Wilhelm Jensen
Hunnenblut
Wilhelm Jensen

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Wie's so geschehen, zogen sie mit Fackeln von der Burg aus, nach ihm zu suchen. Umsonst; doch als das Morgenlicht angebrochen, fand Putulung ihn auf. Nach Osten unter dem Fledermausberg stieg ein Waldkegel empor, von einem Fels gekrönt, dem die Umwohner drunten am See den Namen »Hohenstein« gegeben; an seinem Fuß hatte ein Ausroder sich angesiedelt und ein ärmliches Gehöft erbaut, das »Egerndach« benannt ward. Der glaubte, in der Frühe des vergangenen Tages droben einen Aufschrei gehört zu haben, und gesellte sich dem Suchenden bei. Sie drangen bis zum Gipfel unter dem Felsen, da stießen sie auf einen verendeten Hirsch mit zwölfzackigem Geweih, und unfern von ihm lag Markwart am Boden ausgestreckt, als ob er schlafe. Doch er schlief nicht, er war tot. Der Bolzen einer Armbrust hatte ihm den Oberkörper durchbohrt, drang mit der Eisenspitze am Rücken hervor. Und wie Putulung ihm das Wams öffnete, klaffte vorn noch eine andere, breite Wunde, die Brust des Toten war aufgeschnitten und in ihr fehlte das Herz.

Als sie ihn zu Adelhard nach Markwartstein getragen, stieß ihr Mund nur einen einzigen Aufschrei aus: »Du hast ihn nicht behütet!« Dann fiel sie selbst wie leblos über der Leiche zusammen. Blutlos weiß aber gleich dieser ward das Gesicht Putulungs, als starre unter seinem schwarzen Haar auch der Tod hervor.

In der ersten verworrenen Bestürzung glaubte man, Ausgesandte des Pfalzgrafen hätten den Mord vollführt; nur einer dachte anderes, wußte, was keiner gesehen. Dann wurde Unglaubhaftes ruchbar, die Zwillinge vom Stein hätten sich der Bluttat gerühmt. Markwart sei der Geliebte ihrer Mutter gewesen und sie habe ihnen geboten, ihn zu töten, ihm das Herz auszuschneiden und ihr in die Höhle zu bringen.

Was Frau Adelhard davon vernommen, berichtet die Überlieferung nicht, nur daß sie sich binnen kurzem mit ihrem Vater versöhnt, die Burg Baumburg käuflich erworben und dieselbe in ein Nonnenkloster umgewandelt, in das sie sich aus der Welt hineingeflüchtet, um ihr Leben darin zu enden. Dort ist sie auch begraben worden, und die Kirche birgt noch den Gruftstein mit ihrem Bildnis.

Dem neu erstehenden Kloster nach Südosten gegenüber aber verwandelte sich noch anderes. Eines Tages fand man Cadaloh und Zwentebold de Lapide unter der Felswand ihrer Burg zerschmettert drunten in der Traun; sie lagen fast Leib auf Leib, als seien sie nebeneinander vom Rande des Steins abgestürzt. Doch zeigten sich beide in gleicher Weise schon vorher zu Tode verwundet; die Eisenluke des Zugangloches stand offen, daraus mußten sie, vermutlich in Abständen nacheinander hervorgekommen, jählings von einem im Rückhalt harrenden Speer durchbohrt und danach in die Tiefe geschleudert worden sein. Dann war der Täter offenbar durch die Felsöffnung in den Stollen zur Hauptkammer der Höhlenbehausung niedergedrungen, und vieles wies, daß in ihr ein furchtbarer Ringkampf stattgefunden. Augenscheinlich hatte Willibirg sich mit dem Aufgebot aller Stärke gegen einen plötzlichen Überfall zur Wehr gesetzt, doch ihr Angreifer war von noch wilderer Kraft und Wut gewesen als sie. Zu Stücken zerfetzt, herabgerissen im Ringen, lag ihr Gewand umher und sie selbst in prachtvoller Nacktheit auf dem Fellager der Felsennische hingestreckt, von Händen, die sich übergewaltig um ihre Kehle zusammengekrallt, erwürgt.

Damit losch das Geschlecht aus, das im Stein über der Traun gehaust, und manches Jahr blieben seine Höhlen verödet, bis sie neue Bewohner erhielten, die sich »vom Stein« benannten. Auch die starben mit dem Ausgang des zwölften Jahrhunderts hin, und ein Zweig des alten Chiemgaugeschlechts der »Törringe« geriet in den Besitz der Burg: doch sie verlor den Schrecken ihres Namens dadurch nicht, sondern erhöhte ihn eher noch mehr. Denn die blutigste und grauenvollste Überlieferung von ihr heftete sich aus dem dreizehnten Jahrhundert an den Namen des Raubritters Heinrich de Törring, den der Volksmund »Heinz vom Stein« benannte.

Am Abend des Tages aber, der »die Petzin mit ihren Jungen« nicht mehr atmend liegend sah, zog für einen Blick droben vom Gipfel des Fledermausberges – den »Hochgern« hieß man ihn später, vermutlich den »Gehren«, den Keilförmigen – ein winziger Punkt über den Chiemsee. Der Einbaum war's, den Markwart von Markwartstein sich an der Ausmündung der Ach im Weidendickicht verborgen gehalten, darin saß Putulung und ruderte über das schweigende, dämmernde Wasser. Er schien das Fahrzeug gegen Herrenwörth hin zu richten, doch in der Mitte des Sees hielt er, das Ruder einziehend, inne. Seine Hand griff an den Boden und hob etwas Schweres mit Mühe herauf, und sein Arm zog danach Kreise um seinen Hals. Dann klatschte plötzlich das Wasser neben dem Boot unter schwerem Sturz und der Einbaum war leer. Die Wellen dehnten sich in Kreisen von der Stelle aus, an der Putulung verschwunden. Wie ein Fischotter hatte er oftmals in der Alz am Grunde geschwommen, und sein schwarzer Kopf mußte wieder aus der Tiefe emportauchen. Aber er kam nicht mehr herauf, denn wie ein Hund, den man ersäuft, weil er unwachsam und untreu gewesen, trug er an festem Strick ein großes Felsstück um den Hals geknotet, das ihn nicht wieder in die Höhe steigen ließ.

Von leisem Abendwind bewegt, trieb der herrenlose Einbaum dahin. Das Kloster von Nonnenwörth spiegelte sein graues Gemäuer im See, und davor schwamm die Künzelsau, von gleichem rotem Licht des Sonnenunterganges beglänzt, in dem hilflos einst Osila über die kleine Erdscholle vor ihrem wilden, schwarzmähnigen Verfolger hingeirrt war. Friedlich glättete die kurz bewegte, glimmernde Wasserstelle sich aus, und in ewiger, gleichmütiger Ruhe sahen die rotglühenden Felskronen der hohen Berge auf den Chiemsee herab.

Im Weltkrieg auf K.-Papier gedruckt.


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