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Wenn der Inn, und ungefähr zehn Meilen östlich von ihm sein größter Zufluß, die Salzach, aus den letzten Alpenbergen hervorbrechen, wendet die letztere sich nordwärts, der erstere sich in einem Halbbogen nach Nordosten. So münden sie zusammen und halten ein, im ganzen angesehen, keilförmiges Gebiet, ein Dreieck umschlossen, dessen südliche Basis der Alpenrand zwischen den Städten Rosenheim und Salzburg bildet. Dies Dreieck ist der alte Chiemgau mit dem größten innerhalb Deutschlands belegenen See, dem Chiemsee. Der Abfluß desselben, die vielgekrümmte, fast immer klar-durchsichtige grüne Alz teilt den Chiemgau in zwei ziemlich gleiche Hälften. Sie nimmt ein paar Stunden unterhalb ihres Austritts aus dem See die von Südosten aus dem Gebirge kommende Traun auf und führt die verbündeten Wasser gen Norden in den Inn.
Hier ist alles Land Menschensitzstätte aus grauer, vorgeschichtlicher Zeit. Kelten bewohnten zuerst die an Hügeln und Niederungen, Wäldern und Wiesen reiche Gegend. Sie errichteten ihrem obersten Gotte Bid oder Bel, der vermutlich in einem Abstammungsverhältnis zu dem Bal-Marodach, dem Sonnengott der semitischen Babylonier, gestanden und die höchsten Naturkräfte, besonders die der Sonne, des Windes und des Wassers in sich vereinigt zu haben scheint, Heiligtümer; es regt den Eindruck, daß die Landschaft um den See den Rang einer vorwiegend geheiligten bei ihnen eingenommen. Mannigfache, aus der Erde gegrabene Überreste haben Kunde davon gegeben; wahrscheinlich entstammt auch der sprachfremde, nicht enträtselbare Name des Klosters Seon einem keltischen Worte seun, das ähnliche Bedeutung wie das allach der Alamannen, der »Männer eines Heiligtums«, besessen.
Im Anfange unserer Zeitrechnung drangen die Römer hierher über die Alpen vor, unterwarfen die keltische Bevölkerung, mit der sie sich vermischten, legten große Heerstraßen, Lager, Warttürme, Städte und Dörfer an, von denen sich in Unterbauten, wenn auch zumeist schwer erkennbar, noch vielfältiges erhalten. So ward das Gebiet zwischen Inn und Salzach ein Stück der großen, ostwärts sich bis Vindobona, dem heutigen Wien erstreckenden, im Norden von der Donau begrenzten Provinz Noricum. Manche noch jetzt in ihrer ehemaligen Richtung nachweisbare Heerwege, Trümmer von Wasserleitungen, Bädern, Bauten aller Art, Altäre und Grabdenkmäler reden von jener Zeit. Das Leben in derselben, Handel und Verkehr, waren nicht minder regsam als gegenwärtig, eher dichter gedrängt und geräuschvoller; prächtig blitzten die behelmten Legionen in der Sonne über die Hochebene dahin, hallend und klirrend bezogen die Kohorten ihre Castra an der Donau. Statt der rohen Verkörperung des Bid erhoben sich zwischen griechischen Tempelsäulen kunstvolle Bildnisse des Jupiter und Apollo, der Venus und Diana; als später die christliche Lehre zur römischen Staatslegion wurde, begann sie auch hier ihre Herrschaft. Fast ein halbes Jahrtausend lang verblieb Noricum so, unter straffem Soldatenregiment, in einem Zustand gesetzlicher Ordnung und verhältnismäßiger Gesittung.
Doch das morschgewordene Römerreich zerbröckelte allerenden und brach zusammen. Die Wacht an der Donau vermochte dem Andrang der von Norden herabdrückenden germanischen Völkerstämme nicht länger Widerstand zu leisten. Sie überkreuzten den Fluß, und das Land zwischen Inn und Salzach nahmen, wie neuere Forschungen behaupten, die Markomannen, nach glaubwürdigerer älterer Annahme jedoch die Bojer, ein keltischer Stamm, der bis dahin nördlich von der Donau seßhaft verblieben, in Besitz, nächste Anverwandte der ersten, ursprünglichen Bewohner, so daß die alte Keltenherrschaft sich im Lande erneute. Doch das Jahrhunderte andauernde, unermeßliche Wirrsal der Völkerwanderung trieb überall auch germanische Stammesangehörige, Sueven und Franken, mit hindurch, die sich noch heute in den Ortsnamen, besonders den auf ing und heim (ham) endenden kennzeichnen. Eine Vermischung entstand aus übriggebliebenem romanischem, keltischem und germanischem Blut; die verschiedene Haar- und Augenfarbe der Chiemgauer unserer Tage weist in jene Zeiten zurück. Das siebente Jahrhundert brachte Raubeinfälle der Slawen, das achte solche der Avaren hinzu, und beide hinterließen gleichfalls da und dort ihre Spuren in den nachfolgenden Geschlechtern.
Jetzt aber wirkte das Christentum als zusammenfassende, ordnende Kraft. Es hatte seit den beiden letzten Jahrhunderten der Provinz Noricum in diesem fortbestanden und sich vielfach die hereingebrochenen neuen weltlichen Machthaber dienstbar gemacht; das nach der Schlacht bei Tulicum im Westen aufwachsende mächtige Frankenreich verhalf ihm zum völligen Siege. Auf den Resten des altrömischen Juvavum an der Salzach ward der erste Dom des heiligen Petrus erbaut und das Bistum Salzburg begründet, dessen geistlicher Oberhoheit auch das Land bis zum Inn anheimfiel.