Washington Irving
Die Alhambra
Washington Irving

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Erinnerungen an Boabdil.

Während die Schicksale des unglücklichen Boabdil meinen Geist noch lebhaft beschäftigten, begab ich mich daran, die mit seiner Geschichte verbundenen Andenken, welche noch in diesem Schauplatze seiner Herrschaft und seines Unglücks zu finden sind, kennen zu lernen. In der Gemälde-Galerie des Palastes des Generalife hängt sein Porträt. Das Gesicht ist mild, schön und etwas melancholisch, die Farbe schön, das Haar gelb. Wenn es ein treues Abbild des Mannes ist, so mag er schwankend und unsicher gewesen seyn, allein es ist nichts Grausames oder Unfreundliches in seinem Anblick.

Ich besuchte zunächst den Kerker, wo er in seiner Jugend eingesperrt war, als sein Vater ihn zu verderben dachte, – ein gewölbtes Gemach in dem Thurm des Comares, unter der Gesandtenhalle; ein ähnliches, durch einen engen Gang getrenntes Zimmer war das Gefängniß seiner Mutter, der tugendhaften Ayxa la Horra. Die Mauern sind von einer merkwürdigen Dicke, und die kleinen Fenster mit Eisenstangen vermacht. Eine schmale steinerne Galerie mit einer niedrigen Brustwehr zieht sich rund um die drei Seiten des Thurms, grade unter den Fenstern, aber in einer bedeutenden Höhe vom Boden. Man nimmt an, daß die Königin von dieser Galerie zur Nachtzeit mit ihren und den Schärpen ihrer weiblichen Dienerschaft, ihren Sohn an der Hügelseite herabgelassen habe, an deren Fuß ein Diener mit einem raschen Rosse harrte, um den Prinzen in das Gebirge zu bringen.

Während ich über diese Galerie ging, mahlte mir meine Phantasie die angstvolle Königin, wie sie sich über die Brustwehr lehnte, und mit dem fieberhaften Klopfen eines Mutterherzens auf den letzten Widerhall des Pferdehufs lauschte, als ihr Sohn das enge Thal des Darro entlang flog.

Mein nächster Gang galt dem Thore, durch welches Boabdil aus dem Alhambra schied, als er im Begriff war, seine Hauptstadt zu überliefern. Mit der melancholischen Laune eines niedergeschmetterten Geistes forderte er von dem katholischen Herrscher, daß fortan niemand mehr durch dieses Thor solle gehen dürfen. Den alten Chroniken zufolge wurde durch die Theilnahme Isabellens an seinem Unglück diese seine Bitte erfüllt, und das Thor vermauert. Eine Zeit lang fragte ich vergeblich nach einem solchen Portale; endlich aber erfuhr mein armer Diener Mateo von den alten Bewohnern der Veste, daß ein zerfallener Thorweg bestehe, durch welchen, der Sage nach, die maurischen Könige die Alhambra verlassen hätten, der aber niemals, so lange den ältesten Bewohnern denke, offen gewesen wäre.

Er führte mich zu der Stelle. Der Thorweg ist in dem Mittelpunkt eines ehemaligen unermeßlichen Thurmes, la Torre de los Siete Suelos, oder der Thurm der sieben Stockwerke genannt. Es ist ein in den abergläubischen Geschichten der Umgegend berühmter Ort, da er der Schauplatz wundersamer Erscheinungen und maurischer Verzauberungen ist.

Dieser einst furchtbare Thurm ist jetzt ein bloßes Wrack, denn, als die Franzosen die Vestung verließen, sprengten sie ihn mit Pulver in die Luft. Große Mauerstücke liegen zerstreut umher, in den üppigen Kräutern begraben, oder von Weinreben und Feigenbäumen überschattet. Der Bogen des Thores, obgleich durch die Erschütterung gesprungen, steht noch; allein der letzte Wunsch des armen Boabdil ist wider, obgleich unabsichtlich, erfüllt worden, denn das Portal wurde mit losen Steinen aus den Trümmern verschüttet, und bleibt unzugänglich.

Indem ich dem Weg des maurischen Königs, wie ihn die Sage beschreibt, folgte, ritt ich über den Hügel los Martyros, und kam an dem Garten des Klosters desselben Namens entlang, und dann eine rauhe Schlucht hinab, welche mit Aloegebüsch und indianischen Feigen bewachsen war, und an deren Seite Höhlen und Hütten waren, welche von Zigeunern wimmelten. Es war der Weg, den Boabdil gewählt hatte, um nicht durch die Stadt ziehen zu müssen. Der Abhang war so steil und holprich, daß ich gezwungen war, abzusteigen, und mein Pferd zu führen.

Als ich diese Schlucht verlassen hatte, und an der Puerta de los Molinos (Mühlenthor) vorüber war, führte mich mein Weg über den öffentlichen Spaziergang, der Prato genannt, und indem ich dem Laufe des Xenil folgte, kam ich an eine kleine maurische Moschee, welche jetzt in die Kapelle oder Einsiedelei von San Sebastian umgeschaffen ist. Eine Tafel in der Mauer berichtet, daß Boabdil an dieser Stelle den kastilianischen Herrschern die Schlüssel von Granada übergeben habe. Von hier ritt ich langsam durch die Vega zu einem Dorfe, wo die Familie und der Haushalt des unglücklichen Boabdil ihn erwartete, denn er hatte sie in der Nacht vorher aus der Alhambra vorausgeschickt, damit seine Mutter und seine Gemahlin nicht an seiner persönlichen Demüthigung Theil nehmen, oder den Blicken der Sieger blosgestellt werden möchten. Indem ich dem Wege dieser traurigen Schaar königlicher Verbannten folgte, kam ich an den Fuß einer Kette öder und trauriger Höhen, welche den Saum des Alpuxarra Gebirgs bildet. Von dem Gipfel einer dieser Höhen warf Boabdil seinen letzten Blick auf Granada; er trägt den ausdrucksvollen Namen seiner Leiden, la Cuesta de las Lagrimas, (Thränenhügel). Jenseits desselben windet sich ein sandiger Weg durch eine rauhe, freudlose Oede, welche dem unglücklichen König doppelt trübselig erschienen seyn mag, da sie zur Verbannung führte.

Ich spornte mein Pferd auf die Höhe eines Felsen, wo Boabdil seinen letzten schmerzvollen Ruf ausstieß, als er seine Augen von dem letzten Abschiedsblick abwandte: er heißt jetzt noch El ultimo Suspiro del Moro, (der letzte Seufzer des Mauren). Wer wundert sich über seinen Schmerz, sich aus einem solchen Königreich und einer solchen Wohnung verbannt zu sehen? Mit der Alhambra schien er alle Ehren seines Stammes allen Ruhm und alle Freuden des Lebens aufzugeben.

Hier war es auch, wo sein Kummer durch den Vorwurf seiner Mutter, Ayxa, welche ihm so oft in den Zeiten der Gefahr beigestanden, und sich vergeblich bemüht hatte, ihm ihren eigenen entschlossenen Geist einzupflanzen, noch verbittert wurde. »Du thust wohl,« sagte sie, »daß du das wie ein Weib beweinst, was du nicht wie ein Mann vertheidigen konntest,« – eine Rede, welche mehr von dem Stolz der Fürstin als der Zärtlichkeit der Mutter zeugt.

Als der Bischof Guevara Karl dem Fünften diese Anekdote erzählte, stimmte der Kaiser in den Ausdruck der Verachtung über die Schwäche des schwankenden Boabdils ein. »Wäre ich Er, oder Er ich gewesen,« sagte der stolze Herrscher, »so hätte ich die Alhambra eher zu meinem Grabe gemacht, als ich ohne ein Königreich in der Alpuxarra gelebt hätte.«

Wie leicht haben die, welche in Macht und Glück leben, dem Besiegten Heldenmuth predigen! wie wenig begreifen sie, daß das Leben selbst an Werth bei dem Unglücklichen steigen kann, dem nichts als das Leben bleibt.


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