Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

10. Kapitel
Die Versucherin

... Vielleicht hatte sie noch nie so sehr Gerda Arnstör geglichen wie jetzt. Sie trug ein weißes Leinenkleid, ganz schlicht gearbeitet, dazu einen leichten Korkhelm mit Schleier, als Gürtel einen breiten gelben Riemen mit Pistolentasche, in der Linken hielt sie einen leichten Bootshaken, den sie wohl als Stütze benutzt hatte. Sie mußte geweint haben, ihre Augenlider waren gerötet, aber der Blick ihrer seelenvollen Augen erschien noch vertiefter.

Sie hatte sich zwischen den Steiluferfelsen niedergesetzt, und dieser hellgraue Hintergrund hob ihre Gestalt eigentümlich plastisch hervor. Als ich mich ihr näherte, lächelte sie müde und sagte leicht verlegen: »Nun werden Sie mich gewiß für aufdringlich halten, Mr. Abelsen. Aber ich muß Sie sprechen. Setzen Sie sich bitte zu mir ... Ihre eifersüchtigen Araukaner sind ja zum Glück nicht da.« Eine kaum merkliche Koketterie klang in dem letzten Satze mit. Ein peinliches Gefühl beschlich mich. Was wollte sie?! Irgend etwas in mir warnte mich.

Sie rückte zur Seite und machte mir Platz. Ich zauderte noch. Ihre Nähe war ... gefährlich. Ich spürte den zarten Duft irgendeines exotischen Parfüms, ich spürte in diesem Wohlgeruch das Wehen des Atems der fernen Kulturwelt. – Ich wollte nicht unhöflich sein. Ich nahm neben ihr Platz. Es war so viel Raum zwischen uns, daß wir uns einander zuwenden konnten, ohne uns zu berühren.

»Der Baron,« sagte sie leise, »blieb im Zelte ... Er sah wohl ein, daß nur ich bei Ihnen etwas erreichen könnte.«

»Was?« fragte ich hart, und ich schaute zu Boden – auf ihre weißen Leinenschuhe und die weißseidenen Strümpfe, die eine dünne Fessel schmeichelnd umspannten.

»Ich hätte eine Bitte, Mr. Abelsen ... Der Baron und ich möchten auf der Insel bleiben ... Hiruto will den Araukanern den Kutter der Brigg schenken. Dieser ist völlig seetüchtig ...«

»Das weiß ich ...«

Ellen wurde unsicher. »Er will auch jedem fünftausend Dollar und eine Büchse und Pistole nebst Munition schenken ...«

»Sehr großmütig ... Und mir?!« Ich blickte auf. Ich schrak zurück vor dem gereizten Ausdruck ihrer Augen.

»Ist das der Ton, mit einer Dame zu verkehren, Mr. Abelsen?!«

»Es ist der Ton der Ehrlichkeit, und Sie sind nicht ehrlich. Sie wollen Ihre Freiheit verkaufen ... Sie wollen Ihre Geheimnisse durch Geschenke schützen. Wäre ich nicht Ingenieur gewesen, hätte mich diese Zauberinsel wenig gekümmert. So aber will ich ergründen, wer ...«

»Ah, das können Sie alles, das sollen Sie! Nur die Araukaner müssen von hier verschwinden. Sie sollen bleiben ... Ihnen vertrauen wir.«

»Wer vertraut mir?! Sie und Hiruto! Und die anderen – Ihr Vater, Ihr ... Verlobter und all die, die nun irgendwo mit der weißen Jacht kreuzen und nur warten, daß Sie sie herbeirufen?! Wie werden die sich zu mir stellen?!«

Sie prüfte meine Miene, Ihre Blicke schienen mir die Gedanken entblößen zu wollen. Ein Anflug von Lächeln verzog ihre Lippen.

»Die anderen werden in Ihnen genau so den Gentlemen sehen wie ich, Mr. Abelsen,« sagte sie schlicht. »Unsere Geheimnisse den Araukanern anvertrauen, hieße uns selbst verderben. Schicken Sie sie zur Rückkehr nach dem Gallegos.«

»Niemals! Jedenfalls nicht, bevor ich alles weiß – alles!«

Sie war sichtlich enttäuscht. Sie seufzte, ihre Hände glätteten nervös ihren Rock.

Ein Windstoß fauchte über das Meer ... Ein zweiter folgte ... Das Gewölk hatte sich verdichtet. Ueber den Horizont schob sich eine fahlgelbe Wolkenwand.

»Das ... kann nicht sein,« meinte sie schmerzlich. »Das ... kann niemals sein ... Bleiben Sie doch Gentleman, quälen Sie mich nicht.« Sie weinte leise ... Sie hatte plötzlich die Hände vor das Gesicht gedrückt ...

Und undeutlich flüsterte sie: »Vielleicht später ... später ... das wird von Gorry abhängen ...«

»Gorry!!« Ich lachte ... »Von Gorry hängt nichts ab ..!« Mein heftiger Ton erschreckte sie. Ihre Hände sanken ... Ihr Gesicht beugte sich mir zu ... Wieder dieses Prüfen, dieses Abtasten meiner Züge. Unsere Augen ruhten ineinander ...

Ich Narr!!

Helle Röte rann ihr bis zur Stirn.

Sie hatte erkannt, wie's um mich bestellt war ...

»Mein Gott!!« – und sie erhob sich, setzte sich aber sofort wieder und wurde sehr bleich.

Ich schämte mich. Ich, Olaf Karl Abelsen – – und nicht einmal die Kraft hatte ich gefunden, mein Herz zu hüten!! Manik hatte schon recht: Ich war doch nur ein Fremder geblieben unter den harten Herzen dort am Gallegos, ich blieb ein Kind jener Welt, in der die Empfindungen die Taten ersetzen und die Phrase das offene Wort verdrängt.

Ich wollte mich erheben. Was sollte ich hier noch neben Ellen Duncam?!

Ihre Hand berührte meinen Arm ...

»Nicht doch, – – nicht so wollen wir uns trennen ...«

Sie zitterte ... In ihrem Blick war eine unklare Angst.

»Sie ... müssen nachgeben, Mr. Abelsen ... Ich flehe Sie an ... Ersparen Sie mir doch ...«

»... Sparen Sie sich doch jedes weitere Wort ..!«

Ich war aufgesprungen. »Ich verrate meine Kameraden nicht!! Der Kutter könnte ...«

Oh – es war alles sehr schlau vorbereitet ... Unversehends flog mir von hinten eine schwere Decke über Kopf und Brust. Fäuste packten mich, in denen die Kraft von Eisenklammern lag. Meine Arme wurden mir an den Leib gepreßt ... Ich fühlte, daß man mich emporhob ... Es mußten drei Männer sein ... Ich spannte meine Muskeln bis zum äußersten an, schlug mit den Füßen nach hinten. Eine wilde Wut gegen Ellen ließ mich zwecklos brüllen – – irgendein Schimpfwort.

Dann – – irgendwoher Maniks Trompetenorgan:

»El Gento – – die weiße Jacht!!«

Nochmals derselbe Ruf ...

Ich erhielt einen Stoß, flog vornüber, stolperte, fiel zwischen Geröll, raffte mich auf, riß die Decke herunter, riß die PifLole aus dem Futteral ...

Die Stelle, wo ich mit Ellen gesessen, war leer, und droben am Rande des Steilufers stand Manik und winkte ...

»Die Jacht – – die Jacht!!«

»Manik, wo blieb Ellen?« schrie ich wie ein Besessener ...

»Miß Ellen in Zelt sein ..!«

»Unsinn – sie war hier, und man hat mich niederträchtigerweise von hinten überfallen ... Sie muß noch in der Nähe sein. Suchen wir! Ich werde mit ihr abrechnen, ich ...«

Manik blickte ringsum. »Hier kein Mensch, Gento ... Du schlafen, träumen ... Ich sehen müßten, jeden – jeden ... – Kommen auf Brigg ... Chanaf schon großes Gewehr bereitmachen ...

Jacht von Norden sich nähern ... Schnell!!«

Seine vollkommene Gleichgültigkeit gegenüber einem Zwischenfall, der mir den letzten Rest von Vertrauensseligkeit geraubt hatte, änderte sich erst, als ich die Uferhöhe erklettert und ihm die wollene Decke gezeigt hatte. Es war dies eine sehr weiche, feine Kamelhaardecke von dunklem Muster, mit braunem Leder eingefaßt. Auf der Brigg hatten wir bisher nicht eine einzige Decke dieser Art gefunden. – Manik war jetzt überzeugt, daß Ellen von vornherein mich an diese Stelle gelockt hatte, wo man mich am bequemsten von hinten beschleichen konnte.

Wer waren die Angreifer?

Diese Frage ließ sich angesichts der Tatsache, daß Ellen und die drei Kerle mit den Bärenkräften im Nu verschwunden waren, vorläufig nicht beantworten. Ich nahm an, und Manik stimmte mir zu, daß es hier in den Uferfelsen ein Versteck gäbe, wo die drei bisher verborgen gewesen. Die Insel war also doch nicht »leer«, wie wir bisher geglaubt.

Ein Blick nach Norden zeigte mir in weiter Entfernung die Jacht. Nun, bevor sie heran war, konnte ich noch Baron Hiruto einige Liebenswürdigkeiten unter das Stupsnäschen reiben.

Wir eilten zur Bucht. Links von den Büschen erhob sich das Zelt. Auf einer Kokosmatte vor dem Eingang saß der Baron mit untergeschlagenen Beinen und rauchte in aller Gemütsruhe seine Zigarette. Er legte warnend den Zeigefinger auf die dünnen Lippen.

»Sie schläft.-

Mit meiner Geduld war's vorbei.

Ich schlug den Zeltvorhang hoch, ich packte Hiruto mit der Linken und zeigte ihm das leere Zelt.

»Wo ist Ellen?!« Mein Gesicht war wenig gemütlich und der Baron merkte wohl, daß die schöne Zeit, wo ich mich hatte verführen lassen, vorüber war. Er blickte mich entsetzt an. Ich schüttelte ihn wie einen Sack Lumpen ...

»Raus mit der Sprache!! Wo ist Ramses geblieben!! An die Haifische glaube ich nicht mehr!!«

Meine Grobheit erregte bei Manik ein wohlgefälliges Grunzen.

»Aufhängen!!« schlug er vor.

Hiruto deutete auf einen langen Riß in der Rückwand des Zeltes. Seine Stimme klang trocken und verlegen.

»Ich schwöre bei meinen Ahnen, daß ich Ellen nicht gesehen habe. Sie schlief seit einer Stunde ... Sie hat das Zelt heimlich verlassen, und ich weiß nicht, wo sie ist.«

»Ihre Ahnen können mir gestohlen bleiben, Sie ... gelber Affe!!« Mein Grimm schäumte über. »Haben Sie etwa Ellen nicht zu mir geschickt und mir die feinen Vorschläge unterbreiten lassen – den Kuhhandel um meine Araukaner?!«

Ich ließ ihn los und zeigte ihm sehr eindeutig meine Pistole.

Hiruto blickte mit einer in der Tat unnachahmlicher Gelassenheit in das schwarze Mündungsloch der Waffe. »Es wäre kein gewöhnliches Zusammentreffen von widrigen Umständen, das mir hier den Tod brächte,« sagte er mit der heroischen Todesverachtung seines Volkes. »Die Rätsel und Widersprüche häufen sich, Mr. El Gento, und nur ein Schwächling würde anders handeln als Sie. Im Grunde sind Sie noch sehr langmütig. Ich glaube, ich hätte bereits abgedrückt, denn die Tatsachen sprechen so sehr gegen mich, daß Ihnen niemand eine rasche Strafjustiz verübeln könnte.« Seine bedächtigen Worte bewiesen, wie sehr sein Hirn sich abmühte, den Dingen die Maske vom unbegreiflichen Antlitz zu reißen. »Ich habe allerdings mit Ellen vereinbart,« fuhr er in gleicher Weise fort, »Ihnen gewisse Vorschläge zu unterbreiten, jedoch erst abends. Ellen hat mir mit keiner Silbe mitgeteilt, daß sie Sie aufsuchen würde. Sie hat sich heimlich entfernt. Natürlich werden Sie dies bezweifeln. Und doch lüge ich nicht.«

Er verneigte sich höflich. »Sie würden mich zu Dank verpflichten, wenn Sie das Geschehene mir kurz schildern wollten, Mr. El Gento ... Diese Bitte bedeutet nicht etwa, daß ich Ihre Entschließungen hinsichtlich meiner Person ...« – er schaute wieder in die Pistolenmündung – »hinausschieben möchte. Wir alle müssen sterben, und mein Lebenswerk ist getan. Ich habe erwachsene Söhne, die meine Reederei weiterführen werden. Meine Frau kam vor zwei Jahren bei dem großen Erdbeben um. Doch das interessiert sie kaum. Wir Menschen von heute leben aneinander vorbei, nicht miteinander. Wenn es uns von Vorteil, nehmen wir vielleicht diesen oder jenen ein Stück Weges mit und lassen ihn dann wieder zurück. Freilich liegen die Verhältnisse hier mit Ellen anders. Ich hätte mich nicht in dieses Abenteuer zu stürzen brauchen. Freundschaft geleitete mich hierher. Sie, Mr. El Gento, suchten dieses Abenteuer. Und Sie gewinnen das Spiel, und ich verliere es. Alles ist Schicksal.«

Er verbeugte sich abermals, jetzt wie entschuldigend dieser Abschweifungen wegen. Unb doch hatte er vielleicht ungewollt eins erreicht. Mein Grimm war verpufft. Diesem Manne gegenüber sich unbeherrscht zu zeigen, war eine Blamage. Ich steckte die Pistole weg. Ich erzählte ganz eingehend, obwohl Manik immer deutlichere Zeichen von Ungeduld sehen ließ und sehr verfänglich mit seinem Jagdmesser spielte.

Hiruto hörte wortlos zu. Sein Gesicht blieb unbewegt. Nur als ich den Ueberfall schilderte und erklärte, nur Maniks Erscheinen hätte mich gerettet, öffneten sich seine kleinen Augen ein wenig weiter, und ein sanftes Kopfschütteln verriet sein Erstaunen.

»Das ist alles sehr merkwürdig,« sagte er dann. »Ich habe keine Ahnung, wohin der Hund verschwunden ist, – noch weniger könnte ich angeben, wer die Männer waren, durch die Sie überfallen wurden. – Verzeihen Sie, daß diese Worte Ihnen wie leere Ausflüchte klingen müssen. Ich schätze Sie, Mr. El Gento, und Ihre Zweifel an meiner Glaubwürdigkeit sind mir peinlicher als Ellens Geheimniskrämerei, die mich letzten Endes vor Ihnen herabsetzt.«

Was sollte ich demgegenüber tun?! Ich fühlte abermals: Er log nicht! – Ich sagte daher nur: »Begleiten Sie uns? ... Die Jacht naht, und es wird wohl kaum ohne Kampf abgehen. Ich will nicht warten, bis die Leute der Jacht etwa landen, da wir sonst die Vorteile der Ueberlegenheit unserer Waffen, des Maschinengewehrs und des Schnellfeuergeschützes einbüßen könnten. Ich will vielmehr mit der Brigg auslaufen, und auf dem Meere soll die Entscheidung fallen.« – Ich hatte Hiruto bei den letzten Sätzen scharf gemustert. Es wäre doch nur zu begreiflich gewesen, daß er dieses drohende neue Gefecht irgendwie zu verhindern suchen würde. Es handelte sich ja um seine Leute, seine Freunde. Aber ich irrte mich wiederum.

»Ich werde völlig neutral bleiben,« erklärte er. »Ich überschaue die Verhältnisse zu wenig, um Ihnen etwa eine Niederlage zu wünschen. Vielleicht weicht die Jacht auch aus, sobald die ersten Granaten von der Brigg über sie Hinwegfegen. Blut ist ein kostbarer Saft, Mr. El Gento, und Menschenblut lediglich eines unbestimmten Geheimnisses wegen zu vergießen, dürfte Ihnen widerstreben.« Das war lediglich seinerseits eine Mahnung, die ich dann auch beherzigte. – Der Baron wurde an Bord in eine der Kammern neben der Kajüte eingeschlossen. Er hatte dies selbst gewünscht. Meine Achtung vor seiner in vielen Punkten ungewöhnlichen Persönlichkeit stieg immer mehr.

Inzwischen hatte die bedrohliche fahle Wolkenwand den halben Himmel in ein düsteres Gewölbe verwandelt. Im Osten und Süden erschien das Meer von Sturmstößen gepeitscht. Die Wogen, die die Insel erreichten, wuchsen beständig. Der Lärm der Brandung an den Ufern steigerte sich zu einem ungeheuren Brausen, die Spritzer der anrennenden Wasserberge flogen über den Rand der hellen Felsen hinweg, und nur hier an der Nordseite hatten wir noch leidlichen Schutz gegen den aufziehenden Orkan.

Auf der Brigg gab es zehn Minuten lang ein eifriges Hin und Her, dann lösten wir die Trossen und fuhren der Jacht entgegen, die kaum noch drei Seemeilen entfernt war. Unsere Sturmsegel und der mit voller Kraft laufende Motor führten uns in wenigen Minuten auf Schußweite heran. Das Schnellfeuergeschütz fauchte seinen ersten Gruß hinüber. Die Granate ging durch den Schornstein, war jedoch ein Versager und krepierte nicht. Aber das Loch in dem weißen Schlot war mit bloßem Auge zu erkennen, ebenso die Leute an Deck, die zu meinem Erstaunen jetzt eine weiße Flagge hißten. Ich zählte zwölf Mann. Sie alle trugen Matrosentracht bis auf einen einzigen, der in einem blauen Anzug steckte. Die Gesichter freilich ließen sich selbst durch das Fernrohr nicht so weit unterscheiden, daß man sagen konnte, wer von ihnen Europäer oder Japaner war.

Mir kam das Hissen der Parlamentärflagge äußerst ungelegen. Ich witterte dahinter lediglich eine Kriegslist, und auch Chanaf warnte davor, diese Aufforderung, das Feuer unsererseits einzustellen, irgendwie zu befolgen.

Außerdem wurde es jetzt so rasch dunkel, daß die Jacht uns entschlüpfen konnte. Sie war nur halb so groß wie die Brigg, dafür aber weit schneller, und allzu leicht konnten die Freunde Hirutos uns hier einen bösen Streich spielen. Gelang es ihnen, etwa die Insel zu besetzen, so konnten wir unverrichteter Sache abziehen, denn das Eiland auf die Gefahr hin, meine Araukaner abschießen zu lassen, mit Gewalt zu stürmen, wäre mir niemals eingefallen. Die ganzen Umstände verlangten mithin einen raschen Entschluß. Bisher war von der Jacht kein Schuß abgegeben worden, und von uns wieder wäre es offene Piraterei gewesen, unser Geschütz weiter feuern zu lassen. Ich befahl daher, jeder solle hinter der Reling Deckung nehmen. Ich selbst bediente das Steuerrad mit Chanafs Hilfe im Liegen, und wir hielten nun direkt auf den Gegner zu, der in den hochgehenden Wogen schwer schlingerte und nur noch halbe Fahrt lief.

Mit einem Male tauchte da neben mir ein braunes Gesicht auf: Chubur, den der Kanonenschuß endlich geweckt hatte!

Das Licht der Kompaßlampe traf sein Gesicht, das unglaublich verkatert aussah. Chubur schämte sich seines tollen Rausches wegen in seine braune Seele hinein, seine trüben roten Augen flehten um Vergebung seiner alkoholischen Sünden, und seine heisere Stimme winselte rührselig:

»War eine halbe Flasche zuviel, El Gento ... Zwei Flaschen gut sein ... Drei mein Magen nicht vertragen ...«

Diese Entschuldigung erinnerte mich an den Bauer, der zu einem Stadtherrn sagte: »Eine Gans ist ein komischer Vogel ... Für zwei langt sie nicht, für einen ist sie zu viel!!«

Chubur grinste jetzt. Wenn er grinst, verzieht sich die Lederklappe, die er über der leeren Augenhöhle trägt. Er hat nur ein Auge. Das andere verlor er bei dem »Loch im Ozean«.

Er grinste und fügte hinzu: »Feiner Kampf das werden ... Drüben Loch in Schornstein ... Schießen Loch in Bordwand von Jacht, El Gento, dann alle versaufen – sehr einfach!«

»Zu einfach,« meinte ich nur ...

Chanaf brüllte von der Reling:

»Ha – – Regenbö kommen!! Jacht schon wenden!«

Ich richtete mich auf.

Ja – da kam sie herangezogen wie eine gläserne, streifige Wand, die Regenbö. Und dann erreichte sie uns ... Alle Schleusen des Himmels öffneten sich ... Wir schwammen förmlich weg ... Man sah kaum die Hand vor Augen. Der Orkan wuchs, und eines unserer Sturmsegel knallte und riß und flog davon.

Wir halten übergenug mit der Brigg zu tun. Um den Gegner kümmerten wir uns nicht mehr. Er war verschwunden ... Verschwunden war die Insel ... Um uns her war nur die tobende See und die Finsternis und der klatschende Regen ...

Trotzdem wagte ich zu wenden. Es gelang, wenn auch unglaubliche Sturzseen über Bord kamen. Bisher hatten wir den Sturm im Rücken gehabt. Nun traf er uns von vorn. Wir kämpften gegen ihn an, wir wollten nicht aus der Nähe des Eilandes abgetrieben werden, auch Chubur, der Nüchterne, war der Meinung, die Leute der Jacht würden das Unwetter benutzen, und vor uns die Insel, ihre Insel besetzen.

Wo war die Insel?!

Bei diesem Wolkenbruch sie finden, war Glückszufall. Bei diesen haushohen Wogen blindlings mit der Brigg ins Ungewisse zu steuern, war halber Selbstmord. Erlitten wir an der Steilküste Schiffbruch, rannten wir gegen den Strand mit seinem unterseeischen Stahlrand, so würden selbst die eisernen Planken der Brigg wie Blechscheiben auseinanderplatzen, die Nieten würden springen, und das Schiff mit seinem Sandballast mußte versacken wie Blei.

Es war halber Selbstmord, aber ich rechnete auf Göttin Fortuna, die dem waghalsigen Spieler lächelt. Ich steuerte selbst, und vorn am Bugspriet hockte Chanaf mit seinen Luchsaugen und Luchsohren und hatte von mir allerlei vorteilhafte Winke erhalten. Ich war mir klar darüber, daß wir uns vorhin kaum fünftausend Meter von dem Eiland entfernt hatten. Der Sturm kam aus Südost. Wenn wir also die Nordwestseite der Insel fanden, mußten wir dort unter Wind ruhiges Wasser haben.

Wenn ..!!

Aber die Insel war ja so lächerlich klein. Auch nur ein Achtel Strich falscher Kurs, und wir glitten entweder an ihr vorüber oder rannten auf das künstliche Ufer auf.

Chubur kauerte neben mir und hielt sich am Kompaßstock fest. Alles triefte vor Nässe ... An Deck schlappte das Wasser zwischen Reling und Reling hin und her wie in einer Wellenbadewanne. Die kritischen Minuten kamen. Nun mußte es sich entscheiden, ob ... – und dieses »Ob« barg eben dreierlei: Landung in der Bucht, Strandung und Tod oder grausiges Umherirren in der Wasserwüste des Pazifik!

Es wurde das letztere ...

Die kritischen zehn Minuten waren in die Vergangenheit entglitten. Wir hatten die Insel verfehlt, und wie zum Hohn erblickte ich da im Osten ein Stückchen blauen Himmels, einen Riß im Gewölk, durch den das Sonnenlicht des Nachmittags hereinbrach in Regen, Gischt und Wogenbraus.

Der Regen hörte auf. Der Sturm flaute ab. Der Himmel klärte sich auf, und Chanaf und Manik stiegen in die Wanten und krochen ins Krähennest und hielten Ausschau. Der Wind sprang um, die Wogen beruhigten sich, wenn sie auch noch weiße Kämme hatten. Ich überließ Chubur das Rad und kroch zu den beiden in den schwankenden, pendelnden Ausguck, eine bedrohliche Schaukel, die keinem zur Seekrankheit Neigenden zu empfehlen ist.

Wir steuerten abermals Nordwestkurs. Die Insel mußte vor uns liegen ...

Es war auch nicht ein grünes Bäumchen sichtbar, es war nur das endlose, grollende Meer und die höhnende Sonne und ein paar Vögel ... Es war ein Wunder und zugleich für mich ein eisiger Schreck, der mir das Herz zusammenpreßte: Wenn der Orkan nun doch einmal mit diesem Gebilde von Menschenhand gründlich aufgeräumt hatte?! Wenn diese Riesenwellen Insel und Jacht und alles Lebende in Trümmer geschlagen und vernichtet hatte?!

Denn – das Fernglas zeigte mir nirgends auch nur die Spur von Nebelbildung. Also konnte das Eiland nicht etwa durch künstliche Rauchmassen dem Blick entzogen sein!

Ellen Duncam war tot.

Meine Seele war wie erstorben. Weshalb mich selbst belügen?! Ich liebte dieses Mädchen, ich liebte in ihr Gerda Arnstör von neuem, ich hatte Ellen alles verziehen, mein Herz schrie nach ihr, und mein Herz weinte um sie.

Manik sagte rauh: »Insel sein zerstört ... Jacht sein zerstört ... Alles ersoffen ... Sein schade um den Pudel, war gutes Tier ..«

Das war Maniks Standpunkt, und er schielte mich von der Seite an und fügte hinzu: »Nun unser Bruder El Gento wieder ganz unser Bruder ... Weiberröcke sein Pest ... – Nach Hause also zu Gallegos-Bucht ...«

»Nein!« Meine Stimme schrillte. »Nein! Wir werden die Untiefe suchen, auf der die Insel aufgebaut war ... Wir werden loten ... Wir lassen das Lot schleppen auf hundert Meter Leinenlänge ... So finden wir die Untiefe. Wir werden kreuzen ..!«

Manik lachte brutal. »El Gento, du ... du ... immer noch hoffen!! Worauf?! Auf weißes Mädchen?! Mädchen sein verlobt ..!«

Er spuckte in die See.

Ich verließ das Krähennest. Hinter mir drein kletterten Chanaf und Manik. Die Entfremdung war wieder da, und ihr Name war Ellen!

Ich sprach mit Chubur. Aber der Einäugige, O-Beinige sagte: »Guten Wind zur Heimfahrt, El Gento ... Wir segeln zum Gallegos.«

Neben ihm standen die anderen Araukaner. Sie mochten ihm alles erzählt haben, was geschehen, als er seinen Rausch ausschlief.

»Ich befehle, daß wir kreuzen!« entschied ich und holte zunächst Hiruto aus. der Kammer. Als ich ihm berichtete, daß die Insel vernichtet sei und daß auch die Jacht dasselbe Schicksal ereilt haben müsse, schaute er mich lange an und nahm dann eine Zigarette, deutete ein Achselzucken an, meinte kühl: »Es ist bedauerlich ... Sie wollen also kreuzen. Und wenn Sie die Untiefe wirklich finden?«

Da erst sah ich ein, wie sinnlos es war, noch irgendeine törichte Hoffnung zu hegen.

»Gut – also nach Osten zum Gallegos,« sagte ich wie ein ertappter Sünder und ging wieder zu Chubur zurück.

Ich sah, daß die Brigg bereits nach Osten lief und daß Chubur mir finster entgegenblickte. Er war aufgehetzt worden, meine Befehle wurden mißachtet, ich bedeutete meinen Araukanern nichts mehr.

Der Baron war nur gefolgt. Ich hatte Chubur nur scharf angesehen und mich wieder weggewandt. Der Baron sagte höflich:

»Ich schenke Ihnen die Brigg, Mr. El Gento, Ihnen und Ihren Freunden ...«

»Es waren meine Freunde!« fiel ich gereizt ein.

»Desto besser ... Ich schenke also die Brigg den Araukanern und bitte nur, den Kutter zu Wasser zu bringen, reichlich zu verproviantieren und mir einige Waffen zu belassen.«

Ich war kaum überrascht. Hiruto hatte gemerkt, daß mein Einfluß auf meine bisherigen halbwilden Kameraden im Schwinden begriffen war, und unter diesen Umständen zog er es vor, sich ihren Launen nicht zu überliefern.

»Sie wollen nach Valdivia?« fragte ich ihn »Ja ...« Er sog an seiner Zigarette, und seine polierten Fingernägel glänzten in der Sonne. »Ich will die kürzeste Route wählen, in vier Tagen bin ich dort ... Bis Yokohama wären es zehn, und das Risiko wäre zu groß. Wollen Sie mich begleiten?«

Ich zauderte ...

Chubur, Chanaf, Manik belauerten meine Lippen. In ihren Gesichtern zeigte sich Bestürzung. Sie bereuten wieder, sie fürchteten, ich könnte mich wirklich von ihnen trennen, und da war die alte Anhänglichkeit doch wieder erwacht.

Chubur hustete, quälte dann verlegen hervor: »El Gento, du doch bei uns bleiben ... du doch ...«

»Nein!! – Macht den Kutter fertig!!«

Chubur wurde aschgrau. Chanaf ergriff meine Hand, Manik drängte sich zwischen mich und Hiruto.

»Nein – wir trennen uns!« beharrte ich eisern, obwohl mir die Seele blutete. »Als Coy Cala starb, und er war euer König, sollte ich die Siedlung am Gallegos für ihn regieren. Ihr habt mir stets gehorcht und alles war gut. Coy ist tot, und keiner von euch ist Coy!«

Sie schwiegen. Sie kannten mich. Wie geprügelte Hunde taten sie ihre Arbeit. Die Oelplane ward vom Kutter gestreift. Da erst sah ich, welch' herrliches Schifflein es war: Eisen, völlig gedeckt, geräumige Kajüte, ein riesenstarker Motor, Luftkästen, elektrisches Licht, Notsegel, – nichts fehlte.

Meine Uhr und die Uhr in der Kutterkajüte zeigten genau acht Uhr, als ich Chubur als erstem die Hand zum Abschied reichte. Ich sprach kein Wort. Er auch nicht – die anderen erst recht nicht. Aber in ihren Zügen waren Neue und Abschiedsschmerz als krampfhaftes Zucken.

So schieden wir. Die Brigg lief nach Osten, wir nach Nordwest, – wir, Hiruto und ich, und Hiruto steuerte.

Ich sagte und blickte der Brigg nach:

»Nordwest, Baron?! Valdivia liegt im Nordosten ...«

»Aber die Trümmer der Insel liegen dort ...« Und er deutete in die sinkende Sonne, die unsere Köpfe kupferrot färbte.


 << zurück weiter >>