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11. Kapitel.
Der neue Anruf

Ich setzte mich neben ihn auf die erhöhte Heckbank. Der Motor schnurrte, die Wasser purzelten hinter uns im Quirlen der jagenden Schraube, und ich schaute immer nach dorthin, wo die Brigg mir ein Stück meiner Vergangenheit entführte. Ich hatte sie wie Brüder geliebt, diese braunen Söhne eines einst so mächtigen Reitervolkes, und es wäre für mich ein übler Beweis von Oberflächlichkeit gewesen, wenn ich ihnen nicht diese Minuten weihte, bis die weißen Segel der Brigg unter den Horizont tauchten.

Hiruto beobachtete die Leine des Lotes, die vom Heckgeländer schräg in die Tiefe lief. Er ehrte meinen letzten stummen Abschiedsgruß an die braunen Kameraden durch zartfühlendes Schweigen.

Dann verschwanden auch die Mastspitzen der Brigg, und das Kapitel »Gallegos« schien für das Buch meines Leben endgültig abgeschlossen.

Ich drehte mich halb um, und Hiruto drehte das Steuerrad mit jähem Schwung ...

»Eine Leiche, El Gento ...! Nehmen Sie den Bootshaken ...«

Er manövrierte so geschickt, daß ich den Toten emporhissen konnte. Es war ein Japaner in weißem, beschmutztem Matrosenanzug.

Der Baron schaute starr in das verzerrte Gesicht. Mitten in der Stirn zeigte sich ein blauroter, kleiner runder Fleck.

»Erschossen ...« sagte Hiruto. »Es ist einer meiner Matrosen. – Wollen Sie bitte das Steuer bedienen. Ich möchte Otake persönlich die letzte Ehre erweisen.«

Er holte eine japanische Flagge aus der Kajüte, hüllte die Leiche in die siegreiche Sonnenflagge ein, umwand das traurige Bündel mit Stricken und band an die Füße ein Stück Ballasteisen. Dann sprach er die Totengebete seines Volkes und ließ die Leiche in die Tiefe gleiten, schaute ihr nach, wandte sich um und setzte sich und bot mir eine Zigarette an.

»Die Sträflinge waren auf der Jacht,« erklärte er mit seiner erhabenen Ruhe. »Ihre Vermutung, El Gento, daß meine Freunde die Jacht besetzt hätten, war irrig. Es muß einen neuen Kampf auf der Insel jetzt während des Orkans gegeben haben. Otake war noch keine vier Stunden tot.«

Er reichte mir sein Feuerzeug und beobachtete die Lotleine.

»Ich bin nicht befugt,« sprach er weiter, »Ihnen alles mitzuteilen. Aber ich will die Schleier trotzdem ein wenig mehr lüften, die Ihnen die Dinge in unwahrer Verzerrung zeigen. Mein Freund, der Lord, und Ellen hatten mich um Beistand gebeten, die Insel aufzusuchen. Dies mußte insgeheim geschehen. Deshalb machten wir mit der Brigg eine ... Probefahrt, die uns dann bis zum Eiland brachte, wo wir erwartet wurden. Wir sichteten es um Mitternacht, Die Jacht lag an der Südseite, und wir bemerkten sie nicht. Die Sträflinge hatten die Insel erobert, und als meine Leute und Ellens Vater an Land eilten, wurden sie beschossen. Alles weitere wissen Sie. Ellen und ich waren in der Gewalt der drei Chilenen, und nachher kamen Sie an Bord, El Gento. Als dann der Anruf von »Ellerduc« erfolgte, der drahtlose Anruf, fiel ich zunächst demselben Irrtum anheim wie Sie: Ich wähnte meine Leute und den Lord und Gorry auf der Jacht. Jetzt weiß ich, daß dies nicht der Fall war, daß die Sträflinge von der Insel verjagt worden waren und meine Freunde Herren der Insel geblieben. Wir landeten dort, und Ellen hat das Zelt so aufstellen lassen, daß es über einer beweglichen Bimssteinplatte aufragte – neben dem Riesenkopf der Frau, der ebenfalls Ellen darstellen soll. Sie benutzte den Zugang, sie entschwand mir, sie suchte Sie auf und hatte vorher mit Gorry alles verabredet. Der Ueberfall sollte dazu dienen, auch Sie, nachdem Sie das Angebot Ellens abgelehnt hatten, gewaltsam in die unterirdischen Räume der Insel zu entführen, wohin man auch mich dann hinabgeleitet hätte. Daß das Eiland teilweise hohl, wußte ich nicht. Gorry ist auch mir gegenüber sehr vorsichtig gewesen. Seine Funksprüche in verabredetem Geheimkode sagten mir nur Halbes.«

»Und jetzt?!«

Hiruto lächelte unmerklich. »Ich glaube, El Gento, – Sie gestatten doch, daß ich Sie weiter so nenne, es paßt für Ihre Persönlichkeit –, ich glaube, wir beide unterschätzen noch immer das Genie Ihres Kollegen Kentville ...«

»Ich verstehe ... Er hat ein U-Boot zur Verfügung, und Sie nehmen an, daß Ihre Freunde, soweit sie bei dem Kampf auf der nun zerstörten Insel mit dem Leben davonkamen, sich mit dem U-Boot gerettet haben.«

»Der Gedanke wäre nicht von der Hand zu weisen ... Wodurch kam Ihnen diese Vermutung?«

»Durch einen Lichtschein, den ich im Wasser an der Ostseite des Eilandes beobachtete. Erst dachte ich an den Riesenkraken, nun erscheint mir dies widersinnig, denn die Leuchtkraft eines Polypen ist denn doch nicht so stark, einen weiten Umkreis zu erhellen.«

Der Baron nickte schwach. »U-Boot, – vielleicht ... Aber ich vermute anderes ...« Sein Blick wanderte von der Lotleine zum Kompaß ... Er ließ den Kutter in kurzem Bogen mehr nach Norden laufen. Die Sonne war nur noch als Halbkreis, als halbe feurige Scheibe am Horizont sichtbar. »Nehmen Sie das Fernrohr, El Gento ... Wenn meine Vermutung richtig ist, müßten Sie etwas sehen ... finden ... Suchen Sie nur das Meer ringsum recht genau ab. Wir wollen alle müßigen Erwägungen ausschalten. Es kann ein U-Boot vorhanden gewesen sein ... kann ...«

Aber es wurde Nacht, und der Pazifik blieb leer. Die Dunkelheit schlich herbei, die Sterne erschienen, und wir beide kreuzten noch immer dort, wo die Untiefe nach unserer Berechnung liegen mußte. Wir saßen am Heck und aßen mißmutig und enttäuscht Zwieback und Konserven, tranken dazu Tee, den ich aufgebrüht hatte, und sahen immer mehr ein, daß wir Hoffnungen hegten, die sich nicht erfüllen würden.

Hiruto sagte dann, als das Schweigen zwischen uns lästig wurde: »Wie wär's, wenn Sie die Funkanlage instand setzten, El Gento. Die Antenne ist rasch gespannt. Richten Sie den Notmast auf, befestigen Sie vorn als zweiten Mast den langen Bootshaken ... Eine Dreidrahtantenne würde vielleicht genügend Kraft auffangen ...«

»Und was versprechen Sie sich davon?!«

»Oh – man kann nicht wissen ... Von einem U-Boot aus könnte gefunkt werden ...«

Ich räumte das Geschirr weg. Ich tat es mit verdächtiger Eile. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn Hiruto seine dünnen Lippen ironisch verzogen hätte, aber dazu war er viel zu höflich und taktvoll, obwohl er längst ahnen mußte, daß ich meine braunen Kameraden nur der Braut eines Anderen geopfert hatte! Ich arbeitete dann wie besessen, in mir war eine Stimme erwacht, die mir dauernd zuraunte: Ellen lebt – – Ellen lebt!! – Ich befand mich wie in einem Rausch. Ich hämmerte, kletterte, entwirrte Drähte, ich baute eine Antenne, wie sie noch kein Kutter gehabt, ich war sorgfältig wie ein Pedant, ich wollte den Erfolg nicht durch Pfuscherkram in Frage stellen. Die Sehnsucht nach dem Weibe war die Peitsche, und meine geheimsten Gedanken waren Niedertracht und Gemeinheit. Konnte nicht Georg Kentville längst tot sein?! Konnte nicht Ellens Herz aller Fesseln ledig sein?! Hatte Ellen nicht ebenso die heiße Röte gegenseitiger Wünsche in den Wangen gespürt wie ich?! – – Ich baute Empfänger, Sender, Batterien in der Kajüte auf. Ich hatte dieselbe Arbeit auf der Brigg geleistet, ich war wieder firm in allen Kleinigkeiten. Dann – die Kopfhörer übergestülpt, – – eingeschaltet die Lampen, Hand am Abstimmkondensator ...

Welle 300!! – – Hier etwa mußte sie liegen.

Ein Pfeifen – – ein Aufheulen, so laut, daß ich zusammenschrak ... Zurück mit der Rückkopplung, bis nur das Rauschen blieb, und dann ...

Ich wurde totenbleich, meine Hände flatterten. Bei Gott, – das war dieselbe Stimme, wie damals, eine Männerstimme ... genau dieselbe ...

 ... Wir kommen alle zehn Minuten wieder.

... Meldet euch!

Ich hatte gerade noch die letzten Sätze erhascht.

Wem galt der Anruf?!

Ich reiße den Hörer herab ... Die Tür sieht offen. Die kleine Treppe mündet im erhöhten Heck. Ich stürze die Stufen hinan. »Baron, der Sender Ellerduc!!«

Hiruto blinzelt in das Licht, das aus der Kajüte seine Beine bescheint ... Er nimmt die Zigarette aus dem Munde, er sagt nur: »Also doch!!«

»Wie meinen Sie das?!« Ich beuge mich vor. Sein Gesicht ist sphinxhaft wie stets.

»Ich wollte Sie nicht stören, El Gento ... Ich hatte soeben das Nachtglas benutzt und glaubte dort im Westen im Mondschein etwas zu bemerken.«

Das Glas liegt neben ihm auf der Bank. Ich greife danach, ich presse es an die Augen, aber es flimmert mir vor diesen unzuverlässigen Augen wie Funkensprühen ... Dort im endlosen Pampas nordwärts vom Gallegos habe ich solche Anzeichen von höchster Erregung nie gespürt. Erst seitdem ich die Brigg betreten, ist alles so anders geworden. Die große Welt hat ihre Arme wieder nach mir ausgestreckt, und diese Arme sind wie Fangarme eines eklen Polypen – mit Saugwarzen, die aus Männerseelen die Kräfte rauben und das Lächeln eines Weibes zum Götzen umformen! Ich war einmal El Gento!! Ich war's!! – Und die Wut packt mich Narren, der ich einem Phantom nachjage! Meine Zähne knirschen, und die Muskeln straffen sich. Ich fühle die Kräfte, die mir die goldene Freiheit dort am Gallegos beschert haben, ich würge hinunter, was mir bitter auf der Zunge liegt ... Ich sehe ... sehe dort vor uns auf dem dunklen Ozean einen grauen Strich, darüber dunklere Tupfen: Bäume!!

Es ist die Insel!!

Keine Fata Morgan« – – die Insel!!

Und ich kaue die Worte wie Eisen:

»Baron, sie ist's!!«

Die abgeklärte Stimme neben mir sagt ohne merkliche Aenderung des Tones: »Ich wußte es!«

Ich drehte mich um. »Sie hatten nie an ein U-Boot geglaubt?!«

»Sie!! – Was hörten Sie von Ellerduc?« – und er hebt die Hand, und der Motor läuft halbe Kraft. »War es dieselbe Stimme wie damals?«

»Dieselbe ... Ich fing nur noch die letzten Sätze auf, daß Ellerduc in zehn Minuten wiederkäme.«

Hiruto stellte den Motor völlig ab. »Ich möchte die Stimme erst prüfen, bevor wir dem Eiland uns nähern. Noch können wir nicht bemerkt worden sein.«

Hiruto wirkt wie Brom. Es gibt solche Menschen, die uns zur Ruhe zwingen. Es geht ein besonderes Fluidum von ihnen aus. Sie sind Magnetopathen wider Willen.

»Sie haben recht,« und ich bin hundeschnäuzig wie er. »Es kann immerhin einer der Sträflinge sein ... Es kann ...« Ich setzte mich zu ihm, die Uhr in der Hand. »Baron, wie erklären Sie es sich, daß die Insel plötzlich wieder vorhanden ist?«

»Sehr einfach: Wir waren während des Orkans sehr weit abgetrieben worden ... Die Insel ist da. Es gibt kaum eine natürlichere Erklärung ...«

Wir bleiben stumm und warten. Dann hockt der Baron vor dem Empfänger. Unser Kutter tanzt auf den Wellen ohne Steuermann. Ich stehe hinter Hiruto. Er lauscht ... Ich bücke mich. Vielleicht erlausche ich den Anruf. Laut genug war er vorhin. – Und ich horche ... höre ...

»Hier Ellerduc ... Hallo, hier Ellerduc ...«

Vorher auch wieder die fünf seltsamen Trompetentöne ...

»... Hallo ... hier Ellerduc ... Hier wieder alles in Ordnung ... Bringen Sie El Gento und die Araukaner mit, Baron ... Wenn Sie uns gehört haben, melden Sie sich wie vereinbart ...«

Hiruto schaltete die Lampen aus.

»Es war Georg Kentville,« sagt er und erhebt sich vom Schemel.

Kentville!! Er lebt!! Ich ... Narr!

Hiruto prüft den Sender ... Er versteht damit umzugehen. Er beginnt zu morsen ... Ich kann die Zeichen dem Gehör nach zu Worten zusammenfügen. Er funkt:

»Hallo – hier der Kutter der Brigg, an Bord El Gento und Hiruto. Wir haben euch gehört. Wir kommen ...«

Dann zum Schluß die besonderen Zeichen, die er mit Gorry vereinbart hat.

Er lächelt mich zufrieden an. »Jetzt bin ich völlig beruhigt ... Vorwärts also ... In einer Viertelstunde können wir an Land sein, auf Gorrys Insel!«

Zehn Minuten! Meinetwegen können es Jahre dauern! Was soll ich auf der Insel?! Ellen wiedersehen, Gorry kennenlernen und vielleicht gar liebenswürdig sein müssen?! – Oh – ich habe Eile. Ich fühle aber Hirutos prüfenden Blick, und ich reiße mich zusammen. Kultur – – Komödianten!! Mit der Kultur in Berührung kommen, heißt wieder Schauspieler werden, heucheln, eine Maske vor das Gesicht ziehen ... ekelhaft!!

Der Baron ist schon oben am Steuer, der Motor springt an, das Bugwasser schäumt, – – und ich starre auf den Empfänger, der mir Gorrys Stimme vermittelte, – ich hasse diesen Apparat ...

Und ich blicke auf ... Dort der Wandschrank, mein Bild im langen Spiegel ...: ein Kerl wie ein Waldläufer aus den Lederstrumpfgeschichten, ganz in schmierigem Leder, das mit Muscheln, Zähnen, Perlen verziert ist ... Es fehlen nur noch am Gürtel die Skalpe ...!! Und das Gesicht?! Braun, ein schlecht gestutzter Spitzbart, ein verwitterter Filzhut, ein paar blanke, scharfe Augen unter buschigen Brauen ...

Das bin ich!! Nein – das ist nicht Olaf Karl Abelsen, das ist El Gento Pampasjäger, Strandpirat, Heimatloser ...!

Ich lache bitter mein Spiegelbild an.

Und Gorry?!

Ein Lord!

Lord Georg Kentville, Erbauer des größten Wunders der Welt, einer künstlichen Insel im Pazifik mit Bäumen und Büschen und einer Bucht und Antennenmasten! Lord Kentville, ein Gentleman, der etwas unerhörtes geleistet hat, der in aller Stille Neuland schuf, der ein Genie ist, den Ellen anbeten muß, wie ich ihn bewundere! – Was habe ich denn in meinem Leben geleistet?! Nichts! Nur das, was jeder Durchschnittsingenieur fertig bringt! Was habe ich in meinem Leben mir selbst verpfuscht? Alles – alles!! Habe einen Menschen in blinder Wut erschlagen – – mit dieser braunen, rissigen Faust, – habe dafür im Zuchthaus gesessen, habe mir die Freiheit erobert und bin meiner Wege abseits des Alltags gewandert – – und wurde Abenteurer!

Noch immer stiere ich dem da in die blanken Augen, der El Gento heißt ... Und der Kerl da im Lederwams lächelt plötzlich so frei und selbstbewußt ... Der Kerl erinnert sich an die tollen Fahrten in den eisigen Kanälen um Feuerland, an die, tollen Ritte durch die Pampas, an die weißen Schneehäupter der Anden, an Nächte, in denen der Tod ringsum lauerte und die Nerven nicht zuckten – – und an Coy, den Unvergeßlichen, den letzten König von Araukanien ...

Und ich, El Gento, ducke mich scheu vor Seiner Lordschaft und einem genialen Einfall?!

Ich lache ... und wende dem Spiegel den Rücken und gehe an Deck.

Dort ist die Insel. Mein Entschluß ist fertig: Hiruto wird sie allein betreten, El Gento wird heimlich sofort wieder davonjagen auf diesem flinken Boot – – irgendwohin, wo niemand ihn kennt!


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