Jean Paul
Vorschule der Ästhetik
Jean Paul

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§ 84

Campens Sprachreinigkeit

Da ich selber oft dagegen gesündigt und also ebensogut hierüber beichte als predige: so kann ich beides desto getroster tun. Gegen Campens Lichten und Ansäen unserer Sprache spricht folgendes.

An und für sich ist uns der Geburtort jeder Sprache, dieses zweiten Seelenorgans, gleichgültig, sobald wir sie verstehen. Am Ende haben doch alle diese Ströme eine morgenländische Quelle hinter sich – so wie vielleicht ein Meer vor sich, da die höhere Kultur ja nach Jahr-Billionen alle Sprachen in eine schmelzen könnte –; und warum soll uns an einheimischen Klängen mehr liegen als an höherer Bildung durch ausländische? Wir gaben die alten deutschen auf o und a schon weg und ließen so viele e's herein; warum wollen wir uns nicht die Wiederkehr ähnlicher gefallen lassen? – Soll Volk-Bildung sich an der Verständlichkeit einer rein-deutschen Sprache erheben, wie Campe will: so wird dieses Glück durch unverständliche Übersetzungen verstandener Ausländer – z. B. Apostel, Prinz, Apotheke, Appetit, Kalender, Balbier – gerade verschoben; ferner durch Übersetzungen unverstandener noch wenig erreicht – denn das Wort ist ja nicht anfangs (obwohl später) der Vater, sondern der Pate des Begriffs –; und endlich ist es bei Wissenschaften ganz entbehrlich, welche nicht ihre Sprache, sondern ihr Stoff dem tiefern Volke versperret, z. B. höhere Meß-Kunst, Philosophie etc.

Die neu-deutschen Wörter haben zwei große Fehler, erstlich daß sich selten Zeit-, Bei- und Zu-Wörter aus ihnen oder umgekehrt machen lassen – z. B. den Enden als Polen fehlt polar und polarisieren; dem Bewegmittel als Motiv fehlt motivieren; dem Reib-Feuer als Elektrizität fehlt elektrisch und elektrisieren –, Bürjas Wasserstandlehre als Hydrostatik fehlt hydrostatisch –; der zweite Fehler ist, daß das neue Wort nur den Gattung-Sinn, selten den abgeschnittenen individuellen lebendigen des alten zuträgt und daß es folglich dem Witze, dem Feuer und der Kürze den halben Wort-Schatz ausplündert. Z. B. etwas »Altertümliches« für »Antike« ist das Geschlecht statt der Unterart, ja statt des heiligen Individuums; und womit soll uns diese kostbare Anschauung erstattet werden? Schwach statt piano und vollends für pianissimo erinnert nicht mehr an Musik allein, sondern an alles. Konnt' ich vorher sagen: »Unglaube ist der Gallizismus der Zeit«, so kann ich es nicht mehr, wenn man Gallizismus durch »französische Spracheigenheit« verdeutscht; und so geht es mit allen scharfen, farbigen Kunstwörtern, welche der Witz zu seiner Mosaik einsetzt. Nur einige neue möchten vielleicht dem Witze noch lieber sein als die alten; z. B. Pferch statt Park. »Wir beide« – könnte der Witz erzählen – »erhoben uns in der Sternennacht; Täler an Tälern; Blüten um Blüten hingen; endlich um den seligen Zauber zu vollenden, empfängt uns mitten in der schimmernden Wildnis der Natur ein köstlicher Pferch.«

Ein ausländisches Wort einer Wissenschaft ist nur mit dieser selber in ein einheimisches zu übertragen; hat einmal z. B. ein Philosoph irgendeine neue durchgerechnete Gedankenkette mit einem ausländischen Namen, z. B. Indifferenz, Klinamen der Atome etc. etc., bezeichnet, so muß dieser dem Gebrauche verbleiben, wenn man nicht einen dafür setzten inländischen wieder mit der ganzen Rechnung begleiten will. – Unverständlich auf Kosten der Bildung ist anfangs jedes Kunstwort, sei es auch inländisch, und unter einem Baumschlage wird sich ein Forstmeister etwas viel Schlimmeres denken als ein Maler, denn jener fällt, dieser stellt. – Sogar einen Gebildeten beladen Übersetzungen grammatischer Wörter mit neuer Gedächtnis-Last, und er und der Ungebildete werden z. B. durch Zeitwort anstatt Verbum um nichts klüger, da eigentlich Adverbia wie gestern, heute, jährlich etc. wahre Zeitwörter sind. Daher sollte man die lateinischen Kunstwörter des Donatus beibehalten, weil sie noch bei den meisten europäischen gebildeten Völkern fortbleiben, ferner weil eine Sprachlehre eine neue Sprache (und wär' es die eigne) und zwar Schritt nach Schritt und Rückschritt so langsam lehrt, daß sich das grammatische Kunstwort schon ins Gehirn einpreßt, und endlich weil die deutschen Sprachlehrer, Adelung, Heynatz, Campe, Klopstock, Wolke, Radlof etc., gleichsam eine Contra-Septuaginta bilden, wovon jeder das fremde Kunstwort anders übersetzt. – Wenn wir unsere Sprache aus allen Sprachen brauen: so bedenke man, daß es darum ist, weil wir eben aus allen lernen und wir ein Allerweltvolk sind, ein kosmopolitisches. Nur für Sachen, welche wir schon wußten und also schon benannten, ist jede zweite Taufe und vollends eine ausländische verwerflich und um desto sündlicher, wenn gar der Refugié einen Wort-Inländer zum Flüchtling macht. Die Römer, auch ein Allerweltvolk – aber ein positives –, auch voll Kosmopolitismus, aber negativen –, nahmen von allen Völkern leicht Sachen, Künste, Waffen, Götter etc. an, doch aber selten Wörter ohne große Umbildung, ausgenommen nur eben, als sie, wie wir, sich Wissenschaften (Gesetze nur früher) holten, nämlich von den Griechen. Überhaupt wird unsere Gastfreundlichkeit für ausländische Wörter sehr entschuldigt und erklärt durch die ebenso große, welche wir auch für älteste und neueste deutsche zeigen. Mithin wird die Ausländerei, die unsern Kronmantel mit einigen Flitterpünktchen stickt, doch die inländische Webe aus ältestem und neuestem Reichtum nicht erdrücken und bedecken.

Sogar das Volk verliert im ganzen durch den ausländischen Kunstlaut nicht immer. Denn das Auslandwort bezeichnet entweder einen sinnlichen Gegenstand – z. B. Toilette –, so übersetzt der hölzerne Putztisch, mit seinen Putzmacherinnen und Putzjungfern, sich jedem Auge von selber; und ohne diese übersetzende Anschaulichkeit gäbe ein inländisches Neu-Wort (wie z. B. Nachttisch statt Morgentisch etc.) sogar irrige Nebenbestimmungen mit; oder das fremde Wort bezeichnet eine innere wissenschaftliche Anschauung; dann erhält der abgeschnittene Klang dasselbe abgesondert und vorgehoben für den bestimmten Sinn empor, der sich allmählich an denselben anlegt. Denn allmählich bildet der Laut in den verschiedenen grammatischen Lagen, durch welche er geht, sich seine Bedeutung zu, wie man an Weltfrauen sieht, welche so viele griechische Wörter verstehen, ohne je einen Gast oder Liebhaber um die Erklärung befragt zu haben; und lernen nicht ebenso die Kinder überhaupt die Sprache? – Sie lernen durch Analogie der Wörter, also aber doch die Wörter früher als die Analogie, welche erst eine bilden. Wenn dem Kinde endlich philosophische bildlose Wörter wie doch, aber, freilich sich zum Sinn aufklären, warum nicht noch leichter dem erwachsenen Volke ausländische, deren Sinn irgendein Gegenstand oder eine bekannte Reihe ausspricht?Der Rezensent von Fichtens Reden an die deutsche Nation (in den Heidelberger Jahrbüchern) stimmt ganz mit dem Obigen ein und führt es bloß noch länger aus. Oder wie lernt denn der Londner Pöbel ein neues lateinisches Wort verstehen, welches durch nichts Inländisches als eine Schwanzsilbe anglisiert wird, desgleichen der Pariser Pöbel? Treffen denn alle neue Ausländer einen britischen oder französischen Verwandten an, der sie verdolmetscht, z. B. die griechischen während der Revolution? Was die inländischen Schlepp-Silben anbetrifft, an welche Campe das französische und britische Vorrecht, lateinische Wörter einzubürgern, anknüpft, so ist ihm ja unsere Sitte bekannt, gleichfalls solche Schleppen an- oder auch abzustecken. Wollen indes einmal die Sprachreiniger uns helfen: so wäre wohl zu wünschen, sie täten es ganz und fragten nach nichts, und kostete es uns auch, wie zuweilen in siberischer Kälte, Kopf (caput), Augen (oculos), Nasen und Ohren (nasos et aures) und Lippen (labia); lauter geschenkte Glieder von Römern. Ebenso haben die Reiniger auszureuten Lilien, Rosen, Kirschen (cerasus), Kohl (caulis) und überhaupt alles Unkraut von Früchten, welches uns die Römer schon betitelt zuschickten; damit wir bloß die ursprünglichen scharfen Hausgewächse Deutschlands mit ihren gewachsenen Namen behalten, Rettige und Holzäpfel. – Die Religion hat vielleicht am traurigsten unsere Sprache mit ausländischen Namen verfälscht, zu welchen ihr eigener gehört, den wir jetzo gerade am ersten missen können; und es würde in der Tat für Reiniger, wenn nicht ein nachher bemerkter höchst glücklicher Umstand einträte, eine unglaubliche Arbeit werden, uns zu reinigen von Bibeln (biblia) – Tempeln – Kommunikanten – Kirchen und Kirchenpfeilern (gar aus zwei Sprachen, κυριακης-pilae) – Pastoren, Pfaffen, Priestern, Pfarrern (aus paroecia), Predigern (praedicator) – Engeln – Aposteln – Festen (festum), feiern (feriari) – Ostern und Pfingsten (wovon erst den dritten Feiertag einige Staaten weggetan) – Altären – Kelchen (calix) – Pilgrimmen (peregrinus) – Orgeln (organum) – Türmen – opfern (offerre) – segnen (signare). Ich sagte, diese Tempelreinigung der Sprache würde unglaublich mühselig ausfallen, wenn nicht die Zeit zum Glücke den Spracheiferern durch das Absterben der Sachen so vorgearbeitet hätte, daß sie nur gelassen abzuwarten brauchen, bis den Sachen gar die Worte nachfahren. Jede Zunge ist dann rein und Reinsprecherin. Daher verlohnt es sich kaum, daß man solche mit den Sachen von selber absegelnde Aus-Wörter erst mühsam in In-Wörter zurück verdeutschte, wie doch ReßBeiträge zur weitern Ausbildung der deutschen Sprache von einer Gesellschaft von Sprachfreunden 1796. 2. B. 5. St. S. 41 – dieses leider schon von zwei Bänden geschloßne oder unterbrochne Werk wäre gerade jetzo als ein Leuchtturm fortgebauet zu wünschen, damit er der Babel-Turmbaute der Sprache jetzo in der Zeit der Wörter- und Völker-Wanderungen einige Grenzen setzte. – Allerdings läßt Campe selber die meisten obigen, schon tief in die Zeit eingewurzelten Fremd-Wörter unversehrt; nur sündigt er dann gegen den aufgestellten Grundsatz der Reinigung, daß die Sprache bloß aus sich allein treiben solle; oder er nimmt Rose (rosa) auf und verwirrt doch den Reim Prose (prosa) gegen eine langweilige Deutsch-Umschreibung. Campens Nachreiniger hingegen suchen in dem eben angezeigten und von ihm herausgegebenen Werke wirklich die meisten oben angeführten Wörter durch neu-deutsche fortzujagen. , gleich andern, getan, welcher Feiertage in Ruhe- oder Halttage verdeutschte, als ob diese öfter vorkommen könnten als in den ohnehin lateinischen Edikten, die sie abschaffen. Warum läßt man denn das so undeutsche Wort Wollen (von velle oder voluntas), das wir von den so viel-wollenden und viel-wagenden Römern abgeborgt, bestehen? Warum duldet man das uns fremde Wort Anmut, welches nach Adelung die Franken in Gallien unter dem Titel Amoenitas abholten? – So wird auch das abscheuliche Sprach-Legieren der Münzen, nämlich z. B. Friedrichs d'or, Georgs d'or, Adolphs d'or (und doch wieder Max d'or anstatt Maxens d'or), nachlassen, sobald das Gold weg ist und dafür das goldne Zeitalter der Sprache eintritt. Auch sieht man nicht, warum Reß (l. c. S. 41) Festtage, obwohl von festum herkommend, erst in Freuden- oder Gedächtnistage übersetzt, da er selber von Festtag Fasttag ableitet, und wir mit der letzten schon eingebürgerten Übersetzung oder Ableitung vollkommen ausreichen.

Übrigens zurück! Es habe sogar der Wortreiniger alle diese ausländischen Lotterien und ausländischen Universitäten und Häfen der Sprache verboten und versperrt: so kann man ihm dennoch eine Kommission und Komitee ansinnen, welche untersucht, was wir vollends von der griechischen Sprache – und dann von der persischen noch haben und fortsprechen, und welche in der geschichtlichen Ungewißheit, ob wir früher dergleichen verborgt oder abgeborgt, alles ausstößt und nur Wörter behält, deren Ursprung und Ahnentafel nicht nachzuweisen ist. Und warum wird denn nicht überhaupt die ganze deutsche Sprache, da sie doch (wie jede) nur eine verrenkte hebräische ist (z. B. keusch, castus haben wir nach M. Kadisch bloß vom hebräischen קדש und Sack, was noch weniger zu dulden, gar aus allen Sprachen auf einmal, nicht bloß aus der hebräischen), nicht echt deutsch gemacht und sozusagen aus sich übersetzt in sich?


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