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Es war am – späteren – Morgen nach dem großen Tage.
Dieser war also verlaufen: der Schauspieler erwachte, erklärte, er fühle sich nicht wohl und werde dem Prinzipal absagen. Die Faustina lachte ihn zuerst aus, wurde dann böse, sie warf ihm vor, nur deshalb abzusagen, weil er fühle, daß sie besser spiele, sie zankten, die Faustina fragte, warum er sie habe vom Weltende her holen lassen, wenn er nur mit Minderwertigen zu spielen imstande sei, er antwortete, eben deshalb, und überdies habe er sie nicht holen lassen, sondern sie sei ihm aufgedrängt worden, die Faustina brach in Weinen aus, erklärte, nun könne sie nicht mehr spielen, habe selbst Kopfschmerzen und müsse dem Prinzipal absagen, er bat um Verzeihung, widerrief, tröstete, die Hausfrau lief von Einem zum Andern, war aufgeregter als Beide; schließlich versöhnten sie sich miteinander, von der Absage war nicht mehr die Rede. Das gemeinsame Mittagessen verlief unter allgemeinem Schweigen. Der Nachmittag kam, und der Schauspieler erklärte 354 neuerdings, daß er abends nicht spielen werde, er werde nie wieder spielen. Nun wisse er es ganz genau, daß er keinen Funken einer Begabung in sich habe, er sei eben kein Schauspieler, sei nie einer gewesen, und das bißchen, was er gekonnt habe, sei verflogen: er sei leer. Zuspruch der Faustina half so wenig wie ihr Weinen und Fluchen, er schickte seine Absage ins Theater. Der Sekretär erschien und diesem gelang es nach langem Zureden, ihn dahinzubringen, daß er es noch dies eine letztemal versuchen wolle. Im Theater schrie er, er sei ein Narr, sich immer wieder beschwatzen zu lassen, aber nie wieder. Auch die Faustina war übler Laune, schimpfte die sie bedienende Ankleidefrau eine alte Mähre, um ihr im nächsten Augenblick um den Hals zu fallen und ihr schönstes Spitzenmieder zu schenken. Und gab dem Prinzipal die Schuld und dann hintereinander dem Sekretär, dem Schauspieler, der Fürstin und vor allem ihrer verwünschten Gutmütigkeit, die verfluchte Schmiere wieder betreten zu haben, statt Gott zu danken, sie losgeworden zu sein. Das Zeichen zum Auftritte des Schauspiele kam: er 355 räusperte sich noch einmal, behauptete, seine Stimme krächze so rauh und heiser, daß man kein Wort von ihm werde verstehen können, und er habe alles vergessen, was er von dieser Rolle je gehabt habe. Er trat auf und hell klang es wie eine Glocke durch den Raum und füllte ihn mit schmetternden Fanfaren der Jugend. Auf einmal war das Erlebnis jener Nacht mit den Gauklern wieder da, jene Stunde des Glücks und des Rausches stieg aus dunklen Tiefen des Bewußtseins in ihm auf, füllte seine Seele, seinen Leib, seine Stimme und er erlebte sie noch einmal, wiederholte sie spielend, aber diesmal in Bewußtheit, in schwerloser Freiheit und Leichtigkeit, mit mühloser Beherrschung seiner Mittel. Kein Atemzug wagte sich hervor. Und als vollends die Faustina erschien, schön wie eine Göttin, leuchtend in der Pracht ihres Leibes, alle Sinne der untensitzenden Männer berückend wie Armida den Rinaldo, ihn selbst berückend als sähe er sie zum erstenmal, und die dunkle Orgel ihrer königlichen Sprache erbrausen und dann wieder allen weichen Liebreiz weiblicher Anmut hell aufklingen ließ, und ihre 356 Sinne sich aneinander entzündeten, Kraft an Kraft, Leidenschaft an Leidenschaft, und des Einen Rede in die des andern stieß, fuhr, sich bohrte, wie die Harpune in den Leib des Walfisches, bis sie sich in einem selig jauchzenden Unisono der Erfüllung fanden, ward es allen, die dieser Stunde teilhaftig wurden, als hätte sich ihnen das Schicksal ihres eigenen Geheimnisses offenbart. Im Zwischenakt war der Schauspieler verzweifelt und sagte, er spiele heute wie ein Hund und hätte nicht einen Bruchteil von dem gebracht, was er bringen wollte; aber der Teufel spiele Komödie vor diesem Publico, das bei den schönsten Stellen zu schlafen scheine! Der Prinzipal erwiderte, er irre, das Publicum verhalte sich aus Andacht und Ergriffenheit still und dies sei der schönste Abend seines Lebens. Aber der Schauspieler glaubte es nicht und blieb dabei, wenn es nach ihm ginge, würde man jetzt noch den Vorhang fallen lassen und die Stockfische nach Hause schicken. Und erst als ihm der Sekretär alle Einzelheiten aufzählte, die er heute besser gebracht habe als auf den Proben, wurde er besserer Laune, und bester, 357 als Rigolo ihm auf die Schulter klopfte und versicherte, er spiele diesen Abend wirklich gar nicht übel. Die Faustina aber war ihres Triumphes bereits sicher, und stolz und vergnügt wie eine Brautjungfer.
Zum Schlusse gab es Huldigungen, Blumen und brausendes Beifallsgeklatsche, zu dem die Fürstin, in ihrer Loge aufgerichtet stehend, immer wieder das Zeichen erneuerte, und selbst der Fürst war da und winkte der Faustina huldvoll zu und Seine Exzellenz der Intendant bemühten sich auf die Bühne und klopften allen, die in seine Nähe kamen, und es kamen alle in seine Nähe, herablassend und anerkennend auf die Schulter, und es war ein großer Tag gewesen.
Es war nun in den späteren Vormittagsstunden des nächsten Tages – die Feier des Sieges hatte bis zum grauenden Morgen gedauert –, als die Faustina, ein schmales, vierzehnjähriges Mädchen, das sie Bimba nannte, an der Hand, ins Arbeitszimmer des Schauspielers trat.
Also dieses sei die Bimba und sie schenke sie ihm, sagte die Faustina.
358 Der Schauspieler sah auf und erblickte ein zartes, junges Ding, mit dünnen Gliedern und einem schmalen, blassen Gesichtchen, aus dem zwei übergroße, dunkle Augen funkelten. Scheu wie eine Gemse, sprungbereit, als wolle es im nächsten Augenblicke davoneilen und könne nicht, weil es, gebannt, den Blick nicht vom Schauspieler losreißen konnte, drückte es sich in der Türe, von Angst und Erwartung geschüttelt, daß sich die Augen des erregten Kindes mit Tränen zu füllen begannen.
Dem Schauspieler gefiel die Scheue über alle Maßen. Auch er vermochte es nicht, den Blick von ihr zu wenden, und erwiderte den ihren, in dem ein seltsames frühes Wissen und frühes Leid lag.
Die Faustina beobachtete die Beiden mit sichtlichem Wohlbehagen.
Wer die Bimba sei, fragte der Schauspieler.
Das werde er später erfahren. Zunächst möge er sie anhören. Sie habe ihr den Ganymed aus den »Verwandlungen des Jupiter« einstudiert und das von Ehrgeiz verzehrte Kind brenne darauf, das Urteil des Meisters zu erfahren.
359 Nein, nein, nicht jetzt! Nicht heute! Ein andermal! das nächstemal! schrie die Bimba angsterfüllt. Aber dann setzte sie doch an. Die Stimme brach vor Aufregung. Zu dumm! sie wolle nicht aufgeregt sein, sprach sie, trotzig, sich Mut zu und warf den Kopf in den Nacken. Fing noch einmal an und nun ging es.
Der Schauspieler verschlang sie mit den Blicken. Was sie sprach, hörte er kaum. Ganz wie von Ferne kam es. Ein dünnes Kinderstimmchen, kaum vernehmlich manchmal, fast eintönig, vor jedem lauten Wort erschreckt. Körper, Glieder, der vorgestreckte Kopf, als lausche er irgend einer Stimme von oben, blieben fast bewegungslos, kaum daß ein Schritt nach vorne, ein leises Heben des Armes, ungewollt und unbewußt die wachsende Erregung verriet. Aber aus dieser Stille, Ruhe und hilflosen Kindlichkeit schlug so viel verhaltene Glut, brach ein so unwiderstehlicher Ausdruck gehemmter Leidenschaft, daß die Beiden auf der Höhe reifer Meisterschaft Stehenden ein gerührtes, ja ehrfürchtiges Staunen vor der Hoheit und Einfalt entblößter Menschlichkeit, wie vor etwas Neuem, die 360 Kunst Beschämendem, überkam. Und dabei war es ihm, als käme dieses von ihm her und wäre nicht da, wenn nicht seine Kunst vorher gewesen wäre, und brächte, kaum wagte er sich's zu gestehen, Erfüllung von Wünschen, von Ahnungen, die in Keinem geschlummert hatten als in ihm.
In diesem Kinde wollte er seine Zukunft, die Zukunft seiner Kunst, seine Vollendung lieben. Es mußte seine Schülerin werden. Nicht um des Handwerklichen willen, das hatte der offenbar spielend leicht Begreifenden die Faustina meisterlich beigebracht. Er aber wollte die Knospe zur Entfaltung bringen, nicht jetzt, später, langsam, mit vorsichtigen, liebevoll und zärtlich hegenden Händen, die Flamme schüren, die bereits zu glosen begann, das Feuer bewachen, das Weib, das zur Liebe geweihte Geschöpf, das Geheimnis, die Liebe wecken. Und wenn sie heute noch ein Kind wäre, in wenigen Jahren würde sie Jungfrau sein und er für sie immer noch jung genug, das habe er sich und der Welt mit seinem Rinaldo bewiesen.
Aus diesen Träumen weckte ihn die Faustina. Ob sie Unrecht habe, wenn sie dem Kinde eine 361 ganz ungewöhnliche Begabung und eine große Zukunft zuspreche?
Er schien die Frage zu überhören und wiederholte seine: wer denn die Bimba sei?
Wer die Bimba sei? Ob er denn gar nichts merke, weder an der Begabung, noch am Schnitt des Gesichtes? Ob er denn gar nichts spüre?
Er sah das Kind noch einmal an und schüttelte seinen Kopf.
Die Faustina lächelte. Dann müsse sie es ihm sagen, aber er möge nicht erschrecken: die Bimba sei – die Faustina machte eine Pause – sein eigenes Enkelkind.
Der Schauspieler muß wohl in diesem Augenblick die Selbstbeherrschung verloren und ein Gesicht gemacht haben, das zur Rolle des Rinaldo in einem grellen Widerspruch gestanden hätte. Die Faustina lachte hell auf. Die Bimba verstand sofort und flog mit einem Aufschrei in die Arme ihres neuen Großvaters, dem nicht viel Anderes übrig blieb, als den unerwarteten Kuß nebst Umarmung verlegen zu erwidern.
Die Faustina erzählte nun, wie sie auf einer ihrer Reisen an einer Wanderschmiere der 362 untersten Ordnung jene erste Frau des Schauspielers, die ihn mit irgend einem Landstreicher gröblich betrogen und verlassen hatte, im tiefsten Elend, alt geworden und verkommen, wiedergefunden und an der kaum noch merklichen Ähnlichkeit mit dem Bilde, das sie des öfteren bei ihm gesehen hätte, erkannt habe, wie sie die Frau, die ihr Leben notdürftig als Einbläserin fristete, angesprochen und von ihr erfahren habe, daß ihre und des Schauspielers gemeinsame Tochter, von einem Kerl in jungen Jahren verführt und verlassen, im Wochenbett gestorben sei und ein Kind hinterlassen habe, wie sie, beim Anblicke dieses Kindes, von dessen Schönheit und Ähnlichkeit mit ihm betroffen, zugleich aber von seinem schlechten und verwahrlosten Aussehen erschreckt, sich seiner angenommen und sich mit ihm beschäftigt habe, wobei die ungewöhnliche Begabung des eigengearteten Wesens zu Tage getreten sei. Es sei ihr ein Leichtes geworden, es dem verkommenen Weibe, dem das Kind eine unwillkommene Last und Störung seines Wanderlebens gewesen sei, um einen geringen Betrag abzuschwätzen, und so hätte sie die Bimba mit sich genommen 363 und sich die kleine Mühe nicht verdrießen lassen, durch Säuberung, Pflege, bessere Kleidung und ein wenig Erziehung in kurzer Zeit aus ihr ein nicht bloß menschenähnliches, sondern reizvolles und vielversprechendes Geschöpf zu machen, dem die ersten Anweisungen des künftigen Berufes zu geben, ihr große Freude bereitet habe. Aber so gerne sie die Bimba bei sich behalten hätte, beugte sie sich billig seinem Anspruche auf das Kind, und dies umso mehr, als sie ja, trotz dem großen Erfolge der Armida, über kurz oder lang ihr altes Wanderleben, dem sie verfallen wäre, wie der Trinker der Flasche, wieder aufnehmen werde müssen.
Der Schauspieler sagte nichts als »Großvater!« leise vor sich hin. Und wiederholte: »Rinaldo als Großvater!«
Und dann nach einer Weile: er werde zunächst den Enkel des Belisar mit der Bimba vornehmen. Und es morgen beim Prinzipal durchsetzen, daß der »Belisar« neu einstudiert werde und das Kind darin auftreten dürfe. Er glaube, es werde einen guten und überraschenden Eindruck machen, wenn es verlautete, daß er als nächste Rolle nach dem jungen Rinaldo den greisen Belisar spiele.
364 Denn wie sei, sagte er, der sichtbarliche Wink und Wille der Vorsehung, deren unerschöpfliche Gnade in Einem ihm das große, das erhabene Erlebnis der Vater- und der Großvaterschaft geschenkt habe, anders zu deuten, als daß der Belisar seine nächste Rolle sein müsse? dem göttlichen Ratschluß aber beuge er sich, willfähriges Instrument des Himmels, in Demut und Bescheidenheit.
Ende