sagen, sie würde sich alles genau merken, auch das Kleinste, und sei imstande, es noch zu verarbeiten. Und er glaube ihr das auch und sei überzeugt, daß sie bis zum Ende der Vorstellung ihre Ruhe behalten werde, während er Blut schwitzend dabei stehen und alle Folter der Hölle erdulden werde, so daß ein solcher Abend ihn ein halbes Jahr seines Lebens kostete. Wäre es denn nicht tausendmal besser, Bauer zu werden und sein Feld zu bebauen oder sonst was Anständiges anzufangen, als ein solches Hundeleben und solche Aufregungen auf sich zu nehmen, sich zum Schaden und niemandem zu Liebe, nur daß ein paar Abendstunden ausgefüllt würden und ein paar Müßiggänger etwas zu gaffen hätten?

Der Sekretär kannte diese Stimmungen an ihm und wußte, daß es da kein Ankämpfen gab und man ihn gewähren lassen mußte, bis er sich ausgetobt hatte.

Der Schauspieler tobte noch weiter: gäbe es Unwürdigeres, einen unwürdigeren, 28 unmännlicheren Beruf als diese Abhängigkeit: niemals das zu tun, wozu man Lust hatte, wozu es einen drängte, sondern immer das, wozu ein anderer Lust hatte? Niemals auszusprechen, was man fühlt und denkt, sondern was ein anderer gefühlt, ein anderer gedacht hat, ein anderer auszusprechen befiehlt? Sich immerfort innerlich mit Dingen beschäftigen zu müssen, die einem innerlich gleichgültig wären, in Situationen, in die man nie wieder hineinzugeraten gedächte? Was gehe ihn die Liebe an? Er sei ein alter Mann und längst über diese halbwüchsigen Empfindungen hinaus, mit denen er sich, vor fremden Augen zu Fremder Vergnügen, auf der Bühne immer noch herumschlagen müßte. Er sei ein Mann von fünfzig Jahren, aber seinen Erfahrungen nach ein Hundertjähriger und innerlich mit ganz anderen Dingen befaßt, von ganz anderen Dingen erfüllt, von Sehnsucht nach Ruhe und Einsamkeit. Möge man ihn doch in Ruhe und Einsamkeit, unbehelligt, seine Tabatièren sammeln lassen. Seine Tabaksdöschen seien ihm viel wichtiger und viel lieber als die ewigen Liebesgeschichten, zu denen ihn sein Beruf 29 verurteile. Er habe von der Liebe genug, von den Weibern genug, genug und übergenug von diesem schlechten Geruche von Geschlechtlichkeit, mit dem dies Haus bis an den Giebel hinauf gefüllt sei. Er verstehe Niemanden, der, ungezwungen und freiwillig, diese verdorbene Luft irgend einer anderen vorziehe. Er könnte auch den Sekretär nicht verstehen. Ob er es denn nicht rieche, nicht schmecke, diesen üblen Geruch, in jedem Gespräch, in jeder Bewegung, in jedem Augenzwinkern, bei Jedem und Jeder? Keine Regung, kein Wunsch, kein Gedanke gehe auf anderes. Liebe sei hier so allgemein, so gewöhnlich, so gang und gäbe geworden, daß jede Liebkosung, jede Zärtlichkeit, jeder Kuß seine Einmaligkeit, sein Überraschendes und Erobertes, seine Bedeutung verloren habe. Ein jeder habe mit jeder etwas, der erste Liebhaber mit der Salondame, und der jugendliche mit der komischen Alten, und der Bonvivant mit der Heroine, und die Heroine mit dem Tenor, der Intrigant, der père noble und der Komiker teilten sich in die Naive, und der Kapellmeister halte es mit Sopran und Alt, und die Frau des Prinzipals, 30 dieses gutmütigen Amphitryo, der von nichts eine Ahnung habe, mit Allen, und der alte Esel, der Spielleiter, mit sämtlichen Damen vom Chor und Alle mit dem Publico. Und das alles sei selbstverständlich, niemand wundere sich, nehme Anstoß, entrüste sich; im Gegenteil. Ihn ekle vor dieser unsauberen, ungesunden Luft. Das gute, alte Pastorenblut in seinen Adern empöre sich dagegen und schütze ihn vor der Gefahr der Ansteckung, die in dieser Umgebung wahrhaftig nicht gering sei und der Schwächere längst unterlegen wären. Jedes Gespräch mit seinem alten Freunde Rigolo, dem Komiker, eröffne ihm Einblick in ein ganzes Pandämonium aller Laster und Abgründe der menschlichen Verworfenheit; und dabei nehme sich der alte Sünder ihm gegenüber noch zusammen und hebe sich die unartigsten seiner Zoten, Zynismen und Schlüpfrigkeiten für die Naive auf. Und dies sei, bei allen seinen Wunderlichkeiten, noch der Klügste, Merkwürdigste und Wertvollste von der ganzen Truppe, ja beim Theater überhaupt, den er bis jetzt entdeckt habe. Vollends die Weiber! Der Sekretär möge ihm und seiner 31 Erfahrung glauben. Er stehe wohl hoch genug über dem Verdachte der Ruhmredigkeit in diesen Dingen, an denen er wenig Rühmenswertes fände, um von sich sagen zu dürfen, er kenne sie und wisse Lieder von ihnen zu singen. Er mißtraue allen. Ihn täusche kein Schein mehr, keine angenommene Miene, keine gespielte Unschuld. Er vermöge zu unterscheiden, was hinter Unschuld und Leidenschaft zu stecken pflege. Gleich das junge Mädchen von vorhin, mit den Unschuldaugen, die es der armen Seele des Sekretärs angetan zu haben schienen. Ihm hätten diese Augen eine andere Sprache gesprochen. Nicht einen Moment hätten sie ihn darüber im Zweifel gelassen, daß ihre anmutige Besitzerin bereit sei, ihm jede Gunst einzuräumen, jede, sofort, ohne langes Zögern und Werben, allerdings auch ohne die Meinung erwecken zu wollen, als ob das Gewähren der Gunst ein allzugroßes Opfer bedeute, ihm eine allzu große Bedeutung beizumessen sei. Mancher andere hätte sich die Gelegenheit zu Nutze gemacht. Er sei zu alt dazu oder vielleicht auch nicht alt genug, um sich einer derartig raschen Eroberung zu freuen, die er zu wenig Geck sei, 32 seinen menschlichen oder männlichen Vorzügen zuzuschreiben, weil er wohl wisse, daß sie entweder der Berühmtheit seines Namens zu danken sei oder weil man sich von ihm Unterweisung und Förderung in der Kunst verspreche, oder weil seine Stimme bei der Leitung der Bühne Gewicht habe und eine gute Rolle erwirken könne oder sonst welchen noch nicht zu errechnenden Vorteil. Er seinerseits danke für solches Glück in der Liebe und bitte Gott, ihn davor zu schützen.

Sie hatten die Straßen hinter sich gelassen und gingen, am fürstlichen Garten vorbei, durch die große Allee. Unsäglicher Nachmittagfrieden wob seine lautlose Stille um sie. Der aber die innere Unruhe des Schauspielers nur noch zu steigern schien: jetzt sei die Stunde, da jeder anständige Bürger sein Mittagbrot verzehre, um sich seine Pfeife anzustecken, sich an seinen Sammlungen zu ergötzen und auf den wohlverdienten Feierabend zu warten. Feierabend! die Seligkeit dieses Begriffes, dessen schlichtes Glück auch dem Ärmsten, auch dem einfachen Mann aus dem Volke geschenkt sei, kenne der Beruf des Schauspielers nicht. Ihm vergehe der Nachmittag in 33 dem Gefühle, daß er abends wieder ins Theater, in die verhaßte Tretmühle müsse, einen Abend wie den andern, wieder in die kleine, dumpfe Garderobe, eine halbe Stunde vor Beginn der Vorstellung, um mit seiner Maske rechtzeitig fertig zu werden. Und dann komme das Häßlichste und Unerträglichste von Allem, das, was ihm jeden Abend die Schamröte von Neuem ins Gesicht treibe: könne man sich einen ernsthaften, erwachsenen Mann denken, der, um seine Lebensaufgabe zu erfüllen, sich jeden Abend Fett ins Gesicht schmieren und Fäden ans Kinn kleben müsse? Gäbe es etwas Unsaubereres, Lächerlicheres, Würdeloseres? Als ob das Wort, die Stimme, das Gesicht, das Auge, die Gebärde, die Haltung nicht genügten, ihn zu verwandeln? Als ob er so, in seinen Straßenkleidern, nicht ebenso Aeneas und Philoktet, Samson und Cortez und Belisar wäre, ohne Sandalen und Ritterstiefel, Toga und Harnisch, Helm und Barett, ohne Maske, Schminke und Umhängebart? Bloß weil die armselige Phantasie der Gaffer nicht ausreichte, um seine wirkliche, innere Verwandlung wahrzunehmen und der äußerlichen 34 Unterstützung durch kleine, kleinliche Behelfe bedurfte. Und für wen machten sie das Alles! Zu denken, für wen er sich, er, Schminke ins Gesicht schmieren und einen Bart kleben müsse! Für ein Publikum satter Müssiggänger, verständnisloser und ungebildeter Banausen, kunstfremder Barbaren, die zwischen der erhabenen Sprache eines Roscius und den Spässen des Momus nicht zu unterscheiden wissen, denen die Kunst gerade gut genug sei, ihnen die Verdauung einer reichlichen Mahlzeit zu fördern, deren Anteil an der Kunst sich zusammensetze aus Schaulust, Neugierde, Klatschsucht und Lüsternheit. Er könne es nicht beschreiben, welcher Zorn ihn manchmal ergreife, wenn er sie so dasitzen sehe, faul, stumpf und unbeteiligt, hämisch und tadelsüchtig: Nun mache uns etwas vor! Und wehe dir, wenn du uns heute nicht verblüffest, überraschest, überrumpelst! Von dir erwarten wir, daß es uns über den Rücken grusele, oder daß du uns lachen machst, bis wir platzen. Diesen Ruf haben wir dir gemacht und dafür zahlen wir dich. Und es sei nicht Einer unter ihnen, der ahne, wie ernst und schwer er mit seiner Kunst ringe, und wie lange es währe, bis 35 er sich so weit habe, seinen inneren Menschen von sich abzustoßen, bis er wie ein Fremder wirke, so daß er sicher sei, sich selber zu spielen und doch ein Anderer scheine, und wie furchtbar ihm, jedesmal, dieser Prozeß der Verwandlung werde, aus seinem Erfahren und Erlebnis und dem Erlebnis des Dichters ein Ganzes erwachsen zu lassen, das sein eigenes Leben führe. Das sei Schauspielkunst. Aber wer wisse das! Die Anderen wollten gekitzelt sein, weiter nichts. O wie er diese Menschen hasse! Wie er überhaupt alle Menschen hasse, Theater, Hof und Stadt und Alle! Diese ganze Welt voll Lüge, Verleumdung, Berechnung, Eigennutz und innerer Leere. Er brenne nur darauf, sich so viel zu erwerben, um sich ein Gütchen kaufen zu können und sich in die Einsamkeit zu flüchten.

Der Sekretär ließ ihn zu Ende toben und meinte dann nachdenklich: es sei seltsam und gebe ein merkwürdiges Bild vom Zustande der Welt und der Gesellschaft, daß sich ähnliche Stimmungen in den Lebensbeschreibungen vieler bedeutender Männer, zumal großer Dichter und Künstler, wiederfinden; es scheine, als ob auf 36 einer gewissen Höhe der Entwicklung, zu Zeiten der vollendeten Reife, fast alle schöpferischen Gemüter, vielleicht aus einer Ermüdung, wahrscheinlicher aber aus Anschauung der Welt, von einer großen Traurigkeit befallen werden müßten, die ihnen das Zusammenleben mit den Menschen verleidete und sie zur Flucht in die Einsamkeit, an den Busen der allein immer gleichmütigen, immer verläßlichen Natur verlockte. Er erinnere sich, in den Attischen Nächten des Aulus Gellius Anmerkungen über ähnliche Vorgänge im Leben des alternden Vergil, ja selbst über den sonst so heiteren Horatius Flaccus gelesen zu haben. Und weniges habe ihn so traurig gemacht, wie diese Nachricht über die, wie es scheine, unausbleiblichen melancholischen Krisen des schaffenden Genies.

Das freue ihn, erwiderte der Schauspieler schnell, und verbesserte dann gleich: das heißt, es betrübe ihn, daß auch Andere dieselbe schmerzliche Pein erlitten wie er, und es würde ihn freuen, diesen Seelenzustand einmal auf der Bühne darstellen zu können. Aber er finde, so viel er gesucht habe, die hiefür geeignete Rolle nicht. 37 Auch der Philoktet drücke eine andere Art von Menschenhaß und Weltekel aus, als die ihm vorschwebte. Ob der Sekretär, der so Vieles gelesen habe, ihm da nicht Rat, nicht das richtige Stück wisse? Seinen Menschenhaß müsse er unbedingt noch auf der Bühne austoben, früher lasse es ihm keine Ruhe. Am besten wäre es, einer der zeitgenössischen Literaten übernehme es, diesen würdigen Gegenstand für die Bühne zur Ausführung zu bringen, der, durch die Tragik des Motivs, einer ausdrucksvollen Darstellung und starken Wirkung sicher wäre. Und ihm am liebsten, wenn sich niemand anders als der Sekretär selbst dazu entschlossener mit seiner Fähigkeit, der Kunst und dem Leben nachzufühlen und nachzuempfinden und seiner Kenntnis aller Literaturen, vor allem aber durch seine Vertrautheit mit des Schauspielers künstlerischer Eigenart, sicher der Geeignetste zu diesem Amte wäre.

Und schnitt das Lächeln des Sekretärs mit der Bemerkung ab, daß Jener ein Dichter sei, das wisse er. So etwas fühle er und darin täusche er sich nicht. Und des jungen Mannes Liebe zum Theater und die Gefühlsstärke, mit 38 der er es und alles was dazu gehöre, erlebe, beweise, daß er dafür geboren sei. Wie er ja auch nie wieder davon loskommen würde, denn wen das Theater einmal gepackt und in seinen Klauen habe, den lasse es nicht mehr.

Der Sekretär lächelte. Er leugne nicht, daß ihm das Theater wert sei. Aber lediglich als Erlebnis. Um dafür zu dichten, dazu fehlten ihm Leidenschaft und heißer Wille. Energie, gewissermaßen der gereckte Wille zur Tat sei es, was den Bühnendichter mache. Bei ihm reiche es gerade noch, die guten Theaterstücke der Anderen zu übersetzen oder für Zeit und Bedürfnis dieser Bühne zu bearbeiten. Wenn er Dichter wäre, was er nicht glaube, dann wären es ganz andere Stoffe, lyrischere, idyllischere, die ihn viel mehr anlockten und auf andere Wege drängten als die der Bühne. An die ihn lediglich die Anschauung des Menschlichen fessele, das sich hier stärker und unverhüllter gebe als irgendwo sonst, und das ihn überall, wo er es fände, auch außerhalb des Theaters, am meisten anrühre. Warum er auch glaube, von der Bühne wieder los kommen zu 39 können, was er, um aufrichtig zu sein, von dem Schauspieler nicht in demselben Grade annehme, den er sich ohne das Theater lebend ebenso wenig denken könne, wie das Theater ohne ihn.

Der Schauspieler lachte laut auf. Er von der Bühne nicht loskommen? Lieber heute als morgen. Und nie wieder zurück. Das könne er ihm schwören. Er solle ohne das Theater nicht leben können? Und wie er ohne das Theater leben könne! Er könne es gar nicht mehr erwarten, ohne das Theater zu leben. Als Bauer würde er sich glücklicher fühlen, als jemals am Theater. Er wisse nicht, was ihn daran festhalte. Außer, daß er das wundervolle Glück und die hohe Ehre gehabt habe, die Freundschaft der Fürstin zu finden, dieser herrlichen Frau mit der großen und weiten, alles Menschliche und Schöne umfassenden Seele, von feinster Bildung des Herzens und des Geistes, dieser einzigen Frau, die einer reinen und geistigen, von keinem Verlangen getrübten Freundschaft mit einem Mann fähig sei, einer Freundschaft, die erlebt zu haben er immer für die Krönung und das Glück seines Lebens ansehen werde.

40 Sie hatten den Ausgang der Allee erreicht und betraten die Landstraße, die zu einer kleinen, am äußersten Rande der Stadt gelegenen und diese überschauenden Gruppe von gartenumgrünten Landhäusern führte, deren eines der Schauspieler bewohnte.

Die Freundschaft mit der Fürstin, sagte der Schauspieler, sei eine Beziehung, die zu edel und wunschlos sei, zu hoch stehe, als daß Neid und Verleumdung sich an sie heranwagten und sie zu beflecken vermöchten, und durch sie habe er sich auf den Weg der selbstlosen, uninteressierten Anschauung alles Schönen zurückgefunden und zu dem gemeinsamen Quell aller Tugend und aller Kunst, unbeirrt nur auf die Stimme der Natur zu hören, zum erstenmal wieder, seit jene heilige Verstorbene, die wie ein Engel aus höheren Welten zu ihm herniedergestiegen sei, um sein Leben zu verklären und seiner Kunst den Stempel der Weihe aufzudrücken, von ihm gegangen sei und ihn im Leben allein gelassen habe.

Der Schauspieler war vor Jahren, lange vor der wilden Zeit mit der Faustina – die Geschichte dieses tollen Zusammenlebens mit der 41 damals schon Berühmten und Berüchtigten schwirrte, legendarisch ausgeschmückt, heute noch im Gedächtnis der Stadt, ebenso wie die Anekdote ihrer Flucht und der Ruf ihrer späteren Abenteuer – mit einer Sängerin verheiratet gewesen, die nach kurzer Ehe gestorben war. Er sprach von jenem Abschnitt seines Lebens nie anders als mit Worten und Tönen der tiefsten Rührung.

Seit jener Heiligen, sagte er, habe er bei der Fürstin zum erstenmal wieder geistige Kameradschaft und Anrufen des Guten in ihm gefunden. Die hohe Frau, deren stille, fast undurchsichtige und bis zur Unnahbarkeit vornehme Schönheit, vielen unfaßbar, die meisten in einem ehrfurchtsvollen Abstand zu halten wisse, trete ihm, dem Schauspieler, ohne jedes Vorurteil, in vollkommener Unbefangenheit gegenüber. Sie allein begreife ihn. Für sie allein spiele er. Das heißt, er wolle nicht undankbar sein: auch für ihn, den Sekretär, den er gerne seinen jungen Freund nenne. Und wenn er sie beide nicht hätte, die Fürstin und den Sekretär, wäre seine Kunst zwecklos, denn sie seien die Einzigen, die ebenso für die kleinen Züge wie für den großen Zug 42 seiner Kunst Verständnis hätten. Er habe der Fürstin auch schon wiederholt von seinem jungen Freunde erzählt und die neugierig Gemachte, an wertvollem Umgang nicht allzureich und darauf erpicht, würde sich gewißlich freuen, ihn kennen zu lernen. Ob er denn gar keine Lust und Kurasche dazu verspüre? Er übernehme es gerne, ihn vorzustellen. Allerdings würde sein lyrisches Gemüt sich, das verbürge er ihm, unweigerlich in die Einzige verlieben.

Der Sekretär lehnte lebhaft ab. Nein, dazu tauge er nicht. Er passe nicht in die Gesellschaft, in die große Welt. Da fühlte er sich sicherlich wie auf den Kopf geschlagen. Er finde es viel schöner, die wunderbare Frau so, in seiner Schilderung, durch die Begeisterung eines so beredten Mediums geschmückt, kennen zu lernen, wie er ja durch ihn so viele Schönheit der Welt erleben dürfe. Mit dem Vorteil, der Gefahr zu entgehen, sich zu verlieben und zu verlieren.

Der Schauspieler nannte ihn einen ewigen, unverbesserlichen und unrettbaren Lyriker.

Unter solchen und ähnlichen Gesprächen erreichten sie das Haus, in dem der Schauspieler 43 wohnte, und verabschiedeten sich an der Türe des Vorgärtchens voneinander, wobei der Schauspieler dem Sekretär herzlich für seine Begleitung und Ermutigung dankte: er sei der Einzige, der dieses Wunder über ihn vermöge; der junge Mann schüttelte die ihm dargebotene Hand und schlug seinen Rückweg, zur Stadt, ein.

Der Schauspieler betrat das Eßzimmer, in dem ihn seine Hausfrau, ungeduldig und vorwurfsvoll, erwartete: die Suppe sei angebrannt, der Braten bereits kalt geworden. Wo er denn so lange geblieben sei? Er habe also doch probiert, trotzdem er sich des Morgens hoch und heilig verschworen habe, um keinen Preis sich eine neue Delila gefallen zu lassen.

Natürlich habe er geprobt. Was glaube sie denn von ihm? Kenne sie ihn so schlecht? Hätte sie im Ernst von ihm angenommen, er könne vergessen, was seine Pflicht sei und wofür er bezahlt werde? Er wisse genau, was er dem Theater und seiner Stellung an diesem schuldig sei.

Wie denn die Neue sei?

Recht anständig. Sehr begabt. Im übrigen möge man ihn mit das Theater betreffenden 44 Fragen gefälligst verschonen. Müsse er denn immer wieder daran erinnern, daß in seinem Hause dieses Wort nicht ausgesprochen werden dürfe? Das Haus müsse rein bleiben. In seinen vier Wänden wenigstens wolle er Ruhe haben.

Und setzte sich an den Eßtisch. Die Frau trug, eine Weile noch fortbrummend, die Suppe auf.

 


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