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XIV.

Das Leben ist schön, wenn man keinen Smoking zu tragen braucht ...

Nachmittags lag Coy neben mir im Steppengras auf der Hügelkuppe hinter den gelben Dornenblüten und den zähen bräunlichen Ranken. Unsere Pferde standen hinter uns in einer Bodensenkung. Coy hatte eben den prächtigen Puma abgehäutet, die Fangzähne herausgebrochen und den Kadaver in eine tiefe Regenrinne geworfen. Dann war ich des einzelnen Mannes ansichtig geworden, der von den westlichen letzten Ausläufern der Anden her mit einem langen Stecken in der Hand sich über die von Gürteltieren aufgewühlte Sandebene tastete.

Tastete ... fühlte ...

Genau wie ein Blinder.

Mein Fernglas bestätigte mir, daß der barthäuptige Europäer dort fraglos das Augenlicht verloren hatte.

»Mistre«, sagte der braune Coy zu mir, »wie kommen Mann hier in Einsamkeit??«

Meines Freundes Coy englische Sprachkenntnisse waren genau so eigenartig und mangelhaft wie seine religiösen Vorstellungen. Der Aufenthalt in einer der amerikanischen Missionsstationen hier am Rande des südlichsten Südamerikas war ihm schlecht bekommen.

»Der Mensch ist vollständig erschöpft«, erklärte ich, nahm die Sniders-Büchse und erhob mich. »Gehen wir ihm entgegen, Coy. – Du hast ganz recht: was tut der Mann hier in der Südwestecke Patagoniens??«

Coy Cala schritt neben mir, den Karabiner im rechten Arm.

Der Fremde war in einem der zahllosen trockenen Flußtäler verschwunden.

»Mistre, können sein Harzsucher«, meinte mein Freund nachdenklich. »Tragen Lederanzug wie wir, haben Pistole am Gurt, Messer und kleines Beil. Vielleicht Harzsucher von Dorf nördlich von Gallegos-Bucht.«

Wir hatten den Südrand des Flußbettes erreicht.

Er fiel steil ab. Unten lagen Steine und Felsen. Ein Trupp kleiner Pampasstrauße jagte in wilder Flucht gen Osten, setzte dabei über alle Hindernisse mit Riesensprüngen hinweg und verschwand.

Unser Mann kniete am Boden neben einer lehmigen, von den Vögeln aufgerührten Regenpfütze und schöpfte den eklen Trank mit einem kleinen zerbeulten Aluminiumbecher.

Wir beobachteten ihn ... die Entfernung betrug fünfzig Meter.

Der arme Kerl dort – bemitleidenswerter Anblick!

Das blonde fahle Haar war lang und verwahrlost. Der Bart genau so, das Gesicht mager, tief gebräunt und rot gesprenkelt. Diese kleinen roten Beulen hatten gelbe Eiterköpfe. Bis zum Kinn, den Ohren, dem Haaransatz zeigten sich diese entsetzlichen Merkmale der in Südpatagonien zum Glück so seltenen Chapo-Ameisen.

»Chapo!!« sagte Coy gleichmütig. »Mann sein blind von Chapo. Das kennen, Mistre. Chapo sein Aasfresser. Wenn Menschen beißen, geben Geschwüre.«

Ich schaute mich nach einer weniger abschüssigen Stelle um, und als ich ein paar Schritte zur Linken lehmharte Terrassen entdeckt, in denen der feine Glimmerstaub wie Goldkörnchen leuchtete, wollte ich mich dorthin wenden, denn es drängte mich, dem Ärmsten da unten, den das Schicksal so furchtbar heimgesucht hatte, unsere Nähe kundzutun und ihm unsere Hilfe anzubieten.

Aber Coy legte mir die schmutzige, noch mit getrocknetem Pumablut getünchte Hand auf den Arm.

»Mistre, dort!!«

Er wies in die Ferne ... gen Westen ...

»Andere Mann kommen, Mistre, zweite Mann, auf Fährte von Blinden. Kommen geritten, Mistre. Sehen?«

»Nein, Coy. Ich habe nicht deine Augen ...«

»Fernglas nehmen ... erst verstecken aber. Dort Buchen ... gut sein ...«

Die immergrünen Buchen Patagoniens mit ihren üppigen Schößlingen boten genügend Schutz. Der Reiter konnte uns noch nicht wahrgenommen haben. Die untergehende Sonne stand hinter uns, und sie schien heute klar und grell wie selten.

Der Reiter näherte sich im Schritt.

Mein Fernglas zeigte mir einen Tehuelchen, einen Sohn der Steppe, mit breitem Strohhut und einem Lederkostüm, wie wir es trugen.

»Blicken immer auf Spur von Blinden, der dreckige Tehu«, meinte Coy mit ungeheurer Verachtung.

Denn Coy Cala war Araukaner. Sein Volk wohnte weiter nördlich, und wie ausgerechnet diese kleine Kolonie Araukaner hier an die Ufer der Gallegos-Bucht geraten, hatte ich noch immer nicht feststellen können. Die Leute sprachen nicht darüber, und wenn ich Coy fragte, zuckte er nur die Achseln:

»Nicht wissen, Mistre ... zu lange her, Mistre ...«

Der Reiter hing lässig auf seinem dürren Klepper. Aber unter dem Hutrand brannten die schwarzen, mißtrauischen Augen eines der Steppensöhne, die selbst heute noch in fröhlicher Ungebundenheit ihre Lederzelte bald hier, bald dort aufschlagen. Platz genug haben sie in Patagonien, denn es ist ein Land, in dem man tagelang reiten kann, ohne auch nur ein Lagerfeuer zu Gesicht zu bekommen.

War nun heran, der Tehu. Schaute ins Flußtal hinab. Sein Gaul knabberte an den dürren fahlen Gräsern, er selbst saß als Bildsäule im plumpen, selbstgearbeiteten Sattel, die Doppelbüchse quer über dem Schenkel, Hand am Schloß.

Der Blinde hatte sich neben den Tümpel gesetzt und schien ausruhen zu wollen.

Ein unmerkliches Geräusch neben mir ... Coy war verschwunden.

Minuten später tauchte er im Rücken des Reiters auf, der nun abgestiegen war und sich gleichfalls niedergelassen hatte. Es machte den Eindruck, als wollte der Tehu feststellen, was der Blinde weiter tun würde.

Um die Vorgänge recht genau verfolgen zu können, benutzte ich abermals mein Fernglas.

Der Tehuelche war ein überaus kräftig gewachsener Mann, hatte aber, als er sich nun zu Fuß bewegte, die allen Reitervölkern eigenen schwerfälligen oder doch schwerfällig erscheinenden Schritte und eine schlaffe Körperhaltung.

Wie ich ihn so noch voller Spannung auf die Entwicklung der Dinge beobachtete, irrte mein Blick ganz zufällig einmal von ihm ab. Vielleicht fünfhundert Meter hinter ihm zog sich, noch im Gesichtsfeld meines Glases liegend, ein Gebüschstreifen hin, um dessen Ecke soeben ein zweiter Reiter bog, sofort aber wieder seinen Gaul zurückriß und hinter der grünen Blattmauer verschwand.

Obwohl ich diesen dritten Fremden, der hier genauso unvermutet wie der Blinde und der Tehu auftauchte, nur Sekunden vor mir gehabt hatte, war ich doch überzeugt, daß es sich um ein in einen praktischen Reitanzug gekleidetes Weib, um eine blondhaarige Europäerin handelte. Sattel und Zaumzeug ihres Pferdes waren niemals indianische Arbeit, die großen gelben Satteltaschen erst recht nicht, und unter dem breitrandigen Hut hatte ich das Haar hell und golden schimmern sehen, hatte auch den bestimmten Eindruck, daß es ein jugendlich-frisches, leicht gebräuntes Antlitz von angenehmen Zügen gewesen war.

Eine Europäerin hier in der Wildnis – hier, wo die nächsten Weißen Hunderte von Kilometern weiter östlich am Gallego-Fluß wohnten??

Merkwürdig – sehr merkwürdig!!

Durfte ich etwa die Reiterin ebenfalls mit dem Blinden in Zusammenhang bringen?? War auch sie der Fährte dieses verwahrlosten armen blinden Steppenwanderers gefolgt??

Die ganzen Umstände dieses Vorspiels eines Erlebnisses, dessen fernere Auswirkungen ich auch nicht im geringsten jetzt schon vorausahnen konnte, waren seltsam genug –, so seltsam, daß sie auch mir, dem Anspruchsvollen, die Nerven ein wenig ins Schwingen brachten.

Coy hatte Pech.

Diese Pampasgäule haben feine Nasen, und man kann nicht sagen, daß Coy nicht duftete. Tran, Blut, Tabak, Sprit –, es war schwer, die einzelnen Gestankwolken, die seinem speckigen Lederwams entströmten, auseinanderzuhalten. Sauberkeit war meines Freundes Stärke nicht. Aber lügen, stehlen, saufen, das konnte er. Zuweilen ritt er, der eifrigste Pferdeschacherer, mit einem jämmerlichen Klepper heimlich davon und kehrte erst nach drei Tagen mit einem Prachtgaul von derselben Farbe und ähnlicher Zeichnung zurück, behauptete dann, er habe das Pferd in den grünen saftigen Weideflächen der fruchtbaren nördlichen Andentäler aufgemästet. Ich behaupte, er hatte es eingetauscht – ohne Genehmigung des anderen Pferdebesitzers.

Coy hatte Pech.

Der Tehu-Gaul witterte ihn und keilte aus. Der Reiter floh.

Ich mußte lachen, wie die beiden Indianer sich als Wettläufer versuchten. Ich bin doch auch gut zu Fuß. Aber die beiden – staunenswert!

Eine Bodensenkung entzog sie meinen Blicken, und was konnte ich Besseres tun, als nunmehr den Ärmsten dort unten auszufragen.

Ich kletterte die Lehmterrassen hinab. Er hörte das Kollern und Poltern der abbröckelnden Lehmklumpen, stand auf und starrte mit seinen völlig geschwollenen Augen mir entgegen.

Daß er mich sah, also nicht blind war, erschien bei dem überaus gespannten, geradezu gequälten Ausdruck seines verunstalteten Gesichts gänzlich ausgeschlossen.

Dann nestelte er rasch an seiner verwitterten Pistolentasche herum und brachte eine Repetierpistole in der Richtung auf mich in Anschlag.

»Halt – stehen bleiben!« rief er in englischer Sprache.

Seine Stimme war heiser und ohne jede Kraft, und auch der rechte Arm zitterte hin und her – wie ein Grashalm, der gerade in einer Windecke wächst.

Diese Drohung konnte nur unendlich mitleiderregend wirken.

Als ich nun einige Schritte seitwärts trat, behielt der Kopf des Fremden dieselbe Haltung bei.

Der Mann war blind.

»Fürchten Sie nichts«, erklärte ich herzlich. »Ich bin ein Europäer wie Sie, und ...«

» ... Europäer sind die schlimmsten Schurken.«

»Da haben Sie nicht ganz unrecht. Was mich betrifft, so rechne ich mich nicht mehr zu denen, die das große Kontingent der Halunken stellen. Ich habe der Zivilisation Lebewohl gesagt. Ich hatte sie nach acht Monaten schuldloser Zuchthausstrafe satt.«

»Ah – das gefällt mir ...« Er lächelte ironisch, aber sein entsetzliches Gesicht wurde durch dieses Lächeln zur Satansfratze. »Da können wir uns die Hand reichen, Sir. Ich bin Kollege, auch Zuchthäusler a.D., auch schuldlos eingesperrt gewesen. Vielleicht kennen Sie das Gefängnis in Valdivia.«

»Nein. Das nicht. – Aber ich denke, ich kann vielleicht für Sie jetzt zunächst irgend etwas tun. Sie scheinen hungrig zu sein. Darf ich?«

»Danke, Sir. Ihr Name?«

»Ich hieß einmal anders. Jetzt nennen meine indianischen Freunde mich in ihrem verpfuschten Kauderwelsch von Englisch-Spanisch El Gento, womit sie freilich etwas für mich höchst Ehrenvolles zum Ausdruck bringen wollen, nämlich eine Verquickung der Begriffe Herr und Mann ...«

»Verstehe«, nickte der Blinde, und sein Kopf war nach links gewandt, wo der Gaul des Tehuelchen soeben am Rande der Uferhöhe beim Grasrupfen ein wenig Sand hatte in die Tiefe rieseln lassen. »Ist dort noch jemand, El Gento?« fügte er sofort hinzu und bewies so, daß sein Gehör außerordentlich scharf war.

»Ein Pferd nur«, erwiderte ich ausweichend, denn ich wollte prüfen, ob der Mann etwas von seinem indianischen Verfolger wußte, und ob er nicht etwa mit der Wahrheit hinter dem Berge halten würde.

Es kam mir nämlich ziemlich unglaubwürdig vor, daß ein Sträfling von Valdivia bis hier in die Südwestecke Patagoniens geflohen sein sollte. Der Blinde erweckte überhaupt den Eindruck, als ob ihm die Begegnung mit mir keineswegs angenehm wäre –, doch höchst sonderbar für einen Menschen, der sich nur mit dem Stecken weitertasten konnte und unfehlbar ohne fremde Hilfe hier verhungern mußte.

»Wohl Ihr Pferd, El Gento?« meinte er gleichmütig. »Setzen wir uns. Ich bin müde. Diese gräßlichen Ameisen haben mich vor vier Tagen in einem der dichten Koniferenwälder der Andentäler während einer längeren Bewußtlosigkeit so fürchterlich zugerichtet. Vielleicht hatte ich's verdient. Ich bin blind geworden. Das haben Sie wohl schon bemerkt.«

Er sagte es mit einer trostlosen Gleichgültigkeit, die mich ganz seltsam berührte.

Ich führte ihn seitwärts zu einem Steine und nahm neben ihm Platz, vermied es, ihn anzusehen, denn dieses entstellte Gesicht trieb mir wahrlich ein Frostgefühl über die Haut, und fragte ihn nun, wann er aus Valdivia entwichen sei.

»Sie haben ein Recht, von mir Auskunft über meine Person zu erlangen«, meinte er in demselben stumpfen Tone eines Menschen, dem nichts mehr am Leben gelegen ist. »Sie gestatten, daß ich Sie auch weiterhin El Gento anrede. Weshalb sollen wir uns hier in der Wildnis mit Salonphrasen anöden?? – Mein Name ist van Braanken, Holländer von Geburt, nachher deutscher Untertan, Farmbesitzer in Deutschsüdwest gewesen, durch den Krieg alles verloren. Daher aus Not Gelegenheitsarbeiter, bis ich vor einem halben Jahr nach Valdivia kam und Buchhalter bei Sennor Manuel Mastilo wurde, der einer der reichsten chilenischen Schafzüchter ist. Was dann geschah, ist genau so alltäglich wie mein ganzes Leben, das nur eine Kette von Fehlschlägen darstellt. Nie habe ich Glück gehabt, nie. Was ich auch begann, nachdem ich mit achtzehn Jahren meine Eltern verloren hatte –, nichts schlug zum Guten aus. Heute bin ich fünfunddreißig und ... ein höchst überflüssiges Geschöpf, das nur den kläglichen Mut nicht findet, sich selbst eine Kugel vor die Stirn zu knallen. – Als Buchhalter bei Sennor Mastilo verschwanden mir aus der Kasse einige tausend Mark. Ich sollte das Geld gestohlen haben. Natürlich – ich! Und man verurteilte mich zu einem Jahr, sehr milde. Wir Sträflinge wurden beim Bau einer neuen Hafenmole beschäftigt. Ich sprang ins Wasser, als niemand auf mich achtete, kroch unter einen Prahm und wurde nicht entdeckt. Nachts flüchtete ich weiter, stahl ein Pferd und wandte mich südwärts, stets bewohnte Gegenden meidend. Mit dem Pferde zugleich erbeutete ich diesen Lederanzug und meine Waffen. Der Mann, dem das alles einst gehörte, mußte hergeben, was er hatte. Ich hatte ihn niedergeschlagen und gefesselt. – Sehen Sie, El Gento, ich war bis dahin ein Mensch, der jederzeit hilfsbereit und rücksichtsvoll war und jede Gewalttat verabscheute. Aber ich konnte damals nicht anders handeln. Not kennt kein Gebot. So gelangte ich denn schließlich auch über die Anden. Dann – natürlich – stürzte ich in einem Koniferenwalde mit dem Pferde ... Hier – bitte ...«

Er schob seinen Haarwulst auseinander ... Und ich erblickte eine Schädelwunde, deren Ränder mit Eiterbläschen bedeckt waren.

»Ich lag viele Stunden ohne Besinnung ... Und als ich erwachte, war es Nacht um mich her. Ich war blind ... Ameisen ...!! Ich hatte schon von den kleinen Bestien gehört. Nun hatte ich sie gründlich kennengelernt. Mein Pferd, fühlte ich, lag mit gebrochenem Genick neben mir. Da bin ich denn weiter gewandert, und nun – ja, was nun?? Leben?? Hat es einen Zweck?? Würden Sie als Blinder weiterleben wollen? Ehrlich!«

»Nein!«

»Nun also! Und dennoch klammere ich mich an dieses jammervolle Dasein. Oder besser: ich ... darf es nicht von mir werfen. Ich bin nicht feige. Vielleicht haben Sie mich vorhin mißverstanden. Ich darf nicht zur Pistole greifen. Man soll tragen, was man als Strafe betrachtet. Und ich habe weiß Gott viel zu sühnen. Es war 1915 in Südwest. Ich war jungverheiratet. Meine Farm lag an der Grenze der Kalahari ganz abseits. Die Schwarzen wurden infolge der Verhetzung immer frecher. Mich fürchteten sie nicht. Ich war allzeit der ›gute Baas‹ gewesen. Eines Abends kehrte ich von längerem Ritte heim. Mein Haus stand in Flammen. Die verhetzten Nigger tanzten besoffen um die Brandstätte, und mein junges Weib lag leblos im kleinen Vorgarten, ich selbst wurde mit Kugeln empfangen, floh – – und – und das war feige, El Gento. Ich hätte die Tote niemals diesem trunkenen Pack überlassen dürfen. Daran ist heute nichts mehr zu ändern. Und ich – – ich bin heute blind ... Auch nichts zu ändern ...« Er zuckte die Achseln. »Alles findet seine Sühne, alles ...«

Eine lange Pause folgte.

Was sollte ich sagen?? Trösten, den Mann seelisch aufrichten?? Er war innerlich gebrochen, das merkte ich. Ich schwieg.

Die Sonne sank tiefer ... die Dämmerung nahte.

Endlich raffte ich mich auf.

»Ich werde jetzt einmal Ihre Schädelwunde und Ihre Augen gründlich säubern und verbinden«, meinte ich. »Ich habe Kognak in meiner Feldflasche, und drüben ist eine kleine Quelle. Gehen wir dorthin.«

Ich führte ihn wieder. Spielte dann Arzt. Braankens Augen waren von Eiter völlig verklebt, die Lider unförmig geschwollen und die Pupille, die schließlich durch Auseinanderpressen der Lider in schmalem Schlitz sichtbar gemacht werden konnte, mit einer graubläulichen Haut überzogen. Die Augen waren tot, erloschen.

Braanken zuckte mit keiner Wimper, als ich die vereiterte Kopfwunde aufschnitt und auswusch. Überhaupt: körperlich war dieser breitschultrige Riese, der gut seine sechs Fuß maß, in tadelloser Verfassung. Er mußte ungeheure Kräfte haben. Der zweimonatige Ritt durch Einöde und Berge hatte ihm fraglos Muskeln und Sehnen trainiert.

Ob ich Zweifel an seinen Angaben hegte? Nein, denn seine Erzählung war so schlicht gewesen, daß sie durchaus wahrheitsgetreu wirkte. Kein Wort zu viel, keins zu wenig. Keine Redensarten – und eine verblüffende Ehrlichkeit, was seine feige Flucht damals in Südwest betraf.

Trotzdem ...

Ich habe ein gewisses Feingefühl für Unausgesprochenes. Und der Tehuelche, den Freund Coy nun wohl bald angeschleppt bringen würde, stand fraglos, so sagte mir eine innere Stimme, in noch ungeklärter Beziehung zu Braanken.

Nun, das würde sich später herausstellen.

Braanken bedankte sich kurz, als ich ihn sorgsam verarztet hatte. Dann ließ ich ihn eine Weile allein, holte unsere Pferde und das Pumafell von jener Hügelkuppe und schaute mich nach Coy Cala um. Es war bereits ziemlich dunkel. Die Steppe war leer.

Sorge um Coy??

Ach nein! Coy Cala wäre mit sechs Tehuelchen fertig geworden.

Da das ausgetrocknete Flußbett sich wenig zum Lagern eignete, begaben wir uns nach einer nahen Felsgruppe, in deren Mitte bei recht schmalem Eingang ein Grasplatz geradezu zur Nachtruhe einlud. Die Felsen waren mit Dornen und Paniaranken mit fingerlangen Stacheln völlig überzogen. Hier waren wir und die drei Pferde völlig sicher. Auch den Tehuelchenklepper hatte ich eingefangen.

Braanken lag auf meiner Decke, hatte vier Streifen Dörrfleisch verzerrt und war eingeschlafen. Ich hatte das Lagerfeuer dicht vor dem Eingang angezündet, und der helle Schein mußte Coy als Wegweiser auch jetzt bei Nacht genügen.

Ich nahm dem Indianergaul den Sattel ab. Am Sattel waren zwei primitive Ledertaschen angebunden. Ich fand darin achtzigtausend Mark in chilenischem Papiergeld, Papiere auf den Namen Peter van Braanken und eine Photographie eines jungen stattlichen Weibes.

Es gehörte wahrlich kein geistvoller Kopf dazu, diesen Fund richtig einzuschätzen.

Braanken hatte mich belogen.

Wenn er wirklich mit seinem Gaule gestürzt wäre und wenn diese Dinge, Geld, Papiere, Bild, doch sein Eigentum, in den Satteltaschen des toten Pferdes sich befunden hätten, würde er sie niemals belassen haben, wo sie waren, sondern er hätte sie mitgenommen.

Auf der Rückseite des Bildes stand nämlich geschrieben – deutsch:

»Meinem Liebsten! Anna Windhuk, Juni 1914.«


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