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Am nächsten Morgen sprach man im Theater, während einer Probe, von der Einstudierung der Armida als von der bevorstehenden nächsten großen Arbeit der Truppe. Man stritt aufgeregt über die wahrscheinliche Besetzung der größeren Partien. Man tuschelte auch bereits von der vermutlichen Rückkehr der Faustina.
Die Heroine hatte eine Unpäßlichkeit angesagt, was man als Beweis nahm, daß auch zu ihr das Gerücht von der wiederzuholenden Faustina schon gedrungen sei. Der mit ihr befreundete Bonvivant erklärte, als getreuer Kollege, daß man mit ihm in dem figurenreichen Stücke nicht rechnen dürfe, der jugendliche Liebhaber, er würde, falls man ihn den Rinaldo nicht spielen ließe, sich sofort einer anderen Truppe anbieten, er sehe ja, was im Werke sei.
Der Prinzipal hatte den Schauspieler in eine Ecke gezogen und beriet mit ihm über Fragen der Darstellung, des Kostüms und ähnlicher Einzelheiten, als ob es eine abgemachte und unbezweifelbare Sache wäre, daß er den Rinaldo spiele. Die Kleine stand daneben, tat 194 gleichgültig.In Wirklichkeit spitzte sie die Ohren, um etwas von den schwirrenden Gesprächen aufzufangen, und zitterte innerlich von Ungewißheit.
Natürlich hatte sie von der Faustina gehört. Sie hatte sie nie gesehen, denn die Zeit der tollen Diva lag lange vor ihren eigenen schauspielerischen Anfängen, aber sie wußte von ihrem Zusammenhang mit dem Schauspieler. Da aber das Zerwürfnis der Beiden als ein vollständiges galt, konnte sie nicht glauben, daß sie je wieder miteinander würden spielen wollen.
Der Schauspieler wich der Kleinen aus und vermied es, außerhalb der Arbeit mir ihr zu reden. Sie ließ es sich nicht ansehen, ob sie es gemerkt hatte oder nicht. Aber am Schluß der Probe trat sie auf ihn zu und bat ihn, sie in den späteren Nachmittagsstunden des Tages, vor der Vorstellung, zu besuchen. Er schwankte, es ihr unter einem Vorwande abzuschlagen, aber er wagte es nicht.
Der Tag verlief ihm mühselig und der Gang wurde ihm sauer. Noch im letzten Augenblick kämpfte er mit sich, ob er ihr nicht, da der sonst sehr gefällige Sekretär, den er gewiß bereit 195 gefunden hätte, ihm die beschwerliche Aussprache abzunehmen, nirgends zu erblicken war, ein Briefchen schicken sollte, das die Antwort auf ihre stumme Frage enthielt, aber sei es in der Erwägung, daß er ihr noch desselben Abends, in der Vorstellung, begegnen würde und gezwungen sein müßte, ihr Rede zu stehen, am Ende in der Anwesenheit der anderen Mitspielenden und ungewiß, wozu sich die Unberechenbare in ihrer Erregung treiben lassen könnte, sei es, weil es ihm leichter dünkte, mündlich als durch die trockenen und harten Worte eines Briefes, die schonend versöhnliche, tröstend begütigende Form für die von ihr gefürchtete Tatsache, die sie ja doch erfahren und durch ihn erfahren mußte, zu finden, sei es endlich, weil er sich schämte, ihr weiterhin auszuweichen, er entschloß sich zu dem verdrießlichen Geschäft und stieg, noch ehe der Abend sank, die engen Treppen des vertrauten kleinen Häuschens hinan.
Als er die Wohnung, das ihm liebgewordene trauliche Nest so mancher heimlichen Seligkeit, betrat, empfing ihn die Kleine gleich am Eingange, ohne Umschweife, mit der Frage, ob 196 es wahr sei, daß die Armida gespielt werden sollte. Er bejahte. Wer die Armida spielen werde? Er wisse es nicht, die Partie sei noch nicht besetzt. Ob noch eine Aussicht bestünde, daß sie die Rolle spiele? Er verneinte, zögernd. Warum? Sie sei noch zu jung. Sie lachte. Wo denn in dem Texte geschrieben stünde, daß Armida alt sei; ob man denn das Greisenalter erreicht haben müßte, um Liebe darstellen zu können? Aber wenn sie für die Bühne zu jung sei, um lieben zu können, dann sei sie es auch im Leben. Und dann möge er auch gleich auf sie verzichten. Dann verweigere sie ihm ihr Bett. Dann versage sie ihm ihren Leib. Und er möge sich nicht einbilden, sie je wieder zu besitzen, je wieder die Seine zu nennen, bevor sie alt genug geworden sei, die Armida zu spielen. Darauf er: sie solle doch nicht töricht sein; dies sei anders gemeint: nicht menschlich, sondern künstlerisch sei sie noch zu jung für die Armida; noch fehle ihr die innere Kraft; sie habe wohl Leidenschaft, aber noch nicht die Kunst, sie auszudrücken. Und sie: wenn er sie nicht für würdig halte, mit ihm die Armida zu spielen, dann sei 197 sie auch nicht würdig, seine Geliebte zu sein. Er schmeichelte: sie sei würdig, die Geliebte jedes Königs zu sein. Aber zur Armida fehle es ihr schon am äußeren Aspekt, an der Reife der Formen, an Üppigkeit. Also darauf laufe es hinaus. Das hätte er gleich sagen sollen. Sie sei nicht dick genug für die Armida. Das hätte sie freilich nicht gewußt, daß er nur die dicken Frauen liebe. Dick sei sie allerdings nicht; aber dann möge er sich eben eine dicke Geliebte suchen, wenn ihm nur die dicken gefielen.
Er verzweifelte. Was sollte er ihr noch sagen? Nichts verfing. Was sie denn von ihm wolle, hub er von Neuem an; er könne ja nichts dafür. Wenn es nach ihm ginge, könnte sie ruhig die Armida spielen. Er habe doch die Entscheidung nicht. Alle anderen seien dagegen. Die Andern gingen sie nichts an. Nur er. Und an ihn halte sie sich. Wenn er es nicht durchzusetzen vermöge, dann sei er kein Mann, dann habe er keinen Willen, dann tauge er für sie nicht, dann liebe er sie eben nicht. Und warf sich der Länge nach aufs Bett und fing an bitterlich zu weinen.
Er sah den schlanken, jungen Leib, dessen 198 schmale Linien sich in dem lichten Kleide abzeichneten, von Schluchzen geschüttelt, daß die zarten Brüste hüpften, und eine unsägliche Zärtlichkeit, ein unsägliches Verlangen nach dem geliebten Körper ergriff ihn. Er kniete neben dem Bette und tastete nach ihrer Hand. Sie entriß sich ihm. Er wollte ihr über die Haare streicheln. Sie hob den Kopf. Er sah die Tränen über die Wangen laufen und wollte sie von den Wangen küssen. Sie riß den Kopf, mit jäher Wendung, schroff nach rückwärts. Er glitt mit den Fingern über ihr Kleid. Sie schlug ihm über die Hand. Er bettelte mit den Augen. Sie drehte sich zur Wand um. Er beteuerte, alles versucht zu haben: sie schüttelte den Kopf. Er versprach, es noch einmal versuchen zu wollen. Sie schüttelte den Kopf. Er versprach, ihr eine andere ebenso schöne Rolle durchzusetzen. Sie schüttelte den Kopf. Die Armida oder keine. Aber die Armida entginge ihr doch nicht. In wenigen Jahren werde sie bestimmt so weit gekommen sein, die Armida spielen zu können. Heute wäre ihr Mißerfolg sicher. Mit einem Mißerfolg sei ihr doch nicht genützt. In einigen 199 Jahren, wenn sie an sich arbeitete, werde sie die Reife und Fülle, die innere Kraft und die geübte Kunst, sie sprachlich auszudrücken, haben, die den Erfolg verbürgten. Und er verspreche ihr, mit ihr Tag und Nacht, nein, es sei kein schlechter Scherz, auch jede Nacht zu arbeiten, mit ihr zu lernen, ihr zu helfen, bis sie es so weit gebracht habe. Diese wenigen Jahre erwiderte sie, müsse er freilich noch in Geduld warten, wenn er ihr Geliebter sein wolle. Bis sie die Armida gespielt habe, früher nicht wieder.
Und auf einmal drehte sie sich zu ihm um, richtete sich auf und sagte, spitzig und mit bösen Augen: sie wisse es ganz genau, warum sie die Armida nicht spielen dürfe: nicht weil sie für die Armida zu jung, sondern weil sein Rinaldo für ihre Armida nicht jung genug sei. Er könne ja den Rinaldo gar nicht spielen. Er sei viel zu alt für den Rinaldo.
In diesem Augenblick schlug es in ihm um. Mitleid und Wunsch zu trösten, Zärtlichkeit und Verlangen waren verschwunden, vergessen, wie weggewischt. Was nehme sie sich heraus? Wer sei sie denn überhaupt? Er kenne sie nicht. 200 Er kenne sie kaum. Ein kleines Mädchen, das er einiger vergnügter Stunden gewürdigt habe, und das sich deshalb einbilde, beinahe seine Geliebte zu sein. Eine unbedeutende Anfängerin, ohne Namen, ohne Gaben, die nichts sei und nichts gelte, nichts gelernt habe und nichts könne, der ein Zufall und seine Fürsprache und Unterweisung zu einem kleinen Erfolge geholfen hätten und der dieser Erfolg zu Kopfe gestiegen sei. Die nichts verstünde und sich doch herausnähme, eine Meinung darüber abzugeben, ob ein Meister wie er für eine Rolle zu alt oder zu jung sei. Sie bilde sich wohl ein, mehr von der Sache zu verstehen als der ganze Hof mit dem Fürsten und der Fürstin an der Spitze und die edelsten und feinsten Kenner und Kunstfreunde, die seinem Rinaldo, der ersten Andeutung seines Rinaldo zugejubelt hätten. Er sei zu alt für den Rinaldo? Hätte sie nicht selbst vor einigen Tagen gesagt, er sei jünger als die Jüngsten und könne den Rinaldo besser spielen als irgend ein anderer? Und wer wüßte besser als sie, wie jung er sei? Er zu alt? Er fühle sich für keine Rolle zu alt. Er habe so viel Jugend und Kraft und Mark und 201 Leidenschaft in seinem Blute, daß er es darin mit jedermann aufnehme, auch mit ihr, nur daß er darüber hinaus auch etwas Wirkliches könne. Sie aber möge sehen, wo sie ohne ihn bleibe.
Mit diesen Worten stürzte er zur Wohnung hinaus.
Sie rief ihm durch die Türe nach, sie denke nicht daran, an diesem Abend noch die Delila zu spielen, und werde sich als krank melden. Das möge sie tun, gab er ihr kurz und trocken zurück, sich noch einmal auf dem Treppenabsatz umwendend, aber sie möge sich nicht einbilden, daß der Prinzipal mit der Anfängerin so viele Umstände machen werde wie mit der Heroine: sie würde man kurzer Hand entlassen. Dessen möge sie sich versehen.
Damit ging er.
Die Kleine besann sich und kleidete sich dann so schnell wie möglich um, damit sie ihren Auftritt als Delila nicht verpasse.