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Als Fyr erwachsen war und einen Bart bekommen hatte, verließ er seinen Stamm und begab sich allein auf den Berg. Hier machte er eine Lehrzeit durch und eignete sich Künste an, die von weittragender Bedeutung waren und Anlaß wurden, daß das Schicksal des Waldvolkes sich spaltete; diejenigen, die der Natur folgten, blieben von ihr abhängig und mußten wandern, um die Lebensbedingungen zu finden, die sie nötig hatten; diejenigen aber, die Fyr folgten, schwangen sich mit ihm über den Zwang des Daseins hinaus und wurden andere Menschen. Die Alten gingen der Wärme nach, er aber führte seine Gefolgschaft dem Feuer zu.
Unten im Tal war noch immer ewiger Sommer, Fyrs Bestimmung aber war, indem er bergauf ging, einen Vorsprung vor dem zu gewinnen, was später kommen sollte. Oben auf dem Berge machte er die Bekanntschaft von kalten Nächten, lernte aber gleichzeitig, sie in der Nachbarschaft des Feuers zu ertragen. Er wurde sehr feuerkundig und legte eine Macht in die Hände seiner Nachfolger, die sie vom Naturzustand auf den Weg der Menschen führen sollte.
Zeitig schon fühlte Fyr sich zu Gunung Api hingezogen, er war ja als Kind dem Feuer geweiht worden und hatte seinen Namen erhalten; Gunung Api war sein naher Verwandter, und als er sich reif dazu fühlte, begab er sich auf den Weg, um sich ihm vorzustellen.
Keiner war jemals oben auf Gunung Api gewesen, ein unvernünftiger, ein unziemlicher Gedanke; die Seite des Berges, die den Tälern, wo das Bergvolk lebte, abgewandt war, hatte nie jemand gesehen, auch das Land nicht dahinter, das der Vulkan verbarg, falls Land da war, vielleicht waren es nur tiefe Feuerabgründe; keiner ahnte, was hinter Gunung Api lag. Nur so viel wußte man, daß von jener Seite die Sonne kam, ging sie doch jeden Tag hinter Gunung Apis Fuß auf; und auch der Mond kam von jener Seite, man hatte also Grund anzunehmen, daß dort große Feuerquellen lagen. Fyr fühlte sich von den Himmelskörpern angezogen, denn da sie von Gunung Api kamen, mußte auch er mit ihnen verwandt sein. Das Verlangen, ihnen näher zu kommen und ihre Wege zu erforschen, war einer von den Gründen, weshalb Fyr zur Höhe strebte.
Auf seinem Weg bergauf, den Fyr nicht auf einmal, sondern mit vielen Absätzen zurücklegte, Tag um Tag, indem er jedes Stück genau untersuchte und die ganze Zeit auf einen Rückzug gefaßt war, falls der Berg Unwillen zeigen würde, gelangte Fyr zuerst aus dem Wald heraus. Palmen und andere heiße Gewächse, die er von den Tälern her gewohnt war, verschwanden und machten einer andern kühleren Vegetation Platz. Auf der Höhe von Gunung Apis ersten Ausläufern konnte er zu den Tälern hinabsehen, die rauschend, voller Wärmedunst und Fruchtbarkeit dalagen; ein schwerer, übersättigter Dunst ging von dort aus; unter diesem Federbett von Fruchtbarkeit lebte also das Waldvolk; über Fyr aber war die Luft klar, kühler Atem kam auf ihn herab. Alles, was ihm von nun ab auf seinem Weg aufwärts begegnete, waren neue Welten für ihn.
Ganz unerwartete Entdeckungen machte er in bezug auf die ungeheure Größe des Berges; von weitem hatte er wie eine Spitze ausgesehen, auf die man nur hinaufzusteigen brauchte und die ganz in der Nähe aufzuragen schien; trotzdem brauchte man viele Tage, um nur den Fuß des Berges zu erreichen, und große weitläufige Landschaften bildeten die ersten Steigungen. Riste in der Bergwand, die man sich von unten gemerkt hatte, erwiesen sich in der Nähe als gewaltige Klüfte mit schwindelnden Abgründen, auf dem Grunde ein reißender Strom, mit Lavablöcken und Strauchwerk angefüllt. Noch höher hinauf kam man zu steilen Aschenfeldern, deren Abschluß nach oben man gar nicht sehen konnte. Doch bemerkte man bereits hier so viel Unruhe unter sich im Berge und spürte so unheilverkündende Gerüche, daß Fyr sich nicht entschließen konnte, weiter zur Spitze hinaufzusteigen. In einer Höhe, wo noch Pflanzen wuchsen, seltsame trockene Büsche und Zwergbäume, arbeitete Fyr sich um den Berg herum und verschaffte sich einen Blick auf die andere Seite.
Hier wartete seiner eine Enttäuschung. Es zeigte sich, daß der Berg auf der Rückseite von fast derselben Beschaffenheit war wie auf der Seite, die man kannte; auch hier fiel er mit verschiedenen Vegetationsgürteln und Wellen von großen Landschaftstrichen zu einem gewaltigen Flachland ab, das über unendlichen Waldsümpfen mit Dunst angefüllt war, ein Land, so weit das Auge reichte, wie das, von wo Fyr gekommen war. Nach der einen Seite endete das Land mit einer krummen Bucht und einer unendlichen Kimmung von Wasser in der äußersten Ferne; das war das Meer. Und von dort, vom Ende der Welt, kam die Sonne, von dort erstand sie jeden Morgen, rot und funkelnd. Es war also doch nicht Gunung Api, der die Sonne gebar. Fyr sah ein, daß er wenig Aussicht hatte, dorthin zu gelangen, woher sie kam. Eine seiner Aufgaben verschob sich bis ins Ungewisse. In der folgenden Zeit aber beobachtete er das Treiben der Sonne, wenn er auf dem Berge war, und wurde im Laufe der Jahre mit ihren Gewohnheiten vertraut.
Die Jahre – ja, er war der erste Mensch, der sich die Zeit merkte und den Gang der Himmelskörper berechnete, ihre Wiederkehr und die regelmäßig wiederkehrenden Veränderungen in der Welt, die damit zusammenhingen. Von dem hohen, luftigen Stand, wo er sich aufhielt, mit Ausblick über den ganzen Gesichtskreis rings umher und mit Gunung Api als festem Stützpunkt, gewann er nach und nach Klarheit über die Wege der Himmelskörper und die Zeit, die sie gebrauchten, um ihren Lauf zu vollbringen, bis sie wieder von vorn anfingen.
Am auffallendsten war der Weg des Mondes; er zeigte sich bald rund, bald in mehr oder weniger abnehmendem Zustand, als ob davon abgebissen würde, bald war er ganz fort, kam aber wieder, zuerst nur ein Zipfel, der indessen jeden Abend größer wurde, als ob er von selber heilte und sich nach und nach von seinem Leiden erholte; und das wiederholte sich im Laufe von so vielen Nächten, daß man sich ihrer Anzahl nicht gerade erinnerte, aber das bestimmte Gefühl hatte, daß die Zwischenräume gleich lang seien; das war die Zeit des Mondes. Was im übrigen mit dem Mond vorging, warum er krank wurde und sich wieder erholte, darüber dachte Fyr nicht weiter nach; oben im Himmel schienen ebenso einförmige Zusammenstöße vorzukommen wie bei den Tieren unten auf der Erde; Wolken, Ungeheuer verschlangen den Mond, dennoch wuchs er immer wieder nach. Fyr begnügte sich damit, als Zuschauer auszurechnen, wieviel Zeit zwischen jedem Mal lag: die Zeit eines Mondes dauerte fast so viele Nächte wie er Finger und Zehen und nochmal Finger hatte, eine lange, geschwollene Berechnung, die man nicht leicht im Kopf behalten konnte.
Schwieriger aber war die Zeit der Sonne. Es dauerte lange, bevor Fyr überhaupt zu der Erkenntnis kam, daß sie bestimmt wiederkehrende Perioden in ihrer Bewegung hatte, und nachdem ihm klar geworden war, daß sie von Tag zu Tag, obgleich fast unmerklich, verschieden aufstand und unterging, dauerte es Jahre, bevor er einen Überblick über den Gang der Sonne gewonnen hatte, und über die Zeit, die sie brauchte, nämlich ein Jahr. Das war eine lange Zeit, und sehr anstrengend, so weit zu denken doch half er sich mit seinen Erfahrungen über den Gang des Mondes, der die Zeit in kleinere, leichter übersehbare Stücke zerlegte. Die Veränderung der Sonne bestand darin, daß sie Tag für Tag an einem andern Punkt des Horizontes aufging, so daß man schließlich annehmen mußte, daß sie am ganzen Himmelsband herumziehen würde. Das tat sie aber nicht; wenn sie eine bestimmte Stelle erreicht hatte, die Fyr sich von seinem Aussichtspunkt, der immer derselbe war, nämlich vom Berge aus, gemerkt hatte, machte sie kehrt und begann langsam Tag für Tag nach der Richtung, von der sie gekommen war, zurückzukehren, und sing dann wieder von vorn an. Warum? Ja, warum schreitet man jeden Tag über den Himmel, um in der Tiefe auf der andern Seite unterzugehen? Weil man seinen Weg zurücklegen muß. Und warum verlegt man jeden Tag seinen Ausgangspunkt bis zu einer gewissen Grenze und macht dann wieder kehrt? Das hängt wohl mit der Gemütsart zusammen, die einem als Himmelskörper zuerteilt ist, Launenhaftigkeit im Auftreten, auf die Dauer aber dennoch starre Regelmäßigkeit. Wenn Fyr seine Berechnungen zusammenlegte, kam unweigerlich dabei heraus, daß der Mond sich in dem Zeitraum, wo die Sonne sich am Horizont verschoben hatte und wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückgekehrt war, so oft rund gezeigt hatte, wie er Finger und zwei große Zehen hatte. Und an dieser schwebenden, an und für sich unübersehbaren, aber ein für allemal geltenden Zeitberechnung lernte Fyr sein eigenes Dasein messen. Seit dem ersten Mal, als er gemerkt hatte, daß die Sonne kehrtmachte und stets mit demselben Zwischenraum kehrtmachen würde, rechnete er seine eigenen Jahre. Er wohnte auf dem Berge so viele Jahre, wie er Finger an seiner einen Hand und den Daumen an der andern hatte.
Ober das Wesen der Sonne grübelte er viel. Man konnte nicht geradeswegs zu ihr hinauf sehen, dazu war man zu gering, sie schlug das Auge mit Blindheit, wenn man sich dazu erkühnte; in dieser Beziehung glich sie dem Feuer von Gunung Api; man ging wohl nicht fehl, wenn man annahm, daß man einem freischwebenden Feuer im Himmel gegenüberstand. Dem Rätsel von der Sonne aber kam er erst näher, als er ein Kenner des Feuers geworden war.
Fyr kam zu der Erkenntnis, daß auch Pflanzen und Bäume in gewissen Zwischenräumen und im Zusammenhang mit dem Weg der Sonne und dem Jahr ihr Aussehen veränderten. Unten in den Tälern, wo die Bäume sich immer gleich blieben, machte sich diese Veränderung nicht bemerkbar, wohl aber oben auf dem Berge. War man aus den warmen Wäldern im Flachland zum Berg hinaufgestiegen, traf man oben Bäume von anderer kälterer Art; nach Palmen folgten kühlere Laubwälder, über ihnen ein Gürtel mit Nadelbäumen und dann wieder Laubbäume, aber eine spärlichere, geducktere Sorte; schließlich kamen nur weite Ebenen mit niedrigem Strauchwerk und kriechenden, abgehärteten Pflanzen. Auf dem Berge lernte Fyr, daß es eine Blütezeit, eine Fruchtzeit und eine Zeit gab, wo die Pflanzen leer dastanden, worauf sie wieder Laub ansetzten und von vorn anfingen; alles in derselben Zeit, die die Sonne zu ihrem Weg brauchte. Das war die erste Beobachtung der Jahreszeiten, und sie stand in engem Zusammenhang mit den Erfahrungen, die Fyr mit Hinsicht auf das Wetter machte. Sonne, Pflanzen und Wetter hielten Schritt miteinander; in dem einen halben Jahr gab es gute Tage, in dem andern weniger gute, und dieser Wechsel des Jahres griff merklich auch in sein eigenes Dasein ein.
Die erste Veränderung, die er fühlte, nachdem er von den Tälern heraufgestiegen war, bestand darin, daß die Nächte das ganze Jahr hindurch kalt wurden; später erst begriff er, daß während der einen Hälfte des Jahres eine Verschlimmerung eintrat und daß dann auch die Tage kälter wurden. Je höher er auf den Berg hinaufstieg, desto kälter wurde es, eine Tatsache, die er sich lange nicht erklären konnte, näherte er sich doch seiner Ansicht nach dem Feuer mehr und mehr.
Wie half Fyr sich in den kalten Nächten auf dem Berge? Das Feuer, Gunung Apis Wärme, war ja da, er mußte nur den Berg höher hinaufsteigen, dort wo es kälter war, um zur Wärme zu gelangen. Daß er diesen Gegensatz erkannte, bestimmte von Anfang an sein Verhältnis zum Feuer, und er erweiterte seine Erkenntnis von Jahr zu Jahr zu einer Kunst. Es dauerte nicht lange, bis er gelernt hatte, daß man sich jeden Abend, wenn die Kälte durch die Haarwurzeln zu dringen begann, höher auf den Berg hinaufbegeben mußte, ganz bis über die Waldgrenze hinauf, wo das Land steil und öde wurde, weil die Erde dort warm war; dort machte er es sich die Nacht über in Gruben unter der Lava oder im Schutze eines warmen Felsens behaglich.
Eine solche Annäherung an Gunung Api aber erforderte Taktgefühl, man durfte den Alten beileibe nicht kränken oder erzürnen, wenn man auch entfernt mit ihm verwandt war. Fyr war sehr bescheiden, er kam in der Dämmerung auf allen vieren wie ein Hund angekrochen und duckte sich hinter einem warmen Stein, während er die ganze Nacht, sogar im Schlaf, aufmerksam auf jedes Rummeln im Berge achtgab. Auch wagte er sich nicht gar zu weit auf den nackten, heißen Boden hinauf, wo man die klare Glut durch die Ritzen leuchten sehen konnte. Es genügte, wenn man so viel Strahlenwärme genoß, daß man behaglich wie mitten am Tage in der allerwärmsten Sonne schlafen konnte. Doch war es auch nicht vom Übel, einer glühenden Ritze so nahe wie möglich zu sein, war es doch klar, daß an eine Stelle, wo das rote Feuer aus dem Berge loderte, keine andern Lebewesen, Schlangen oder Raubtiere, hinkommen würden; der Feuerschein hielt die Luft um den Schlafenden rein, wenn auch die Gefahr für ihn nicht gering war. Mit Vorsicht und einem halbwachen Auge aber ging es jedesmal gut, so daß Fyr schließlich glaubte, daß zwischen dem Vulkan und ihm ein stillschweigendes Einvernehmen bestünde. Jedesmal, wenn er sich zur Ruhe legte, fragte er höflich an, ob es erlaubt sei, und da der Berg nicht nein sagte, betrachtete er es als ein Ja und lagerte sich mit Behagen in der schönen Wärme.
Ging dann die Sonne auf und weckte Fyr zeitig auf dem Berge, so schlich er ausgeschlafen zum Wald hinunter, nachdem er seine Lippen leise bewegt hatte; es war eine Art Danksagung für die Nacht, die indessen mehr und mehr zu einer Form wurde, da der Berg sie nicht zu verstehen schien. Tagsüber vergaß man bisweilen, daß man in einem Abhängigkeitsverhältnis zum alten Vater Feuer dort oben stand, abends aber, wenn die Schatten länger wurden und man Verlangen nach Wärme und Schutz empfand, schlich man schweigend und ehrbar zum Berge zurück.
Um das gute Verhältnis aufrechtzuerhalten, spendete man in aller Bescheidenheit hin und wieder eine kleine Gabe; hatte man reichlich Vorrat und war satt, machte es einen guten Eindruck, wenn man dem Feuer aus Erkenntlichkeit einen Vogel, eine Frucht schenkte, die man durch eine Feuerspalte fallen ließ. Daß der Berg kleine Beiträge gern entgegennahm, war außer Zweifel, denn er siedete wollüstig und verzehrte in kürzester Zeit, was er bekam; er hatte auf alles Appetit. Und das mußte man ihm lassen: was das Feuer verzehrte, duftete herrlich!