Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Da ich mit den Wundermärchen der Alhambra so freigebig gewesen bin, fühle ich mich fast verbunden, dem Leser einige Thatsachen mitzutheilen, welche ihre eigentliche Geschichte, oder vielmehr die Geschichte jener stattlichen Fürsten, ihrer Gründer und Vollender, betreffen, denen die Welt ein so schönes und romantisches orientalisches Denkmal verdankt. Um diese Thatsachen zu gewinnen, stieg ich aus diesem Phantasien- und Märchen-Bereich, wo alles eine poetische Farbe annehmen muß, herab und wandte meine Untersuchungen den bestaubten Bänden der alten Jesuiter-Bibliothek in der Universität zu. Dieses einst so berühmte Behältniß der Gelehrsamkeit ist jetzt ein bloßer Schatten seines frühern Selbst, denn die Franzosen beraubten die Bibliothek, als sie Granada im Besitz hatten, ihrer Handschriften und seltensten Druckwerke. Dennoch enthält sie, unter vielen gewichtigen Streitschriften der Jesuiten, noch manches merkwürdige Werk der spanischen Literatur; vor allem aber eine Anzahl jener veralteten, staubigen, in Pergament gebundenen Chroniken, welche bei mir in besonderer Achtung stehen.
In dieser alten Bibliothek habe ich manche köstliche Stunde ruhigen, ungestörten literarischen Fouragirens hingebracht, denn die Schlüssel zu den Thüren und Bücherschränken wurden mir freundlich anvertraut und ich allein gelassen, um nach meinem Belieben umher zu stöbern – ein seltenes Zugeständniß in diesen Heiligthümern der Gelehrsamkeit, welche nur zu oft den Wißbegierigen bei dem Anblick versiegelter Quellen des Wissens schmachten lassen.
Im Laufe dieser Besuche sammelte ich folgende Einzelnheiten in Betreff der fraglichen historischen Charaktere.
Die Mauren von Granada betrachteten die Alhambra als ein Wunder der Kunst und hatten eine Sage, der König, der sie gebaut, habe sich mit Zauberei abgegeben, oder sey doch ein Alchymist gewesen, wodurch er in den Stand gesetzt worden wäre, sich die unermeßlichen Summen Goldes zu verschaffen, welche bei dem Baue derselben verschwendet wurden. Eine kurze Uebersicht seiner Geschichte wird das wirkliche Geheimniß seines Reichthums darlegen.
Der Name dieses Königs war nach der Inschrift auf den Wänden einiger Gemächer Abu Abdallah (d. h. Vater von Abdallah), allein in der maurischen Geschichte heißt er gewöhnlich Muhamed Abu Alahmar (d. h. Muhamed Vater des Alahmar), oder einfach Abu Alahmar, der Kürze wegen.
Er war im Jahr der Hegira 591, und nach der christlichen Zeitrechnung 1195 zu Arjoua aus der edlen Familie der Bena Nasar, oder Kinder Nasar's geboren und seine Eltern sparten keine Kosten, ihn für den hohen Stand zu erziehen, zu welchem der Reichthum und das Ansehen seiner Familie ihn berechtigten. Die Sarazener Spaniens waren in der Bildung weit vorgeschritten, jede Hauptstadt war ein Sitz der Gelehrsamkeit und Künste – so daß es leicht war, die besten Lehrer für Jünglinge von Stand und Vermögen zu erhalten. Als Abu Alahmar das mannbare Alter erreicht hatte, wurde er als Alcayde oder Statthalter von Arjoua und Jaen angestellt und machte sich durch seine Güte und Gerechtigkeit sehr beliebt. Einige Jahre später, nach Abou Hud's Tod, spaltete sich die maurische Macht in Spanien in Factionen und viele Plätze erklärten sich für Muhamed Abu Alahmar. Da er lebendigen Geistes und hohen Ehrgeizes war, ergriff er die Gelegenheit, machte eine Reise durch das Land und wurde überall mit Beifallrufen empfangen. Im Jahre 1238 hielt er unter dem lebhaftesten Jubel der Menge seinen Einzug zu Granada. Er ward mit allen Zeichen der Freude als König ausgerufen und wurde bald das Haupt der Moslemin in Spanien, da er der erste des erlauchten Stammes von Beni Nasar war, der auf dem Thron gesessen hatte. Seine Regierung machte ihn zu einem Segen seiner Unterthanen. Er gab die Statthalterschaft seiner verschiedenen Städte den Männern, die sich durch Tapferkeit und Klugheit ausgezeichnet hatten und bei dem Volke am beliebtesten waren. Er setzte eine wachsame Polizei ein und erließ strenge Gesetze zur Handhabung der Gerechtigkeit. Die Armen und Unglücklichen hatten stets freien Zutritt zu ihm und er sorgte persönlich für Beistand und Abhülfe. Er errichtete Hospitäler für Blinde, Alte und Kranke und alle solche, welche nicht arbeiten konnten und besuchte sie oft – nicht an festgesetzten Tagen mit Pracht und Prunk, so daß Zeit blieb, alles in Ordnung zu bringen und jeden Mißbrauch zu verstecken, sondern plötzlich und unerwartet; durch eigene Beobachtung und genaue Prüfung unterrichtete er sich von der Behandlung der Kranken, und dem Benehmen derer, welche zu ihrem Beistande angestellt waren. Er gründete Schulen und Universitäten, welche er auf gleiche Weise besuchte, und wohnte persönlich dem Unterrichte der Jugend bei. Er ließ Fleischbänke und öffentliche Backöfen bauen, damit das Volk gesunde Nahrung zu billigen und regelmäßigen Preisen erhielt. Er führte reiche Wasserleitungen in die Stadt, ließ Bäder und Brunnen, Kanäle und Röhren bauen, um die Vega zu bewässern und fruchtbar zu machen. Durch diese Mittel herrschte Reichthum und Ueberfluß in dieser schönen Stadt; an ihren Thoren drängte sich der Handelsfleiß und die Waarenhäuser waren mit dem Luxus und den Gütern aller Länder und Himmelsstriche gefüllt.
Während Muhamed Abu Alahmar sein reizendes Land so weis und glücklich regierte, bedrohten ihn plötzlich die Schrecken des Kriegs. Die Christen benützten zu dieser Zeit die Spaltung der Macht der Moslemin und setzten sich rasch wieder in den Besitz ihrer alten Gebiete. Jakob der Eroberer hatte ganz Valencia unterworfen und Ferdinand der Heilige trug seine siegreiche Waffen nach Andalusien. Der letztere belagerte die Stadt Jaen und schwor, sein Lager nicht eher aufzuheben, als bis er im Besitz der Stadt wäre. Muhamed Abu Alahmar kannte das Unzureichende seiner Mittel, mit den mächtigen Herrschern Castiliens einen Krieg zu unterhalten. Er faßte daher einen plötzlichen Entschluß, begab sich heimlich in das christliche Lager und erschien unerwartet vor König Ferdinand. »Du siehst in mir,« sagte er, »Muhamed, den König von Granada; ich vertraue deiner Ehre und begebe mich unter deinen Schutz. Empfange alles, was ich besitze und nimm mich als deinen Lehensmann an.« Bei diesen Worten kniete er nieder und küßte des Königs Hand als Zeichen der Unterwerfung.
König Ferdinand war durch diesen Beweis offenen Vertrauens gerührt und beschloß, sich nicht an Edelmuth überbieten zu lassen. Er hob seinen früheren Nebenbuhler von der Erde auf und umarmte ihn als Freund; die Schätze, die er ihm anbot, wies er zurück, nahm ihn aber als Vassal an und ließ ihm die Herrschaft über sein Gebiet unter der Bedingung, daß er einen jährlichen Tribut zahle, bei den Cortes als einer der Edlen des Reichs sich einstelle und ihm im Kriege mit einer gewissen Zahl Reiter diene.
Nicht lange darauf wurde Muhamed zum Kriegsdienst aufgefordert, um dem König Ferdinand bei seiner berühmten Belagerung von Sevilla beizustehen. Der maurische König zog mit fünfhundert erlesenen Reitern von Granada aus, denn niemand in der Welt wußte besser als sie ein Pferd zu reiten und eine Lanze zu führen. Es war jedoch ein trauriger und demüthigender Dienst, denn sie sollten ihr Schwert gegen ihre Glaubensbrüder schwingen.
Muhamed erlangte durch seine Tapferkeit bei dieser berühmten Eroberung einen traurigen Ruhm, echtere Ehren aber durch die Milde, welche er König Ferdinand in der Kriegsführung anzunehmen veranlasste. Als im Jahr 1248 die berühmte Stadt Sevilla dem kastilischen König übergeben ward, kehrte Muhamed traurig und voller Gram in sein Gebiet zurück. Er sah das sich sammelnde Unheil, welches die Sache der Moslemin bedrohte, und ließ jenen Spruch hören, den er oft im Augenblick der Noth und Verwirrung im Mund führte: »Wie beschränkt und elend würde unser Leben seyn, wenn unsere Hoffnung nicht so weit und ausgedehnt wäre.«
»Que angoste y miserabile seria nuestra vida, sino fuero tan dilatada y espaciosa nuestra esperanza!«
Als der betrübte Sieger seinem geliebten Granada nahte, strömte das Volk mit freudiger Ungeduld heraus, ihn zu sehen, denn sie liebten ihn als einen Wohlthäter. Sie hatten zu Ehren seiner kriegerischen Thaten Triumphbogen errichtet, und wo er vorüber kam, wurde er mit Beifallsruf als El Ghalib oder der Sieger begrüßt. Muhamed schüttelte den Kopf, als er diesen Namen hörte. »Wa la ghalib ila Ala!« (Es gibt keinen Sieger als Gott!) rief er aus. Von dieser Zeit an diente ihm dieser Ausruf als Wahlspruch. Er ließ ihn auf ein schräges über sein Wappen laufendes Band schreiben, und er blieb der Wahlspruch aller seiner Nachkommen.
Durch Unterwerfung unter das christliche Joch hatte Muhamed den Frieden erkauft, aber er wußte, daß dieser nicht sicher und dauernd seyn konnte, wo die Elemente so widerstreitend und die Beweggründe der Feindseligkeit so tief und alt waren. Er that daher nach dem alten Grundsatz: »waffne dich im Frieden, und bekleide dich im Sommer,« und benützte den eintretenden Zwischenraum der Ruhe, um sein Gebiet zu befestigen, seine Zeughäuser wieder zu füllen, und diejenigen nützlichen Künste zu fördern, welche einem Staate Wohlstand und wirkliche Macht geben. Er setzte für die besten Handwerker Preise aus, und bewilligte ihnen Vorrechte; er verbesserte die Zucht der Pferde und anderer nützlicher Thiere; er ermuthigte den Ackerbau, und wußte durch seinen Schutz die natürliche Fruchtbarkeit des Bodens um das doppelte zu erhöhen, indem er die lieblichen Thäler seines Königsreichs wie einen Garten blühen machte. Er förderte auch den Bau und die Verarbeitung der Seide, bis die Weberstühle Granada's selbst die von Syrien an Feinheit und Schönheit ihrer Productionen übertrafen. Sodann ließ er die Gold-, Silber- und andere Minen, die in den bergigen Gegenden seines Reichs gefunden wurden, fleißig bearbeiten, und war der erste König von Granada, welcher Gold- und Silbermünzen unter seinem Namen schlagen ließ, wobei er Sorge trug, daß die Münzen geschickt ausgeprägt wurden.
Um diese Zeit, etwa in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts und unmittelbar nach seiner Rückkehr von der Belagerung von Sevilla begann er den glänzenden Palast der Alhambra; er beaufsichtigte persönlich den Bau, und mischte sich oft unter die Künstler und Werkmeister, und leitete ihre Arbeiten.
Obschon so glanzreich in seinen Werken, und so groß in seinen Unternehmungen, war er von einfachen Sitten, und mäßig in seinen Genüssen. Sein Kleid war nicht nur ohne Glanz, sondern so einfach, daß es ihn nicht von seinen Unterthanen auszeichnete. Sein Harem konnte sich nur weniger Schönheiten rühmen, und diese besuchte er selten, obgleich sie mit großem Glanze unterhalten wurden. Seine Weiber waren Töchter der ersten Edlen, und wurden von ihm als Freundinnen und verständige Gefährtinnen behandelt. Was mehr ist, er wußte es dahin zu bringen, daß sie als Freundinnen unter sich lebten. Er brachte viele Zeit in den Gärten hin, besonders in denen der Alhambra, welche er mit den seltensten Pflanzen und den schönsten und duftigsten Blumen versehen hatte. Hier ergötzte er sich, indem er Geschichten las, oder sie sich vorlesen und erzählen ließ; und zuweilen beschäftigte er sich in den Stunden der Muße mit dem Unterricht seiner drei Söhne, denen er die gelehrtesten und tugendhaftesten Lehrer ausgesucht hatte.
Wie er sich frei und ungezwungen Ferdinand als Vassal angetragen hatte, blieb er auch seinen Worte getreu, und gab ihm wiederholte Beweise der Anhänglichkeit und Treue. Als dieser berühmte Monarch 1254 zu Sevilla starb, schickte Muhamed Abu Alahmar Gesandte, welche seinem Nachfolger Alonzo X. sein Beileid ausdrückten, und in ihrem Gefolge waren hundert maurische Ritter von ausgezeichnetem Rang, welche während der Begräbnißfeierlichkeit die königliche Bahre mit brennenden Kerzen umgeben und geleiten mußten. Diesen großen Beweis der Achtung widerholte der maurische König den Rest seines Lebens hindurch an jedem Jahrestag des Todes Ferdinands des Heiligen, wo hundert maurische Ritter von Granada nach Sevilla ziehen, und ihre Plätze um das Ehrendenkmal des erlauchten Todten in der Mitte der reichen Kathedrale, mit brennenden Kerzen in der Hand, einnehmen mußten.
Muhamed Abu Alahmar behielt seine Rüstigkeit und Geisteskraft, bis zu einem vorgerückten Alter. In seinem neunundsiebzigsten Jahr zog er noch zu Pferd, von der Blüthe seiner Ritterschaft begleitet, in's Feld, um einen Einfall in sein Gebiet zurückzutreiben. Als das Heer von Granada auszog, brach einer der ersten Adalides oder Befehlshaber, welcher in dem Vortrab ritt, zufällig seine Lanze an einem Thorbogen. Die Räthe des Königs waren durch diesen Vorfall beunruhigt, stellten ihn als ein schlimmes Vorzeichen dar, und baten ihn zurückzukehren. Ihre Bitten waren umsonst. Der König widerstand, und am Nachmittag wurde das Vorzeichen, sagen die maurischen Geschichtschreiber, auf traurige Weise bestätigt. Muhamed wurde plötzlich krank, und wäre fast von seinem Pferde gefallen. Er wurde auf eine Bahre gelegt, und sollte nach Granada gebracht werden, aber seine Krankheit nahm in so hohem Grade zu, daß man sein Zelt in der Vega aufschlagen mußte. Die Aerzte waren voller Bestürzung, und wußten nicht, welche Arznei sie ihm verschreiben sollten. Nach wenigen Stunden starb er unter Blutspeien und heftigen Krämpfen. Der kastilische Prinz Don Philipp, der Bruder von Alonzo X. war an seiner Seite, als er starb. Sein Körper wurde einbalsamirt, in einen silbernen Sarg gelegt, und unter ungeheuchelten Klagen seiner Unterthanen, die ihn als einen Vater beweinten, in der Alhambra in einem kostbaren Marmorgrab beigesetzt.
Dieß war der erleuchtete patriotische Fürst, der die Alhambra gründete, dessen Namen noch in ihren schönsten und anmuthigsten Verzierungen glänzt, und dessen Andenken geeignet ist, die erhabensten Erinnerungen bei denen hervorzurufen, die diese verfallenen Scenen seines Glanzes und Ruhmes betreten. Obgleich seine Unternehmungen ausgedehnt, und seine Ausgaben unermeßlich waren, war seine Schatzkammer dennoch stets gefüllt, und dieser scheinbare Widerspruch gab Veranlassung zu dem Gerüchte, er sey in den Zauberkünsten bewandert, und besitze das Geheimniß, gemeinere Metalle in Gold zu verwandeln. Wer sein häusliches Leben, wie es hier angedeutet ist, beachtet, wird die natürliche Magie und die einfache Alchymie, welche den Ueberfluß in seine Schatzkammer brachte, leicht einsehen.