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Vor dem Moabiter Kriminalgericht staute sich eine tausendköpfige Menschenmenge. Durch die Zeitungen war bekanntgegeben, daß die Schwurgerichtsverhandlung gegen Alfred Maaß heute stattfinden werde. Und während ihn einige Blätter auch jetzt noch als den mutmaßlichen Mörder bezeichneten, waren andere unter Vorantritt der »Berliner Nachrichten« von dieser Ansicht längst zurückgekommen.

Das Publikum nahm infolgedessen gegen die Richter Partei, und ein großes Aufgebot von Schutzleuten hatte zu tun, um die lärmende und unwillige Menge in Schach zu halten. Die Zugänge zum Gerichtsgebäude waren durch Doppelposten gesperrt; da der große Schwurgerichtssaal von Zuschauern überfüllt und der Aufenthalt auf den Korridoren heute für niemand gestattet war, so stand die Menge draußen auf dem Platz, wo der eherne Löwe der Gerechtigkeit die Schlange der Niedertracht und des Verbrechens durch Prankenhiebe tötet.

Drinnen in dem riesigen Saal, durch dessen hohe Buntglasfenster das Licht fast: kirchenhaft in den ernsten Raum fällt, war man schon am Ende der Zeugenvernehmung, die mit den Aussagen der Sachverständigen bereits drei Verhandlungstage ausfüllte.

Der Vorsitzende, ein älterer Herr mit gemessenen Bewegungen und jener Ruhe in Ton und Gebärde, die nur das Ergebnis einer langen, wohlerwogenen Lebens- und Amtsführung sein konnte, hatte eben den Untersuchungsrichter Dr. Birckner als Zeugen aufgerufen.

»Sie sollen uns einmal mitteilen, Herr Amtsgerichtsrat,« sagte er, nachdem dem Zeugen der Eid abgenommen war, »welchen Eindruck Sie von dem Angeklagten gehabt haben!«

Der Untersuchungsrichter kniff die Augen zusammen, warf einen raschen Blick zu dem Angeklagten hinüber, der sitzend, nur mit Kopf und Schultern über die Schranke der Anklagebank hinwegsah, dann meinte er:

»Der Angeklagte war fortwährend widerspenstig und frech! ... Ich habe mehreremal zu Disziplinarstrafen meine Zuflucht nehmen müssen!«

Der Verhandlungsführer sah den Zeugen mit vollem Blick an; in seinem ernsten, regelmäßigen Gesicht, das ein starker, grauer Kinnbart abschloß, las man nicht, was er dachte. Dann meinte er verbindlich:

»Ich nehme an, daß Sie, Herr Amtsgerichtsrat, dabei die Tatsache in Rechnung gezogen haben, daß ein eventuell Unschuldiger auf die Dauer gereizt und nervös wird durch die fortgesetzten Verhöre, die ja natürlich notwendig sind!«

»Ich halte und hielt Maaß nicht für unschuldig!« erwiderte Dr. Birckner schnell, »außerdem können wir Richter uns doch nicht zum Spielball der Launen eines jeden Angeklagten machen ... und das Wenigste, was man verlangen kann, ist doch, daß die Ehrfurcht vor dem Gericht gewahrt bleibt!«

Der Vorsitzende blickte einen Augenblick in seine Akten, dann sagte er:

»Gewiß ... natürlich ... übrigens sagen Sie, Herr Amtsgerichtsrat, ist es Ihnen in Ihrer richterlichen Tätigkeit schon vorgekommen, daß Sie jemanden von vornherein für unschuldig hielten?«

Ganz perplex und offenbar nicht wissend, wo hinaus der Vorsitzende mit dieser Frage wollte, entgegnete er:

»Nein ... das heißt, ich verstehe nicht, in welchem Zusammenhange diese Frage mit meiner Zeugenaussage stehen soll?«

»Der Zusammenhang der Fragen ist wohl eine Sache, die dem Ermessen der Prozeßleitung anheimgegeben werden muß,« meinte der Vorsitzende leicht verweisend, »indessen das bleibt sich gleich ...« Er warf einen Blick zu dem Angeklagten hinüber, der mit glanzlosen Augen vor sich hin sah, und fügte hinzu: »Der Angeklagte behauptet nun, daß Sie, Herr Untersuchungsrichter, ihm von vornherein mit einer so starken Animosität entgegengekommen seien, daß er, der sich ja für unschuldig ausgibt, dadurch in einen hohen Grad von Erregung versetzt worden wäre und daß daher seine Renitenz stamme ... ich erwähne das besonders, weil Maaß des ferneren behauptet, durch diesen aufgeregten Ton, der über der ganzen Voruntersuchung gewaltet habe, seien die Protokolle anders zustande gekommen, als seine Aussagen gelautet hätten.«

»Na, er hat sie doch unterschrieben!« warf der Untersuchungsrichter ein.

»Ja, allerdings! ... Maaß« – der Vorsitzende wandte sich an den Angeklagten, »Maaß, stehen Sie mal auf und äußern Sie sich zu diesem Punkte.«

Alfred Maaß stand auf, sah eine ganze Weile den Untersuchungsrichter an, dann den Arm nach ihm ausstreckend, sagte er, während sich seine Züge verzerrten:

»Das ist 'n ganz gemeiner Schuft!«

Der Vorsitzende schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Maaß,« rief er, und seine Stimme klang wie Eisen, »Sie haben sich hier jeder beleidigenden Äußerung zu enthalten, sonst lasse ich Sie überhaupt nicht mehr reden!«

Maaß zuckte die Achseln und setzte sich.

»Wir stehen hier nicht auf dem Standpunkt, Sie von vornherein für schuldig zu erachten,« setzte der Verhandlungsleiter dann ruhiger hinzu, »das Gericht hat die Aufgabe, die Wahrheit zu ermitteln und Recht zu sprechen ... Das ist unsere heilige Pflicht, und Sie können sich darauf verlassen, daß wir ernst und schwer mit uns zu Rate gehen, ehe wir über einen Menschen den Stab brechen ... Herr Zeuge!« – Dr. Birckner stand noch immer vor dem Richtertisch – »ich danke vorläufig.«

Es kamen nun die Schriftsachverständigen noch einmal zur Vernehmung. Da sie sich, es waren ihrer drei, noch immer nicht hatten einigen können über ihr Gutachten, so wurden sie noch einmal vernommen. Aber auch das half nicht. Der eine war überzeugt, das Brieffragment sei von Maaß geschrieben, der zweite hielt es nur für möglich, und der dritte hielt es nicht gänzlich ausgeschlossen. Dieser, ein früherer Postrat, bekundete aber, daß er gerade jetzt mit der Ausarbeitung eines neuen Systems beschäftigt wäre, nach dessen Fertigstellung die Entscheidung für ihn geradezu ein Kinderspiel sein würde!

Die Aussagen der übrigen Sachverständigen lauteten durchweg sehr ungünstig für Alfred Maaß. Während sie noch einmal vernommen wurden, kursierte auf der Geschworenenbank eine Photographie der Ermordeten, die den zarten Körper der armen Trude mit der Stichwunde im Rücken zeigte. Man las die Bewegung auf den Gesichtern der Geschworenen, die sämtlich den besitzenden Ständen anzugehören schienen, und diese Bewegung weissagte Maaß nichts Gutes.

Als Zeuge war auch der Polizeileutnant Runkel erschienen, in blitzender Uniform, der mit liebenswürdiger Stimme und einiger Melodramatik die Eindrücke schilderte, die jene Mordnacht in ihm hinterlassen hatte. Was er sagte, klang gut und nahm die Geschworenen noch mehr gegen den Mörder ein.

Die Sache stand offenbar schlecht für Alfred Maaß, als sich jetzt der Oberstaatsanwalt Dr. Mauernbrecher selbst erhob und sich zum Plädoyer anschickte.

Er war ein großer kräftiger Herr mit fettem Gesicht und einem hellblonden Henriquatre. Über der Hakennase trug er einen goldenen Kneifer. Er sprach lange und mit Emphase.

Zuerst verbreitete er sich über die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft in diesem Prozeß, wobei er es nicht unterließ, der Presse für ihre Haltung in der Mordsache ganz energisch sein Mißfallen auszusprechen. »Die Staatsanwaltschaft«, sagte er, »ist keineswegs dazu da, anständige, brave Menschen ins Unglück zu bringen. Im Gegenteil! Sie tut alles, um Anklagen zu vermeiden! Sie prüft und sichtet und prüft abermals, und erst wenn die Gerechtigkeit es gebieterisch fordert, erhebt sie die Anklage gegen jemand! ... Hier aber hat die Gerechtigkeit es gefordert! Denn um es kurz und ein für allemal zu sagen: Maaß ist der Mörder!«

Von der Anklagebank erscholl ein heiseres Auflachen. Aber Dr. Mauernbrecher ließ sich dadurch nicht stören.

»Was verlangt man denn von einer Anklage? ... Daß sie durch hinreichendes Beweismaterial gestützt werde! ... Nun, lassen Sie mich den Berg von Beweisen vor Ihnen auftürmen, von denen jeder für die Schuld des Maaß Zeugnis ablegt! ... Vor allen Dingen, ist Maaß ein Mensch, von dem man sich einer solchen Tat versehen kann oder nicht? Ich glaube, darauf kann man nur mit einem kurzen, klaren ›Ja‹ antworten! Denn er hat diese Frau lieb gehabt, wie er selbst zugibt, war wütend, wie sie ein anderer ihm wegschnappte, und hat diesen Verlust – das bestreitet er gar nicht – nie verschmerzen können ... Ich meine also, liier kommt das ›cherchez la femme!‹ (wörtlich: Suchet die Frau!) der Franzosen in einer Weise zum Ausdruck wie selten!«

Dr. Mauernbrecher sah einen Augenblick auf seine Ausdehnungen, dann flogen seine grauen, kurzsichtigen Augen mit den blitzenden Kneifergläsern auf dem Umweg über den Zuschauerraum, wo er viele Herren und Damen aus seinen Kreisen bemerkte, wieder hin zum Richtertisch.

Er nahm nun die Beweise für Maaßens Schuld der Reihe nach vor. Zuerst das Blut am Rande seiner einen Manschette, für das Maaß nur die fadenscheinige Erklärung gehabt hatte, die Nase hätte ihm geblutet, eine Erklärung, mit der selbst der dümmste Raubmörder heute schon nicht mehr käme! ... Ferner kämen die Stofffäserchen, die man unter dem Fingernagel der Toten entdeckt habe, in Betracht. Diese Fasern beständen, wie der Sachverständige, Herr Professor Wunderlich, in so ausgezeichnet klarer und lichtvoller Weise ausgeführt hätte, aus reiner Wolle, und Wollfäserchen dieser Art fänden sich auch in Maaß' Anzug. Die Farbe dieser Fasern sei zwar nicht genau zu bestimmen gewesen, trotz aller physikalischen und chemischen Experimente und Analysen, aber die Annahme, daß sie auch in der Farbe identisch mit der des Anzuges von Maaß wären, sei jedenfalls nicht widerlegt. Die Tinte, die Maaß zu dem Brief benutzt habe, auf den er, der Staatsanwalt, gleich noch zu sprechen kommen wolle, wäre Eisengallustinte, dieselbe, die sich in Maaßens Behausung tatsächlich vorgefunden habe! ... Und nun der Brief! Dieser Brief spräche ganze Bände für die Schuld des Angeklagten! Da sind drei Schreibsachverständige, ernste, wissenschaftlich gebildete Männer, von denen jeder ein anderes System als Schriftexperte befolgt, und die trotzdem zu demselben Schluß kamen: Maaß kann den Brief geschrieben haben, er hat ihn geschrieben! ...

Der Herr Oberstaatsanwalt hatte sich bei diesen Worten mit auf das Pult gestützten Händen weit vorgebeugt und wiegte einen Moment leicht seinen gewichtigen Oberkörper. Dann fuhr er fort:

»Nun wird natürlich der gewissenhafte Richter fragen, oder Sie, meine Herren Geschworenen, legen sich diese Frage vor: Ist denn Maaß zur Zeit, als der Mord nachweislich begangen wurde, an jenem Freitag, nachmittag zwischen zwei und fünf Uhr – ist Maaß denn damals dort in der Gegend gewesen? ... Ja, sehen Sie, darauf ist Maaß sehr lange die Antwort schuldig geblieben! In seinem Bureau war er an dem Nachmittag nicht mehr – er sagt, weil er sich mit dem Gatten der Ermordeten – der übrigens seiner Vorladung als Zeuge nicht gefolgt ist und den dafür eine empfindliche Strafe treffen wird! –, weil er sich mit Marquardt gezankt hat ... Wo ist er denn aber nun in der Zeit gewesen? ... Spazieren gegangen, sagt er! Und wir mußten's glauben. Bis eines schönen Tages der Zeuge, den Sie vorhin hier selber gehört haben, Herr Schuhmachermeister Hendler, gekommen ist und gesagt hat, er hätte Maaß in der Koloniestraße um drei Uhr gesehen, selber gesehen! Ja, meine Herren Geschworenen, da brach der Angeklagte zusammen, als er das hörte, da sank er ohnmächtig nieder unter der Last seiner großen Schuld! ...«

Herr Dr. Mauernbrecher sah bei diesen Worten in den Zuschauerraum, den eben eine Freundin seiner Gattin betreten hatte, eine sehr schöne Frau, die ihm zulächelte.

Er schloß die Augen einen Moment und neigte sein Haupt wie in tiefer Bewegung, um mit leiser Stimme fortzufahren:

»Maaß ist bisher unbestraft, das ist richtig! Aber es ist uns, die wir jahraus, jahrein abzuurteilen haben über alle möglichen Malfaiteurs und Verbrechen, es ist uns, wie gesagt, gar nichts so Wunderbares, wenn sich's plötzlich herausstellt, daß dieser oder jener noch nie vorbestrafte Mensch sich als ein ganz gemeingefährlicher Gauner und Lump entpuppt! ... Und das ist Maaß, jawohl, das ist er! ... Das hat er während der ganzen Vorverhandlung durch sein freches und reueloses Betragen bewiesen! ...«

Bei diesen Worten des Oberstaatsanwalts war Alfred Maaß aufgesprungen, und in wütender Empörung, die geballten Fäuste zur Decke erhoben, mit bebenden Lippen schrie er:

»Ich? Ich? ... Ich bin gemein? – Ich ein Lump? ... Weil ich nicht eingestehen will, was ich nicht gemacht habe, weil ich nicht ...«

»Schweigen Sie,« unterbrach ihn der Präsident, »schweigen Sie, Maaß! ...«

Aber Maaß schwieg nicht. Die Tränen strömten ihm über das graublasse, verfallene Gesicht, dessen hektische Flecken wie Feuer brannten.

»Ich habe nichts zu bereuen, denn ich habe nichts Schlechtes getan! ... Und das wissen die da auch recht gut! ... Aber weil sie den wirklichen Mörder nich kriegen, und weil sich die Polizei jedesmal blamiert, darum muß einer dran glauben, und das bin ich! Das bin ich! ... Ich hab's aber nich getan, nein, nein, nein.«

Schluchzend sank der Angeklagte auf die Bank nieder.

Der Oberstaatsanwalt fixierte ihn scharf, dann sagte er:

»Diese ganze Szene, die uns der Angeklagte hier vorspielt, ist der beste Beweis für das, was ich vorhin gesagt habe: Maaß ist ein Mensch, der noch nicht einmal Reue empfindet über seine schwere Tat. Und ich behaupte daher: Maaß hat den Mord begangen, und richte deshalb an die Herren Geschworenen die Bitte, den Angeklagten im vollen Umfange des vorbedachten und überlegten Mordes schuldig zu sprechen!«

Ehe er sich setzte, sah sich Dr. Mauernbrecher um, als erwarte er den Beifall des Parketts und der Galerie, hinter deren hoher Eisenbalustrade sich das halbe Kriminalgericht, Anwälte, Richter, Referendare, Staatsanwälte und selbst hohe Verwaltungsbeamte drängten.

Wie Mitleid ging es über das Gesicht des Vorsitzenden, als er danach den Angeklagten fragte, ob er auf das Plädoyer des Herrn Oberstaatsanwalts etwas zu erwidern hätte.

Aber Maaß lag mit dem Gesicht auf den Händen, die die Holzbarriere umklammert hielten, und weinte.

Nun sprach der Verteidiger.

Ein schmaler, in mittleren Jahren stehender Herr mit sehr wenig Haar und tadellosem Schnurrbart. Er sprach glatt und flüssig, aber es gelang ihm offenbar nicht, die gegen seinen Klienten vorhandenen Vorurteile zu zerstreuen. Er schien das auch selber zu fühlen, denn er kürzte seine Ausführungen am Schluß sehr ab und sagte, er bäte um Freisprechung seines Klienten. Sollten die Geschworenen aber doch zu einem »Schuldig« kommen, so könne doch von einem überlegten Mord hier gar keine Rede sein! Etwas anderes wie ein Totschlag käme gar nicht in Frage, und er empfehle deshalb seinen Klienten nochmals der Milde des hohen Gerichtshofes.

Darauf replizierte der Oberstaatsanwalt einiges, wobei man deutlich sehen konnte, wie die Gesichter der Geschworenen, die bei der Rede des Verteidigers starr und verschlossen geblieben waren, sich aufhellten und Zustimmung ausdrückten.

Und nun gestattete der Vorsitzende dem Angeklagten das letzte Wort.

Maaß erhob sich. Über sein noch von Tränen nasses Gesicht ging ein eigenes leuchten. Er sagte:

»Es ist mir ganz gleichgültig, was mit mir wird. Ich hänge so nicht am Leben. Aber es soll nicht heißen, daß ich ein Mörder bin. Wenn Sie mich schuldig sprechen, begehen Sie einen Justizmord ... Ich bin unschuldig!«

Damit setzte er sich und sah den Vorsitzenden an, der, in seine Akten blickend, kaum merklich mit dem Kopfe nickte.

Nun gab dieser den Geschworenen die Rechtsbelehrung und klärte sie auf über die Art, wie sie die Schuldfragen eventuell zu formulieren hätten und welche rechtlichen Konsequenzen ihre Beantwortung für den Angeklagten hätte.

Dann zogen sich die Geschworenen zurück, auch die Richter entfernten sich aus dem Saal.

Aber es dauerte keine halbe Stunde, da war das Gericht wieder vollzählig beieinander.

Und es erhob sich der Obmann der Geschworenen und verlas die aufgestellten Schuldfragen. Es waren drei.

Er begann:

»Ist Maaß schuldig, die Frau Trude Marquardt, geborene Kaiser, vorsätzlich und mit Überlegung ...«

»Ach, verzeihen Sie«, unterbrach ihn der Präsident, und sich an den Gerichtsdiener wendend, sagte er: »Was ist denn das da draußen für ein furchtbarer Lärm? Sehen Sie mal zu, Bote!«

Aber der Beamte hatte die Tür des großen Saales noch nicht erreicht, da wurde diese weit aufgerissen, und von mehreren Schutzleuten gefolgt, stieß ein totblasser Mann mit zerrissenen Kleidern und blutendem Gesicht, der keinen Hut auf dem schwarzen, wirren Haar hatte und einen Revolver in der linken Hand trug, einen anderen vor sich her in den Saal.

Bis vor den Richtertisch stieß Heinz Marquardt den Zuhälter, und da sagte er, mit dem Revolver auf ihn deutend:

»Das ist der Mörder meines Weibes! ... Der da,« er zeigte auf Maaß, »der ist unschuldig.«

In dem Saal wird es so still, daß man das Summen einer Fliege an den hohen Fenstern hört.

Endlich fragte der Vorsitzende einen der Schutzleute:

»Wie kamen denn diese Leute ins Gerichtsgebäude?«

»Sie kamen mit der Droschke an, und der Kutscher sagte, das war 'n Kriminalbeamter, der einen ganz schweren Verbrecher gefangen hätte.«

»Hat sich der Herr Ihnen gegenüber auch als Kriminalbeamter ausgegeben?«

»Nein, Herr Präsident, ich dachte aber, weil doch schon das Urteil gefällt wurde ...«

Da erhob sich der Oberstaatsanwalt.

»Jedenfalls hat sich der Beamte einer schweren Verletzung seiner Dienstpflichten schuldig gemacht, indem er diese Menschen hier hereinließ.«

Der Vorsitzende erhob sich nun von seinem Sessel.

»Das zu entscheiden, Herr Oberstaatsanwalt, wollen Sie gefälligst mir überlassen! Solange ich hier den Vorsitz führe, unterliegt die Exekutivgewalt in diesem Saale mir!«

Und sich an den Schutzmann wendend, sagte er:

»Ich danke, daß Sie Ihre Pflicht getan haben! ... Wir sind dadurch vielleicht davor bewahrt geblieben, einen Unschuldigen zu verurteilen! ... Und Sie frage ich! ...«

Der Präsident sah ernst auf den Menschen nieder, dessen Schulter Heinz Marquardt noch immer gepackt hält:

»Sind Sie der Mörder jener unglücklichen Frau? ... Ich weiß wohl, daß mir ein juristisches Recht zu dieser Frage an Sie nicht zusteht, aber der Augenblick gibt mir das Recht! Ich frage Sie noch einmal: Haben Sie die arme Frau ermordet?«

Durch die Totenstille, in der das Publikum und die Richter selbst den Atem anhielten, klang dumpf und traurig ein »Ja«.

Der Präsident erhob sich zu seiner Höhe.

»Dann stelle ich hierdurch selbst den Antrag, der hohe Gerichtshof möge beschließen, den Angeklagten Maaß als unverdächtig aus der Haft zu entlassen, diesen Mann hingegen, als den wahrscheinlichen Mörder, festzunehmen.«

Da erhob sich ein Beifallssturm ohnegleichen. Das Publikum sprang auf die Stühle, schwenkte mit Händen und Tüchern, und nicht eher legte sich der Tumult, der sich wie ein Lauffeuer durch die Korridore bis hinaus auf die Straße fortpflanzte, als bis der Präsident selbst gebieterisch Ruhe forderte.

Das Gericht beschloß, Maaß sofort freizulassen.

Als man die Anklagebank öffnete, eilte Maaß auf Heinz Marquardt zu; sie umarmten sich lange, und dann verließen sie mit einem Dankesgruß an den Präsidenten, ohne jemanden aus dem Publikum, dessen Menge sich zur Gasse für die beiden öffnete, zu sehen, still den Gerichtssaal. –

Wie sie aber vor der nachdrängenden Menge aus dem Portal des Kriminalgebäudes auf die Straße traten, wie die nach Tausenden zählende Menge es inne wurde, wer da oben heraustrat, da erhob sich ein nicht endenwollender Jubel, da feierte die Gerechtigkeit in diesen beiden Männern einen glänzenden Triumph. Hundert Hände streckten sich ihnen zugleich entgegen, und als sie eine Droschke nahmen, flogen Blumen in den Wagen, aus dem der Gerettete und sein Retter Dankesgrüße winkten ...


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