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Um die strenge Form und die Gleichförmigkeit des Ganzen auch in der Vorrede zu behaupten, will ich sie in Paragraphen schreiben.
Wer keine Achtung für das Publikum zu haben vorgibt oder wagt, muß unter demselben das ganze lesende verstehen; aber wer für seines, von welchem er ja selber bald einen lesenden, bald einen schreibenden Teil ausmacht, nicht die größte durch die jedesmalige höchste Anstrengung, deren er fähig ist, beweiset, begeht Sünde gegen den heiligen Geist der Kunst und Wissenschaft, vielleicht aus Trägheit oder Selbstgefälligkeit oder aus sündiger fruchtloser Rache an siegreichen Tadlern. Dem eignen Publikum trotzen, heißt dann einem schlechtern schmeicheln; und der Autor tritt von seiner Geistes-Brüdergemeine über zu einer Stiefbrüdergemeine. Und hat er nicht auch in der Nachwelt ein Publikum zu achten, dessen Beleidigung durch keinen Groll über ein gegenwärtiges zu rechtfertigen ist?
Dieses soll mich entschuldigen, daß ich in dieser neuen Ausgabe nach vier bis fünf Kunstrichtern sehr viel gefragt (§ 1) und auf ihre Einwürfe entweder durch Zusetzen oder Weglassen zu antworten gesucht; und der Jenaer, der Leipziger Rezensent, Bouterwek und Köppen werden die Antwortstellen schon finden.
Besonders waren in diesem ersten Teil dem Artikel vom Romantischen berichtigende Zusätze unentbehrlich (§ 2), so wie dem vom Lächerlichen erläuternde. Auch gepriesene Programme erhielten eben darum (§ 1) überall Zusätze.
Im Programme über das Romantische (§ 2. 3) nahm ich besondere Rücksicht, widerlegende und aufnehmende, auf Bouterweks treffliche Geschichte der Künste und Wissenschaften etc. etc., ein Werk, das durch eine so vielseitige Gelehrsamkeit und durch einen so vielseitigen Geschmack – so wie desselben Apodiktik durch philosophischen Geist und schöne Darstellgabe – noch immer auf ein größeres Lob Anspruch machen darf, als es schon erhalten. Wenn man einer Vielseitigkeit des Geschmacks in diesen absprechenden insularischen Zeiten, worin jeder als ein vulkanisches Eiland leuchten will, gedenkt: so werden Erinnerungen an jene schönere erfreulich und labend, wo man noch wie festes grünes Land zusammenhing, wo ein Lessing Augen, wie später Herder, Goethe, WielandEine Sammlung von Wielands Rezensionen im teutschen Merkur schlüge dem Künstler besser zu als eine neueste Ästhetik; oder überhaupt eine ehrliche Auslese von den besten ästhetischen Rezensionen aus den Literaturzeitungen und andern Jahrbüchern. In jeder guten Rezension verbirgt oder entdeckt sich eine gute Ästhetik und noch dazu eine angewandte und freie und kürzeste und durch die Beispiele – helleste. Augen und Ohren für Schönheiten jeder Art offen hatten. Ästhetische Eklektiker sind in dem Grade gut, in welchem philosophische schlecht.
Gleichwohl will niemand weniger als ich das neue ästhetische Simplifikations-System verkennen (§ 4) oder kalt ansehen, welches, so wie das Voglersche in der gemeinen Orgel, noch mehr in der poetischen die Pfeifen (nämlich die Dichter) verringert und ausmerzt; und Gleichgültigkeit dagegen wäre um so ungerechter, je höher das Simplifizieren getrieben wird, wie z. B. von Adam Müller, welcher seine Bewunderung großer Dichter (von Novalis und Shakespeare an) schwerlich über einen Postzug von vier Evangelisten hinaus dehnt, wobei ich noch dazu voraussetzen will, daß er sich selber mitzählt. Es ist kaum zu berechnen, wie viel durch Einschränkung auf wenige Heroen der Bewunderung an Leichtigkeit des Urteils über alle Welt und besonders an einer gewissen ästhetischen Unveränderlichkeit oder Verknöcherung gewonnen wird. Letzte geht daher selber – aus Mangel des ästhetischen Minus-Machens – sogar guten Köpfen wie Wieland und Goethe ab, welche mehrmals ihr Bewundern ändern und anders verteilen mußten.
In diesen Fehler fallen neuere ostrazisierende (mit Scherben richtende) Ästhetiker schwerlich; sie sind, da sie im Urteilen wie im Schreiben sogleich kulminierend anfangen, keiner Veränderlichkeit des Steigens unterworfen. Man möchte sie mit den Kapaunen vergleichen, welche sich dadurch über alle Haushähne erheben, daß sie sich niemals mausern, sondern immer die alten Federn führen. Anständiger möchte eine Vergleichung derselben mit dem päpstlichen Stuhle sein, welcher nie einen Ausspruch zurückgenommen und daher noch im römischen Staatskalender von 1782 Friedrich den Einzigen als einen bloßen Marquis aufstellte.Berlin. Monatsschrift 5. B. 1785. S. 455.
Sehr mit Unrecht beschuldigten Kunstrichter (§ 2 vergl. § 11. 12) die Vorschule: »sie sei keine Ästhetik, sondern nur eine Poetik«; denn ich zeige leicht, daß sie nicht einmal diese ist – sonst müßte viel von Balladen, Idyllen, beschreibenden Gedichten und Versbauten darin stehen –, sondern, wie schon das erste Wort des Buchs auf dem Titelblättchen sagt, eine Vorschule (Proscholium). Es wäre nur zu wünschen gewesen, jeder hätte aus seiner eigenen geringen Belesenheit besser gewußt, was eine Vorschule im Mittelalter eigentlich geheißen; daher will ich, was darüber die folgende erste Vorrede zu kurz andeutet, hier in der zweiten weitläufiger fassen. Nämlich nach Du Fresne III. 495 – und ferner nach Jos. Scal. lect. Auson. l. 1. c. 15. war – wenn ich auf den Pancirollus de artib. perd. bauen darf, aus welchem ich beide Citata citiere (Anführungen anführe) – – das Proscholium ein Platz, welchen ein Vorhang von dem eigentlichen Hörsaale abschied, und wo der Vorschulmeister (Proscholus) die Zöglinge in Anstand, Anzug und Antritt für den verhangnen Lehrer zuschnitt und vorbereitete. – Aber wollte ich denn in der Vorschule etwas anders sein als ein ästhetischer Vorschulmeister, welcher die Kunstjünger leidlich einübt und schulet für die eigentlichen Geschmacklehrer selber? – Daher glaubt' ich aber auch meiner Konduitenmeister-Pflicht genug getan zu haben, wenn ich als Proscholus die Kunst-Zöglinge durch Anregen, Schönziehen, Geradehalten und andere Kallipädie so weit brächte, daß sie alle mit Augen und Ohren fertig daständen, wenn der Vorhang in die Höhe ginge und sich ihnen nun die vielen eigentlichen verhangnen Lehrer auf einem einzigen Lehrstuhle, nämlich dem ästhetischen, beisammen lehrend zeigten, ein Ast, ein Wagner, ein (A.) Müller, ein Krug, dazu Pölitz, Eberhard, hallische Revisoren und noch dreißig andere dazu. Denn bekanntlich ist der ästhetische Lehrstuhl ein Triklinium dreier Parteien (trium operationum mentis), nämlich der kritischen, der naturphilosophischen und der eklektischen.
Aber leider gerade dieser ästhetische Dreimaster (§ 6) lud mehr als eine Rüge und Stinkblume für den armen Vorschulmeister aus. System vermißten fast alle – besonders die kantischen Formschneider – und Vollständigkeit viele. Krug fragte, wo denn die von ihm erfundenen Kalleologien, Hypseologien, Syngeneiologien, Krimatologien, Kalleotechniken und andere griechische Wörter wären, ordentlicher Ordnung nicht einmal zu gedenken. Andere vermißten noch tiefsinnigere Wörter, poetische Indifferenzen des Absoluten und Menschlichen – objektive Erscheinungen des Göttlichen im Irdischen – Durchdringungen des Raums und der Zeit in den unendlichen Ideen des Unendlichen als Religion – schwächerer Wörter wie negative und positive Polaritäten gar nicht zu erwähnen. – Die Eklektischen hingegen führten als Widerspiele der Absoluten und der Kritischen nicht über Mangel, sondern über Überfluß der besten tiefsinnigen Wörter Klagen. – So dreimal von Cerberus gebissen, half diesmal mir also mein alter Grundsatz sehr schlecht, lieber drei Parteien auf einmal zu schmeicheln, als gegen eine das Schwert des Tadels zu ziehen, durch welches man regelmäßig umkommt; so wie – ist den Parteien das Gleichnis nicht zu hergeholt – gerade die drei größten Tragiker, welche so vielen tragischen Tod antaten, sämtlich einen seltsamen erfuhren, Sophokles durch einen Weinbeerkern, Äschylos durch eine herunterfallende Schildkrötenschale, Euripides durch Hunde.
In der Tat durfte ein Mann wie der Proscholus wohl eines bessern Empfangs (§ 7) von dem Dreifuße der ästhetischen Dreiuneinigkeit gewärtig sein, wenn er sich lebhaft dachte, mit welchem Fleiße er seine Vorschule gerade nach den verschiedenen Anleitungen, welche ihm teils die Kritischen und die Absoluten, teils die Eklektischen zureichten, auszuarbeiten und auszubauen getrachtet, insofern er nämlich anders – was er freilich nicht selber entscheiden kann – seine Lehrer darin genugsam verstanden, daß er teilweise ihre Anleitungen als die bekannten Vexier-Muster benutzte und befolgte, welche schon längst gute Schulmänner ihren Schülern als absichtliche Verrenkungen zum übenden Graderichten vorlegten. Wie z. B. neulich Pölitz nur »Materialien zum Diktieren, nach einer dreifachen Abstufung vom Leichten zum Schweren geordnet, zur Übung in der deutschen Orthographie, Grammatik und Interpunktion; mit fehlerhaften Schemen für den Gebrauch des Zöglings, zweite verbesserte Ausgabe« herausgab: so sucht' ich in den Geschmacklehren der ästhetischen Dreiuneinigkeit mit reinem Fleiße und ohne Vorliebe alle die Behauptungen auf, welche ich etwa für solche Exerzier- und Vexier-Schemen nehmen durfte, die nur dazu geschrieben wären, damit ein angehender Ästhetiker wie ich an ihnen sich so lange versuchte und übte, bis er durch deren Umsetzen, Zurück-anagrammatisieren und Transsubstantiieren die rechte Ästhetik herausbrächte und gäbe. – Wenigstens werde man in diesen Arbeiten nach einer regula falsi, hofft der Vorschulmeister, die gute Absicht nicht verkennen, seie auch der Erfolg zuweilen so, daß der Unterschied zwischen der Vexier- und der Ernst-Ästhetik hätte größer sein können. Nur ist dergleichen nicht leicht. Erstlich die Geschmacklehren der Eklektischen sagen alles, nämlich alles, was schon dagewesen; nun gibt zwar dieses Wiederholen überhaupt den Gelehrten so viel Wert und Übergewicht von Überredung, daß sie mit diesem Wiederholen von eignen und fremden Wiederholungen dem Echo gleichen, welches man desto höher achtet, je öfter es nachgesprochen; aber wie sind diese Pölitzisch-fehlerhafte Schemen anders zu benutzen, als daß man geradezu statt des Alten etwas Neues sagt? Nur schwer ists. –
Was zweitens die Kritischen und drittens die Absoluten anlangt: so hat man anfangs ebensoviel Not, sie zu verstehen, als nachher sie vorteilhaft für den Künstler umzusetzen und zu verdichten; nämlich so sehr und so weit und breit lösen sie alles feste Bestimmte in ein unabsehliches Unbestimmte und in Luft- und Ätherkreis auf. Z. B. Obstacles schreiben sie in ihrer langen abstrakten Sprache immer so: haut beu seu tua queles. Wer würde dies erraten, wenn er nicht vorher im Korrespondenten für DeutschlandN. 93. 1812. gelesen hätte, daß wirklich ein Graf von L. R. auf seiner hohen Kriegsstufe zwar sehr grausende Arbeiten und Hindernisse glücklich besiegte, aber doch keine größern kannte, als einen Brief, ja ein Wort orthographisch zu schreiben, und daß er in der Tat unfigürlich das obige Wort obstacles
o-b s-ta-cles
so geschrieben: haut beu seu tua queles.
Kurz die gegenwärtige Vorschule oder Vor-Geschmacklehre sollte nicht sowohl den Philosophen, denen ohnehin wenig zu sagen ist (ausgenommen entweder Gesagtes oder Ihriges), als den Künstlern selber, aus welchen sie mit reinen, aber nicht Danaiden-Gefäßen geschöpft worden, schwache Dienste leisten. Unter die letzten, woraus Proscholus geschöpft, gehört er selber. – Man wendet zwar gut ein, daß die Praxis der Künstler unvermerkt die Theorie derselben leite und verleite; aber man füge auch bei, daß auch rückwärts die Lehre die Tat beherrsche; so daß daher z. B. Lessings Fabeln und Lessings Fabellehre einander wechselseitig zeugten und formten. Ja zuletzt muß sich der bloße Philosoph, der nicht Täter, nur Prediger des Worts ist und also keine ästhetische Taten durch ästhetische Prachtgesetze heimlich zu beschirmen hat, eine ähnliche Lage gestehen; denn sein Geschmack für Schönheiten reifte doch seiner Geschmacklehre voraus, und seine ästhetischen Theodoren griffen in den ästhetischen Justinian ein. Und sogar dies ist noch besser, als wenn taube Taktschläger, welche die ganze poetische Sphären-Musik nur aus den stummen Noten der Partitur mehrer Ästhetiker kennen, daraus ihren Generalbaß abziehen. Daher war von jeher die ausübende Gewalt die beste zur gesetzgebendenNur zwei undichterische und doch große Ästhetiker sind hier auszunehmen, Aristoteles und Kant, zwei philosophische Menächmen in Tiefsinn, Formstrenge, Redlichkeit, Vielblick und Gelehrsamkeit. ; Klopstock, Herder, Goethe, Wieland, Schiller, Lessing waren früher Dichter denn Selbstgeschmacklehrer – ja man könnte, wenn man ästhetische Aussprüche teils von beiden Schlegeln, Bouterwek, Franz Horn, Klingemann etc. etc., obwohl einander unähnlicher Schriftsteller, teils von Sulzer, Eberhard, Krug etc. etc. läse und wägte, leicht erraten, welche Partei nie gedichtet. Die Ästhetik des Täters ist ein Oberons-Horn, das zum Tanzen, die des bloßen Wissenschaftlers oft ein Astolfos-Horn, das zum Entlaufen bläset, wenigstens manchen Jünglingen, welche so gern für Schönheiten lebten und stürben.
Nach dem vorigen Paragraphen (§ 9) ists fast hart, wenn sanfte Rezensionen einem Manne nicht zutrauen, daß ihm weniger daran gelegen sei, wer als was recht hat, sondern glauben, der Mann heize (als Kalefaktor) seine Vorschulstuben bloß, um sich und einige Leser seiner Scherze warm zu halten. Wär' es nicht ebenso ungerecht, bloß daraus, daß z. B. Pölitz in seiner Ästhetik den Witz gar nicht berührte, auf einen Haß desselben gegen wahren zu raten, als es wirklich ungerecht ist, aus einem langen Programme über Witz auf Vorliebe für falschen zu schließen?
Auf der einen Seite bleibt Rezensenten, welche für das Publikum Goldfische sauber abzuschuppen oder Juwelenkolibri nett abzurupfen haben, um zu zeigen, was überhaupt an ihnen ist, wohl das alte gute Recht unbestritten, daß sie, so genau sie es im Widerlegen mit Kleinigkeiten zu nehmen haben, dafür das Wichtige oder Schwere bloß im allgemeinen anzuführen und statt einer Prüfung nur beizusetzen brauchen, daß manches, z. B. das Kapitel über den Humor, eine genaue wirklich verdiene.
Auf der andern Seite (§ 11) bestehen die Lehrbuchschreiber mit Recht auf einem ebensogut hergebrachten Privilegium fest; welches am deutlichsten so lautet: »Sobald ein Lehrbuchmacher irgend etwas Neues zu sagen weiß, so steht ihm eo ipso uneingeschränkt das Recht zu, so viel Altes dazu abzuschreiben, bis er aus beiden ein ordentliches vollständiges Lehrbuch fertig hat.« Die Benutzung dieses so wichtigen Freiheitbriefs behält sich der Verfasser für die dritte Auflage vor, wo er zu seinen eignen Gedanken so viele fremde über Ton- und Malkunst, Vers- und Hausbau, Bildhauen und Reiten und Tanzen abschreiben will, daß der akademische Lehrer ein Lehrbuch in die Hand bekommt, zumal da ihm ein Lehrbuch lieber ist als zehn Lesebücher, weil er lieber über etwas als etwas lieset.
Diese zweite Vorrede will nur die heitere Paraphrase der ersten sein (§ 14), welche ihr nachfolgt und sogleich so viel Ernstes mitbringt, daß nachher der Übergang leicht ist in den wissenschaftlichen Ernst des ganzen Werks.
Indessen Scherz billigen in unsern Zeiten viele; denn er hält eben den wenigen noch von Jahrhundert und Unglück nicht aufgeriebenen Ernst fest aufbewahrt; der biegsame geschmeidige Scherz ist der Ring von Gold, den man an den Finger ansteckt, damit der Ring mit Diamanten nicht abgleite.
Geschrieben in Baireuth am Petri-Pauli-Tag, als, wie bekannt, gerade der Hesperus am hellsten schimmerte. 1812.
Jean Paul Fr. Richter