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Die eifrige Beschäftigung mit der Philosophie zielt, wie die mit der Religion, auf Verbesserung unserer Sitten und Vertilgung der Laster ab; aber bei einem unvorsichtigen Verfahren kann sie leicht irre führen, eine vorherrschende Neigung verstärken und die Seele noch entschiedener nach der Richtung hindrängen, wohin schon das Übergewicht und der Hang des natürlichen Temperaments zu stark hinzieht. Während man nach der grossherzigen Sicherheit eines philosophischen Weisen strebt und seine Genüsse ausschliesslich auf die geistigen zu beschränken versucht, kann man aus unserer Philosophie nur zu leicht, wie Epiktet und die Stoiker zeigen, ein verfeinertes System des Egoismus machen und sich selbst aus aller Tugend und allen geselligen Freuden herausvernünfteln. Während man aufmerksam die Eitelkeit des menschlichen Lebens erforscht und alles Denken auf die eitle und vergängliche Natur des Reichtums und der Ehre richtet, schmeichelt man vielleicht immittels der eigenen natürlichen Trägheit, welche den Lärm der Welt und die Plage mit Geschäften hasst und nach einem vernünftigen Vorwand sucht, um sich ganz unbeschränkt gehen zu lassen. Indes giebt es eine Art von Philosophie, welche diesem Fehler weniger ausgesetzt ist, weil sie sich keiner ungezügelten Leidenschaft der Seele fügt und sich keiner natürlichen Neigung oder Vorliebe hingiebt. Dies ist die akademische oder skeptische Philosophie. Der Akademiker spricht immer vom Zweifel, vom Zurückhalten des Urteils, von der Gefahr voreiliger Entschlüsse, von enger Begrenzung der Untersuchungen des Verstandes und von Abweisung aller Spekulationen, die nicht innerhalb der Grenzen des gewöhnlichen Lebens und Handelns sich halten. Nichts widerspricht jener lässigen Trägheit des Geistes, jenen voreiligen Anmassungen, jenen stolzen Ansprüchen und jenem abergläubischen Vertrauen mehr als diese Philosophie. Sie unterdrückt jede Leidenschaft, mit Ausnahme der Liebe zur Wahrheit, und diese Leidenschaft ist und kann nie auf einen zu hohen Grad getrieben werden. Man muss sich deshalb wundern, dass diese Philosophie, die beinah überall harmlos und unschuldig auftritt, zum Gegenstand so vieler grundlosen Vorwürfe und Nachreden gemacht worden ist. Vielleicht ist gerade ihre Unbefangenheit das, was sie hauptsächlich dem öffentlichen Hass und Widerwillen aussetzt. Da sie den ungezügelten Leidenschaften nicht schmeichelt, so gewinnt sie keine Freunde; da sie sich vielen Lastern und Thorheiten entgegenstellt, so erweckt sie eine Menge Feinde gegen sich, die sie als freigeisterisch, weltlich und gottlos brandmarken.
Man braucht auch nicht zu fürchten, dass diese Philosophie, welche unsere Untersuchung auf das gewöhnliche Leben zu beschränken sucht, die Grundlagen dieses Lebens unterwühlen, und dass sie ihre Zweifel so weit treiben könnte, um alles Handeln wie Forschen zu zerstören. Die Natur wird immer ihr Recht behaupten und zuletzt die abstrakten Betrachtungen jeder Art überwinden. Obgleich man z. B. nach dem Früheren anerkennen muss, dass in allen von der Erfahrung ausgehenden Schlüssen die Verunft einen Schritt thut, welcher durch keinen Beweis oder aus dem Denken entlehnten Grund gerechtfertigt werden kann, so hat es doch keine Gefahr, dass solche Schlüsse, auf denen beinahe alle Kenntnis beruht, durch diese Entdeckung erschüttert würden. Wird der Verstand nicht durch Beweise zu diesem Schritt bestimmt, so muss es durch ein anderes Prinzip von gleichem Gewicht und Ansehen geschehen, und dieses Prinzip wird seinen Einfluss bewahren, so lange die menschliche Natur sich nicht ändert. Welches Prinzip dies sei, dies zu ermitteln, lohnt sich gewiss der Mühe.
Man nehme an, ein Mensch an Verstand und Überlegung vorzüglich ausgestattet trete plötzlich in die Welt. Er würde sofort eine stetige Folge von Dingen und Ereignissen wahrnehmen, aber nichts weiter. Er würde durch kein Überlegen die Vorstellung von Ursache und Wirkung sogleich gewinnen können; weil die Kräfte, durch welche alle Naturvorgänge sich vollziehn, den Sinnen sich nicht darbieten, und ebensowenig ist ein Grund zu der Annahme da, dass blos deshalb, weil ein Umstand dem andern vorhergeht, der eine die Ursache, der andere die Wirkung sei. Ihre Verbindung kann beliebig und zufällig sein; es ist kein Grund vorhanden, von der Erscheinung des einen auf das Eintreten des andern zu schliessen; kurz, ein solcher Mensch ohne weitere Erfahrung würde nie Vermutungen oder Folgerungen über Thatsachen anstellen und mehr für gewiss halten können, als was seinen Sinnen oder seiner Erinnerung unmittelbar gegenwärtig wäre.
Man setze nun, dass er mehr Erfahrung gewonnen habe, und dass er so lange in der Welt gelebt habe, um zu bemerken, dass ähnliche Dinge oder Vorgänge immer mit einander verbunden sind, was folgt aus dieser Erfahrung? Er schliesst sofort von der Erscheinung des einen auf das Eintreten des andern. Dennoch hat er mit all seiner Erfahrung keine Vorstellung oder Kenntnis von den geheimen Kräften gewonnen, durch welche das eine das andere hervorbringt. Auch ist er durch kein Verfahren seiner Vernunft genötigt, diesen Schluss zu ziehen; dennoch findet er sich bestimmt, ihn zu ziehen, und obgleich er überzeugt ist, dass diese Vernunft keinen Teil an diesem Schliessen hat, so wird er doch in dieser Weise zu denken verharren. Es besteht also ein anderes Prinzip, was ihn zu dieser Folgerung bestimmt.
Dieses Prinzip ist die Gewohnheit oder Übung. Überall, wo die Wiederholung einer einzelnen Handlung oder Wirkung eine Neigung auf Wiederholung dieser Handlung oder Wirkung erweckt, ohne dass irgend ein Vernunftgrund dazu bestimmte, nennt man diese Neigung die Wirkung der Gewohnheit. Mit diesem Wort will ich nicht gerade die letzte Ursache für diese Neigung angegeben haben; ich bezeichne nur ein Prinzip der menschlichen Natur, was allgemein anerkannt wird, und das durch seine Wirkung wohl bekannt ist. Es ist möglich, dass man die Forschung nicht weiter treiben und die Ursache von dieser Ursache nicht ermitteln kann; dass man also damit, als dem äussersten Prinzip, auf welches alle Erfahrungsschlüsse sich zurückführen lassen, sich begnügen muss. Man kann froh sein, dass man so weit kommt, und braucht sich über die Schranken unserer Fähigkeiten nicht zu betrüben; denn sie bringen uns nicht weiter. Und sicherlich haben wir hiermit einen wenigstens sehr verständlichen, wenn nicht auch wahren Satz aufgestellt, wenn wir behaupten, dass man in Folge der beständigen Verbindung zweier Dinge, wie Hitze und Flamme, Gewicht und Masse, durch Gewohnheit bestimmt werde, mit Eintritt des einen das andere zu erwarten. Diese Voraussetzung löst allein die Schwierigkeit, weshalb wir von tausend gleichen Fällen einen Schluss ziehen, den wir von einem nicht ziehen können, obgleich er in keiner Beziehung von jenen sich unterscheidet. Die Vernunft ist eines so verschiedenen Verfahrens nicht fähig. Die Folgerungen, die sie aus der Betrachtung eines Kreises zieht, sind dieselben, die sie aus der Prüfung aller Kreise der Welt ziehen würde. Aber kein Mensch, der nur einmal gesehen hat, wie der Stoss eines Körpers einen andern in Bewegung setzt, kann schliessen, dass jeder andere Körper bei gleichem Stosse sich ebenfalls bewegen werde. Alle Schlüsse auf Grund der Erfahrung sind deshalb Wirkungen der Gewohnheit und nicht des Verstandes.
Anm. B. Fast alle Schriftsteller, selbst solche über moralische, politische und physikalische Gegenstände unterscheiden zwischen Vernunft und Erfahrung und halten die darauf gestützten Beweise für verschieden im Verfahren. Das eine gilt als das reine Ergebnis der geistigen Vermögen, welche die Dinge a priori betrachten, die aus ihrer Wirksamkeit hervorgehenden Folgen prüfen und darnach bestimmte Grundsätze für Wissenschaft und Philosophie feststellen. Das andere gilt als ein solches, was lediglich aus den Sinnen und der Beobachtung sich ableitet; wir entnehmen daraus die wirklichen Folgen der Wirksamkeit bestimmter Gegenstände, und können darnach das folgern, was in Zukunft daraus hervorgehn wird. So kann z. B. die Beschränkung der Regierung eines Staates durch eine gesetzliche Verfassung aus Vernunftgründen verteidigt werden, indem an die grosse Schwäche und Verdorbenheit der menschlichen Natur erinnert wird, und deshalb Niemand mit unbeschränkter Macht betraut werden dürfe. Es kann dies aber auch durch die Erfahrung und Geschichte bewiesen werden, welche uns von den ungeheuren Missbräuchen unterrichtet, die der Ehrgeiz überall und zu allen Zeiten erfabrungsmässig mit einem so unvorsichtigen Vertrauen getrieben hat.
Man unterscheidet ebenso zwischen Vernunft und Erfahrung bei allen Angelegenheiten des praktischen Lebens. Man traut und folgt dem erfahrenen Staatsmann, Feldherrn, Arzt oder Kaufmann und verachtet und vernachlässigt den unerfahrenen Neuling, selbst wenn er mit Talenten ausgerüstet ist. Obgleich man anerkennt, dass die Vernunft in Beziehung auf die Folgen eines bestimmten Benehmens in bestimmten Verhältnissen es zu einer annehmlichen Wahrscheinlichkeit bringen kann, erkennt man sie doch ohne Erfahrung nicht für zureichend an, weil nur letztere den durch Studium und Nachdenken gewonnenen Regeln Festigkeit und Gewissheit zu geben vermöge.
Obgleich man in dieser Weise sowohl auf dem thätigen, wie denkenden Schauplatz des Lebens verfährt, so scheue ich mich doch nicht, diese Unterscheidung im Grunde für irrig oder wenigstens für oberflächlich zu erklären.
Untersucht man die Beweisgründe, welche in den obengenannten Wissenschaften als die reinen Ergebnisse des Denkens und Überlegens gelten, so zeigt sich, dass sie zuletzt auf ein allgemeines Prinzip oder eine Folgerung hinauslaufen, die man nur auf Beobachtung und Erfahrung stützen kann. Der einzige Unterschied zwischen diesen und den Regeln, welche als das Ergebnis der Erfahrung gelten, ist, dass man jene nicht ohne gewisse Vornahmen im Denken und Überlegung dessen gewinnen kann, was man beobachtet hat, um das Einzelne zu unterscheiden und die Folgerungen zu ziehn; während bei den letztern der wahrgenommene Erfolg genau und vollständig dem gleicht, den man aus bestimmten Umständen erwartet. Die Geschichte von Tiberius und Nero lässt uns eine gleiche Tyrannei befürchten, sobald unsere Monarchen von den Schranken des Gesetzes und Parlamentes befreit werden. Allein die Wahrnehmung irgend eines Betrugs oder einer Grausamkeit im bürgerlichen Leben genügt, um mit Hilfe von etwas Nachdenken in uns dieselbe Besorgnis zu erwecken; da sie als ein Beispiel der allgemeinen Verderbnis der menschlichen Natur gilt und zeigt, wie gefährlich es ist, sich ganz dem Vertrauen auf die Menschheit hinzugeben. In beiden Fällen ist Erfahrung schliesslich die Grundlage der Beweise und Schlüsse.
Selbst der jüngste und unerfahrenste Mensch hat sich bereits aus seinen Wahrnehmungen manche allgemeine und richtige Regel über menschliche Angelegenheiten und menschliches Verhalten gebildet; will er aber darnach handeln, so ist er so lange dem Irrtum ausgesetzt, bis Zeit und weitere Erfahrungen diese Regeln vervollständigt und ihm deren richtigen Gebrauch und Anwendung gelehrt haben. In jeder Lage und bei jedem Vorkommnis bestehn eine Menge besonderer und anscheinend geringfügiger Umstände, welche selbst der talentvollste Mensch zuerst leicht übersieht, obgleich die Richtigkeit seiner Schlüsse und folglich die Klugheit seines Benehmens davon sehr abhängig sind. Ich will dabei gar nicht erwähnen, dass einem jungen Anfänger die allgemeinen Regeln und Bemerkungen nicht immer, wo es nötig ist, zur Hand sind und nicht immer mit der nötigen Ruhe und Schärfe von ihm angewendet werden können. Die Wahrheit ist, dass ein unerfahrener Denker gar nichts folgern könnte, wenn ihm die Erfahrung völlig abginge. Bezeichnet man Jemand als einen solchen, so geschieht es nur vergleichsweise, und man nimmt ihn nur als einen Menschen von geringerer und unvollständigerer Erfahrung. [Der Kern dieser Anmerkung ist, dass das Denken ( Hume nennt es Vernunft oder: A priori betrachten) für sich allein das Seiende nicht erreichen kann, sondern dessen Inhalt nur aus der Wahrnehmung ( Hume nennt es die Sinne und die Beobachtung) entnehmen kann, welche allein den Inhalt des Seienden dem Wissen zuführt. Das Denken bearbeitet nur diesen Inhalt. Die trennende Behandlung desselben, um die darin steckenden Gesetze aufzufinden, kann bald dem Wahrgenommenen näher bleiben, bald weiter gehen, und daraus bildet sich der Gegensatz der beiden Methoden, welche Hume als eine Betrachtung a priori und als ein blosses Beobachten bezeichnet. Hume bemerkt ganz richtig, dass beide Methoden auf denselben Mitteln, nämlich auf der Wahrnehmung oder Beobachtung, und auf der Induktion beruhen. Erstere schafft den Inhalt; letztere die Allgemeinheit. Diese Ergebnisse stimmen genau mit den in B. I. S. 68 aufgestellten Fundamentalsätzen des Realismus. Hume hat sie nur nicht zu der vollen Reinheit und Schärfe entwickelt, welche zwar den wissenschaftlichen Wert der Darstellung steigert, aber bei dem Publikum meist eine ungünstigere Aufnahme und ein geringeres Verständnis findet.]
Die Gewohnheit ist daher der grosse Führer im Leben. Dieses Prinzip allein macht unsere Erfahrung uns nützlich und lässt uns in der Zukunft einen gleichen Lauf der Ereignisse erwarten, wie in der Vergangenheit geschehen. Ohne die Kraft der Gewohnheit wären wir über alle Thatsachen unwissend, die nicht den Sinnen oder der Erinnerung gegenwärtig sind. Wir würden nie die Mittel den Zwecken anpassen, noch unsere natürlichen Kräfte zur Hervorbringung einer Wirkung gebrauchen können. Alles Handeln sowohl, wie der grösste Theil der Forschungen hätte ein Ende.
Hier ist indes die Bemerkung am Orte, dass unsere Folgerungen aus der Erfahrung uns zwar über die Erinnerung und Wahrnehmung hinausführen und uns Gewissheit von Dingen geben, die in den entferntesten Orten oder frühesten Zeiten sich zugetragen haben; allein irgend eine Thatsache muss immer den Sinnen oder dem Gedächtnis gegenwärtig sein, von der bei Ziehung dieser Schlüsse auszugehen ist. Wenn Jemand in einer Wüste die Überbleibsel prachtvoller Bauwerke antrifft, so wird er schliessen, dass das Land in alten Zeiten von einem zivilisierten Volke bewohnt worden ist; hätte er aber nichts der Art angetroffen, so hätte er nie einen solchen Schluss machen können. Wir erfahren die Ereignisse früherer Zeit durch die Geschichte, aber zu dem Ende müssen wir die Bücher lesen, in denen diese Belehrung enthalten ist, und von da mit unsern Schlüssen von einem Zeugnis zu dem andern fortschreiten, bis wir zu den Augenzeugen und Zuschauern dieser fernen Ereignisse gelangen. Kurz, wenn man nicht von einer den Sinnen oder dem Gedächtnis gegenwärtigen Thatsache ausgeht, so bleiben unsere Folgerungen reine Voraussetzungen; wenn auch die einzelnen Glieder gut miteinander verbunden sind, so wird doch die ganze Schlusskette von nichts getragen, und man kann durch sie niemals zur Kenntnis eines wirklich Seienden gelangen. Wenn ich dich frage, weshalb du die Thatsache, welche du erzählst, glaubst, so musst du mir einen Grund angeben, und dieser Grund wird eine andere Thatsache sein, die mit ihr verknüpft ist. Da dies aber nicht ohne Ende fortgehen kann, so musst du endlich mit einer Thatsache endigen, welche dem Gedächtnis oder den Sinnen gegenwärtig ist, oder du musst einräumen, dass dein Glaube ohne allen Grund ist.
Was ist nun das Ergebnis von alledem? Ein einfacher Satz, der allerdings den gewöhnlichen Lehren der Philosophie ziemlich fern steht. Aller Glaube an Thatsachen oder wirkliches Sein beruht lediglich auf einem Gegenstand, der dem Gedächtnis oder Sinnen gegenwärtig ist und auf einer gewohnheitsmässigen Verbindung zwischen diesen und andern Gegenständen; oder mit andern Worten: hat man gefunden, dass in vielen Fällen zwei Dinge, wie Flamme und Hitze, Schnee und Kälte, immer miteinander verbunden gewesen sind, so treibt die Gewohnheit den Verstand, wenn er Schnee oder eine Flamme sieht, Kälte oder Hitze zu erwarten, und zu glauben, dass eine solche Eigenschaft existiert und bei grösserer Annäherung sich ergeben wird. Dieser Glaube ist das notwendige Ergebnis, wenn der Verstand in solche Lage kommt. In solcher Lage ist dieser Vorgang in der Seele ebenso unvermeidlich, als das Gefühl der Dankbarkeit, wenn man Wohlthaten empfängt, oder des Hasses, wenn man beleidigt wird. Alle diese Vorgänge sind eine Art natürlicher Instinkt, welchen die Überlegung oder das Nachdenken des Verstandes weder zu erwecken noch zu hindern vermag.
An diesem Punkte könnte ich wohl meine Untersuchung abbrechen. In den meisten Fragen kann man keinen Schritt weiter kommen, und bei allen Untersuchungen muss man zuletzt hier endigen, wenn man auch noch so anstrengend und eifrig die Forschung begonnen hat. Indes wird man den Eifer vielleicht entschuldigen, ja loben, der mich zur Fortsetzung der Untersuchung und zur genauem Prüfung der Natur dieses Glaubens und dieser gewohnheitsmässigen Verbindung, von der er sich ableitet, treibt. Auf diese Weise werden vielleicht einige Erläuterungen und Analogien gewonnen, welche wenigstens für alle die von Interesse sein werden, die abstrakte Wissenschaft lieben und sich an Erörterungen erfreuen, auch wenn sie bei aller Genauigkeit nicht zur vollen Gewissheit führen. Für andere Leser ist das Folgende in dieser Abteilung nicht berechnet; auch ist es für das Verständnis des Spätem nicht notwendig.
In diesem Abschnitt ist der Kern von Humes Philosophie enthalten. Man kann ihm vollständig darin beitreten, 1) dass der Mensch ohne Erfahrung über die besonderen Wirkungen einzelner Ursachen nichts wissen kann; 2) dass nur die Beobachtung einer Anzahl von gleichen Fällen zu der Annahme berechtigt, dass auch fernerhin die gleichen Folgen mit den gleichen Vor-Dingen sich verbinden werden; 3) dass bei Schlussfolgerungen dieser Art, mögen sie sich noch so weit ausdehnen, nur eine jetzt oder früher stattgehabte eigene Wahrnehmung den letzten Anhalt bietet.
Nur die letzte Folgerung Humes, dass deshalb der Begriff der Ursachlichkeit nur auf Gewohnheit oder Ideenassoziation beruhe, ist unbegründet. Man kann Hume zugeben, dass bei Tieren und kleinen Kindern die Vorstellung der Folge sich auf solche subjektive Verbindung im Denken stütze; allein wenn in dem reiferen Menschen sich der Begriff der Ursachlichkeit voll entwickelt hat, so bedeutet er etwas ganz Anderes als Gewohnheit oder bloss subjektive Verbindung der Vorstellungen. Indem in der Ursachlichkeit die Allgemeinheit und die Notwendigkeit der Verbindung von Ursache und Wirkung enthalten ist, folgt nach Humes eigenen Ausführungen in Abt. IV, dass der Begriff mehr enthält als eine blosse Gewohnheit gewisse Vorstellungen zu verbinden. Die Gewohnheit hat weder die Allgemeinheit, noch die Notwendigkeit in sich; ebenso wenig behandelt sie die subjektive Folge der Dinge. Beides ist aber bei der Ursachlichkeit der Fall. So ist die Gewohnheit; welche in der Sprache bestimmte Laute mit bestimmten Vorstellungen verbindet, eine der stärksten, die im Menschen besteht, und dennoch fällt es Keinem ein, den Laut als die Ursache und den Gegenstand als seine Wirkung zu nehmen, d. h. die bloss subjektive Verbindung der Vorstellungen als eine gegenständliche der Dinge zu nehmen. Dasselbe gilt für die Folge zwischen Tag und Nacht; obgleich diese Folge regelmässig eintritt und die Gewohnheit sie als Folge zu nehmen, eine der stärksten ist, nimmt doch Niemand den Tag für die Ursache der Nacht. Beide Arten der Verbindungen werden immer genau unterschieden, und deshalb irrt Hume, wenn er meint, der Begriff der Ursachlichkeit erzeuge sich aus dieser Gewohnheit der Gedankenfolge.
Diese Gewohnheit ist in dem einzelnen Falle selbst nur das Beispiel einer allgemeinen Verbindung oder eines Gesetzes, was auch für die Vorstellungen, als Zustände der Seele, gilt. Man fühlt vielleicht in dem einzelnen Falle ein Drängen, was zu der zweiten Vorstellung treibt; aber dieses Drängen ist durchaus nicht das Allgemeine und Notwendige, was in der Ursachlichkeit gedacht wird. Es kann deshalb diese Kategorie so wenig aus inneren Vorgängen der Seele, wie aus äusseren Vorgängen der Natur abgeleitet werden. Kant hat deshalb insoweit ganz Recht, dass er die Ursachlichkeit, wie seine anderen Kategorien vielmehr als ursprüngliche, der menschlichen Seele innewohnende Beziehungsformen behandelt, welche aus keiner Wahrnehmung, weder eines Äusseren noch Inneren abstammen, sondern zu den Denkformen der Seele gehören, die sie nur auf das Wahrgenommene anwendet und es dadurch bezieht.
Dagegen hat Kant Unrecht, wenn er, um dennoch die Objektivität dieser Kategorien zu retten, die Wirklichkeit des Wahrgenommenen preisgiebt und die Welt nur als eine Reihe von Erscheinungen nimmt, in die der Mensch jene Kategorien erst übertragen und damit zu objektiven gemacht habe. Vielmehr ist Hume in dem Endergebnis der Wahrheit viel näher geblieben; denn wenn er auch die Ursachlichkeit nicht in ihrer wahren Bedeutung begreift, so leugnet er doch nicht die Wirklichkeit des Wahrgenommenen; und seine Auffassung der Kategorie als Gewohnheit bewahrt ihr ebenso den subjektiven Charakter, wie die realistische Auffassung derselben, wonach sie eine der Seele von Natur innewohnende Beziehungsform ist. In beiden Fällen ist die Ursachlichkeit nichts Wirkliches, sondern ein blosses Denken; das, was allein wirklich ist, ist die zeitliche, in allen Fällen sich gleich wiederholende Folge des Einen (Wirkung) auf das Andere (Ursache). Die Ursachlichkeit bringt in diese zeitliche Folge keine neue, seiende Bestimmung hinein, sondern sie hilft nur der Seele das Wunderbare einer solchen Folge begreifen, indem sie den Vorgang nunmehr als Erzeugung nimmt.
Deshalb verdient Kant weit eher als Hume den Namen eines Skeptikers; Kant bezweifelt die Wirklichkeit von all unserer Erkenntnis, während Hume das Wahrgenommene als wirklich stehen lässt, ebenso die Folge des Einen auf das Andere und nur die Ursachlichkeit als eine gegenständliche Bestimmung nicht anerkennt, wobei die Auffassung derselben als subjektive Gewohnheit zwar falsch, aber für die Erkenntnis des Seienden völlig unschädlich bleibt. Hume wird selbst bis in die neueste Zeit von den Philosophen zu den Skeptikern gerechnet; anscheinend nur deshalb, weil er seine Auffassung von der Ursache in der Überschrift der Abt. V selbst als eine skeptische bezeichnet hat.
Nichts ist freier als die Einbildungskraft des Menschen. Obgleich sie den ursprünglichen Vorrat von Vorstellungen, welche der innere und der äussere Sinn beschafft, nicht überschreiten kann, so hat sie doch eine unbeschränkte Gewalt in Mischung, Verbindung, Trennung und Teilung dieser Vorstellungen nach allen Richtungen des Beliebens und der Phantasie. Der Mensch kann sich eine Reihe von Ereignissen bilden, die allen Anschein der Wirklichkeit haben; er kann ihnen Zeit und Ort bestimmen, sie als wirklich nehmen und sie mit allen Nebenumständen ausmalen, welche zu einem solchen historischen Ereignis gehören, an das man mit der grössten Gewissheit glaubt. Worin besteht nun der Unterschied zwischen einer solchen Dichtung und dem Glauben? Er liegt nicht in irgend einer besonderen Vorstellung, welche solchen Gedanken anhaftet, die man für wahr hält, und welche jeder blossen Dichtung abginge. Denn der Verstand hat Macht über alle seine Vorstellungen und könnte daher diese besondere Vorstellung mit jeder Dichtung verbinden, und so dahin kommen, das zu glauben, was ihr beliebte; während die Erfahrung doch lehrt, dass dies nicht stattfindet. Wir können in unserm Vorstellen den Kopf eines Menschen mit dem Leibe eines Pferdes verbinden, aber es steht nicht in unserer Gewalt, zu glauben, dass ein solches Tier existiert habe.
Deshalb muss der Unterschied zwischen Dichtung und Glauben in einer Empfindung oder einem Gefühle liegen, welches zwar mit diesem, aber nicht mit jener verbunden ist, und was weder von dem Willen abhängt, noch beliebig zu Diensten steht. Es muss, wie alle Gefühle, durch die Natur erweckt werden und aus dem besondern Zustande hervorgehen, in dem sich der Verstand unter Umständen befindet. Jeder Gegenstand, der sich den Sinnen oder dem Gedächtnis bietet, treibt durch die Macht der Gewohnheit die Einbildungskraft zur Vorstellung des Gegenstandes, welcher gewöhnlich mit ihm verbunden ist, und diese Vorstellung ist von einem Gefühl oder einer Empfindung begleitet, die sich von den luftigen Träumen der Phantasie unterscheidet. Darin besteht das Wesen des Glaubens. Denn da es keine Thatsache giebt, die man so fest glaubt, dass man sich nicht das Gegenteil vorstellen könnte, so gäbe es keinen Unterschied zwischen Vorstellungen, die man für wahr, und solchen, die man für unwahr hielte, wenn nicht ein Gefühl die eine von der andern unterschiede. Wenn ich sehe, wie eine Billardkugel auf einer glatten Fläche sich gegen eine andere bewegt, so kann ich mir wohl vorstellen, dass sie bei der Berührung stillstehen werde. Diese Vorstellung enthält keinen Widerspruch; dennoch empfinde ich bei dieser Vorstellung ganz anders, als bei der, wo ich mir den Stoss und die Mitteilung der Bewegung von einer zur andern vergegenwärtige.
Wollte ich eine Definition dieser Empfindung versuchen, so würde diese schwer, vielleicht unmöglich sein; ebenso, als wenn ich das Gefühl der Kälte, oder die Leidenschaft des Zornes einem Menschen definieren wollte, der diese Gefühle nie empfunden hat. Glauben ist das wahre und richtige Wort für dieses Gefühl, und niemand ist über den Sinn dieses Ausdrucks in Zweifel, weil jedermann zu jeder Zeit sich des damit bezeichneten Gefühles bewusst ist. Indes ist eine Beschreibung dieses Gefühls vielleicht zweckmässig; man gelangt dadurch vielleicht zu Vergleichungen, welche eine vollkommnere Einsicht gewähren. Ich behaupte also, dass der Glaube nur eine lebhaftere, lebendigere, stärkere, festere, ausharrendere Vorstellung von einem Gegenstande ist, als die, welche die Einbildung allein erreichen kann. Diese Menge von Beiworten, die unphilosophisch scheint, soll nur jenen Akt des Verstandes bezeichnen, der das Wirkliche oder dafür Gehaltene mehr als das Eingebildete vergegenwärtigt, im Vorstellen gewichtiger macht und ihm einen stärkeren Einfluss auf die Leidenschaften und die Gedanken giebt. Sind wir über die Sache einverstanden, so brauchen wir uns über die Worte nicht zu streiten. Die Einbildungskraft gebietet über alle ihre Vorstellungen und kann sie auf alle mögliche Arten verbinden, mischen und vertauschen. Sie kann Erdichtungen mit allen zeitlichen und örtlichen Nebenumständen machen. Sie kann sie uns gleichsam vor Augen stellen, mit ihren wahren Farben, wie sie existiert haben mögen. Aber es ist unmöglich, dass diese Einbildungskraft allein je den Glauben bewirkt; der Glaube kann deshalb nicht in einer besonderen Art oder Ordnung der Vorstellungen bestehen, sondern muss eine besondere Art ihrer Auffassung sein und ihres Gefühles in der Seele. Ich räume ein, dass es unmöglich ist, dieses Gefühl oder diese Art der Auffassung zu beschreiben. Man kann Worte benutzen, die es annähernd ausdrücken; aber der wahre und richtige Name dafür ist Glaube, ein Wort, was jeder im gewöhnlichen Leben versteht. Auch in der Philosophie kann man nicht weiter als zu dem Satze kommen, dass der Glaube ein Gefühl in der Seele ist, wodurch sie die Aussagen ihres Urteils von den Geschöpfen ihrer Einbildungskraft unterscheidet. Dies Gefühl giebt jenen mehr Gewicht und Einfluss, lässt sie wichtiger erscheinen, zwingt sie der Seele auf und macht sie zu den herrschenden Grundsätzen unserer Handlungen. Ich höre z. B. jetzt die Stimme eines Menschen, der mir bekannt ist, und der Ton kommt aus dem nächsten Zimmer. Dieser Eindruck auf meine Sinne führt unmittelbar mein Denken auf diesen Menschen mit allen ihn betreffenden Nebenumständen. Ich male sie mir als jetzt existierend aus, mit denselben Eigenschaften und Verhältnissen, wie ich sie früher an ihnen gekannt habe. Diese Vorstellungen fassen festern Fuss in meiner Seele als die Vorstellung von einem verzauberten Schlosse. Sie sind ganz anders in der Empfindung und haben in jeder Art einen grössern Einfluss, sei es um Lust oder Schmerz, Freude oder Trauer zu erwecken.
Fasst man alles hier Gesagte zusammen, so erhellt, dass das Gefühl des Glaubens nur ein innerlich stärkeres und festeres Vorstellen im Vergleich zu den blossen Schöpfungen der Einbildung ist, und dass diese Vorstellungsart sich aus der gewohnten Verbindung zwischen einem Gegenstand und einem den Sinnen oder dem Gedächtnis gegenwärtigen Etwas bildet. Mit dieser Annahme wird es leicht sein, andere ähnliche Geistesthätigkeiten aufzufinden, und diese Erscheinungen auf allgemeinere Grundsätze zurückzuführen.
Es ist bereits erwähnt, dass die Natur besondere Vorstellungen miteinander verknüpft hat, und dass, wenn die eine in das Denken eintritt, sie sofort die ihr zugehörige mit einführt und ihr unsere Aufmerksamkeit durch eine leise und unfühlbare Bewegung zuwendet. Die Regeln für diese Verknüpfungen oder Vergesellschaftungen haben wir auf drei zurückgeführt, nämlich: Ähnlichkeit, Berührung (in Zeit und Raum) und Ursächlichkeit. Sie sind die einzigen Bande, welche unsere Vorstellungen vereinigen und jenen regelmässigen Lauf des Denkens oder Unterredens erzeugen, welcher mehr oder weniger unter allen Menschen stattfindet. Hier erhebt sich nun eine Frage, von deren Lösung die vorliegende Schwierigkeit abhängt. Geschieht es bei all diesen Verbindungsformen, dass, wenn ein Gegenstand den Sinnen oder dem Gedächtnis zugeführt wird, die Seele nicht bloss die andere zugehörige sich vorstellt, sondern dies auch in einer stärkern und festern Weise thut, als sie es sonst vermocht hätte? Dies scheint mit dem Glauben, welcher aus der Beziehung von Ursache und Wirkung entspringt, der Fall zu sein. Ist dies nun auch mit den beiden andern Verbindungsformen der Fall, so muss es als ein allgemeines Gesetz für alle Thätigkeiten des Verstandes gelten.
Als erster Versuch für unsern Zweck kann der Fall dienen, dass bei dem Anblick des Bildes eines abwesenden Freundes unsere Vorstellung von ihm offenbar durch die Ähnlichkeit lebhafter wird, und dass jedes von dieser Vorstellung wachgerufene Gefühl, sei es Freude, sei es Trauer, dadurch neue Kraft und Stärke erhält. Um diese Wirkung hervorzubringen, vereinigt sich hier sowohl eine Beziehung, wie ein gegenwärtiger Eindruck. Wäre das Bild ihm nicht ähnlich oder soll es ihn nicht darstellen, so würde es nie unsere Gedanken zu ihm hinleiten; und wäre es ebenso abwesend, wie die Person, so würde der Verstand, wenn er auch an das eine oder andere dachte, seine Vorstellungen durch diesen Wechsel eher geschwächt als gestärkt fühlen. Wir sehen gern das gegenwärtige Bild eines Freundes; ist es aber nicht mehr da, so denken wir lieber unmittelbar an ihn als vermittelst eines Bildes, was ebenso fern als dunkel ist.
Auch die Gebräuche der katholischen Eeligion können als hierher gehörende Beispiele gelten. Die Eiferer dieses Aberglaubens führen gewöhnlich zur Verteidigung der Aufzüge, die man an ihr tadelt, an, dass sie die guten Wirkungen dieser äussern Bewegungen, Stellungen und Handlungen fühlen; dass ihre Andacht dadurch tiefer und ihr Eifer stärker werde; während diese sinken würden, wenn sie blos auf entfernte und unsichtbare Gegenstände gerichtet würden. Wir verbildlichen uns, sagen sie, diese Glaubensgegenstände in wahrnehmbaren Formen und Bildern und vergegenwärtigen durch diese Formen jene uns mehr, als wir durch rein geistige Beschauung und Betrachtung vermögen. Sichtbare Dinge haben immer einen grösseren Einfluss auf die Einbildungskraft als andere und dieser geht schnell auf die Vorstellungen, auf die sie sich beziehen und denen sie gleichen, über. Ich will an diesen Gebräuchen und ihrer Bechtfertignng nur darlegen, dass die Wirkung der Ähnlichkeit auf die Verstärkung der Vorstellungen sehr häufig ist. Da in jedem Falle eine Ähnlichkeit und ein gegenwärtiger Eindruck zusammentreffen müssen, so hat man für den Beweis der aufgestellten Begel Beispiele die Menge.
Die Stärke dieser Gründe kann durch verschiedene andere erhöht werden, wenn man die Wirkung der Berührung (in Raum und Zeit) in Betracht zieht. Die Entfernung mindert offenbar die Stärke jeder Vorstellung; nähern wir uns dem Gegenstande, so bewirkt er, obgleich er sich den Sinnen noch nicht darstellt, schon einen Einfluss auf die Seele, welcher einem unmittelbaren Eindruck ähnelt. Die Vorstellung irgend eines Gegenstandes führt die Seele sofort zu dem ihm Angrenzenden; aber nur die wirkliche Gegenwart eines Gegenstandes thut dies mit grösserer Lebhaftigkeit. Wenn ich nur wenige Meilen von meinem Hause entfernt bin, so ergreift mich alles darauf Bezügliche mehr, als wenn ich zweihundert Meilen davon entfernt bin; wenngleich selbst bei dieser Entfernung der Gedanke an irgend eine Sache in der Nähe meiner Freunde oder Familie die Vorstellung von ihnen wach ruft. Im letztern Falle sind beide Gegenstände nur Vorstellungen, und obgleich der Übergang von der einen zur andern leicht geschieht, kann er doch der einen dieser Vorstellungen keine grössere Lebendigkeit geben, weil der unmittelbare Eindruck fehlt.
Cicero sagt in seinem Werke »Über das höchste Gut«, Buch V: Ist es Anlage der Natur oder Folge einer Täuschung, dass wir bei dem Anblick der Orte, wo berühmte Männer viel verkehrt haben, lebhafter erregt werden, als wenn wir nur von ihren Thaten hören oder in ihren Schriften lesen? So werde ich jetzt erschüttert. Denn ich dachte an Plato, der hier zuerst gelehrt haben soll; sein anstossender Garten weckt nicht bloss die Erinnerung an ihn, sondern stellt ihn mir gleichsam vor Augen. Hier wandelte Speusippus, hier Xenokrates, hier sein Zuhörer Polemo, dessen Sessel wir sehen. So pflegte ich auch bei dem Anblick unseres Rathauses (ich meine das Hostilische und nicht das neue, was zwar grösser, aber mir nur kleiner scheint) an Scipio, Cato und Laelius, aber vorzüglich an unsern Grossvater zu denken. So stark ist die erweckende Kraft, die an Orten haftet, dass man mit Recht die Lehre vom Gedächtnis davon abgeleitet hat.
Die Ursächlichkeit hat ohne Zweifel denselben Einfluss wie die beiden andern Beziehungen der Ähnlichkeit und Berührung. Abergläubische Leute halten auf Reliquien von Heiligen und frommen Männern aus demselben Grunde, weshalb sie nach ihren Gestalten und Bildern verlangen; sie wollen ihre Andacht steigern und den Gedanken an deren exemplarisches Leben, was sie nachahmen wollen, tiefer und kräftiger machen. Offenbar ist eine der besten Reliquien, welche ein Andächtiger sich verschaffen kann, die Handarbeit eines Heiligen; wenn seine Kleider und Geräte ebenso geschätzt werden, so geschieht es, weil sie einst zu seiner Verfügung standen und von ihm getragen und gebraucht wurden. Sie gelten als eine unvollkommene Wirkung von ihm und erscheinen durch eine kürzere Reihe von Gliedern mit ihm verbunden, als alles Andere, woraus man die Wirklichkeit seiner Existenz abnehmen könnte.
Wenn der Sohn eines seit geraumer Zeit toten oder abwesenden Freundes vor uns erschiene, so würde er offenbar die damit verbundenen Vorstellungen wach rufen und alle vergangenen Vertraulichkeiten und Freundschaften lebendiger in unser Denken zurückbringen, als es sonst geschehen wäre. Dies ist ein anderer Vorgang, welcher die obige Regel zu bestätigen scheint.
Bei diesen Fällen wird der Glaube an den zugehörigen Gegenstand immer vorausgesetzt, denn sonst kann die Beziehung nicht wirksam sein. Die Wirkung des Gemäldes verlangt, dass wir glauben, unser Freund habe einmal existiert. Die Nähe unserer Heimat kann unsere Vorstellung von der Heimat nur erwecken, wenn man glaubt, dass sie wirklich besteht. Ich behaupte nun, dass, wenn dieser Glaube über das Gedächtnis oder die Wahrnehmung hinausgeht, er die gleiche Natur und den gleichen Ursprung hat, wie der hier erklärte Übergang der Gedanken und die Lebhaftigkeit des Vorstellens. Wenn ich ein Stück trockenes Holz in das Feuer werfe, so treibt es mich offenbar zur Vorstellung, dass es die Flamme nicht auslöscht, sondern vermehrt. Dieser Fortschritt der Gedanken von der Ursache zur Wirkung geht nicht von der Vernunft aus, sondern beruht gänzlich auf Gewohnheit und Erfahrung. Da er mit einem den Sinnen gegenwärtigen Gegenstande beginnt, so macht er die Vorstellung von der Flamme stärker und lebendiger als der blosse schwankende Traum der Einbildung. Jene Vorstellung erhebt sich unmittelbar; das Denken wendet sich augenblicklich ihr zu und giebt ihr alle Stärke des Wissens, die sich von dem sinnlichen Eindruck ableitet. Wenn man ein Schwert gegen meine Brust zückt, trifft mich da die Vorstellung von Wunden und Schmerzen nicht stärker, als wenn man ein Glas Wein mir anbietet, selbst wenn jene Vorstellung zufällig mit der Wahrnehmnng des letzteren eintreten sollte? Was anderes kann nun in diesem Gebiete eine so starke Vorstellung erzeugen, als ein gegenwärtiger Gegenstand und der gewohnte Übergang zur Vorstellung eines andern Gegenstandes, welchen man mit dem ersten zu verbinden sich gewöhnt hat? Dies ist der einfache Vorgang in unserem Verstande bei allen unsern Schlüssen über Thatsachen und Dasein. Es ist von Wert, einige ähnliche Verhältnisse aufzuzeigen, welche ihn erläutern. Die Gegenwart des Gegenstandes, von dem der Übergang ausgeht, giebt der zweiten Vorstellung immer Stärke und Festigkeit.
Hier besteht also eine Art von voraus bestimmter Harmonie zwischen dem Lauf der Natur und der Folge unserer Vorstellungen, und obgleich Kräfte und Triebfedern, welche in ersterer herrschen, uns ganz unbekannt sind, so sehen wir doch, dass unsere Gedanken und Vorstellungen denselben Lauf nehmen, wie die Werke der Natur. Gewohnheit ist das Prinzip, welches diese Übereinstimmung bewirkt; sie ist für den Bestand unseres Geschlechts notwendig und leitet in allen Verhältnissen und Vorkommnissen des Lebens unser Benehmen. Erweckte nicht die Gegenwart eines Gegenstandes sofort die Vorstellung der mit ihm gewöhnlich verbundenen Dinge, so wäre all unser Wissen auf den engen Kreis des Gedächtnisses und der Wahrnehmung beschränkt; wir würden keine Mittel den Zwecken anpassen, noch unsere natürlichen Kräfte benutzen können, um Gutes zu erreichen und Übles zu meiden. Wer an der Entdeckung und Betrachtung der letzten Ursachen Vergnügen findet, hat hier volle Gelegenheit zum Staunen und zur Bewunderung.
Zu weiterer Bestätigung der hier dargelegten Theorie lässt sich noch geltend machen, dass diese Thätigkeit des Verstandes, wodurch man gleiche Wirkungen von gleichen Ursachen ableitet, und umgekehrt, in Anbetracht, dass sie so wesentlich für die Erhaltung des Menschengeschlechts ist, nicht wohl den trügerischen Begründungen unserer Vernunft anvertraut werden konnte. Deren Wirksamkeit ist langsam; in den ersten Jahren der Kindheit ist sie fast gar nicht bemerklich, und im besten Falle ist sie zu allen Zeiten und Perioden des Lebens Irrtümern und Fehlern sehr ausgesetzt. Es entspricht mehr der allgemeinen Weisheit der Natur, eine so notwendige Thätigkeit der Seele durch Instinkt oder einen mechanischen Trieb zu sichern, welcher in seiner Wirksamkeit frei vom Irrtum bleibt, gleich beim Beginn des Lebens und Denkens sich geltend macht und von den mühsamen Begründungen des Verstandes unabhängig ist. So wie die Natur uns den Gebrauch unserer Glieder gelehrt hat, ohne uns die Kenntnis der Muskeln und Nerven, durch die sie erfolgt, zu geben, so hat sie auch einen Instinkt uns eingepflanzt, welcher die Gedanken übereinstimmend mit dem Gang, den sie für äussere Gegenstände festgestellt hat, führt, obgleich wir die Kräfte und Triebfedern, von welchen dieser regelmässige Lauf und die Folge der Gegenstände abhängt, durchaus nicht kennen.
Im vorgehenden Abschnitt hat Hume die Gewohnheit als das Prinzip bezeichnet, weshalb mit der Vorstellung der Ursache nach wiederholter Wahrnehmung sich die Vorstellung der Wirkung verbindet. Hume bemerkt nun selbst, dass zwischen dem blossen Eintreten einer solchen Vorstellung und dem Glauben an die Wirklichkeit ihres Gegenstandes noch ein grosser Unterschied ist. Da nun bei dem Schliessen aus Thatsachen auf ihre Wirkungen dieser Glaube besteht, so versucht hier Hume die Quelle dieses Glaubens darzulegen. Auch hier verwechselt indes Hume subjektive Zustände im Vorstellen mit objektiven Zuständen und mit Beziehungen auf ein Gegenständliches. Nach Hume ist der Glaube von der blossen, erdichteten Vorstellung nur in der Stärke des Vorstellens unterschieden; ähnlich hat Hume schon die Wahrnehmungen durch die Stärke von den blossen Vorstellungen unterschieden. Allein dies ist ein Irrtum. In dem Fürwahrhalten oder in dem Glauben (Überzeugung, Gewissheit) liegt etwas ganz Anderes als ein solcher höherer Grad des Vorstellens; er enthält vielmehr ein Auffassen seines Inhaltes als eines Gegenständlichen und Seienden. Es kann z. B. sein, dass ein Roman viel tiefer und lebendiger aufregt als die Wirklichkeit, und dass man seine Scenen sich weit stärker vorstellt, als das Haus, was man in seiner Zerstreuung sich gegenüber sieht; hier ist die letzte Vorstellung, als solche, viel schwächer wie jene; dennoch verbindet sich das Fürwahrhalten nur mit der schwachen und nicht mit der starken.
Hume selbst bezeichnet an anderen Stellen den Unterschied beider als ein Gefühl; dies sagt schon mehr als einen blossen Unterschied im Grade. Richtiger ausgedrückt, sind es vielmehr seiende Elemente der Seele, welche hier hinzutreten und dem reinen Wissen die Besonderungen geben, wodurch es zu den unterschiedenen Wissensarten sich gestaltet, deren sechs bestehen, und von denen das Glauben oder die Gewissheit nur eine Art ist, wie in B. I. S. 57 näher dargelegt worden ist. Welcher Art und Natur diese seienden Elemente sind, ist der menschlichen Erkenntnis entzogen; man hat auch hier nur das Ergebnis vor sich, was sich in dem Fürwahrhalten offenbart, d. h. in dem Auffassen des vorgestellten Inhaltes als eines Seienden und Wirklichen, von seiner Vorstellung Unterschiedenen. – Hume hat ganz Recht, wenn er sagt, dass dieser Zusatz im Glauben mehr sei als ein blosses Vorstellen; es ist ein seiendes Element ( Hume sagt: Gefühl), was festen Gesetzen unterliegt und von der Seele nicht beliebig dem blossen Vorstellen hinzugefügt werden kann.
Deshalb ist es falsch, wenn Hume die Überzeugung von der Wirklichkeit der Folgen einer Ursache nur aus dem höheren Grade ableitet, mit der die Ursache vorgestellt werde. Dies ist schon oben erledigt. Wenn sich mit einer bekannten Ursache und ihrem Dasein nicht bloss die Vorstellung, sondern der Glaube oder die Gewissheit ihrer Wirkung verbindet, so liegt dies auch hier nicht in subjektiven Gewohnheiten des Vorstellenden, sondern in der Allgemeinheit und Notwendigkeit, womit Ursache und Wirkung aneinander geknüpft sind. Deshalb wird, wenn man an das Dasein der Ursache glaubt, auch das Eintreten der Wirkung nicht bloss vorgestellt, sondern geglaubt. Die Gewissheit pflanzt sich hier von der Ursache auf die Wirkung nicht durch eine psychologische Gewohnheit innerhalb des Vorstellens fort, sondern die Gewissheit der Wirkung beruht hier auf dem II. Fundamentalsatze (B. I. 68. 81), wonach das sich Widersprechende unmöglich ist. In der Ursache liegt die Notwendigkeit und Allgemeinheit ihrer Wirkung; indem ich also ein Ding als Ursache auffasse, erkenne ich damit diese Allgemeinheit an, und ich muss deshalb auch das Eintreten der Wirkung für gewiss halten, wenn ich die Ursache glaube, d. h. als daseiend anerkenne, und die Regel, welche eine bestimmte Wirkung damit verknüpft, für richtig halte.
Alle Folgerungen aus Thatsachen sind deshalb reine logische Konklusionen, deren Wahrheit auf der Wahrheit des Gesetzes (Obersatzes) und des Daseins des terminus medius beruht, und sich, wie in der Geometrie, nur durch die Unmöglichkeit des Widerspruchs daraus ableiten. (B. I. 81.)
Wenn diese Folgerungen dennoch nicht die mathematische Gewissheit erreichen, so liegt dies nicht in ihrer logischen Form, sondern in der Ungewissheit des Obersatzes, der nur auf der Induktion beruht und deshalb für seine Allgemeinheit keine volle Gewissheit bietet.
Hume verkennt dies und meint, die Gewissheit der Wirkung entspringe nur aus der Gewissheit, mit der die Ursache geglaubt werde; das Übrige werde durch Gewohnheit vermittelt. Vielmehr wird die Verbindung beider und die Konklusion durch einen rein logischen, deshalb apodiktische Gewissheit mit sich führenden Schluss vermittelt, und die Schwäche liegt nur in dem Obersatze.
Deshalb sind auch die Analogien, welche
Hume aus der
Ähnlichkeit und der
Berührung herbeizieht, ganz ungeeignet; diese wirken allerdings nur durch die
subjektiven Gesetze der Gedankenverbindung und können dadurch wohl zu einer Steigung des Grades im Vorstellen führen; aber diese darf nie mit der Gegenständlichkeit des Vorgestellten verwechselt werden. Unter »Berührung« ist übrigens nach
Hume hier nur steigende Annäherung an den die Ursache enthaltenden Gegenstand zu verstehen, wie die Beispiele S. 48 ergeben. Die aus Cicero in der Anmerk. S. 54 angezogene Stelle ist nachzusehen in B. 62. S. 263 der philosoph. Bibliothek.