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Wie muß dieser vollendete Komödiant damals heimlich triumphiert haben, als wir beide, die wir uns Männer mit der Reife eines welterfahrenen Verstandes dünkten, hinter ihm drei die steilen Eisenleitern in den runden Schacht hinabkletterten, von Leiter zu Leiter, von Absatz zu Absatz, wohl zwanzig Meter. Gewiß, wir hatten die Pistolen entsichert zwischen den Zähnen, – so töricht waren wir doch nicht! Wir hatten das Boot oben festgekettet, wir glaubten uns den Rücken gedeckt zu haben.
Vollendeter Komödiant – nur deshalb!
So gelangten wir schließlich in eine Art Grotte, die mit Schiffsmöbeln ausgestattet war. Hier an der einen Seite allerhand blanke Apparate, Kurbeln, Hebel, Schaltbretter. Elektrische Birnen erhellten den Raum. Der Boden war sauber mit Schiffsplanken gedeckt.
Leon erklärte mit demselben müden, dumpfen Ton: »Hier haben wir das Rohr mit Beton in die Decke dieser Höhle eingebettet, ganz wasserdicht. Und dort die dicke große Glasscheibe im Eisenrahmen: der Zugang zu den anderen Grotten und zu der Goldader ...«
Er deutete auf die gut zwanzig Zentimeter starken Scheiben, hinter denen grüne Dunkelheit lagerte: Wasser!
Leon fuhr fort:
»Die Beleuchtung der Nebengrotten, des ersoffenen Goldbergwerks, funktioniert noch. Sie haben ja gute Nerven, meine Herren.«
Er drehte an einem Hebel, und hinter der Glastür glühten verschwommene helle Flecke auf.
Achim und ich prallten zurück. Wir sahen hier dasselbe, was Taucher so und so oft geschildert haben, die in die Kajüte eines jäh versunkenen Schiffes hinabgestiegen waren.
Leichen schwammen im grünlichen Wasser in allen Stellungen, gedunsene Totengesichter grinsten aus glasigen Augen durch die durchsichtige Scheidewand. Eine Frau war darunter mit langen aufgelösten aschblonden Haaren, die wie ein Schleier um ihr Antlitz wogten.
»Tatjana«, schrie Achim.
»Ja, Tatjana, die arme kleine Tatjana, – Ihre Freundin, Näsler.«
Er schaltete das Licht wieder aus, und der Chor der Toten wurde uns entzogen.
»Setzen wir uns, meine Herren ...«
Leon wies auf die Korbstühle.
»So ... – Vielleicht ist Ihnen mit einer Zigarette gedient. Der Anblick ist nicht schön dort drüben ...«
»Danke«, sagte Achim hart. »Beichten Sie nun, Turido. Jetzt werden Sie ja kaum mehr lügen wollen ...«
»Nein. Es hätte keinen Zweck mehr, Näsler. Wirklich keinen Zweck. Es ist ja alles aus. Wir hätten ungezählte Millionen erringen können, wir und unsere Leute. Das Meer wollte es anders ... – Aber – alles der Reihe nach ... Wer wir sind, wie wir in Wahrheit heißen, das wird niemand je erfahren. Russen, gewiß. Man merkte es wohl unserer Sprache an. Aber – was besagt Russen?? Rußland ist unendlich groß. Ob Bolschewisten, ob Emigranten, ob Zarenanhänger, – wen geht's was an! Für die Geschehnisse hier ist's so unwichtig. Jedenfalls hatte einer von uns vor Jahren den Kapitän Jörnsen hier nach Santa Ines als Matrose begleitet, war ihm nachts nachgeschlichen, beobachtete ihn, wie er mit der Wünschelrute hier an den Gestaden der Bucht nach Metallagern suchte. Jörnsen fand Gold, fand eine Ader, die an der äußersten Spitze des südlichen Vorgebirges unter Geröll zutage trat und sich dann unter Wasser weiterzog. Jörnsen sprengte nur ein paar Klumpen von dem Golde los, holte von seinem Schiffe dann heimlich eine Dynamitpatrone und vernichtete den zutage tretenden Teil der Goldader. Eine breite Masse Gestein rutschte nach dem Sprengschuß in die Tiefe, und niemand hätte mehr ahnen können, welche Schätze an jener Stelle verborgen waren. Einer wußte es außer Jörnsen, unser Landsmann. Und so sind wir denn, um nicht vom Land aus beim Abbau der unterirdischen Goldader beobachtet zu werden, auf den heutigentags durchwegs nicht mehr phantastischen Gedanken gekommen, uns ein Heim unterm Meere einzurichten. Die Arbeit ging schnell vonstatten, denn wir hatten genügend Fachleute unter uns. Ich selbst zum Beispiel bin Ingenieuroffizier in der alten russischen Armee gewesen ...«
Leon Turido – wie er sich nannte – schwieg und starrte auf die dicke Glastür. Was er uns bisher mit überlegener Ruhe mitgeteilt hatte, trug unverkennbar den Stempel der Wahrheit. Es stimmte ja: Jörnsen war Rutengänger gewesen!
Mit derselben kühlen Abgeklärtheit sprach der Russe weiter:
»Gewiß haben wir den ›Starost‹ versenkt und die Besatzung außer Ihnen, Näsler, in die Hölle geschickt. Wir durften keine Mitwisser dulden. Das, was wir mit dem Gelde vorhatten, war eine ... heilige Pflicht, meine Herren. Es gibt Pflichten, vor denen alle sogenannten moralischen Grundsätze oder Bedenken zurücktreten müssen. Ich darf Ihnen leider nicht sagen, worin diese Pflicht oder dieser großzügige welterschütternde Plan bestand. Wir bildeten eine Gemeinschaft, die geschworen hatte, vor nichts zurückzuschrecken. Glauben Sie mir: die meisten von uns waren ganze Männer und auch meine Mutter und meine Schwester Olga rechneten mit dazu. Tatjanas Verrat, der Ihre Rettung, Näsler, zur Folge hatte, war die seelische Entgleisung eines halben Kindes, bei dem die erwachende Sinnlichkeit, die Liebe, selbst die Hemmungen eines Schwures ausschaltete. – Beurteilen Sie, meine Herren, unser Tun also nicht allzu hart. Niemals haben wir aus Selbstsucht Folterknechte und Mörder gespielt. Das Gold war nicht für uns bestimmt. Doch ich will mich nicht verteidigen.«
Er machte eine müde, gleichmütige Handbewegung.
Er log nicht. Aber trotzdem log er, heuchelte er, war scheinbar ein Todgeweihter, der nichts Arges mehr im Schilde führen könnte. Seine ganze Art, wie er seine Beichte vorgetragen hatte, war so sympathisch gewesen, daß mein Argwohn beinahe eingeschläfert wäre. Aber seit langem hatte ich mir ja vorgenommen, niemandem mehr zu trauen. Mißtrauen ist stets eine gute Schutzwaffe.
» ... Kommen wir zum Schluß, meine Herren. Wir wollten Sie, Näsler, wieder in unsere Gewalt bringen. Inzwischen hatten Sie aber Gefährten gefunden, und das Schicksal wollte nicht, daß Sie stürben. In jener Nacht, als wir die drei Araukaner von ihrer Robinsoninsel entführten, kam uns eine fremde Jacht in die Quere. Ich weiß nicht, weshalb diese Jacht den Knaben dort an Land setzte. Jedenfalls mißlang unser Plan: Sie und Abelsen entgingen uns! Da sich außerdem ein chilenischer Kreuzer in den Kanälen umhertrieb, mußten wir verschwinden. So begann sich denn die Tragödie hier in der Goldbucht vorzubereiten. Ich und drei von uns gerieten in Ihre Hände. Ich entfloh nachher, weil Sie, Näsler, aus einem schönen Gefühl von Menschlichkeit heraus, meine Fesseln sehr lose geschlungen hatten. Die Höhle hat noch einen Ausgang nach der Terrasse hin, wo früher unser Wohnhaus stand. Ich schwamm hier nach dem Riff. Meine Kleider hatte ich als Bündel auf dem Kopfe. Es befindet sich nun oben in den Spalten der Riffelsen ein versteckter Hebelgriff, durch den man von außen die Deckeltür oben öffnen kann. Es war Ebbe. Das Riff lag frei. So konnte ich hier nach unten steigen ...«
Wieder schwieg er ...
Lehnte sich weiter zurück und bedeckte die Augen mit der Linken.
Oh – welch' ein vollendeter Komödiant!!
» ... Ich fand das Licht brennen – auch nebenan in den anderen Räumen, von denen jeder wasserdicht abgesperrt werden konnte. Ich trete an die Glastür dort, sehe, was Sie sahen: Die Meinen tot, ertrunken!! Ich sank halb bewußtlos hier in diesen Sessel. – Wie die Katastrophe sich ereignet hat ... ich weiß es nicht. Ich kann mir nur denken, daß der Wasserdruck für die Grottenwände, aus denen wir das Gold herausschlugen, an einer Stelle zu groß geworden ist, – die Wand zu dünn. So muß es gewesen sein. Und als das Meer sich mit ungeheurer Kraft hereingoß, mögen die anderen Sperrtüren nachgegeben haben. Nur die dort hielt ...«
Er sprach so leise, daß wir unser Gehör aufs äußerste anstrengen mußten.
Sein Sessel stand den Hebeln und Schaltbrettern am nächsten.
Seine Rechte hing über die Sessellehne schlaff herab.
Aber – jetzt eben hatte er als Komödiant versagt.
Seine ersterbende Stimme erschien mir gekünstelt ...
Ich war auf meiner Hut ...
Meine Hand glitt in die Außentasche der Jacke. Mein Zeigefinger schob den Flügel der Sicherung zurück, während meine Augen Leon unablässig beobachteten, besonders seine Rechte, deren Finger halb zur Faust gekrampft waren ...
Er hob den Kopf ...
Ein leerer Blick flog über uns hin. » ... Alle tot ... ich der letzte, meine Herren ... ertrunken – und drei dort im Walkadaver ... drei, die vielleicht verraten hätten, daß der Ozean hier ein Loch hatte ...«
So sagte er: Ein Loch hatte!
Und deshalb habe ich schon zu Anfang vom Loch im Ozean gesprochen – als Titel für das, was über Jules Vernes mit wissenschaftlichen Phrasen gespickten Phantasien weit hinausgeht. Nein: Jules Verne ist abgetan! Ihm fehlt der rasende Rhythmus der modernen Zeit, des modernen Abenteuers. Vielleicht fehlt dieser Rhythmus all dem, was am Schreibtisch im warmen Zimmer bei guter Zigarre ausgeklügelt wird. Ich brauche nichts auszuklügeln, nur hineinzugreifen in die Überfülle des Erlebten, und wenn ich mich hineinversenke in all diese kostbaren bunten Schätze, darin wühle wie in farbenprächtigen Seidenstoffen, hole ich aus den Tiefen der Vorräte immer Neues hervor. Und nichts, nichts möchte ich missen von diesem Reichtum, auch das nicht, was mir jetzt, wo ich es zu Papier bringen werde, wieder das Blut in den Adern gefrieren läßt.
Ich besinne mich, daß mein unglückseliger Vater, ein moralverseuchter Mensch, seine Freude daran hatte, Mäuse in selbstgebauten Fallen von sehr komplizierter Konstruktion zu fangen. Einfache Fallen hätten es auch getan. Aber er konstruierte Fallen, die die Mäuse gleich in ein Wasserbecken hinabfallen ließen, in dem die armen Viecher dann ertranken, nachdem sie stundenlang vielleicht umhergeschwommen waren, immer im Kreise an der Wandung lang, die zu glatt war, selbst ihren Kletterzehen Halt zu gewähren. Wie vielen Mäusen habe ich heimlich das Leben gerettet, indem ich als Knabe ganz früh aus dem Bett schlich und die Fallen revidierte, die noch lebenden Mäuse mit der Hand herausnahm und laufen ließ. Eines Morgens erwischte mich mein Vater dabei, wollte mich schlagen. Meine Mutter trat dazwischen, und was sie meinem Vater bleichen Antlitzes zuflüsterte, verstand ich nicht. Aber von da an verschwanden alle Fallen, und unser Haus wurde ein Mäuseparadies.
Mäuse im Blecheimer ...
Achim und ich ...
Mäuse im Blecheimer ...
Und wie schnell das ging – in Sekunden ...
Schneller, als du, braver Philister, deine echte Sumatra köpfen kannst, nachdem du ihr das Köpfchen gebührend beleckt hast, sie geküßt hast ...
Und dann schneidest du Rohling ihr das Köpfchen ab ...
So seid ihr! Mäuse im Blecheimer mit Deckel, verehrter Kulturbonze!
Mit luftdicht schließendem Deckel!!
Und das kam so ...
Leon erhob sich schwerfällig ...
»Es wird Zeit, daß wir nach oben gehen, meine Herren ... Die Flut steigt. Bald würde sie oben in das Loch im Ozean eindringen. Gewiß, meine Herren, wir haben diesen runden Schacht so eingerichtet, daß die obersten drei Rohrteile sich emporschrauben lassen, und daß der Deckel dann über der Flutgrenze liegt ... Mein Gott, mir ... wird ... so ... sonderbar ...!«
Er taumelte, griff mit den Armen in die Luft ...
Oh – alles war schlau berechnet, jede Bewegung ...
Auch das jetzt, als die Hände scheinbar absichtslos zwei Hebel umkrallten ...
Ich riß die Pistole heraus ...
»Halt, Turido ...! Hände weg!!«
Zu spät ...
Er lachte wie ein Wahnwitziger ...
Meine Kugel klatschte ihm in den Hinterkopf.
Das Lachen erstarb ...
Aber – die Glastür war aufgeflogen ...
Grüne Flut in hoher Welle, Leichen schossen herein.
Achim sprang zur Leiter ...
Riß mich hoch ...
Wir kletterten ums Leben ...
Aber das Meer war schneller. Das Meer rächte sich ...
Über unseren Köpfen quoll es weiter, das gierige Naß ...
Und unter Wasser krochen wir höher, Sprosse um Sprosse ...
Halb erstickt dann oben in dem Schacht – – oben, wo der Deckel geschlossen ...
Oben, wo wir atmen konnten, wo noch ein halber Meter Luftraum war ...
Japsend standen wir nebeneinander auf der Eisenleiter ...
Unter uns glühten zwei elektrische Lampen.
Neben uns ... schwamm die tote Tatjana ...
Mäuse im Blecheimer mit Deckel!
Nur daß in diesem Eimer das Wasser im selben Maße stieg wie draußen die Flut ...
Wir hörten schon die Wogenkämme klatschend auf den Eisendeckel schlagen ...
Wir konnten genau berechnen, daß wir vielleicht noch zehn Minuten zu leben hatten.
Denn – das Wasser stieg ...
Stieg ...
Unter uns glommen die Lampen ...
Und neben uns hatte Tatjana Gesellschaft erhalten: ihren Vater!
Nun – Kulturbonze, wie ist's mit einem kleinen Abenteuer abseits vom Alltagswege? Spürst du nicht das heiße Verlangen, auch einmal ... Mann zu sein??
Stelle dir diese Nachbarschaft – zwei Wasserleichen – vor ... Stelle dir vor, daß du genau weißt: ich muß hier ersaufen, ich werde Arm in Arm mit der jungen Tatjana langsam verfaulen – – in der grünen Flut ...!
Wie ist's damit? Wenn du einmal mitmachen willst, so komm' nach dem Lausenest Skyring im südlichsten chilenischen Patagonien ... Frage dort nach der Gallegos-Bucht, wo Coy Cala wohnt. Ich auch. Vorläufig. Und wenn du uns gefunden, will ich dich mitnehmen in die patagonische Steppe. Vielleicht ... erleben wir etwas. Aber ob du lebend heimkehrst, dafür kann ich dir nicht garantieren ...
Und doch: ich lebe noch!
Wie das kam, trotz des Eimers mit dem Deckel?