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Nachschrift des Herausgebers
Mit jenen andeutenden Worten schließen die Hefte, welche uns vorliegen. Ein schweres häusliches Unglück traf unsern Freund nach Jahresfrist seit dem Besuche des kölnischen Karnevals. Wir sind im Besitz der Geschichte jenes Zwischenraumes und haben leider die Folgen eines Scherzes zu berichten, welche ernsthafter wurden als die des Schwankens von Tugend und Großmut, den sich die schelmische Gräfin mit ihrem Eheherrn erlaubte.
Denn freilich hatte Adolfine – so nennen wir die Gattin unsers Freundes – die Wirkungen nicht berechnet, als sie in ihrem Manne das Bild der unglücklichen Sidonie erneuerte – die Wirkungen, welche ein so unbedachtes Unternehmen hervorbringen mußte und hervorbrachte. Damit man ihr Verfahren nicht gar zu unweiblich finde, müssen wir zur Entschuldigung anführen, daß ihr Gefühl, ihr Dasein überhaupt gestört und aus den Schranken gerückt war, innerhalb welcher der Charakter einer Frau sich nur mit Anmut und Schönheit darstellen kann. Der Oheim, welcher sie erzogen, Vatersrechte über sie geübt hatte, war eine Art von geistigem Epikureer; die Abwechselung der Genüsse bedeutete ihm erst den Genuß; Reisen allein hielt er für Leben. Das muntere, schöne Kind führte er überall mit umher; eine leichte Sorge, die Zugabe eines herzlichen Verhältnisses mochte er wohl als Beiessen zu dem Mahle der Freude, welches er sich auf seinen Wanderungen von Süden nach Norden und von Norden nach Süden gab. Sie lag als kleines Mädchen auf seinen Knien, während die Wogen des Kattegats peitschend über das Schiff flogen, und rief ängstlich weinend: «Onkel, laß uns nach Hause!» Sie zog als Jungfrau mit ihm über den Simplon und schwirrte an seiner Seite durch die Pariser Säle. Eine Häuslichkeit hatte sie noch nicht gekannt, als sie selbst berufen ward, eine zu gründen. Dazu kam, daß sie mit der Gewalt einer erwachenden feurigen Natur geliebt hatte und, wie sie glauben mußte, grenzenlos betrogen worden war. Damals zerbrach ihr Glaube an männlichen Wert; sie hatte niemanden, dem sie sich anvertrauen durfte; der Oheim machte französische Epigramme auf den Ungetreuen; ihr Herz verblutete unter dem bunten Schleier leichter glänzender Tage; sie fand endlich, um nur fortbestehen zu können, den Ton einer milden fliegenden Heiterkeit, mit dem sie das Weh ihrer Seele überdeckte und verhüllte.
Noch voll von schmerzlichen Reminiszenzen aus Italien zurückkehrend, fand sie unsern Freund. Amor war es nicht, der hier die Fackel zündete. Aber sie war des Umherziehens müde; sie meinte, die Herrschaft sei das einzige, was man hienieden erreichen könne; sie lachte über den weichen gutmütigen Mann; sie täuschte sich über ihn, und so reichte sie ihm die Hand. Wunderbar! Der Ehestand, der sonst das Gefühl tötet, erweckte das ihrige; sie sah die Schwäche Gustavs gepaart mit einem unendlich reinen Herzen, seine Unbeholfenheit, seine Pedanterei verschwistert mit der tiefsten Empfindung und einem reichen Geiste, von dem er nur keine Anwendung machen konnte. Erstaunt über diese Entdeckungen, wunderte sie sich, daß ihr dieselben nicht schon lange aufgegangen waren. Ihr Gemüt freute sich wie über einen unvermutet ausgegrabenen Schatz; sie wußte nicht, wie ihr geschehen war. Es lag hinter ihr wie eine Dämmerung; eine sanfte Wärme begann, die abgestorbenen Blüten ihres Herzens neu zu beleben.
Indessen blieb das Glück diesem Bunde fern. Der nacherworbene Geliebte hätte ihr imponieren müssen; das war nicht der Fall. Scheinbar beschränkt, erfahrungslos stand er der Vielgereisten, die alles gesehen und gehört hatte, gegenüber. Auch schämte sie sich gewissermaßen ihrer Empfindung, die sie eine Schwäche nannte; sie fürchtete eine volle Hingebung, die sie einmal so schwer hatte büßen müssen; abwechselnd kokett und kalt, traf sie nie das rechte Wort, welches nur ein unschuldiges Wesen aus der Fülle der überströmenden Liebe dem Manne zu sagen vermag. Sie fürchtete immer zu verlieren, sie kränkelte sich zwischen Stolz, Wehmut und Lachen hin; sie war, daß wir es kurz sagen, eine geistreiche Frau, wie wir so viele sehen. Er auf seiner Seite verstand das Übel nicht und machte es durch Sentimentalität ärger. Was er ihr gab, das nahm sie hin als Recht; die Forderungen seines Herzens schien sie nur halb, gezwungen, zweifelnd anzuerkennen. So schwankten ihre Tage unter Necken, Abstoßen, Anziehen, Suchen, Vermeiden weiter. Es war eine von den Ehen, die sich unter dem Segen des Spruches: Und er soll dein Herr sein! geschlossen sind.
Eine unbändige Eifersucht ergriff sie, als unvorsichtig hingeworfene Worte Gustavs sie im allgemeinen von dem Abenteuer zu Ems unterrichteten. Er hatte eine sonderbar strenge Meinung von der Pflicht der Ehegatten, einander alles anzuvertrauen, und legte durch eine Tugend, die niemand von ihm verlangte, den Grund zu den nachherigen Verwicklungen. Oder wirkte ein weniger reines Motiv? So viel ist gewiß, daß er von Sidonien zu sprechen anfing, als Adolfine einmal besonders kalt und grillenhaft sich betragen hatte. – Sie wurde durch sein Geständnis sehr aufgeregt. In ihren Gedanken machte sie sich jene geheimnisvolle Schöne, die wahrlich keine gefährliche Nebenbuhlerin mehr war, zur fürchterlichen Feindin; sie sah die Gestalt wachend und träumend vor sich. Sie hätte dieses Gespenst gern vernichtet, zu dem, ihr unbewußt, ihre Leidenschaft für Gustav sich zusammengeballt hatte. Aber ihr Stolz verriet nichts; auch jetzt ward der Spott zum Deckmantel einer Qual, die sie sich so ganz ohne Not selbst schuf. Welch ein Triumph für sie, als sie mit dem Ringe den Schlüssel zu der Geschichte erhielt! Nun war die Rivalin entlarvt, vernichtet; es stand bei ihr, in dem Herzen ihres Gatten an die Stelle der von ihr erträumten Empfindung Zorn und Verachtung zu pflanzen. Sie kannte sich nicht vor Freude und Genugtuung. Übermütig, verblendet, durch ein freies Leben an manche Freiheit gewöhnt, wollte sie das Possenspiel mit einer Posse enden und mit unglücklichem Vorwitz eine bedenkliche Prüfung in Gustavs Gefühlen anstellen. So, die Rücksicht auf ihn, auf ihr Verhältnis nicht achtend, pilgerte sie, die Törin, zum Kölner Torenfeste und ahnte nicht, welche Nachschmerzen diesem Wirbel folgen würden.
Denn freilich konnte nur eine eifersüchtige Frau, welche bloß hörte und las, was ihrer Leidenschaftlichkeit zusagte, in Sidonien die gemeine Betrügerin sehen. Gustav las, was wirklich in jenem Protokolle stand: die Schmerzensworte einer edeln gefallenen Natur. Und er las noch mehr zwischen den kalten gerichtlichen Zeilen. «Hättest du nur Ort und Name genannt, arme Sidonie», rief er in der Stille für sich, «daß mich der Richter ausgefunden, daß ich von deinem Schicksale gehört hätte!» Er wußte, was sie abgehalten hatte, Ems und ihn zu bezeichnen; es war dasselbe Gefühl, welches ihr den Mund verschloß, als sie, durch die Seitentür in sein Zimmer tretend, ihm den Raub entdecken wollte. Aber... er verlor sich in Nachsätze, die er nicht ausdenken mochte. Vor seiner Frau beschloß er zu schweigen. Das Wiederfinden in Köln behielt er für sich. Dennoch erfolgte bald eine Erklärung, die beide Teile nachher gern ungeschehen gewünscht hätten. Adolfine fand ihren Gatten einige Tage nach jenen Entdeckungen im Boskett, das Haupt in der Rechten, versenkt in tiefe Gedanken. Die erste Märzensonne hatte ihn ins Freie gelockt. Mit einem Stäbchen, welches er nachlässig spielend in der Linken hielt, hatte er etwas in den Sand gekratzt. Sie trat, unbemerkt von ihm, herzu und sah zu ihrer Betrübnis ein böses S am Boden. In diesem Augenblicke war sie vom Haupt bis zur Sohle eine Flamme. Sie verriet ihre Anwesenheit durch einen tiefen Atemzug. Er blickte auf und zerstörte blitzschnell mit dem Fuße das Werk seiner Träumerei, Purpur und Glut im Gesichte. Sie wußte, woran sie war. Schien ihr nicht aus seinem Antlitze die Fackel, die ihre Erniedrigung, ihre Zurücksetzung beleuchtete? «Elende, Nichtswürdige, Abscheuliche!» stammelte sie und sank schluchzend auf eine Bank. Er hatte sich gefaßt und trat vor sie. «Die Namen verdient sie nicht», sagte er mit einer höheren Festigkeit, als sie an ihm zu erblicken gewohnt war, «und niemand soll sie in meiner Gegenwart so nennen.»
«Ha», rief sie, «ich verhöhnt um eine Buhlerin...!» Der Zorn schlug ihm die Zähne aneinander. «Es fragt sich noch», sagte er, «wer besser ist: die Frau, welche in kalter Rechtfertigkeit mit Gefühlen ihren Spott treiben konnte, oder die arme Sünderin, der die Augen leuchteten, als sie mir mein verwahrtes Eigentum zurückgab? Es kommt die Stunde, wo wir alle der Vergebung bedürfen. Fordere das Schicksal nicht heraus! Denke auch du des Wortes, welches Sidonie mir beim Abschied sagte: Richte nicht!»
Sie meinte, verfinstert, wie sie war, er spiele auf ihre italienischen Verhältnisse an, von denen er doch gar nichts wußte. «Daran mich zu erinnern!» fuhr sie heftig auf. «Daran! Jetzt! Pfui!» Sie warf ihm einen Blick zu, in dem ihre erzürnte Seele loderte. Er wollte sie zurückhalten; sie riß sich los und eilte in das Haus. Er wartete auf sie vergeblich beim Abendessen. Der Bediente sagte ihm, die gnädige Frau befinde sich nicht wohl. Vor ihrem Zimmer stand die Jungfer und bat ihn mit einem verlegenen Gesichte, nicht hineinzugehen; ihre Herrin habe ihr aufgetragen, niemanden zu ihr zu lassen, auch den Herrn nicht; sie wolle schlummern und nicht gestört sein. Traurig kehrte er um; ihm war sehr übel zumute. «Daran... Woran?» murmelte er düster vor sich. Er wiederholte diese Worte so oft, daß man hätte glauben können, er wünsche zu entdecken, woran seine Frau nicht hätte erinnert sein wollen.
So betrübte Fastentage folgten in diesem Hause dem lustigen Karneval. Indessen konnte noch alles zum Guten ausschlagen; die Verstimmung war ja nur eine von den vielen, die an der Macht des Alltags und der Gewohnheit sich auflösen. Die Gatten versöhnten sich denn doch wieder; man nahm sich vor, man versprach einander unter Küssen und Tränen, daß von der unglücklichen Sache nicht mehr die Rede sein, daß der Name Sidoniens nicht ferner mehr genannt werden solle. Und darin hielten sie Wort. Nur bemerkte freilich Gustav, daß Adolfine unruhig wurde, wenn er Briefe empfing, deren Inhalt er ihr nicht gleich mitteilte, wenn sich Personen bei ihm anmelden ließen, die ihr unbekannt waren. Nur fiel es ihr auf, daß er das Gespräch, und oft mit einem gewissen Zwange, auf ihre Lebensumstände brachte, sich von ihr erzählen ließ, wie es ihr da und dort gefallen habe, was ihr da und dort begegnet sei. «Kann sie denn nie Ruhe haben und halten?» sprach er für sich. – «Will er mich ausforschen?» dachte sie in der Stille. Ihr Benehmen wurde gemessen, negativ – das seinige, in der Absicht, die Reinheit seines Bewußtseins darzutun, ängstlich und manieriert. Gegeneinander waren sie vorsichtiger als früher; man vermied sorgfältiger alles, was zu Differenzen führen konnte. Es stand etwas tief an ihrem Horizonte wie ein weißes gefährliches Wölkchen; sie fürchteten und wußten nicht was; aber sie fürchteten, jede Stunde könne ihnen ein Unglück bringen. – Eines Tages sagte Gustav zu seiner Frau: «Laß uns beizeiten essen! Ich verreise heute nachmittags» Sie stutzte über diese plötzliche Ankündigung und fragte mit erheuchelter Gleichgültigkeit: «Wohin denn?» Er antwortete ihr kurz, daß er die Fabriken im Gebirge besuchen wolle, die zu sehen er schon lange sich vorgenommen habe, nahm zur bestimmten Stunde einen flüchtigen Abschied und stieg in den Wagen. Sie sah ihm betroffen nach und brach in Tränen aus, als der Schall der Räder nicht mehr zu hören war. Sie machte sich zu tun, um über ihre Stimmung Herr zu werden. Umsonst, es lag auf ihrer Brust wie ein Berg. Gegen Abend besuchte sie der Bruder. Sie hatte nicht Lust zu reden und bat ihn, ihr etwas vorzulesen. Er kramte umher; endlich fand er einen Band und wollte beginnen, als sie, den Titel auf dem Rücken des Buchs erblickend, ausrief: «Um Gottes willen, was machst du? Das sind ja die Wahlverwandtschaften!» – «Nun», sagte er lachend, «was ist dabei? Es ist ein Buch wie die andern.» – «Ich bitte dich», rief sie von Schauder geschüttelt, «nimm es mit, daß ich es nie wiedersehe. Wenn du wüßtest, welche Erinnerungen sich an dieses Buch knüpfen!»
«Hier steht vorn auf dem weißen Blatte der Name des Gebers», sagte er in seiner kaltblütigen Art. «Seiner Freundin Adolfine der Marquis... Ich kann den Namen nicht lesen. Florenz... Was für ein Marquis war das? Du hast ja nie von einem Marquis gesprochen, den du in Italien gekannt.»
«Es war eine flüchtige Bekanntschaft!» versetzte sie errötend und erbleichend. «Mir ist nicht wohl, Bruder, schlafe wohl! Nimm die Wahlverwandtschaften mit, ich schenke sie dir. Es wird früh genug alles kommen, wie es in dem Buche steht.»
Er lachte über diese Melancholie. «Wenn du nicht so vernünftig wärst», sagte er, «so würde ich glauben, du wolltest dich auch wie so viele Weiber jetzt mit deinen Nerven interessant machen. Wo ist dein Mann?» – «Verreist nach den Fabriken im Gebirge – so sagte er», versetzte sie. «Ich glaube aber, er ist ganz woanders hin.»
Der Bruder schüttelte den Kopf. «Wenn ich nur wüßte, was ihr miteinander vorhabt!» sagte er, indem er Abschied nahm.
Gustav hatte eine halbe Stunde vor der Stadt den PostilIon halten und umkehren lassen; er habe seinen Reiseplan geändert, sagte er zum Schwager. Er ging einige hundert Schritte durch Wiesen und Felder, seinen leichten Mantelsack selbst unter dem Arm tragend. Vor der Türe eines dürftigen Hauses hielt der Bewohner ein Pferd, gesattelt und gezäumt. Unser Freund schwang sich auf, empfahl dem Manne Verschwiegenheit, drückte ihm ein Stück Geld in die Hand und trabte seitwärts, Gehölz und Feld in entgegengesetzter Richtung durchschneidend, davon.
Wir lassen den Beweggrund zu diesem geheimnisvollen Verfahren vorderhand auf sich beruhen und melden nur, daß der Reiter dem Gebirge mit seinen Fabriken den Rücken wies und sich in der Richtung nach Köln zu rasch fortbewegte. Der Frühling lachte über den Gefilden und weinte aus den frisch beschnittenen Zweigen der Rebe. Gustav machte seiner lange eingeschnürt gewesenen Brust in tiefen Atemzügen der Wehmut Luft, als er sich so allein sah zwischen Saatengrün, Baumblüte und Lerchenwirbel. «Ach», rief er, «alles Schöne in der Natur kehrt wieder, die Knospen am Baume, das Jauchzen der Vögel, die segenschwangere Ähre, die blaue schwellende Traube – warum muß der Mensch nur einmal blühen und dann nicht wieder? Warum sterben unsre Hoffnungen, warum erlischt unsre Zuversicht, ehe wir sie genossen haben?» Er gedachte seiner frischen Jugend und des Tages, wo er mit den Freunden seiner ersten Zeiten im Angesicht des Stromes den Bund für die Ewigkeit beschwor. – Die Welle hatte den Schwur vernommen und ihn ins Meer getragen; die Freunde zerstreuten sich, und wenn der Zufall später zwei wieder zusammenführte, so ging es wie auf dem Karneval, keiner hatte mehr mit dem andern etwas zu teilen; er gedachte des Tages, wo er an Adolfinens Brust sank, in den Armen eines Weibes das Glück zu finden – hatte er es gefunden? Das ganze Leben schien ihm so recht eigentlich auf eine trostlose Mittelmäßigkeit, auf eine dürre Gemeinheit angelegt zu sein. Keine Gewähr für irgend etwas, was über die armselige Not, über das Bedürfnis des Tages hinausgeht! Dann leuchtete ihm wieder wie eine himmelblaue Blume aus Moder und Zerstörung die Liebe jener Unglücklichen entgegen. «Ja, diese war mein Eigen!» rief er aus. «Diese hätte mich verstanden, sie hätte nicht meiner gespottet; in den Tod und zu der Hölle wäre sie für mich gegangen! Warum auch das noch erfahren?» Er fühlte sein Dasein zerstückt; aber in jedem Stücke zuckte und blutete ein Herz.