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Sechstes Kapitel

Hall schloß die Tür hinter ihr und kehrte zu seinen Gästen in das Zimmer zurück, bleich, aber sonst ohne Zeichen von Gemütsbewegung. Er zündete eine Zigarette an, sah nach der Uhr.

»In einer halben Stunde wird geschlossen,« bemerkte er. »Ich möchte Sie bitten, mit mir zu Abend zu essen, falls Sie nichts anderes vorhaben. Sie haben noch keine Gelegenheit gehabt, zu Worte zu kommen, Herr Evanston …«

»Ja, das waren Hindernisse,« lachte Evanston, aber Hall sah ihn kühl an, und er ließ das Thema fallen.

»Wie gesagt, wenn Sie mir das Vergnügen machen wollen, mit mir zu Abend zu essen – ich esse in einem Klub – so könnten wir dort vielleicht über die Dinge reden, auf die Sie mich in Ihrem Briefe vorbereiteten, Herr Evanston. Wir können ja gleich gehen.«

»Herr Edmund Hall,« sagte Evanston und räusperte sich und sah nachdenklich in die Luft – »wenn Ihr Abend nicht besetzt ist, habe ich Ihnen einen andern Vorschlag zu machen, ich möchte Sie nämlich nach Brooklyn hinüberbemühen zu Pastor Mc Carthy, in dessen Hause Fräulein Karekin jetzt wohnt. Er ist ein Freund von mir, ein Mann von ungewöhnlicher Einsicht in okkulten Dingen. Er hat sofort Fräulein Karekins Kraft entdeckt – erst gestern abend. Seine Erfahrung und sein Wissen werden Sie interessieren, es ist so ausgedehnt, daß – –«

»Fräulein Karekins Kraft – verzeihen Sie, daß ich Sie unterbreche,« sagte Hall – »verstehe ich recht, daß Fräulein Karekin ein Medium ist? Hat Herr Mc Carthy das festgestellt?«

»Ja,« antwortete Evanston mit Nachdruck.

Hall sah zu Mirjam hinüber, die mit einem unsichern Blick dasaß, weil sie ihren Namen nennen hörte und nichts verstand. Er lächelte ein klein wenig, so daß sie gleich ruhig wurde.

Evanston fuhr fort, Hall fest anzusehen, als verfolge er die Wirkung eines Schusses; Hall schien aber nicht sehr berührt durch diese große Neuigkeit.

»Sie hat ganz den Typus,« sagte er halb für sich. Es entstand eine Pause.

»Herr Evanston,« fuhr Hall mit einem Ausdruck fort, der einem andern Gedankengang entsprach, »aufrichtig gesprochen, es wird mir schwer zu verstehen, warum Sie mir dies nicht in Madame d'Oras Gegenwart mitteilen wollten. War es nicht unnötig, eine Feindschaft zu nähren, deren Folgen Sie jetzt gleich sahen?«

Evanston wußte nicht, was er sagen sollte, er suchte mit den Augen, schwankte zwischen Beleidigtsein und Beschämtsein …

»Hier sorgt jeder für sich,« sagte Hall. »In meinem Laboratorium hat jeder nur für sich selbst einzustehen, und ich habe deswegen nicht die Absicht, Ihnen Entschuldigungen wegen des Vorgefallenen zu machen. Ich fürchte mich nur, überhaupt das Geschehnis zu berühren, Gefühle zu betasten, die Ihr Eigentum sind, Herr Evanston. Das übrige ist eine Sache zwischen Fräulein Karekin und Madame d'Ora.«

– – – Evanston schwieg.

»Es interessiert mich sehr zu hören, daß Fräulein Karekin ein Medium ist,« sagte Edmund Hall lächelnd und mit einem Blick, der jetzt wieder ganz ungewappnet war. »In welcher Richtung liegen Fräulein Karekins Fähigkeiten? – Ich hätte mir dasselbe sagen müssen, als ich zum ersten Mal ihre Augen sah. Und die Hände …«

Hall betrachtete Mirjams dünne, braune Hände. Sie fingen an, sich zu bewegen und sich umeinander zu schlingen. Sie sah mit einem Blick zu ihm auf, der für sich flehte, und im selben Augenblick schloß sie die Hände und steckte sie weg. Hall nickte. Er sah von ihr zu Evanston hinüber und bemerkte, daß dieser ebenfalls steif da saß mit seinen großen Schaufeln. Evanston fühlte sich auf unsicherm Boden. Plötzlich sandte er einen Blick zu Hall hinauf, in dem etwas Gefährliches glomm, das jedoch gleich wieder verschwand. Er räusperte sich.

»Ich dachte ja, daß es Sie interessieren würde, Herr Edmund Hall,« sagte er. »Ich weiß, Sie als Anthropologe haben sich auch mit Somnambulismus und dergleichen okkulten Phänomenen beschäftigt. Wie ich Ihnen wohl schon einmal gesagt habe, bin ich nicht ganz unbewandert in Ihrer weltberühmten Produktion. Ihre Bemerkungen gerade eben erinnerten mich wirklich an eine Ihrer Abhandlungen, ›das Eigentumsrecht des Herzens‹, das, wie ich hoffe, mit Unrecht als anarchistisch gestempelt ist. Ich – ich dachte ja, daß es Sie interessieren würde zu hören, daß Fräulein Karekin diese merkwürdige – Neurose werden Sie es wohl nennen – in ungewöhnlich ausgeprägtem Grade besitzt …«

Hall hielt seine Mundwinkel mit zwei Fingern fest, um ein Lächeln zu unterdrücken.

»Ich bin Ihnen sehr dankbar,« sagte er. »Ist Herr Mc Carthy Spiritist?«

Evanston nickte.

»Herr Mc Carthy gehört zu der kirchlichen Gemeinde der Methodisten – eine Richtung, die ich persönlich nicht anerkenne. Er hat bald ein Menschenalter lang das Studium geistiger Wissenschaft betrieben, er besitzt eine der vollständigsten Bibliotheken über okkulte Literatur, die es in Amerika gibt. Mein Freund hat große Erfahrungen im Ordnen und Leiten von Séancen … deshalb dachte ich, es könne möglicherweise vorteilhaft sein, zu ihm hinauszufahren. Er hat einen Kreis, eine geschlossene Gesellschaft von Freunden des Hauses, von Männern von tadellosem bürgerlichen Ansehen zu seiner Verfügung. Mit seinem scharfen Blick für okkulte Fähigkeiten entdeckte er sofort Fräulein Karekins Begabung, und wahrscheinlich weil sein Kreis so kultiviert und eingearbeitet ist, ergab die erste Sitzung gestern abend die erstaunlichsten Resultate. Die erstaunlichsten Resultate …«

Hall erhob sich.

»Es wird mir ein Vergnügen sein, Sie und Fräulein Karekin zu Herrn Mc Carthy hinauszubegleiten. Wollen Sie aber nicht vorher mit mir zu Abend essen? Wir können Herrn Mc Carthy doch nicht um Essen bemühen, nicht wahr?«

Hall sah zu Mirjam hinüber, die großäugig und fein auf ihrem Stuhl saß, scheinbar ohne zu atmen. Ihr Leben schien sich spurlos zu ernähren, sie glich einer Pflanze in der Luft. Aber sie errötete langsam und wurde vertrauensvoll unter Halls Blick.

»Darf ich Sie bitten, sich einige Augenblicke selber zu unterhalten, während ich mich fertig mache? Vielleicht setzen Sie sich lieber ans Fenster, wo Sie hinaussehen können?«

Evanston und Mirjam setzten sich in die Ecke, und Hall fing an, umherzugehen, die Apparate zu stellen und alles an seinen Platz zu rücken. Mirjam sah zu den großen Gebäuden hinaus und zu all dem vielen Dampf, der so weiß, so weiß war. Evanston folgte Halls Bewegungen und beobachtete, daß er alles auf eine regelmäßige Weise tat, als sei eine bestimmte und oft wiederholte Reihenfolge in den Dingen, mit denen er sich beschäftigte. Hall öffnete den feuerfesten Geldschrank und entnahm ihm eine Tasche, die Evanston an Bord des ›Bacharach‹ in seiner Hand gesehen zu haben sich erinnerte, er sammelte einen Haufen Papiere von einem Tisch zusammen, steckte sie in die Tasche und verschloß diese wieder, drehte die Scheibe mit den Einstellungsbuchstaben herum und rieb seine Hände, als sei nun alles in Ordnung. Nachdem Hall einige Worte ins Telephon gemurmelt hatte, nahm er Hut und Stock, und sie begaben sich in den Fahrstuhl. Als sie auf die Straße hinabkamen, setzte Hall einen schwarzblauen Kneifer auf, der ihn nicht besonders kleidete. Sie schlugen die Richtung auf die Brücke zu ein. Das Gedränge war ungeheuer, alle Kontore entsandten jetzt gegen sechs Uhr Schwärme von Menschen. Hall stand still und machte den Vorschlag, irgendwo hineinzugehen und zu essen, damit sich das Gedränge inzwischen legen könne. Die Uhr war acht, als sie bei Mc Carty in der Atlantic Avenue schellten. Er bewohnte ein großes, wohlgehaltenes Haus; daneben lag eine kleine hölzerne Bude mit einem Turm aus Zink von der Größe einer gelben Wurzel, das war Mc Carthys Freigemeindekirche.

Ein Mann in langschößigem Frack und mit einem seelenvollen Gesicht öffnete, Samuel R. Mc Carthy selber. Er hatte eine sanguinische Stimme, ein unruhiges und herzliches Auftreten, er flog mit lebhaften Gebärden in seinen Zimmern umher, redete, als habe er sie, Hall eingeschlossen, viele Jahre gekannt. Eine Dame, die im Gesicht Ähnlichkeit mit ihm hatte, infolge jener gemeinsamen Abschleifung, die die Ehe mit sich führt, wurde als Frau Mc Carthy vorgestellt, sie war eine kleine, entzückte Person, die ihre Gäste flüsternd und mit verliebten Augen begrüßte. Mc Carthys Wohnzimmer sah so aus wie die Wohnung wohlhabender Leute im allgemeinen, überfüllt mit Möbeln und schlechten Nippsgegenständen; an den Wänden hingen religiöse Bilder und ein Harmonium vermehrte das Gedränge der Einrichtung; eine eigenartig kalte Luft erzählte, daß hier im Hause keine Kinder waren.

Edmund Hall setzte sich, vorbereitet auf eine Welt von seligem Geschwätz. Und sie ließ nicht auf sich warten. Herr Mc Carthy brauchte nicht erwärmt zu werden, hatte es nicht nötig, zu untersuchen, mit wem er sprach, er schien nur eine fließende Rede fortzusetzen, die ihr Kommen unterbrochen hatte. Er mußte bedauern, daß es ein ungünstiger Abend sei, um so mehr mußte er das bedauern, als er nach Verabredung mit Herrn Evanston Edmund Hall aufgefordert hatte; aber trotz fortwährenden Telephonierens, – worüber er mit Hinzufügung von Nummern, Auslassungen über die Unzuverlässigkeit der Zentrale und aller ihm entgegengetretenen Widerwärtigkeiten sich des längeren und breiteren erging, – war es ihm nicht gelungen, den Kreis zusammenzutrommeln. Nein, es war unmöglich gewesen. Ungefähr die Hälfte, das heißt die halbe Zahl der Mitglieder, die zu kommen pflegten, hatten versprochen, sich einzustellen, da aber die übrigen behindert waren, so daß doch nichts aus der Sitzung werden konnte, hatte er die andern wieder telephonisch abbestellt, unter fortwährenden Scharmützeln mit der Zentrale. Leider also, – und Herr Mc Carthy vertiefte sich in eine neue Serie von Erklärungen, hin und wieder von seiner Frau unterbrochen oder in die Bahn zurückgeführt, indem sie sein Gedächtnis unterstützte, hinsichtlich der Telephonnummern und der Zeitbestimmung, wann er geklingelt und Antwort erhalten hatte. Edmund Hall saß in Gedanken versunken da und suchte in allen seinen Taschen herum, eine Gewohnheit, die ihm eigen war, wenn ihn etwas quälte. Dies brachte ihm eine Frage von Evanston ein, ob er etwas vermisse, und ein Umherfliegen von Mc Carthy nach Zigarren, Streichhölzern und Gott weiß was. Mc Carthy konnte eine Gedankenverbindung nicht überspringen, das sah Hall ein, deshalb saß er geduldig und vorsichtig da, um die Lage durch Unterbrechungen nicht zu verschlimmern. Endlich kam Mc Carthy zur Sache: Mirjam und die Sitzung am vorhergehenden Abend. Es ging aus seiner ungeheuren weitläufigen und fröhlichen Darstellung hervor, daß sich Mirjam als Medium fast aller Grade entpuppt hatte, sie hatte einen Tisch in der Luft tanzen und schweben lassen, hatte Geisterschrift hervorgezaubert und in halb bewußtlosem Zustand in verschiedenen Zungen geredet. Das alles hatte Herr Mc Carthy indessen schon früher gesehen, aber Fräulein Karekin hatte schon bei der ersten Sitzung hervorragende Fähigkeiten in bezug auf ›Materialisation‹ gezeigt.

Hier entfaltete Mc Carthy einen Bogen Papier, den er während der ganzen Zeit in der Hand gehalten hatte, und verlas ein von den sämtlichen Mitgliedern des Kreises unterschriebenes Attest, das darauf hinausging, daß man – es folgten Datum und Ortangabe – eine wolkenartige, scheinbar beseelte Formation sich hatte bilden und wieder in der Luft verschwinden sehen vor einem Vorhang, hinter dem sich Fräulein Karekin in lethargischem Schlaf befand.

Herr Mc Carthy ließ das Papier sinken und sah Edmund Hall an, schweigend, als sei es jetzt an der Zeit, daß dieser etwas sagte. Er wartete jedoch nicht auf eine Antwort, sondern erklärte weiter, wie man die Seance mit einem von Herrn Evanston gemachten Vorschlag beschlossen habe, der darauf hinausging, den vornehmsten Vertreter der Wissenschaft, Edmund Hall, sofort von der Sache zu benachrichtigen. Aber leider … und nun kam noch einmal die ganze Geschichte mit dem Telephonieren und so weiter. Aber es hinge nur von Edmund Hall ab, zu bestimmen, ob er der Sitzung beiwohnen wolle, und wann ihm das passe. Wenn sich jemals eine Gelegenheit geboten habe, die Wissenschaft zu überzeugen, die sich dem Spiritismus gegenüber so skeptisch verhielt, so läge sie jetzt vor.

Mc Carthy erhob den Kopf und ging mit kräftiger Stimme zu einem improvisierten Gebet über. Als er Amen gesagt hatte, schwieg er wirklich.

»Gestatten Sie, daß ich einige Fragen an Fräulein Karekin richte?« sagte Hall. »Sie spricht nur deutsch, deswegen muß ich Sie um Verzeihung bitten, falls –«

»Oh, wir verstehen deutsch!« rief Frau Mc Carthy mit feuchtem Blick in permanenter Glückseligkeit. Und sie richtete einen deutschen Satz an Mirjam, die ihn verstand und Lebenszeichen von sich gab.

»Fräulein Karekin, wußten Sie, daß Sie die Fähigkeit besaßen, die gestern abend bei Ihnen entdeckt wurde?« fragte Hall.

Mirjam hauchte ein Nein und richtete sich mit einer etwas unglücklichen Miene auf.

»Haben Sie niemals etwas gesehen oder gehört, was andre Leute nicht sahen oder hörten?«

Mirjam sah unschlüssig vor sich hin, schließlich schüttelte sie den Kopf. Sie dachte nach, schüttelte aber wieder den Kopf, als Hall sie fragte, ob es in ihrem Heim nicht ›gespukt‹ habe. Sie wußte auch nichts davon, daß sie als Kind eine Krankheit gehabt hätte. Hall richtete eine Reihe anderer Fragen an sie, was sie in der Schule gelernt, welche Menschen sie gekannt habe, aus welcher Gegend von Armenien sie sei und so weiter, und auf das alles antwortete Mirjam frisch, mehr und mehr befreit.

Dann fragte Hall vorsichtig:

»Hatten Sie Geschwister, Fräulein Karekin? Wollen Sie uns etwas von Ihrer Familie erzählen?«

Er bereute es, denn die Wirkung seiner Frage war, daß Mirjam leichenblaß wurde. Sie saß ganz starr da, und die weitgeöffneten Augen stammten vor Entsetzen. Auch der Mund öffnete sich, ein grauer Schatten breitete sich von der Stirn über das Gesicht, als stürbe sie. Plötzlich bog sie sich zusammen und verbarg den Kopf in ihrem Schoß, die Arme drüber legend, und sie vernahmen einen tiefen, sonderbar stummen Laut in ihrem Halse, während sie zu Boden glitt.

Sie saßen alle vier einen Augenblick wie gelähmt da. Dann eilt Frau Mc Carthy mit lauten, ängstlichen Rufen herbei und beugt sich über Mirjam, die in einem Knäuel an der Erde liegt, aber sie weiß sich auch nicht zu helfen, und Herr Mc Carthy fliegt in eine Ecke des Zimmers und wieder zurück und nach der Tür und wieder ins Zimmer, seine Hände schlackern. Edmund sitzt da und betrachtet die Gestalt am Fußboden, die sich in schwachen Zuckungen regt …

»Weg da!« sagt Evanston barsch zu Frau Mc Carthy, und er nimmt Mirjam auf die Arme, hält sie in der Höhe seiner Brust, während er sich nach einem Ort umsieht, wohin er sie tragen kann. Mirjams Augen standen weit offen, Hall sah ihren Blick, der nicht dem eines Menschen glich.

»Hierher,« sagte Frau Mc Carthy weinend und lief voraus, hinaus an die Treppe. Evanston trug Mirjam nach oben in die Schlafzimmer, und während Frau Mc Carthy bei ihr blieb, kam er wieder herunter und setzte sich mit kühler Miene auf seinen Stuhl.

»Ich dachte nicht, daß die Erwähnung von Fräulein Karekins Eltern so stark auf sie wirkte,« sagte Edmund Hall nach einer Weile. »Wie erhielten Sie Kenntnis von dem Unglück, Herr Evanston, und wissen Sie, welchem direkten Eindruck Fräulein Karekin ausgesetzt gewesen ist? Es muß sie sehr erschüttert haben.«

Evanston schüttelte den Kopf.

»Ich weiß nichts weiter, als was mir von einer andern Armenierin im Zwischendeck mitgeteilt wurde, die neben Fräulein Karekin schlief und sie im Schlafe jammern hörte. Sie bewog sie, ihr ihre Geschichte zu erzählen. Über die Einzelheiten weiß ich keinen Bescheid, alles, was ich in Erfahrung brachte, war, daß Fräulein Karekins Eltern und Geschwister ermordet oder verbrannt wurden, und daß sie allein entkam. Es ist dies ein einzelner Fall der unmenschlichen Mördereien in Armenien, die schon längst die ganze christliche Welt zu einstimmigem Protest hätten anstacheln sollen …

Evanston war jetzt auf ein Thema gekommen, das ihn beredt machte. Edmund Hall aber saß da und ertappte sich darauf, wie ihn ein zunehmender Widerwille gegen diesen Mann erfaßte, obwohl es ihm sonst nicht einfiel, ihn in irgend eine Beziehung zu sich selbst zu stellen. Mit welchem Recht und aus welchem Grunde saß dieser wohlbeleibte Missionar jetzt da mit einem häßlichen Blick und ereiferte sich über ein Unrecht, das andre, ihm unbekannte Leute erlitten hatten? Daß er kein Gentleman war, was sagte das?

Evanston wurde indessen von Mc Carthy zum Schweigen gebracht, der in Allan Kardec und Davis an Bord ging und in den Wolken verschwand. Edmund Hall schnitt die Spitze einer Zigarre ab und zündete sie an. Mc Carthy warf immer mehr Ballast aus. Während er schwebte, kam Frau Mc Carthy aus dem Schlafzimmer herabgeschlichen und setzte sich mit einem vorsichtigen Blick zu ihrem Mann hinüber auf einen Stuhl. Edmund Hall zog fragend die Brauen in die Höhe, und als eine Pause entstand beugte sie sich vor und flüsterte:

»Sie hat geweint, jetzt schläft sie.«

Hall erhob sich und stand da, den Blick unverwandt auf Mc Carthy gerichtet, bis dieser sicher auf der Erde landete.

»Sie wollen doch nicht schon gehen, Herr Hall?« rief Mc Carthy aus, sich gleichsam an einem Baum haltend, bereit wieder in die Luft zu steigen.

»Wann haben Sie gedacht, den Kreis zu dem Vortrag zu versammeln?« fragte Hall mit einer brutalen Höflichkeit, die vielleicht niemand als ihm selber fühlbar war. Mc Carthy wenigstens merkte nichts, er machte eine liebenswürdige, entgegenkommende Verbeugung, war lauter Zuvorkommenheit. Ja, darüber mußte man reden …

An der Haustür wurde geschellt. Mc Carthy eilte mit einer Entschuldigung hinaus, um zu öffnen. Hall setzte seine blaue Brille auf und suchte nach seinem Stock. Aber er konnte nicht sofort gehen, denn der Mann, mit dem Mc Carthy draußen auf dem Gang erst fremd sprach und den er dann zuvorkommend in das Zimmer einlud, war Thomas A. Mason.


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