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Es muß in der Tat ein leichtes Gebäude sein, sagte Demea, das auf so wankender Grundlage errichtet werden kann. So lange wir unsicher sind, ob es eine oder viele Gottheiten gibt, ob die Gottheit oder die Gottheiten, denen wir unser Dasein verdanken, vollkommen oder unvollkommen, untergeordnet oder von höchster Macht, tot oder lebendig sind, welches Vertrauen, welche Zuversicht können wir in sie setzen? Welchen frommen Dienst ihnen widmen? Welche Verehrung, welchen Gehorsam ihnen leisten? Für alle Absichten des Lebens wird die Religionslehre völlig nutzlos, und selbst in Absicht spekulativer Folgen muß ihre Unsicherheit nach Euch sie gänzlich fragwürdig und unbefriedigend machen.
Sie noch unbefriedigender zu machen, sagte Philo, kommt mir eben eine andere Vorstellung, welche aus der Folgerungsweise, die von Cleanthes so ernstlich vertreten wird, einen Anschein von Wahrscheinlichkeit erhält. Daß gleiche Wirkungen von gleichen Ursachen entspringen, dieses Prinzip nimmt er als Grundlage aller Religion an. Es gibt ein anderes Prinzip von derselben Art, nicht weniger gewiß und aus derselben Quelle der Erfahrung abgeleitet, nämlich, daß, wo einige Umstände als ähnlich beobachtet sind, die unbekannten ebenso ähnlich sein werden. Wenn wir die Glieder eines menschlichen Körpers sehen, schließen wir, daß sie mit einem menschlichen Kopf verbunden sind, obgleich wir ihn nicht sehen. Wenn wir durch einen Spalt in der Mauer einen kleinen Teil der Sonne sehen, schließen wir, daß wir nach Entfernung der Mauer den ganzen Körper sehen würden. Kurz, diese Folgerungsweise ist so gewöhnlich und auf der Hand liegend, daß an ihrer Sicherheit kein Zweifel sein kann.
Wenn wir nun das Universum, soweit es zu unserer Kenntnis kommt, überblicken, so zeigt es eine große Ähnlichkeit mit einem tierischen oder organischen Körper und scheint von einem gleichen Lebens- und Bewegungsprinzip getrieben zu werden. Beständiger Kreislauf der Materie bringt in ihm keine Unordnung hervor; beständige Zerstörung in jedem Teil wird unaufhörlich wieder hergestellt; der genaueste Zusammenhang ist in dem ganzen System bemerklich, und jeder Teil oder jedes Glied arbeitet, indem es seine eigentümlichen Funktionen vollzieht, sowohl für seine eigene Selbsterhaltung, als für die des Ganzen. Die Welt, so folgere ich daraus, ist ein Tier und die Gottheit ist die Seele der Welt, sie bewegend und von ihr bewegt.
Ihr habt zu viel Gelehrsamkeit, Cleanthes, um über diese Meinung erstaunt zu sein; Ihr wißt, sie wurde behauptet von fast allen Theisten des Altertums und ist in ihren Erörterungen und Spekulationen vorwiegend. Denn wenngleich die alten Philosophen zuweilen aus Endursachen argumentieren, als ob sie die Welt als ein Bauwerk Gottes angesehen hätten, so ist doch sichtlich ihre Lieblingsvorstellung, sie als seinen Leib anzusehen, dessen Organisation ihm dieselbe dienstbar macht. Und, muß man gestehen, da das Universum mehr einem menschlichen Leibe als den Werken menschlicher Kunst und Erfindung gleicht, so scheint die Folgerung, wenn anders unsere beschränkte Analogie mit irgendeiner Genauigkeit auf das Ganze der Natur ausgedehnt werden darf, mehr zugunsten der alten als der neuen Theorie zu sprechen.
Dazu gibt es in der ersteren Theorie manche andere Vorteile, welche sie den alten Theologen empfahlen. Nichts war mehr im Widerspruch mit allen ihren Begriffen, weil mehr im Widerspruch mit der alltäglichen Erfahrung, als Geist ohne Körper, eine rein geistige Substanz, welche nicht in ihre Sinne oder Fassungskraft fiel, und von der sie in der ganzen Natur nicht ein einziges Beispiel beobachtet hatten. Geist und Körper kannten sie, weil sie beide empfanden; Ordnung, Zusammenstimmung, Organisation oder innere Maschinerie kannten sie ebenfalls in beiden auf dieselbe Weise, und es mußte vernünftig erscheinen, diese Erfahrung auf das Universum zu übertragen und vorauszusetzen, daß der göttliche Geist und Leib ebenfalls gleichaltrig seien und daß jeder von ihnen Ordnung und Zusammenstimmung als natürliche und unabtrennbare Eigenschaften an sich hätte.
Hier haben wir also eine neue Art von Anthropomorphismus, Cleanthes, den Ihr in Erwägung ziehen mögt, eine Theorie, die nicht irgend erheblichen Schwierigkeiten ausgesetzt zu sein scheint. Sicherlich seid Ihr über systematische Vorurteile zu weit hinaus, um in der Annahme, daß ein tierischer Körper ursprünglich aus sich selbst oder von unbekannten Ursachen mit Ordnung und Organisation ausgestattet sei, größere Schwierigkeit zu finden, als in der Annahme, daß ähnliche Ordnung einem Geist angehöre. Dagegen sollte man meinen, dürfte das gemeine Vorurteil, daß Leib und Geist einander stets begleiten müssen, nicht ganz zu verachten sein, denn es ist auf gemeine Erfahrung begründet, den einzigen Führer, dem Ihr in allen theologischen Untersuchungen zu folgen bekennt. Und wenn Ihr behauptet, daß unsere begrenzte Erfahrung ein ungeeignetes Maß sei, um danach die unbegrenzte Ausdehnung der Natur zu beurteilen, so verlaßt Ihr ganz Eure Voraussetzung und müßt zu unserem Mystizismus, wie Ihr ihn nennt, übergehen, und die absolute Unbegreiflichkeit der göttlichen Natur zugestehen.
Diese Theorie, erwiderte Cleanthes, ich gestehe es, ist mir noch nie in den Sinn gekommen, obwohl sie sehr natürlich ist, und ich kann über sie nach so kurzer Prüfung und Überlegung nicht sogleich eine Meinung abgeben. – Ihr seid in der Tat sehr bedächtig, sagte Philo; wenn ich eines von Euren Systemen zu prüfen hätte, ich würde nicht mit der halben Vorsicht und Zurückhaltung in Vorbringung von Einwendungen und Schwierigkeiten verfahren sein. Gleichwohl wenn Euch etwas in den Sinn kommt, werdet Ihr uns verpflichten, wenn Ihr es vorlegen wollt.
Nun denn, erwiderte Cleanthes, mir scheint, daß, wenngleich die Welt in manchen Umständen einem tierischen Leibe gleicht, die Anologie doch auch in vielen und sehr wesentlichen Umständen mangelhaft ist: keine Sinnesorgane; kein Sitz des Denkens oder Verstandes; kein bestimmter Ausgangspunkt von Bewegung und Handlung. Kurz, sie scheint eine größere Ähnlichkeit mit einer Pflanze als mit einem Tier zu haben, und Eure Folgerung würde insoweit zugunsten einer Weltseele nicht schlußkräftig sein.
Ferner scheint Eure Theorie die Ewigkeit der Welt vorauszusetzen, und dies ist ein Grundsatz, der, wie ich denke, durch die stärksten Gründe und Wahrscheinlichkeitsschlüsse widerlegt werden kann. Ich werde in dieser Absicht einen Beweis beibringen, der, wie ich glaube, noch nicht von irgendeinem Schriftsteller benutzt worden ist. Diejenigen, welche aus dem erst kürzlichen Ursprung von Künsten und Wissenschaften folgern, können vielleicht, wenngleich ihre Argumentation nicht ohne einige Stärke ist, durch Betrachtungen, die man aus der Natur der menschlichen Gesellschaft entlehnt, widerlegt werden: dieselbe ist in beständiger Umwälzung zwischen Unwissenheit und Erkenntnis, Freiheit und Sklaverei, Reichtum und Armut, so daß es uns nicht möglich ist, aus unserer beschränkten Erfahrung mit Sicherheit vorauszusagen, welche Erfolge zu erwarten sind oder nicht. Die alte Gelehrsamkeit und Geschichte scheinen nach der Überschwemmung durch die barbarischen Völker in großer Gefahr gewesen zu sein, gänzlich unterzugehen; und hätten diese Erschütterungen ein wenig länger gedauert oder wären sie ein wenig gewaltsamer gewesen, so würden wir wahrscheinlich nicht gewußt haben, was wenige Jahrhunderte vor uns auf der Welt sich ereignete. Ja, wäre nicht der päpstliche Aberglaube gewesen, welcher eine Art von lateinischem Jargon erhielt, um den Anschein des Altertums und der Allgemeinheit der Kirche aufrecht zu halten, so müßte diese Sprache ganz verloren gegangen sein; in welchem Falle die abendländische, ganz barbarische Welt nicht imstande gewesen wäre, die griechische Sprache und Gelehrsamkeit, welche nach dem Fall von Konstantinopel zu ihr gebracht wurde, aufzunehmen. Wären Gelehrsamkeit und Bücher untergegangen, würden auch die mechanischen Künste sehr in Verfall geraten sein, und man kann sich leicht einbilden, daß Fabel oder Überlieferung ihnen einen viel späteren Ursprung zugeschrieben hätten, als sie wirklich haben. Dieser gewöhnliche Beweis gegen die Ewigkeit der Welt scheint daher etwas unsicher.
Hier jedoch erscheint eine Grundlage für einen besseren Beweis. Lucullus war der erste, der Kirschbäume von Asien nach Europa brachte, obwohl dieser Baum in vielen europäischen Klimaten so wohl gedeiht, daß er ohne Pflege in den Wäldern wächst. Ist es möglich, daß während einer ganzen Ewigkeit niemals ein Europäer nach Asien gekommen sein sollte, der an die Verpflanzung einer so angenehmen Frucht in sein eigenes Land gedacht hätte? Oder wenn der Baum einmal verpflanzt und angesiedelt war, wie konnte er wieder aussterben? Reiche mögen entstehen und vergehen, Freiheit und Sklaverei aufeinander folgen; Unwissenheit und Kenntnis abwechseln; aber der Kirschbaum würde in den Wäldern Griechenlands, Spaniens, Italiens geblieben und durch die Umwälzungen in der menschlichen Gesellschaft unbeeinflußt geblieben sein.
Es ist nicht zweitausend Jahre, daß Weinstöcke nach Frankreich verpflanzt wurden, obgleich kein Klima der Welt ihnen günstiger ist. Es ist nicht dreihundert Jahre, daß Pferde, Kühe, Schafe, Schweine, Hunde, Korn in Amerika bekannt sind. Ist es möglich, daß während einer ganzen Ewigkeit nie ein Kolumbus erstand, der den Verkehr zwischen Europa und jenem Kontinent eröffnete? Ebensogut können wir uns einbilden, daß alle Menschen seit 10 000 Jahren Strümpfe trugen, ohne daß es ihnen in den Sinn kam sie durch Strumpfbänder zu befestigen. Alles dies scheint ein überzeugender Beweis von der Jugendlichkeit oder vielmehr Kindheit der Welt; er ist auf die Wirksamkeit von beständigeren und stetigeren Prinzipien begründet, als wodurch die menschliche Gesellschaft beherrscht und geleitet wird. Nur eine gänzliche Revolution der Elemente wird jemals alle europäischen Tiere und Pflanzen, welche jetzt in der westlichen Welt vorhanden sind, zerstören.
Und welchen Beweis habt Ihr gegen solche Revolutionen? erwiderte Philo. Starke und fast unwiderlegliche Beweise finden sich auf der ganzen Erde dafür, daß jeder Teil dieser Kugel lange Zeiträume hindurch ganz mit Wasser bedeckt gewesen ist. Und selbst wenn man Ordnung als untrennbare Eigenschaft der Materie ansieht, so mag die Materie dennoch während der endlosen Perioden ewiger Dauer vielen und großen Umwälzungen unterworfen sein. Die unaufhörlichen Veränderungen, denen jeder Teil von ihr unterliegt, scheinen auf solche allgemeinere Umgestaltungen hinzudeuten, obwohl zugleich zu bemerken ist, daß alle Veränderungen und Zerstörungen, die wir aus Erfahrung kennen, bloß Übergänge von einem Zustand der Ordnung zu einem andern sind, und daß die Materie niemals in vollständiger Gestaltlosigkeit und Verwirrung beharren kann. Was wir am Teile sehen, können wir für das Ganze folgern, wenigstens ist dies die Schlußart, auf welcher Eure ganze Theorie beruht. Und wäre ich genötigt, ein bestimmtes einzelnes Weltsystem zu verteidigen (was ich nie freiwillig tun dürfte), so erachte ich keines annehmbarer als das, welches der Welt ein ewiges ihrem Wesen angehöriges Prinzip der Ordnung, wenngleich mit großen und beständigen Umwälzungen und Veränderungen begleitet, zuschreibt. Dies löst mit einem Male alle Schwierigkeiten, und wenn die Lösung, da sie so allgemein gehalten ist, nicht durchaus vollständig und befriedigend ist, so ist es wenigstens eine Theorie, auf welche wir früher oder später zurückkommen müssen, welchem System wir auch anhangen. Wie könnten die Dinge sein, wie sie sind, gäbe es nicht irgendwo, im Denken oder in der Materie, ein ursprüngliches, ihrem Wesen angehöriges Prinzip der Ordnung? Und es ist sehr gleichgültig, welchem von ihnen wir den Vorzug geben. Der Zufall hat keinen Platz bei irgendwelcher Annahme, der skeptischen oder religiösen. Jedes Ding ist sicher durch stetige, unverletzliche Gesetze beherrscht. Und wäre das innere Wesen der Dinge uns offen gelegt, wir würden ein Schauspiel sehen, wovon wir jetzt keine Vorstellung haben können. Anstatt die Ordnung der natürlichen Dinge zu bewundern, würden wir deutlich sehen, daß es ihnen im kleinsten Stück absolut unmöglich war, eine andere Gestaltung zuzulassen.
Wenn jemand Neigung hätte, die alte heidnische Theologie anzunehmen, welche nach Hesiod behauptete, daß diese Kugel von 30 000 Gottheiten, die aus den unbekannten Kräften der Natur entsprangen, beherrscht werde, so würdet Ihr, Cleanthes, natürlich einwenden, daß durch diese Annahme nichts gewonnen sei, und daß es ebenso leicht sei, anzunehmen, alle Menschen und Tiere, die freilich zahlreicher, aber weniger vollkommen sind, seien unmittelbar aus gleichem Ursprung hervorgegangen. Führt die Folgerung einen Schritt weiter und Ihr findet eine zahlreiche Gesellschaft von Göttern so erklärlich, als eine einzige allgemeine Gottheit, welche in sich selbst die Kräfte und Vollkommenheiten der ganzen Gesellschaft besitzt. Ihr müßt daher zugestehen, daß alle diese Systeme, Skeptizismus, Polytheismus, Theismus auf gleichem Fuß sind und daß keines vor den andern einen Vorzug hat. Daraus möget Ihr die Tauglichkeit Eurer Prinzipien entnehmen.
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