Jean Paul
Selina oder über die Unsterblichkeit der Seele
Jean Paul

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III.
Erde

Flächeninhalt

Über die Seelenwanderung – Selinas Begebenheiten

Erste Unterabteilung

Vorgespräch – die Seelenwanderung

Am Morgen kam der Gesandtschaftrat auf mein Zimmer und nach einer Viertelstunde auch der Rittmeister. »Ich wollte nur gestern«, sagte Alexander, »der Frauen wegen, zumal Selinas, es nicht sagen, daß das allgemeine Leben, das mein Bruder überall und am reichsten folglich im größten Elemente antrifft, im Wasser, das über zwei Drittel des Festlands ausmacht« – »Wenn nicht«, fiel ich ein, »der Luftkreis gar noch größer ist, da er beide umschließt« – – »ich wollt' es nicht sagen, mein' ich, daß sein weit und breites Leben, mich weniger zu einer Unsterblichkeit des Menschen als zu einer Weltseele führt, die den ungeheuern Leib, der aus dem sämtlichen Tier- und Pflanzenreich gebaut ist, bewohnt und belebt; sie setzt die Tiere als Glieder an sich an, oder sondert sie wieder ab und lebt, wie wir in jedem Nervenästchen, so in jedem Elefanten und Eichbaum.« –

»Neben meiner Seele«, sagt' ich, »kann ich nicht gut noch eine einquartieren. Oder bin ich die Weltseele selber und schränke mich in dem einen Körper zu einem andern Ich und Bewußtsein als in dem andern ein? So wäre sie dann zur nämlichen Zeit eine Sammlung mehrer Ich? Oder schrumpft sie ferner absichtlich mit einem Stück von sich zu einem Käfer-Ich vorher zusammen, um damit die Baumeisterin ihres Gehäuses zu werden, oder macht sie vorher den Schalenbau fertig, um dann mit einem eingekrümmten Stücke von sich darein zu kriechen? – Wollen Sie aber, um dieser spinozistischen endlichen Göttin, der ungeheuern Weltseele voll Seelen und voll Ich zu entkommen, den Unterschied zwischen 1147 Leben und Geist ergreifen und lieber sagen, daß sie nicht beseele, sondern nur belebe, die Blume und das Aufgußtier und die Muskelfaser? – Tun Sie's: so holen Sie sich den alten Stein des Anstoßes wieder her; denn auch das Weltleben der Weltseele kann, da es doch als ein Zusammenhangendes und Ganzes genommen werden muß, nicht zu gleicher Zeit im einen Tiere erkalten, im andern erwarmen und sich mit sich selber millionenfach entzweien, vervielfältigen, zerstücken. Soll endlich das allgemeine Leben die einzelnen Organisationen sich zu seinen Absteigequartieren erbauen, woher die unergründliche Künstlichkeit derselben und dann wieder deren hohen und tiefen Stufen des nämlichen Lebens, das die Fische als Fischerhütten, die Schweine als Koben, die Spinnen als Spinnhäuser, die Austern als Drahtkäfige, die Elefanten als Schlösser und die Menschen als Sonnentempel aufrichtet und bezieht? Denn aus Ferne und Nachbarschaft der Baumaterialien erklärt sich diese Verschiedenheit nicht; in demselben Treibkasten mit einerlei Erde, Luft, Wärme und Wasser wachsen zugleich nebeneinander Rosen, Nelken, Knollengewächse und Gräser. – Oder fangen und saugen umgekehrt die schon fertig gemachten Organisationen das Leben ein und setzen einen frühern Werkmeister voraus?« – –

»Lieber Paul,« versetzte Alex, »so weit hab' ich [mich] wahrlich weder verstiegen, noch vertieft. Ich könnte wohl noch allerlei vorbringen, aber ich helfe mir auf andere Weise. So führ' ich es z. B. gar nicht aus – die Mädchen kommen ohnehin sogleich –, daß das allgemeine Leben der Wärmmaterie nicht einmal, sondern bloß der Frostmaterie zu gleichen brauche, die im Zimmer aus warmer Ausdünstung auf kalten Glasscheiben ganze Palmenwälder modelliert. Aber wollen wir doch statt der Weltseele Weltseelen annehmen, nämlich die Seelenwanderung: so hat man sich das allgemeine Leben erklärt und sich eine Art von Unsterblichkeit, da doch nicht jeder an die gewöhnliche glaubt, gesichert. Der Leichenbitterjammer über Vernichtung und Vergehen verstummt. Meine Seele wandert auf und ab, logiert im einen Jahrhundert in einer Kneipe, im andern in einem Schlosse, das heißt bald in einem Zaunkönig, bald in einem Adler.«

1148 »Fahren Sie nur fort,« sagt' ich, »ich will nachher Ihre Meinung unterstützen, wenigstens über eine Viertelstunde lang.«

Er fuhr fort: »Der Frauen wegen wollt' ich gestern nicht davon reden. Schwerlich hätten Weiber die Seelenwanderung, wenigstens nicht in Tiere, erfunden, für die keine Toilette und Kleiderschrank anzubringen wäre.« – »Warum aber nicht in Blumen,« sagte der Rittmeister, »die ohne Nachttisch reizend sind.« – »Und wär's nur,« setzt' ich dazu, »um von einem geliebten Herzen gebrochen zu werden und an dieses gesteckt; denn sie wollen fortlieben, folglich über die Zeiten und Räume des Lebens hinaus. Ja schon im jetzigen kann es der Liebe wohltun, immer unter Menschen zu leben in jeder taubstummen Einsamkeit und wie Sakontala Lämmer und Nachtigallen und Blumen für geliebte teure Seelenhüllen anzusehen.«

»Nun bitt' ich Sie wirklich«, sagte Alexander, »um die versprochne Viertelstunde, worin Sie mit mir eins sein wollen. Die Hypothese wird mir immer lieber; nicht etwa, weil man durch sie von dem dummen Gedanken des Vergehens wegkommt; wahrlich in ein Schicksal, das die halbe, ja ganze Welt trüge, fände man sich am Ende wohl auch, besonders am Ende jedes Endes.«

Ich gab ihm nun seine verlangte Viertelstunde, die in nichts bestand als in einer Abhandlung über die Seelenwanderung, die er, während ich den beiden Freundinnen entgegenging, lesen mochte. Sie wurde vor Jahren für den Rittmeister, als ihm kein Glaube an die Unsterblichkeit im Kampaner Tal zu geben war, geschrieben, um einigermaßen ihn zu diesem Glauben zuzubereiten, ja anzunähern.

Hier stehe [sie] denn auch für den Leser.

 

Über die Seelenwanderung

Da die Kraft, welche über die Welt organisch-dienender Kräfte herrschte, nicht untergeht, wenn ihre Diener sich verlaufen – was die Menschen sterben nennen–: so bleibt ihr für eine Wiedereinsetzung und neue Regierung immer im Notfalle die Seelen-, eigentlich die Körperwanderung offen. Wir wollen diese nicht in dem engen Sinne der Indier, Ägypter und Talmudisten 1149 annehmen, welche die Seelen zum Lohne und zur Strafe hin- und herfahren lassen. Die albernen Kabbalisten z. B. – die als Juden in allem Großen kleinlich sind, wie in dem Körpersteckbriefe ihres Riesengottes – lassen böse Männerseelen in Weiberkörper als in eine Engelsburg oder la petite Force [oder] Wiener Rumorhäuser ziehen, fromme Weiberseelen aber in Männerleiber als in Lustschlösser und neue Jerusalems – stolze Seelen in Bienen – Ehebrecherinnen in Hasen – und ein anderes Gemenge sogar ins Pflanzenreich, ins Gestein und ins Gewässer.Im Wasser soll nach ihnen eine Seele viel ausstehen, besonders in Mühlen, wobei wohl die scharfen Denker hätten bestimmen mögen, wie breit und lang der Wasserleib eigentlich sei, in welchen die Seele zieht, ob in einen länderlangen Fluß mit hundert Mühlengefällen, oder in einen Bach, oder Brunnen, oder Tautropfen. Ferner jagen sie Seelen in Fische – die daher am Sabbat zu schlachten sind –, endlich in Blätter, die daher im Herbste mit Schmerzen abfallen –, ja sogar in Teufel, was rein unbegreiflich, da nicht Seele in Seele fahren kann und ein teuflischer Leib schon vorher seine Besatzung hat. Flügges Geschichte des Glaubens an Unsterblichkeit. B. 1. Nach den grotesk-phantastischen Ägyptern nimmt die Seele mit ihrem Leichnam, sobald er ganz bleibt, d. h. Mumie ist, 3000 Jahre lang als Witwensitz vorlieb, bis sie einen frischen Leib bezieht; im andern Falle muß sie sich zu tierischen Quartieren und Erdgeschossen bequemen, wiewohl ich lieber in einem regsamen dahinschießenden Fisch und Vogel leben und beleben möchte als in einem ausgeweideten ledernen steifen Futteral von Mumie. – Welche Belohn- und Bestraf-Tierleiber die Hindus für abgeschiedene Seelen offen halten, ist bekannt genug. Aber bedenken denn die Hindus und die Ägypter und die Kabbalisten nicht, daß diese Leiber wechselnd glücklich und unglücklich machen können und daß z. B. eine Stutzerseele, die ihre Höllenstrafe in einem Weiberleibe abbüßen soll, gerade darin einen Himmel anträfe am Nachttisch? So könnte man die seelenwandernden Völker fragen, wohin denn, in welche passende Menschenleiber die Seelen der ersten Eltern und ersten Kinder sich zu begeben hatten? – Wie viele Freiquartiere neugeborne Seelen den altgestorbnen lassen konnten?

Aber diese antike Hypothese ist vor der Hand mehr zu setzen 1150 als zu zersetzen. Eigentlich macht jeder eine Seelwanderung schon vor dem Tode durch seinen eignen Leib, der sich alle drei Jahre in einen andern verwandelt; vom Körper aus der Kindheit ist zum Körper im Hochalter vielleicht ebensoweit als von beiden in einen Tierleib. Ja vor der Geburt durchwandert das junge Ich im Mutterleibe alle Tierreiche und wird nacheinander Wurm, Insekt, Amphibium und Vogel. Wird das tägliche Umziehen aus dem wachen Körper in den schlafenden noch dazugerechnet, so erleben wir schon ungestorben eine ab- und aufsteigende Seelwanderung.

Auch ist diese ja nicht ein Einzug in einen schon fertig und seelenleer dastehenden Leib, sondern jedesmal der Bau eines ganz neuen durch den Geist als Bauherr mehr denn als Baumeister; nur ob die Baute ein Fuchsbau oder ein Schneckenhäuschen oder ein Sonnentempel werde, d. h. ob darin ein Fuchs, eine Schnecke, ein Mensch körperlich erscheine, dies kommt auf die zahllosen, aber uns verhüllten Bedingungen an, unter welchen sich eine geistige Kraft und eine Hülle wechselseitig zu einem Organismus vereinen und paaren; aber diese Bedingungen gehen notwendig zugleich von zwei Seiten aus, vom Baumeister und vom Bauzeug so wie die Biene zu ihrem den Blumenstaub und der Bieber zu seinem Holzstämme bedarf.

Die Hypothese kann dreierlei setzen; aber mit dem meisten Rechte das erste, daß die Seele von der organischen Pflanze herauf, sich durch Leben und Beleben und gleichsam durch Bilden bilde, und so dann als eine Nomaden-Monade immer höher aus ihrer großen tour um und durch die Tierwelt entwickle, so daß von selber die durch Leben gesteigerte Kraft sich einen höhern Körper wählt und die Schlagweite des geistigen Funkens mit seiner Größe zunimmt. Ja, wenn nach Leibniz die Materie selber ihrem Wesen nach nur eine Völkerschaft schlafender Monaden ist; und wenn über diese nach meiner Meinung die Geisterwelt wachender regiert: könnten nicht diese Nomaden-Monaden auf dieser geistigen Völkerwanderung die einzelne immer an der Masse zu höhern Kräften läutern, so daß am Ende ein Engel einen Leib von Seelen umhätte? Waren und sind nicht unendliche 1151 Zeitlängen, so wie unermeßliche Welträume zu diesem Vergeistigen und Destillieren vorhanden? –

Will die Hypothese einen Rückgang der Seelen in Tiere annehmen, gleichsam einen Schub oder eine Landesverweisung ins Tierreich: so kann sie anführen, daß z. B. ein Krebsgang in einen Krebs darum noch kein geistiger Verlust und Fleischergang ist, sondern nur eine andere Stellung gegen die Einflüsse des Weltall. Kann denn nicht die Menschenseele überhaupt zum Auffassen menschlicher, d. h. vielseitiger Emp[find]ungen das Vorüben in tierischen einseitigen nötig gehabt haben, zumal da sie Auszug und Quintessenz der lebenden Erdschöpfung ist? Sie legt zwar die Tierorgane auf ihren Fortreisen ab, aber als Geist, der allein sich gewöhnen und verstärken kann, behält sie Nachwirkungen. Nur suche man unter diesen nicht moralische Narben. Denn das Tier hat allemal recht, sogar das grausamste; und wenn schon im Menschen der Affekt nur eine falsch angewandte Sittlichkeit ist und der Zorn z. B., durch die Eile und Schwäche Strahlen zu einem stechenden Brennpunkte gegen einen ganz andern Gegenstand verdichtet und richtet als da ist: so ist das besinnlose Tier aus lauter elektrischen Kondensatoren seiner Vorstellungen zusammengesetzt. Der Lämmergeier schwebt im Äther zornig als ein lebendiges Schlachtmesser über der kleinern Tierwelt, aber sein heißer Zorn ist heißer Hunger und sein Schnabel schlachtet unschuldiger als unser Messer. Und doch wohnt auch Liebe und Aufopferung im Geierherzen; denn als Geierlamm teilt er seine Jagd auf Kosten seines unersättlichen Magens mit seinen Jungen. – Eine Menschenseele in einem Raubtierleib eingekerkert und wie aus einem Parkhäuschen mit roten und gelben Fenstern die Welt anschauend, würde nichts in ein freieres Leben hinausnehmen als die geübte Sehkraft.

Endlich lassen manche Völker die Menschenseelen nicht als Wiederkömmlinge und Gespenster, sondern als Neugeborne wiederkehren. Herder (in seinem Gespräche über die Seelenwanderung) spricht beklommen und erdensatt gegen dieses Aufwärmen des hiesigen Menschentreibens [und] Jung- und Lang- und Altwerdens; und in der Tat möcht' ich selber nicht zum 1152 zweiten Male, geschweige zum zehnten Male wieder Buchstaben-Lesen und Noten und lateinische Ausnahmen und hebräische Zeitwörter lernen; dies möcht' ich nicht – sag' ich jetzt in meinem 60ten Jahre; aber dieses Jahr hätt' ich eben nicht in einer wiederkehrenden Kindheit und alles ginge von vornen an wieder so frisch wie das erste Mal. Vielmehr würde als ein solcher wiederkehrender Komet der Mensch sein Leben zugleich verdoppeln und bunt verkleiden – die schöne Jugend mit allen ihren ersten Entzückungen könnt' er wieder bekommen – und endlich würd' er nicht eben vorige Körper und Rollen zu übernehmen erhalten, bei der so großen Mannigfaltigkeit anderer offner Lebens-Stellen zum Besetzen und Verwalten; der arbeitsame Landmann z. B. aber würde ohne Schmerzen als ausru[hender] Hofmann wiederkommen, der Dichter als Königsohn, der Krieger als bequemer Gelehrter u. s. w. Ja ein Professor der Geschichte könnte sogar zum zweitenmal als ein Professor der Geschichte aufzutreten wünschen, bis zum dritten, vierten und fünften Male, um das Schauspiel der Welt- und Völkerentwicklung, aus welchem er nach dem ersten Akte fortgemußt, bis zum zweiten, dritten, vierten, fünften auszuhören und es so endlich zu erfahren, was aus China, Afrika und Deutschland mit der Zeit geworden.

Nur zweierlei ist gegen diesen Seelenumlauf am wenigsten einzuwenden, erstlich das Vergessen dieser Reisen, so wie andern Reisenden durch den schnellen Wandel der Gegenstände während ihres eignen sich diese flacher eindrücken. Denn sogar im eignen Leibe, ohne Körperhemdwechsel, entschwinden ungleichartige Zustände für das Gedächtnis, z. B. den in der Wildnis erwachsenen Kindern nach der Zähmung alle Erinnerung der Wildnis – dem Nervenentseelten die der Krankheit und dem Nüchternen nach dem tiefen Rausche die Ereignisse desselben – und der Hellseherin nach dem Erwachen der Durchgang durch die ganze Glanzwelt, aus welcher nicht so viel feurige Spuren bleiben als ein Schiff in das leuchtende Meer einschneidet. – Wie sollte nun hienieden Erinnerung gar aus verschiednen Leibern und noch verschiedneren Zuständen körperlich-möglich sein?

Ebensowenig trete uns hier die Einwendung des Zeitverlustes 1153 auf der Wanderung in den Weg, da sie Lessing schon durch die Frage zurückwies: »Welche Zeit hab' ich denn zu verlieren? Ist nicht die ganze Ewigkeit mein?« – Himmel! Zeit muß überhaupt der Geist einbüßen durch Kindheit und Alter und Schlaf. Und kann sie denn eingebüßt werden, insofern man existiert? Wirkt nicht jeder Augenblick und Zeittropfe und höhlt aus, oder setzt an? Bei der Wiederkehr alles Zeitlichen konnt' ich jede lange Vergangenheit ohne Verlust einbüßen, weil die noch längere Zukunft sie mir mit Überschuß wieder bescheren kann. Und welches Verspäten der Entwicklungen auch eintrete: so gibt es ja niemand, der sobald er nicht von Ewigkeit war, nicht um eine ganze verspätet wurde. Aber der Mensch – verwöhnt an sein Ich – hebt aus den beiden unermeßlichen Zeiträumen sich das Räumchen seines Lebens heraus und stellt es als eine hohe Insel in das unendliche Zeitmeer und mißt von ihr aus die Unendlichkeit. Jeder glaubt, zugleich mit ihm müsse das All auslaufen, fortlaufen und anlanden; und er sei der Mittelpunkt eines unendlichen Kreises, der lauter Mittelpunkte umgibt.

Lasset einer Ansicht des Daseins, welche ein Plato, ein Pythagoras und ganze Völker und Zeiten nicht verschmähten, wenigstens ihr volles Licht zukommen. Denkt euch das menschliche Seelenreich als ein Reich geistiger Kräfte durch die Organisationen ziehend, von den tiefern an bis zu den höchsten hinauf. Die geistige Kraft wird von den Destillier- und Sublimiergefäßen der aufsteigenden Leiber von Pflanzen und Tieren feiner geläutert und der Geist abgezogen im höhern Sinne; sie wirft den Pflanzenleib ab und eignet und baut sich mit höhern Kräften und für höhere einen Tierleib zu; so wie sich in kleinem Zwischenräumen derselbe Wechsel der Hinaufläuterung am eignen Körper wiederholt. – Der Instinkt, dieser durch das Körperpreßwerk gleichsam nach einem Punkte hingetriebne einseitige Verstand, kann [sich] in der freiern Luft oder Verkörperung des höher gestiegnen Wesens – wie die eingewickelten Flügel der Raupe nach der Entpuppung mitten im Fliegen plötzlich zu breiten Schwingen sich spannen – zur weiten Besonnenheit entfalten und vorüben; und in manchem kunstreichen Insekte kann der klare 1154 umsichtige Elefant als Zögling für die Zukunft wohnen. Ja wenn es nicht zu kühn wäre, so könnte man den Embryonen- und Fötusseelen, welche davongetrieben wurden, ehe sie das Grün der Erde erblickten, unter den höhern Tieren angemessene[re] Absteigequartiere anweisen als die Theologen tun, die solche noch nicht einmal zu Tieren gereifte Seelen in die hohe Versammlung verklärter Menschengenien einführen.

Aber laßt uns die Seelen lieber im Familienzirkel der Menschheit behalten und umzuwandern nötigen, ein Zauberkreis, innerhalb dessen uns alle Schätze des Lebens offenstehen, wie außerhalb desselben das Unheimliche und Unsichere wartet und droht. – Lasset denn eine Seele so oft wiederkehren als sie will, die Erde ist reich genug, sie immer mit neuen Gaben zu beschenken, mit neuen Jahrhunderten und neuen Vergangenheiten und mit neuer Zukunft – mit neuen Ländern und Geistern und Entdeckungen und Hoffnungen. Kein Geist ging so reich davon, dem nicht bei jeder Rückkehr das Leben der Erde frische Reichtümer entgegentragen könnte.

Nur werfe man bei solchen Betrachtungen keine Fragen auf, die über den Anfang des Lebens hinausgreifen, hier z. B. über die ersten verkörperten Seelen, über ihre Zahl u. s. w. Jede Antwort wäre eine über der Welt und verlangte eine zweite. Lasset uns nicht die Vergangenheit statt der Gegenwart, oder vielmehr nicht die Ewigkeit statt der Zeit erforschen.

Warum wollen wir uns nicht recht kühn und recht feurig und glaubig eine Menschenerde vor uns ausbreiten und ausmalen? Bewohnt auf einen Augenblick eine solche Menschenerde, wo jede Seele neben dir schon einmal, ja öfter gelitten hat – wo das glatte schönfarbige Gesicht eines Kindes vielleicht einen Geist bedeckt, der schon in den finstern Abgründen und Bergwerken des Lebens gearbeitet und nun oben herausgestiegen ins Kindergärtchen vor die Sonne zum Ausruhen – wo wir unter Geistern der Vorwelt leben, ja zugleich der Nachwelt – wo vielleicht einer Seele für alte Bürden eines abgeladenen Lebens einige Freuden im neuen zu geben sind – wo die Seelen aller Völker und Zeiten durcheinander leben und oft lieben, bis endlich einmal in einer 1155 andern Welt [durch] das gemeinschaftliche Abfallen aller irdischen Schleierkleider und Decken alle, die die Erdennacht hindurch miteinander gesprochen, sich wie vor dem Morgenlichte erkennen und die Entferntesten aus Zeit und Ort beisammen sind. So bliebe denn die verschwisterte Menschengemeinde in ihrem Brüder- und Schwesterhause der Erde zusammenwohnend, bis allen endlich das Einstürzen desselben, das ihm die Jahrtausende unvermeidlich bereiten, neue Erden und Wohnungen aufdeckt im unermeßlichen Himmel, in welche nur ein unendlicher Arm das Menschengeschlecht heben kann. Denn ohne eine Gottheit gibts für den Menschen weder Zweck, noch Ziel, noch Hoffnung, nur eine zitternde Zukunft, ein ewiges Bangen vor jeder Dunkelheit und überall ein feindliches Chaos unter jedem Kunstgarten des Zufalls. Aber mit einer Gottheit ist alles wohltuend geordnet und überall und in allen Abgründen Weisheit; und daher wird sie, so wie sie die ersten Verkörperungen und Behausungen nicht vom bloßen Zufalle unter die Seelen der ganzen Erde verteilen ließ, ebensowenig die zweiten und folgenden ihn haben ordnen lassen; und so wird endlich drittens am allermeisten die ganze Masse der jahrtausendalten Menschheit ihre zweite Weltkugel, ihren neuen Hörsaal des Universums und ihren zweiten Tempel der Natur finden. – Und so laßt uns wandern und hoffen!

 


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