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Athen. Ein freier Platz, umgeben von Säulengängen. Auf dem Platz Bildsäulen und Springbrunnen. In der einen Ecke zur Linken mündet eine enge Straße. Sonnenuntergang.
Basilios von Cäsarea, ein junger Mann von feinem Körperbau, sitzt lesend an einem Sockel. Gregor von Nazianz und andere Hochschüler wandeln in einzelnen Gruppen auf und nieder in den Säulengängen. Ein größerer Haufe läuft lärmend über den Platz rechts hinaus. Lärm in der Ferne.
Basilios von Cäsarea sieht von seinem Buch auf. Was bedeutet das wilde Geschrei?
Gregor von Nazianz. Ein Schiff von Ephesos ist gelandet.
Basilios. Mit neuen Lehrlingen?
Gregor. Ja.
Basilios erhebt sich. So werden wir eine geräuschvolle Nacht haben. Komm, Gregor, – meiden wir dieses zuchtlose Treiben.
Gregor zeigt nach links. Sieh dort hin –. Ist das ein erfreulicherer Anblick?
Basilios. Prinz Julian – mit Rosen im Haar, mit glühendem Anlitz –
Gregor. Ja, und hinter ihm her mit schwanken Schritten und trunkenen Augen diese Schar! Hör' nur, wie weinselig die Zungen lallen! Man hat den ganzen Tag in Lykons Schenke gesessen.
Basilios. Und viele darunter sind von den unseren, Gregor, – sind christliche Jünglinge –
Gregor. So nennen sie sich. Nannte nicht auch Lampon sich Christ, – er, der die Tochter des Ölhändlers Zenon kränkte? Und Hilarion von Agrigent, und die beiden andern, die verübten, was zu nennen mich ekelt –
Julian ruft von links draußen, so daß man ihn hört: Ei sieh da, sieh da, – Kastor und Pollux von Kappadocien!
Basilios. Er hat uns bemerkt. Ich will fort, – ich ertrage es nicht, ihn so zu sehen.
Gregor. Ich bleibe – er bedarf wohl eines Freundes.
Basilios geht rechts ab; in demselben Augenblick kommt Julian und eine Schar junger Leute aus der engen Straße; sein Haar ist wirr; er trägt einen kurzen Mantel wie die übrigen; unter den Schülern ist Sallust von Perusia.
Stimmen aus der Schar. Es lebe die Leuchte Athens! Es lebe der Weisheit und Beredsamkeit liebende Freund!
Julian. Alle Schmeicheleien helfen nicht; nicht einen Vers bekommt Ihr heute mehr.
Sallust. Wenn unser Führer schweigt, so fühlen wir eine Leere in uns wie am Morgen nach einem nächtlichen Fest.
Julian. Soll es sein, so laßt es etwas Neues sein. Laßt uns Rechtshandel spielen.
Die ganze Schar. Ja, ja, ja! Fürst Julian auf den Richterstuhl!
Julian. Weg mit dem Fürsten, Ihr Freunde, –
Sallust. Steig hinauf, Unvergleichlicher!
Julian. Ich sollte mich vermessen –? Hier steht der Mann. Wer ist wohl so bewandert im Recht wie Gregor von Nazianz?
Sallust. Das ist wahr!
Julian. Auf den Richterstuhl, mein weiser Gregor! Ich bin der Angeklagte!
Gregor. Ich bitte Dich, Freund, laß mich aus dem Spiel.
Julian. Auf den Richterstuhl, sag' ich! Auf den Richterstuhl! Zu den anderen. Was habe ich verbrochen?
Einige Stimmen. Ja, was soll es sein? Wähle selbst!
Sallust. Laßt es was Galiläisches sein, wie wir Gottlosen sagen.
Julian. Jawohl, was Galiläisches! Jetzt hab' ich's – Ich habe mich geweigert, dem Kaiser Tribut zu zahlen –
Viele Stimmen. Haha –. Nicht übel –. Ausgezeichnet –
Julian. Hier werde ich vorgeführt – unter Stößen in den Nacken – die Hände verschnürt –
Sallust zu Gregor. Blinder Richter, – ich meine das, insofern die Gerechtigkeit blind ist – sieh diesen verwegenen Mann. Er hat sich geweigert, dem Kaiser Tribut zu zahlen.
Julian. Erlaube mir, ein Wort in die Wagschale der Überlegung zu werfen. Ich bin ein griechischer Bürger. Wieviel ist ein griechischer Bürger dem Kaiser schuldig?
Gregor. Was der Kaiser fordert.
Julian. Gut! Aber wieviel, – antworte, als ob der Kaiser selbst mit zu Gerichte säße –: wieviel darf der Kaiser fordern?
Gregor. Alles.
Julian. Wahrhaftig, eine Antwort, als ob der Kaiser selbst zugegen wäre. Aber da ist noch ein Haken. Denn es steht geschrieben: Gib dem Kaiser, – was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist.
Gregor. Nun, und?
Julian. So sag' mir, gescheiter Richter, – wieviel von meinem Eigentum gehört Gott?
Gregor. Alles.
Julian. Und wieviel von diesem Eigentume Gottes darf ich dem Kaiser geben?
Gregor. Liebe Freunde, genug dieses Spiels!
Die Schüler unter Lärm und Gelächter. Doch, doch! Antworte ihm!
Julian. Wieviel von Gottes Eigentum darf der Kaiser fordern?
Gregor. Ich antworte nicht. Das ist unschicklich gegen Gott und den Kaiser! Laßt mich fort!
Viele Stimmen. Schließt einen Kreis um ihn!
Julian. Haltet ihn fest! Was, Du ungeschicktester der Richter, Du hast des Kaisers Sache verpfuscht und jetzt willst Du auf und davon? Du willst fliehen? Wohin, wohin? Zu den Skythen? Her zu mir! Antwortet mir, Ihr künftigen Diener des Kaisers und der Weisheit, – hat er sich nicht der Macht des Kaisers entziehen wollen?
Julian. Und welche Strafe setzt Ihr auf solche Missetat?
Stimmen. Den Tod! Den Tod in einem Weinfaß!
Julian. Laßt uns überlegen. Laßt uns antworten, als ob der Kaiser selbst zugegen wäre. Wo ist die Grenze für des Kaisers Macht?
Einige aus der Schar. Des Kaisers Macht ist ohne Grenzen.
Julian. Das wollt' ich meinen. Aber dem Grenzenlosen sich entziehen wollen, – ist das nicht Wahnsinn, Ihr Freunde?
Die Schüler. Ja, ja – der Kappadocier ist verrückt!
Julian. Und was ist also Wahnsinn? Wie haben unsere Väter solchen Zustand beurteilt? Was haben die ägyptischen Priester gelehrt? Was sagt der Mystiker Maximos und die andern Weisheitsfreunde in den Morgenlanden? Sie sagen, daß das himmlische Rätsel sich in den Wahnsinnigen offenbare! Unser Gregor also – indem er sich auflehnt gegen den Kaiser – steht in besonderem Bunde mit dem Himmel. Weinspenden für den Kappadocier! Lieder zum Preis unseres Gregor! Eine Ehrensäule für Gregor von Nazianz!
Die Schüler unter Lachen und Jubel. Gepriesen sei der Kappadocier! Gepriesen des Kappadociers Richter!
Der Weisheitslehrer Libanios kommt über den Platz, umgeben von Schülern.
Libanios. Ei sieh da, – ich glaube gar, mein Bruder Julian verkündet Weisheit auf offenem Markte.
Julian. Sag' Torheit, mein Lieber. Die Weisheit ist ja ausgewandert.
Libanios. Ist die Weisheit ausgewandert?
Julian. Oder im Begriff auszuwandern; denn, nicht wahr, auch Du willst nach Piräus hinunter?
Libanios. Ich, mein Bruder? Was sollte ich in Piräus?
Julian. Unser Libanios ist also der einzige Lehrer, der nicht weiß, daß eben ein Schiff von Ephesos gelandet ist?
Libanios. Ei, Freund, was geht mich dieses Schiff an?
Julian. Es ist bis zum Rand beladen mit Sprößlingen der Gelehrsamkeit –
Libanios höhnisch. Es kommt ja von Ephesos!
Julian. Hat das Gold nicht gleiches Gewicht, wo es auch herkommt?
Libanios. Gold? Haha! Die Goldenen behält Maximos für sich selbst – die läßt er nicht fort. Was sind denn das für Schüler, die gewöhnlich von Ephesos zu uns kommen? Krämersöhne, Erstgeborene von Handwerkern! Gold, sagst Du, mein Julian? Ich sage – Mangel an Gold. Aber diesen Goldmangel will ich mir zu nutze machen, um daraus eine echte, vollwichtige Goldmünze für Euch, Ihr Jünglinge, zu prägen. Oder ist vielleicht nicht eine nützliche Lehre für das Leben, – in einer sinnreichen und anziehenden Form vorgetragen, – mit einer vollwertigen Goldmünze zu vergleichen? – – Hört denn, wenn es Euch beliebt. Hier wurde gesagt, daß gewisse Männer in Hast nach Piräus hinuntergeeilt sind. Wer sind sie, die es so eilig haben? Es sei ferne von mir, Namen zu nennen! Sie selbst nennen sich Freunde und Lehrer der Weisheit. Versetzt Euch im Geist nach Piräus! Was geht da vor in diesem Augenblick, da ich hier in Eurem wohlwollend lauschenden Kreise stehe? Ich will Euch sagen, was da vorgeht. Jene Männer, die da selber glauben, die Weisheit zu lieben und zu verkünden, sie rotten sich auf der Landungsbrücke zusammen; sie puffen, zanken, beißen sich, vergessen alle Schicklichkeit und setzen allen Anstand hintan. Und warum? Um die ersten an den Ruderbänken zu sein, – um die am feinsten gekleideten Jünglinge an sich zu reißen, sie in ihre Häuser zu führen, sie aufzunehmen, in der Hoffnung, später aus ihnen auf alle Art Vorteile zu ziehen! Dann aber welche Beschämung und wie nach einem Rausch welche Öde des Erwachens, wenn es sich nach kurzer Frist zeigt – hahaha! – daß jene Jünglinge kaum so viel mitbrachten, als nötig ist, um den Willkommschmaus zu zahlen! – Lernt hieraus, Ihr Jünger, wie schlecht es einem Freund der Weisheit ansteht, und wie wenig es sich lohnt, nach Gütern zu trachten, die außerhalb der Wahrheit liegen.
Julian. O mein Libanios, wenn ich Dir mit geschlossenen Augen zuhöre, so versinke ich in einen süßen Traum, – als ob Diogenes wieder unter uns auferstanden wäre.
Libanios. Dein Mund ist fürstlich verschwenderisch, mein Liebling!
Julian. Keineswegs. Und doch war ich nahe daran, Deine Rede zu unterbrechen; denn diesmal wird jedenfalls einer von Deinen Mitbrüdern sich kaum getäuscht sehen.
Libanios. Mein Freund scherzt.
Julian. Dein Freund versichert Dir, daß zwei Söhne des Statthalters Milon an Bord sind.
Libanios faßt ihn am Arm. Was sagst Du?
Julian. Der Diogenesjünger, der die zur Erziehung bekommt, wird kaum nötig haben, vor Armut aus der hohlen Hand zu trinken.
Libanios. Die Söhne des Statthalters Milon! Jenes edlen Milon, der dem Kaiser sieben persische Rosse mit perlenbesticktem Sattelzeug gesandt hat.
Julian. Viele fanden diese Gaben für einen Milon noch zu gering.
Libanios. Sehr wahr. Milon hätte ein Gedicht schicken müssen; oder er hätte eine wohlgesetzte Rede oder einen Brief schicken sollen. Milon ist ein reich veranlagter Mann; die ganze Sippe des Statthalters Milon ist reich veranlagt.
Julian. Zumal die beiden Jünglinge!
Libanios. Das will ich meinen. Die Götter mögen geben, um des wohltätigen und freigebigen Vaters willen, daß sie in gute Hände geraten! So hattest Du doch recht, Julian. Das Schiff brachte wirklich Gold aus Ephesos. Denn sind nicht Gaben des Geistes das echte Gold? Aber es läßt mir keine Ruhe – das Wohlergehen dieser jungen Leute ist in der Tat eine Sache von Wichtigkeit. – Es hängt so viel davon ab, in wessen Hände sie zuerst fallen. Meine jungen Freunde, wenn Ihr denkt wie ich, so reichen wir den beiden Fremdlingen die leitende Hand, – sind ihnen bei der Wahl des passendsten Lehrers und der Wohnung behilflich und –
Sallust. Ich bin dabei!
Die Schüler. Nach Piräus! Nach Piräus!
Sallust. Wie die Eber wollen wir für Milons Söhne um uns hauen! Alle gehen mit Libanios rechts ab; nur Julian und Gregor bleiben im Säulengang zurück.
Julian folgt ihnen mit den Augen. Sieh, wie sie davonspringen gleich einer Rotte Faune. Wie sie sich lüstern die Mundwinkel lecken nach der Mahlzeit, die es heut nacht gibt. Wendet sich zu Gregor. Sendeten sie diesen Augenblick einen Seufzer zu Gott, so geschah's wohl nur, um ihn zu bitten, er möge ihre Magen vom Frühstück leeren.
Gregor. Julian –
Julian. Schau' mich nur an, – ich bin nüchtern.
Gregor. Ich weiß. Du hältst Maß in allen Dingen. Und doch lebst Du dieses Leben mit.
Julian. Warum nicht? Wissen wir beide denn, wann der Blitz herniederfährt? Warum denn nicht einen hellen, sonnigen Tag leben? Hast Du vergessen, daß ich meine Kindheit und ersten Jünglingsjahre in einer goldenen Sklaverei hingeschleppt habe? Es war mir zur Gewohnheit geworden, ja, ich kann wohl sagen, zu einer Art Bedürfnis, jenes gewisse schreckhafte Etwas über mir zu fühlen. Und nun? Diese Grabesstille von Seiten des Kaisers; – dieses lauernde Schweigen! Ich verließ Pergamon ohne des Kaisers Einwilligung; der Kaiser schwieg dazu. Ich ging auf eigne Faust nach Nikomedia; ich lebte dort und studierte bei Nikokles und den anderen, – der Kaiser ließ es geschehen. Ich zog nach Athen, suchte Libanios auf, mit dem mir der Kaiser verboten hatte zu verkehren; – der Kaiser hat bis heutigen Tages geschwiegen! Wie soll ich mir das deuten?
Gregor. Du sollst es in Liebe deuten, Julian!
Julian. O, Du weißt nicht –! Ich hasse diese Macht, die über mir ist, – schrecklich, wenn sie handelt – noch schrecklicher, wenn sie ruht.
Gregor. Sei ehrlich, Freund, und sag' mir, ob nur das Dich auf die seltsamen Wege da geführt hat.
Julian. Auf was für seltsame Wege?
Gregor. Ist es wahr, jenes Gerücht: Du verbringest Deine Nächte damit, die heidnischen Mysterien in Eleusis zu ergründen?
Julian. Ach was! Ich kann Dir versichern, bei jenen rätsellüsternen Träumern ist wenig zu holen. Laß uns nicht weiter davon reden.
Gregor. Also ist es doch wahr! Julian, wie konntest Du in diese schändliche Gesellschaft Dich begeben!
Julian. Ich muß leben, Gregor, – und dieses Treiben hier an der Weisheitsschule, das ist kein Leben. Dieser Libanios! Ich verzeihe ihm nie, daß ich ihn so sehr geliebt habe! Wie demütig und vor Freude zitternd trat ich bei meiner Ankunft diesem Menschen entgegen, wie beugte ich mich vor ihm, wie küßte ich ihn und nannte ihn meinen großen Bruder!
Gregor. Ja, es war die Meinung aller Christen, daß Du zu weit gingst.
Julian. Und doch kam ich her, mit Festesstimmung im Herzen. Ich sah im Geiste einen gewaltigen Kampf zwischen uns beiden, – die Wahrheit der Welt, die mit Gottes Wahrheit ringen sollte –. Was ist daraus geworden? Libanios hat diesen Kampf ernstlich nie gewollt. Er hat überhaupt niemals irgendwelchen Kampf gewollt, – er sucht nur das Seine. Ich sage Dir, Gregor, – Libanios ist kein großer Mann.
Gregor. Und doch nennt ihn das ganze, aufgeklärte Griechenland so.
Julian. Und doch ist er kein großer Mann, sage ich Dir. Ein einziges Mal habe ich Libanios groß gesehen; das war in jener Nacht zu Konstantinopel. Da war er groß, weil er ein großes Unrecht erlitten hatte, und weil ein erhabener Zorn ihn erfüllte. Aber hier! O, was habe ich hier nicht alles mit angesehen! Libanios hat ein großes Wissen, – aber er ist kein großer Mann. Libanios ist habgierig; er ist eitel; er ist von Neid zerfressen. Oder glaubst Du, er konnte ertragen, daß ich so glücklich war, – gewiß großenteils durch die Nachsicht meiner Freunde – mir Ruhm zu erwerben? Kommst Du zu Libanios, so kann er Dir aller Tugenden Wesen und Kennzeichen aufzählen. Er hat sie gleich bei der Hand wie die Bücher in seinem Büchersaal. Aber übt er diese Tugenden? Ist sein Leben wie seine Lehre? Er ein Nachfahr des Sokrates und des Platon – haha! Schmeichelte er nicht dem Kaiser, bevor er verbannt wurde? Schmeichelte er nicht mir bei unserer Begegnung in Konstantinopel, dieser Begegnung, die er später auf eine höchst mißlungene Art in ein lächerliches Licht zu setzen versuchte! Und was bin ich ihm nun? Jetzt schreibt er Briefe an Gallos, an Cäsar Gallos, den Erben des Kaisers, und wünscht ihm Glück zu seinem Erfolg in Persien, obwohl dieser Erfolg bisher dürftig genug ist, und obwohl Cäsar Gallos sich weder durch Gelehrtheit noch durch sonderliche Beredsamkeit auszeichnet. – Und diesen Libanios nennen die Griechen hartnäckig den König der Weisheitsfreunde. Ah, ich will nicht leugnen, daß dies mich kränkt. Ich glaubte doch – die Wahrheit zu sagen – daß die Griechen eine bessere Wahl hätten treffen können, wenn sie ihre Blicke ein wenig mehr auf die Pfleger der Weisheit und Beredsamkeit lenkten, die in den letzten Jahren –
Basilios von Cäsarea kommt von rechts. Briefe! Briefe aus Kappadocien!
Basilios. Da – von Deiner Mutter!
Gregor. Von meiner frommen Mutter! Er öffnet den Brief und liest.
Julian zu Basilios. Ein Schreiben von Deiner Schwester?
Basilios, der mit seinem eigenen, schon geöffneten Briefe gekommen ist. Ja, von Makrina. Sie sendet düstere und seltsame Kunde.
Julian. Welche? Welche?
Basilios. Zuerst über Deinen erlauchten Bruder Gallos: er führt streng Regiment in Antiochia.
Julian. Ja, Gallos ist hart. Schreibt Makrina »streng Regiment«?
Basilios sieht ihn an. Makrina schreibt: »blutig« –
Julian. Ich dachte es wohl! Warum gab auch der Kaiser ihm diese ruchlose Witwe, diese Konstantina, zur Frau!
Gregor lesend. O, welch unerhörte Schmach!
Julian. Was gibt es, Freund?
Gregor zu Basilios. Sagt Makrina nichts von den Vorgängen in Antiochia?
Basilios. Nichts Näheres. – Was ist das? Du bist bleich –
Gregor. Du hast doch den edlen Klematios gekannt, den Alexandriner?
Basilios. Jawohl – was ist mit ihm?
Gregor. Er ist ermordet, Basilios!
Basilios. Was sagst Du! Ermordet!
Gregor. Ich nenne das ermordet – sie haben ihn hingerichtet ohne Gesetz und Urteil.
Julian. Wer? Wer hat ihn hingerichtet?
Gregor. Ja, wer? Wie kann ich sagen, wer? Meine Mutter erzählt die Sache so: des Klematios Schwiegermutter war in unreiner Liebe entbrannt zu ihrer Tochter Mann; aber da mit ihm nichts anzufangen war, so verschaffte sie sich durch eine Hintertür Zugang zum Schlosse –
Gregor. Meine Mutter schreibt nur: »zum Schlosse«.
Julian. Nun? Und da?
Gregor. Man weiß nur, daß sie dort einem vornehmen und mächtigen Weibe einen sehr kostbaren Schmuck geschenkt hat, um ein Todesurteil zu erwirken –
Julian. Aber sie erlangten es nicht!
Gregor. Sie erlangten es, Julian!
Julian. Jesus!
Basilios. Entsetzlich! Und Klematios –?
Gregor. Das Todesurteil ward dem Statthalter Honoratos übersandt. Der schwache Mann wagte nicht, sich so hohem Befehl zu widersetzen. Klematios ward ins Gefängnis geworfen und in der Frühe des nächsten Morgens hingerichtet, ohne, wie meine Mutter schreibt, den Mund zu seiner Verteidigung öffnen zu dürfen.
Julian leise und bleich. Verbrennt diese gefährlichen Briefe! Sie können uns alle ins Unglück stürzen.
Basilios. So offenbare Gewalt mitten in einer großen Stadt! Wo sind wir, – wo sind wir?
Julian. Du kannst wohl fragen: wo sind wir! Ein christlicher Mörder, eine christliche Buhlerin, ein christlicher –
Gregor. Klagen bessern nichts an dieser Sache. Was gedenkst Du zu tun?
Julian. Ich? Ich will nicht mehr nach Eleusis – ich will allen Verkehr mit den Heiden abbrechen und Gott dem Herrn danken, daß er die Versuchung der Macht von mir genommen hat.
Gregor. Gut – und dann?
Julian. Ich verstehe Dich nicht –
Gregor. So höre. Du darfst nicht glauben, daß es bei der Ermordung des Klematios sein Bewenden haben wird. Diese unerhörte Schandtat ist wie eine Pest über Antiochia hereingebrochen. Alle Greuel wachen auf und kriechen hervor aus ihren Schlupfwinkeln. Meine Mutter schreibt, es wäre, als hätte ein stinkender Abgrund sich aufgetan. Frauen verraten ihre Männer, Söhne verraten ihre Väter, Priester verraten Glieder ihrer eigenen Gemeinde –
Julian. Es wird noch weiter um sich greifen. Die Niedertracht wird uns alle verderben. – O, Gregor, könnte ich fliehen bis an die Grenzen der Erde –!
Gregor. Dein Platz ist auf der Erde Nabel, Prinz Julian!
Julian. Was verlangst Du?
Gregor. Du bist der Bruder dieses blutrünstigen Cäsar. Tritt vor ihn hin, – er nennt sich ja einen Christen. Schleudere ihm seine Tat ins Angesicht, schmettere ihn hinab in Schrecken und Reue –
Julian zurückweichend. Wahnwitziger, was denkst Du?
Gregor. Hast Du Deinen Bruder lieb? Willst Du ihn erlösen?
Julian. Ich hatte ihn über alles lieb.
Gregor. Du hattest –?
Julian. Solange er nur mein Bruder war. Aber jetzt –. Ist er nicht Cäsar? Gregor, – Basilios – Ihr teuren Freunde, ich zittere für mein Leben, ich atme in Furcht vor Cäsar Gallos. Und ich sollte mich unterfangen, ihm unter die Augen zu treten, ich, dessen bloßes Dasein eine Gefahr für ihn ist!
Gregor. Warum bist Du nach Athen gekommen? Du ließest prahlerisch durch die Länder verkünden: Prinz Julian verläßt Konstantinopel, um wider die falsche Weisheit zu kämpfen, um der christlichen Wahrheit wider die heidnische Lüge zum Siege zu verhelfen. Was hast Du geleistet?
Julian. O, nicht hier sollte die Schlacht geschlagen werden.
Gregor. Nein, nicht hier; – nicht mit Phrase wider Phrase, nicht mit Buch wider Buch, nicht mit spielerischem Wortgefecht im Lehrsaal! Nein, Julian, draußen im Leben, da sollst Du hervortreten – das Leben in den Händen –
Julian. Ich sehe es – ich sehe es!
Gregor. Ja, wie Libanios es sieht. Ihn hast Du verspottet: er kenne aller Tugenden Wesen und Kennzeichen, aber die Lehre sei ihm eben nur Lehre. Wieviel von dem Deinen gehört Gott? Wieviel darf der Kaiser fordern?
Julian. Du hast selbst gesagt, es wäre Verhöhnung –
Gregor. Wessen? Gottes oder des Kaisers?
Julian schnell. Nun denn, – wollen wir zusammen gehen?
Gregor abweisend. Ich habe meinen kleinen Kreis – ich habe meine Sippe zu beschützen. Weiter geht weder meine Macht noch meine Fähigkeit.
Julian will antworten, horcht plötzlich nach rechts hin und ruft: Zum Bacchanal!
Basilios. Julian!
Julian. Zum Bacchanal, Ihr Freunde!
Gregor sieht ihn einen Augenblick an; dann entfernt er sich durch den Säulengang links. Große Scharen von Hochschülern stürmen mit den neuen Ankömmlingen unter Lärm und Geschrei auf den Markt.
Basilios näher. Julian, willst Du mich hören?
Julian. Sieh da, sieh da! Sie haben ihre neuen Freunde ins Bad geführt, ihnen das Haar gesalbt. Sieh, wie sie ihre Knüppel schwingen, wie sie heulen und das Pflaster stampfen. Was sagst Du, Perikles? Ich meine, Deinen zornigen Schatten zu gewahren –
Basilios. Komm, komm!
Julian. Schau, da haben sie einen Nackten unter sich! Da kommen Tänzerinnen! Siehst Du, wie –!
Basilios. Pfui, pfui! Wende Dein Auge ab!
Der Abend ist hereingebrochen. Die ganze Schar lagert sich auf dem Markt am Springbrunnen. Man bringt Wein und Früchte. Geschminkte Mädchen tanzen beim Fackelschein.
Julian nach kurzem Schweigen. Sag' mir, Basilios, warum war die heidnische Sünde so schön?
Basilios. Du irrst, Freund; es ist schön gedichtet und berichtet von der heidnischen Sünde – aber sie war nicht schön.
Julian. Was sagst Du? War nicht Alkibiades schön, wenn er, vom Weine heiß, wie ein junger Gott durch die nächtigen Gassen Athens stürmte? War er nicht schön in seinem Trotz, – wenn er Hermes verhöhnte und an die Türen der Bürger pochte, wenn er ihren Frauen und Töchtern rief, – indessen die Weiber drinnen erbebten und in seufzendem, atemlosem Schweigen nichts sehnlicher wünschten als –
Basilios. O, ich bitte Dich flehentlich, leih mir Dein Ohr!
Julian. War nicht Sokrates schön beim Symposion? Und Platon? Und die andern heiter schwelgenden Genossen? Und doch trieben sie Dinge, die jene christlichen Halbschweine da hinten abschwören würden vor Gott, beschuldigte sie einer dessen. Und dann denk an Oedipus, Medea, Leda –
Basilios. Dichtung, Dichtung! Du wirfst Wahrheit und Dichtung zusammen!
Julian. Haben nicht die erdichteten Sinne und Willenskräfte die Verhältnisse der wirklichen? Sieh unsere heiligen Schriften an, die alten wie die neuen! War die Sünde schön in Sodom und Gomorrha? Rächte Jehovas Feuer nicht das, was Sokrates ohne Scheu getan hat? – O, wenn ich dies Leben in Saus und Braus lebe, so denke ich oft bei mir, ob die Wahrheit denn wirklich die Feindin der Schönheit sein sollte.
Basilios. Und in solch einem Augenblick kannst Du nach Schönheit seufzen? Hast Du so schnell vergessen, was Du eben gehört hast?
Julian sich die Ohren zuhaltend. Kein Wort mehr von jenen Greueln! Alles, was in Antiochia geschehen ist, wollen wir von uns abschütteln – –. Sag' mir, was schreibt Makrina sonst noch? Es war noch etwas – ich glaube, Du sagtest – wie nanntest Du die übrigen Nachrichten?
Basilios. Seltsam.
Julian. Jawohl, ja – und warum?
Basilios. Sie schreibt von Maximos in Ephesos –
Julian lebhaft. Dem Mystiker?
Basilios. Ja, von diesem rätselhaften Mann. Er ist wieder aufgetaucht; diesmal in Ephesos. Das Land ringsum ist in Gärung. Maximos ist in aller Munde. Entweder ist er ein Gaukler, oder er steht in unheilvollem Bunde mit gewissen Geistern. Selbst Christen werden wunderlich mit fortgerissen von seinen nichtswürdigen Zeichen und Taten.
Julian. Weiter, weiter – ich bitte Dich!
Basilios. Da ist nichts weiter. Makrina schreibt nur, sie sähe in der Wiederkunft des Maximos ein Zeugnis, daß der Zorn des Herrn über uns ist. Sie glaubt, daß großes Ungemach uns bevorstehe um unserer Sünde willen.
Julian. Ja, ja, ja! – Hör', Basilios, sie ist gewiß ein seltenes Weib, Deine Schwester.
Basilios. In Wahrheit, das ist sie.
Julian. Wenn Du mir aus ihren Briefen vorliest, so ist mir, als hörte ich etwas Ganzes und Volles reden, etwas, wonach ich mich lange gesehnt habe. Sag' mir, hat sie noch immer die Absicht, die Welt zu fliehen und in Öde und Einsamkeit zu leben?
Basilios. Sie hat noch immer die feste Absicht.
Julian. Wirklich? Sie, die mit allen Gaben gesegnet erscheint? Sie, die jung und schön sein soll; sie, die Reichtümer zu erwarten hat, und der ein – für ein Weib wenigstens – ganz ungewöhnliches Wissen eignet? Weißt Du wohl, Basilios, daß ich darauf brenne, sie von Angesicht zu sehen. – Was will sie in der Einsamkeit?
Basilios. Ich habe Dir doch erzählt, ihr Bräutigam ist gestorben. Nun hält sie ihn für ihren harrenden Eheherrn, dem sie all ihr Sinnen und Trachten schulde, und dem rein zu begegnen sie verpflichtet sei.
Julian. Seltsam, wie viele in diesen Zeiten in die Einsamkeit sich sehnen. – Wenn Du Makrina schreibst, so sag' ihr, daß auch ich –
Basilios. Sie weiß es, Julian – aber sie glaubt nicht daran.
Julian. Warum nicht? Was schreibt sie?
Basilios. Ich bitte Dich, Freund, laß mich –
Julian. Hast Du mich lieb, so verbirgst Du mir nicht ein Wort von dem, was sie schreibt!
Basilios reicht ihm den Brief. Du willst es – so lies; da ist der Anfang.
Julian liest. »Jedesmal, wenn Du von des Kaisers jungem Vetter schreibst, der Dein Freund ist, füllt eine große, leuchtende Freude meine Seele« – Basilios, sei Du mein Auge – lies weiter für mich.
Basilios liest. »Deine Schilderung, mit welch fester Zuversicht er nach Athen kam, war mir wie ein Bild aus der Zeit der heiligen Schriften. Ja, ich glaube, er ist der wiedergeborene David, der die Kämpen der Heiden zu Boden schmettern soll. Der Geist Gottes sei über ihm im Streit und alle Tage!«
Julian faßt ihn am Arme. Genug davon! Auch sie? Was denn fordert Ihr alle wie aus einem Munde von mir? Habe ich mich etwa durch Schuldschein Euch verschrieben, mit den Löwen der Macht zu ringen –?
Basilios. Wie kommt es, daß alle Gläubigen in atemloser Erwartung auf Dich die Blicke richten?
Julian geht einigemal auf und nieder im Säulengang, bleibt stehen und greift nach dem Brief. Gib her, laß sehen – liest: »Der Geist Gottes sei über ihm im Streit und alle Tage!« – Basilios, wenn ich könnte –! Aber ich komme mir vor wie jener Dädalos zwischen Himmel und Meer. Schwindelnde Höhe und bodenlose Tiefe –. Was wollen diese Stimmen, die von Osten und Westen mir zurufen, ich solle das Christentum erlösen? Wo ist es, dieses Christentum, das erlöst werden soll? Ist es bei dem Kaiser oder beim Cäsar? Ich meine, ihre Taten schreien: nein und aber nein! Ist es bei den Mächtigen und Vornehmen, – bei diesen lüsternen Halbmännern des Hofes, die ihre Hände über dem satten Bauch falten und piepsen: ob Gottes Sohn wirklich aus Nichts erschaffen ist? Oder ist das Christentum bei den Erleuchteten, bei denen, die, wie Du und ich, Schönheit und Weisheit aus den heidnischen Quellen getrunken haben? Neigt nicht die Mehrzahl unserer Brüder zur arianischen Ketzerei, der selbst der Kaiser so sehr gewogen ist? Und vollends der ganze Pöbel im Reich, – alle, die wider die Tempel wüten, die Heiden und der Heiden Geschlecht ermorden! Geschieht das um Christi willen? Haha, nachher tun sie sich gegenseitig ab – über der Hinterlassenschaft der Ermordeten. Du kannst Makrina fragen, ob das Christentum in der Einsamkeit zu finden ist, – auf der Säule, wo der Säulenheilige auf einem Bein steht. Oder in den Städten? Vielleicht bei jenen Bäckern in Konstantinopel, die jüngst durch Faustkampf die Frage entscheiden wollten, ob die Dreieinigkeit aus drei Personen oder aus drei Substanzen bestände! – Wer von all diesen würde Christus wohl anerkennen, wenn er wieder zur Erde niederstiege? Heraus mit der Diogeneslaterne, Basilios! Leucht' in das nächtliche Dunkel! Wo ist das Christentum?
Basilios. Such' Antwort da, wo sie zu finden in allen kraftlosen Zeiten.
Julian. Verschließ nicht Deines Wissens Born! Letze mich, wenn Du kannst. Wo soll ich suchen und finden?
Basilios. In den Schriften der heiligen Männer.
Julian. Dieselbe Antwort der Verzweiflung! Bücher, – immer Bücher! Kam ich zu Libanios, so hieß es: Bücher, Bücher! Komme ich zu Euch, – Bücher, Bücher, Bücher! Steine statt Brot! Bücher nützen mir nichts; – nach Leben hungert mich, Zusammenleben mit dem Geist – von Angesicht zu Angesicht! Ward Saulus sehend durch ein Buch? War es nicht eine Lichtflut, die ihm entgegenschlug, ein Gesicht, eine Stimme –!
Basilios. Denk an das Gesicht und an die Stimme, die jener Agathon aus Makellon –?
Julian. Eine rätselvolle Botschaft – ein Orakelspruch, den ich nicht deuten kann. War ich der Erkorene? Des Reiches Erbe, hieß es. Was ist das für ein Reich –? Tausend Zweifel lauern über dieser Sache. Nur das weiß ich: in Athen ist nicht die Höhle des Löwen. Aber wo, wo? Gleich Saulus tappe ich im nächtlichen Dunkel. Will Christus etwas von mir, so mag er deutlich reden. Den Finger im Nägelmal –
Basilios. Und doch steht geschrieben –
Julian mit der Hand abweisend. Ich weiß alles, was da geschrieben steht. Geschriebenes – das ist nicht Wahrheit für das Fleisch. Fühlst Du nicht Ekel und Übelkeit, wie an Bord eines Schiffes bei Windstille, – so hin und her geworfen zwischen Leben, Schrift, heidnischer Weisheit und Schönheit? Es muß eine neue Offenbarung kommen. Oder eine Offenbarung von etwas Neuem. Es muß, sag' ich; – die Zeit ist erfüllet. Ja, eine Offenbarung! O, Basilios, könntest Du die auf mich herabflehen! Den Bluttod, wenn es sein müßte –! Den Bluttod –, ah, ich schwelge in seiner Wonne, die Dornenkrone um meine Schläfen –! Er greift mit beiden Händen nach dem Kopf, faßt den Rosenkranz, reißt ihn ab, besinnt sich lange und sagt: Schau – den hatte ich vergessen! Er wirft den Kranz weg. Nur Eins habe ich in Athen gelernt –
Basilios. Was, Julian?
Julian. Die alte Schönheit ist nicht länger schön, und die neue Wahrheit nicht länger wahr.
Libanios kommt eilig durch den Säulengang von rechts; schon von fern: Da haben wir ihn – da haben wir ihn!
Julian. Ihn? Ich dachte, Du hättest sie beide.
Libanios. Welche beiden?
Julian. Milons Söhne.
Libanios. Ah ja, die habe ich auch. Aber wir haben ihn, mein Julian!
Julian. Wen, teurer Bruder?
Libanios. Er hat sich in seinem eigenen Garn gefangen.
Julian. Aha, – also ein Weiser?
Libanios. Aller Weisheit Widersacher.
Libanios. Weißt Du es wirklich nicht? Hast Du nicht das Neueste über Maximos gehört?
Julian. Über Maximos? O, habe doch die Güte –
Libanios. So weit mußte es mit diesem unruhigen Schwärmer kommen – Schritt um Schritt, in den Wahnsinn hinein –
Julian. Mit andern Worten: in die höchste Weisheit hinein.
Libanios. Meinetwegen auch so. Aber jetzt gilt es zu handeln und den Augenblick zu ergreifen. Du, unser hochverehrter Julian, Du bist der Mann. Du bist des Kaisers naher Verwandter. Die Hoffnung aller wahren Weisheitsfreunde ist auf Dich gerichtet, hier wie in Nikomedia –
Julian. Höre, trefflicher Libanios, – dieweil ich nicht allwissend bin –
Libanios. So erfahre denn, daß Maximos jüngst offen mit dem Kern seiner Lehre hervorgetreten ist.
Julian. Und das wirfst du ihm vor?
Libanios. Er hat behauptet, er könnte Geistern und Schatten gebieten!
Julian faßt ihn am Mantel. Libanios!
Libanios. Alle auf dem Schiff erzählten sich eine Fülle der wunderlichsten Geschichten, und hier – zeigt einen Brief vor – hier schreibt mein Mitbruder Eusebios ausführlich darüber.
Julian. Geistern und Schatten –
Libanios. Zu Ephesos hat Maximos neulich, in einer großen Versammlung von Anhängern und Widersachern, verbotene Künste an Hekates Bildsäule getrieben. Es geschah im Tempel der Göttin. Eusebios schreibt, er wäre selbst zugegen und Zeuge von allem gewesen, von Anfang bis zu Ende. Es war rabenschwarze Nacht rings um sie her. Maximos sprach seltsame Beschwörungen – dann sang er eine Hymne, die keiner verstand. Da entzündete sich die Marmorfackel in der Hand der Statue –
Basilios. Welch gottloses Tun!
Julian atemlos. Und dann?
Libanios. Und in dem vollen bläulichen Licht sahen sie alle, daß das Antlitz der Statue Leben bekam und sie anlächelte.
Julian. Was weiter –?
Libanios. Entsetzen ergriff die meisten Gemüter. Alle stürzten nach dem Ausgang. Viele lagen danach krank oder irr danieder. Aber er selbst – kannst Du es glauben, Julian? – dem Los zum Trotze, das seine beiden Brüder in Konstantinopel getroffen hat, schreitet weiter auf seinem gefährlichen und anstößigen Wege.
Julian. Anstößig? Anstößig nennst Du diesen Weg? Läuft nicht aller Weisheit Ziel darauf hinaus? Verkehr von Geist zu Geist –
Basilios. Teurer, verirrter Freund –!
Libanios. Mehr als anstößig, sag' ich. Was ist Hekate? Was sind überhaupt die Götter für die Erkenntnis der Aufgeklärten? Glücklicherweise leben wir nicht mehr in der Zeit jenes alten blinden Sängers. Maximos sollte doch bessere Einsicht haben. Hat nicht Platon – und nach ihm wir andern – das Licht der Erklärung über das Ganze verbreitet? Ist es nicht anstößig, jetzt, in diesem unseren Zeitalter, jenes bewundernswerte, einleuchtende und ich darf wohl sagen: mühsam aufgerichtete Gebäude von Begriff und Deutung wieder hüllen zu wollen in Rätsel und neblichte Träume, die wir, die Jünger der Weisheit, die die Schule, die –
Julian stürmisch. Leb' wohl, Basilios! Ich sehe ein Licht auf meinem Pfad!
Basilios schlingt die Arme um ihn. Ich lasse Dich nicht – ich halte Dich fest!
Julian ringt sich los. Es hält mich keiner, – löcke nicht wider den Stachel –
Libanios. Welcher Anfall von Wahnwitz! Freund, Bruder, Gefährte, wo willst Du hin?
Julian. Dahin, dahin, wo Fackeln sich entzünden und Statuen lächeln.
Libanios. Und das könntest Du!? Du, Julian, unser Stolz, unsere Leuchte, unsere Hoffnung – Du wolltest nach diesem verblendeten Ephesos eilen, um Dich in die Gewalt eines Gauklers zu geben! Wisse, in demselben Augenblicke, da Du Dich so tief erniedrigst, in demselben Augenblick hast Du des herrlichen Rufes der Gelehrtheit und Beredsamkeit Dich entäußert, den Du in all diesen Jahren in Pergamon wie in Nikomedia und vornehmlich hier auf der hohen Schule Athens –
Julian. Schule, Schule! Bleib Du bei Deinen Büchern – jetzt hast Du mir den Mann gezeigt, den ich suchte! Er geht schnell durch den Säulengang links ab.
Libanios blickt ihm eine Weile nach. Dieser fürstliche Jüngling ist eine Gefahr für die Wissenschaft.
Basilios halb für sich. Nicht für sie allein ist Julian eine Gefahr.