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Einen grossen, steifen breitkrempigen Hut auf dem Kopfe, stand er auf dem Feldrain bei einem laublosen Hagedornstrauch, dessen rote Frucht hie und da sich schon bräunlich färbte. Der Wind spielte leicht wehend mit seinem langen Haar, mit der knopflosen aufgelösten Scherke, die auf dem Halse nicht verbunden war, und den Riemenenden der bis an die Knie reichenden Lederhose. Obzwar die Sonne schien, war es doch ziemlich kühl, und der Wind trug zur Wärme auch nichts bei. Trotzdem zog Mathias Přibek seinen weissen langen Rock nicht an den Leib an, ja er knöpfte nicht einmal die halb geöffnete Leibweste ganz zu. Seine starke, breite Brust vertrug offenbar den Hauch frostigerer Winde, als der war, welcher eben vom Walde über den öden Abhang strich.
Das ruhige, ernste, faltenreiche Antlitz Přibek's war erwartungsvoll Kozina und seinem Genossen zugewendet. Die Lippen des breiten Mundes waren so fest zusammengepresst, dass sich unterhalb der Unterlippe über dem mächtigen Kinn des bartlosen Gesichtes eine lange Falte hinzog.
So stand hier ernst, unbeweglich, einer Statue gleich der letzte Fahnenträger, und rührte sich auch dann nicht, als er den herankommenden Kozina ansprach:
»Wo schwärmst du denn, Kozina, herum, während man dir die Marksteine niederhaut?«
Diese, mit scheinbarer Gleichgültigkeit vorgebrachten Worte brachten den jungen Bauer plötzlich zum Stehen.
»Mir? Und wo?«
»Dorten, bei den Lehmgruben –«
»Und wer?«
»Die Herren –«
Kozina war wie vom Blitze getroffen. Aufgebracht und doch noch zweifelnd, ob er die Wahrheit vernommen, heftete er seine staunenden Augen auf den alten Choden, der hinzusetzte:
»Gewiss, so ist es. Ich ging vorbei. Es sind der Verwalter von Chodenschloss und die Chodenschlosser dort.«
»Dass sie der Kuckuck!« schrie Jiskra zornig. Sein Genosse kehrte aber beim letzten Worte Přibek's, als ob ihn eine Schlange gebissen, um und flugs eilte er in der Richtung des angedeuteten Feldes. Dieses Feld wurde später »Kozinovská« genannt, und erhielt sich dieser Name bis auf unsere Tage. Das Volk erzählt sich, dass die neunte Generation auf dem Kozinischen Bauerngrunde dieses gewaltsam geraubte Feld wieder zurückerhalten werde. Der Dudelsackpfeifer setzte ihm nach. Sie rannten, als wenn es im Dorfe brennen würde.
Die Nachricht von einem Dorfbrande hätte auf Kozina kaum so heftig eingewirkt.
Mathias Přibek blickte den Eilenden nach und dachte:
»Dass man dich – Kozina's Bürschlein – nur nicht wie eine junge Katze von der Milch wegjage!«
Am Fusse jener Anhöhe, hinter der Aujezdl in der Nähe von Chodenschloss liegt, stand am Saume des Ackerfeldes eine alte, stämmige Linde. In der kahlen Krone rauschte es laut, gleich tiefem Geseufze. Es waren schon die letzten Seufzer. Tiefer und tiefer drang die ächzende, zähnige Säge in den mächtigen Stamm des altersgrauen Baumes ein. Durch einen tiefen Einschnitt hatten ihr Äxte vorher den Weg geebnet. Unter der Linde standen drei Männer: der Chodenschlosser Verwalter und zwei vierschrötige Taglöhner. Alle verfolgten gespannt die Arbeit zweier Knechte, welche kniend und im Gesichte ganz rot, eilig die Säge handhabten.
Gegenüber, im nahen Chodenschlosse, liefen die Leute aus den Häusern und sahen mit Verwunderung zu, was da mit der Kozina'schen Linde vorgehe. Das ist ja ein neuer Gewaltakt der Obrigkeit! Wer sonst würde sich überhaupt auf einen so alten, Jahrhunderte lang hier stehenden Baum heranwagen, ganz abgesehen davon, dass er schon dadurch geheiligt ist, dass er Güter trennt und seit jeher den rechtlich anerkannten Grenzstein bildet. In uralten Zeiten wurden, wie in Böhmen überall, so auch im Chodengau »Bäume als Grenzsteine gesetzt«, und als Zeichen hiefür wurden in ihre Stämme Kreuze eingehauen. Von Zeit zu Zeit, oder je nach Bedarf, wurden sodann diese »Grenzsteine begangen«.
Doch die dorten achten auf solche Dinge nicht und scheuen auch vor dem am Baume hängenden Kreuze nicht zurück. Und doch verkündet dieses Kreuz: »Du sollst nicht begehren, was deines Nächsten ist!«
Doch plötzlich hielten alle bestürzt inne und der Verwalter runzelte die Stirne. Die Säge verstummte; alle wandten sich nach der Seite, von der sie mächtig angerufen wurden. Wie ein Sturmwind kam vom Abhange der junge Kozina herabgeflogen. Jiskra Řehůřek ihm nach.
Ganz erhitzt und gerötet hielt er unter dem Baume inne. Einen Augenblick herrschte tiefe Stille. Nur die Linde rauschte düster. Das Gesinde blickte vom Verwalter auf Kozina, der einen Moment vor Aufregung sprachlos war. Er zitterte, seine Augen sprühten, endlich donnerte er die Arbeiter an:
»Wer hat euch das erlaubt?«
»Niemand. Die Obrigkeit hat es angeordnet, befohlen!« fertigte ihn der Verwalter ab, das Wort »befohlen« mit besonderem Nachdruck betonend. Er kehrte sich sodann den Knechten zu und ordnete kurz an:
»Weiter sägen –!«
»Nicht mehr anrühren!« schrie Kozina. Seine Gestalt richtete sich auf, als wenn er plötzlich gewachsen wäre. »Ich bin die Obrigkeit, ich bin der Herr hier. Dieser Baum ist mein, dies ist mein Boden. Ihn hatte mein Vater, mein Gross- und Urgrossvater –«
»Und dir wird er nicht mehr gehören! Man hat in den Schriften vorgefunden, dass dieses Feld der Herrschaft gehöre!«
»Diese euere ›Schriften‹! Dort stand es auch, dass unsere Majestätsbriefe null und nichtig sind – haha! Alles habt ihr uns genommen, Leibeigene habt ihr aus uns gemacht und jetzt würdet ihr uns noch das Stückchen Boden rauben, das uns nährt. Diebe! Nicht einmal vor diesem heiligen Kreuze scheuet ihr zurück!«
»Wirst du schweigen!« schrie der Verwalter.
»Auch noch schweigen! Wir haben unsere Rechte und Majestätsbriefe! Mit welchem Rechte ihr –«
»Mit dem Herrenrechte, verwünschter Kerl! Deine Majestätsbriefe nützen dir so viel, dass wenn dir auf dem Schädel ein Baum aufwachsen würde und wir anordneten: er wird zerschnitten, so musst du wie ein Klotz still halten, ohne einen Mukser, ohne einen Rucker!«
»Nun, das werden wir ja sehen!« Und schon war er knapp an den Stamm herangetreten und stiess mit einem kräftigen Schrei auf einmal einen der Knechte von der Säge. Jiskra Řehůřek, der ihm nachgeeilt war, mahnte zur Mässigung. Im selben Momente sprang aber auch schon der Verwalter, wie gehetzt, hinzu und packte den Bauer, um ihn wegzuschieben. Kozina stiess ihn, dadurch in Wut gebracht, so heftig zurück, dass der Verwalter taumelte.
»Packe dich, du herrschaftlicher Kater, sonst erwürge ich dich noch!« schrie der junge Bauer, gleichzeitig stürzten aber auch schon die Knechte auf des Verwalters Geheiss auf Kozina los. Als Jiskra sah, dass der Streit in Tätlichkeiten auszuarten beginnt, gab er seine Beschwichtigungsversuche auf; mit einem Sprunge war er beim Freunde und half diesem mutig gegen die Übermacht von sechs Männern. Unter der angesägten Linde entbrannte ein heisser Kampf. Beide Choden wehrten sich, obwol ohne Waffen, wacker, und namentlich mit dem muskulösen Kozina hatten die vierschrötigen Holzspalter einen heissen Kampf. Bezwingen konnten sie ihn nicht. Doch dies dauerte nur kurze Zeit. Dieses Ringen ging über menschliche Kraft. Jiskra war bereits zu Boden gesunken. Liegend wehrte er sich noch gegen den ihm auf der Brust knienden Knecht. Kozina stand noch aufrecht, doch rann ihm das Blut schon in Strömen über die Wangen.
Um diese Zeit ertönte von der Anhöhe, in der Richtung gegen Aujezdl, eine Donnerstimme:
»Halt! Rasch halt! Sonst gibt es einen Mord!«
Die Riesengestalt Mathias Přibek's tauchte dort auf.
Ernsten und langen Schrittes, ging er, wie immer, den Abhang herab, die Čakane bereit haltend, als wolle er zum Schlag ausholen. Als er seinen Ruf dort unten absichtlich oder unabsichtlich unbeachtet sah, beschleunigte er seine Schritte und schrie mit seiner weithörbaren Stimme:
»Einen Augenblick nur noch, Kozina's Sohn, ich komme schon!«
Der Kampf unter der Linde entbrannte in diesem Momente von neuem. Die Choden spannten die letzten Kräfte an. Jiskra gelang es, sich seinem Besieger zu entwinden. Er sprang auf die Beine und suchte, Schläge austeilend, zum Freunde zu gelangen, um den ein lebendiger Knäuel von Angreifern herumwogte, und ein Gewirre von Geschrei und Flüchen wütete.
Schon, schon schwankte Kozina; doch da fühlte er sich plötzlich frei. Die Stimme von der Anhöhe erdonnerte jetzt knapp bei ihnen; zwei Knechte und der Verwalter selbst sprangen zur Seite, als sie Přibek's ansichtig wurden, desgleichen die übrigen, als sie Přibek's eichene Čakane über den Köpfen und am Rücken verspürten.
»Herrschaftliches Gesindel ihr! Zuerst bestehlet ihr den Menschen und dann wollt ihr ihn auch noch erschlagen!« schrie Přibek und schlug mit der Čakane so heftig um sich, dass der Verwalter samt seiner Begleitung, um den Schlägen zu entgehen, schnell das Weite suchte.
Bald nachher herrschte unter der Linde Ruhe, und als Přibek, der das herrschaftliche Gesinde und den Verwalter noch eine Strecke Weges »begleitet« hatte, wieder dorthin zurückkehrte, legte Jiskra, der seinen Körper selbst nicht mehr gut spürte, seinem Freunde auf die Kopfwunde den Verband an. Kozina war leichenblass. Als der alte Přibek an ihn herangetreten war, reichte er ihm die Hand und sagte:
»Grüss' dich Gott! Schade, dass ich nicht früher gekommen bin.« Sein Blick fiel auf die tödlich verwundete Linde.
»Es würde auf eines ausgehen,« antwortete Přibek. »Und jetzt komm rasch nach Hause, du hast viel Blut verloren.«
»Es floss also schon,« sagte Kozina wie zu sich selbst, doch laut, und betrachtete in Gedanken versunken die Rechte, die sich rot gefärbt hatte, als er mit ihr das aus der Wunde quellende Blut auffangen wollte. Der Dudelsackpfeifer verstand ihn gut. Als sie fortgingen, sah sich der Bauer noch einmal nach der Linde um. Seine Vorfahren pflegten in ihrem Schatten zu ruhen, er selbst sass unzähligemal mit seinem greisen Grossvater im Somer zur Erntezeit mit den Schnittern hier; einige Geschlechter fanden in ihrem Schatten gastfreundliche Aufnahme, der Familie und allen in der Umgebung war sie lieb und bekannt, manch' eine Sage erzählte von ihr: und so verfuhr mit ihr die Hoffart der Herrschaft!
»Ich war schon auf dem Heimwege begriffen, aber es fiel mir dann ein: Kozina's Bursche ist hitzig und jener dorten gibt es viele. Vielleicht kann das schlimm werden. Und so kehrte ich denn um,« erklärte Přibek zur Rechten des jungen Wirtschaftsbesitzers einherschreitend, während Jiskra links von ihm ging.
Beim Dorfe angelangt schieden sie von einander. Přibek schritt direkt nach Hause, Kozina ging hingegen in die Einschichte des Dudelsackpfeifers, um dort das Blut von seinen Händen zu waschen. Er wollte seine Hančí nicht erschrecken. Dennoch schrie sie vor Schrecken laut auf, als er unverhofft mit verbundenem Kopfe in die Stube trat. Lächelnd suchte er das besorgte Weib zu besänftigen. Er hörte aber bald auf, und nachdem er sich am Bette niedergesetzt hatte, senkte er den Kopf. Das Weib, welches Wasser und Umschläge bereitete, wunderte sich diesmal nicht, dass ihr Mann so plötzlich verstummte und in trübes Nachdenken verfiel. Sie dachte, dass die Wunde daran schuld sei. Dem war aber nicht so. »Da handelt sich's ja schon ums Leben und nicht nur um die Rechte. Es gibt kein Zaudern mehr!« und »es ist dir vom lieben Gott beschieden!« klang es immer wieder von neuem und mächtiger in der Seele des jungen Bauers.
In diesem Augenblicke vernahm man kleine, rasche, trippelnde Schritte; der kleine Paul kam von der Grossmutter herübergelaufen, und ihm hüpfte die blondhaarige Hanálka nach. Wie die Kinder den Vater erblickten, liefen sie schreiend auf ihn zu und umarmten ihm die Knie. Er hob sie empor, setzte sie auf seine Knie und zog sie an sich heran.
Da trat auch schon seine alte Mutter herein. Sie hatte so eben die Neuigkeit erfahren, dass die Herren die alte Linde Kozina's gefällt haben sollen. Mehr wusste sie nicht. Durch diese Nachricht ganz aufgeregt, blickte sie finster drein, als sie den Sohn mit den Kindern spielen sah.
»Die alte Linde bei den Lehmgruben haben dir die Herren gefällt!« rief sie strenge.
Der Sohn hob das Haupt.
»Ich weiss –«
Jetzt erst bemerkte sie seinen Verband.
»Du hast den Kopf verbunden –«
»Dort bei der Linde habe ich mir die Wunde geholt« antwortete er ruhig.
»Aber nicht erwehrt –«
Die alte Bäuerin, die von der Tür gegen das Bett zuschritt, blieb auf diese Worte stehen und ihr Blick ruhte voll Erstaunen auf dem Sohne. Dann fragte sie, das Schweigen unterbrechend, mit einer Stimme, die nicht mehr so rauh klang:
»Hast du eine böse Wunde?«
Er schüttelte den Kopf –
Um diese Zeit stand die alte Linde bei den Lehmgruben nicht mehr. Das Herrschaftsgesinde hatte sie gefällt, nachdem es nach dem Abzuge der Choden zurückgekehrt war. Weil sich aber allmählich bereits die Dämmerung herabsenkte, liess man den hundertjährigen Baum auf der Erde liegen. Er lag hier wie ein überwundener Riese und die ganze Nacht hindurch hörte man ihn tief seufzen und klagen.