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An K. J. A. von Rennenkampff nach Petersburg.
Freiherr Karl Jakob Alexander von Rennenkampff, 1783–1854, zählte in Rom zu den Hausfreunden der Familie von Humboldt; er starb als Großherzogl. Oldenburg. Hofmarschall. W. v. H. empfahl ihn an Goethe (25. Oktober 1816) mit den Worten: »Ein Livländer, Al. v. R., ein Mann von Kenntnissen, Geist und Liebe zu allem, was Kunst und Wissenschaft berührt, der mit uns in Rom war und den wir sehr lieben, wird nach Weimar kommen. Er bittet durch mich um eine gütige Aufnahme bei Ihnen. Schlagen Sie ihm dieselbe nicht ab.« R. hat über W. v. Humboldts letzte Jahre und über seinen Tod eingehend berichtet; vgl. Diestel (Büchertafel), S. 7–18.
Wien, den 30. Mai 1812.
Wenn ich Ihnen, teuerster Herr Baron, auch später antworte als ich gewünscht hätte, so hat mir Ihr gütiger Brief doch darum nicht weniger Freude gemacht. Die neuen Beweise Ihrer freundschaftlichen Anhänglichkeit, die er enthält, haben einen um so größeren Wert für mich, als ich dieselben Gesinnungen gewiß in gleichem Maße erwidre. Außerdem ist es mir vorzüglich angenehm, durch Sie manchmal einige literarische Nachrichten aus Ihren Gegenden zu erhalten, aus denen Sie sonst selten zu uns herkommen. Herzlich lieb wird es mir daher sein, wenn Sie, statt sich über die Länge Ihrer Briefe zu entschuldigen, mir oft und ausführlich schreiben wollen. Ihr Anerbieten, Aufträge, die ich in Ihrer Stadt haben könnte, gütigst zu übernehmen, ist mir ungemein erwünscht, und wenn Sie es mir erlauben, so mache ich gleich jetzt Gebrauch davon. Sie wissen, daß ich mich viel und anhaltend mit Sprachstudien beschäftige; ich besitze auch eine ziemlich ansehnliche Sammlung gedruckter und handschriftlicher Hilfsmittel dazu, zu deren Vermehrung Sie mir sehr behilflich sein könnten, da Sie gerade in dem Reiche leben, das die meisten Sprachen in sich vereinigt. Eben diese aber, die sich nur bei Ihnen finden, haben jetzt ein doppeltes Interesse für mich, da ich vorzüglich die amerikanischen Sprachen mir zum Gegenstande meiner Untersuchungen gewählt habe, und diese unter allen übrigen am meisten mit den nordöstlich-asiatischen Sprachen und Mundarten Verwandtschaft haben. Ich bin daher so frei, Sie zu bitten, hiervon einige Nachricht einzuziehen und für mich zu kaufen, was sich von Grammatiken und Wörterbüchern asiatischer Sprachen bei Ihnen nur irgend finden kann. Wenn ich von asiatischen Sprachen rede, nehme ich aber Arabisch, Türkisch, Persisch und alle sogenannten semitischen Sprachen, ferner Indisch und Chinesisch aus. Alles übrige aber, besonders alles, was zu den tartarischen Sprachen gehört, hat, ohne Ausnahme, das größeste Interesse für mich. Es wäre auch möglich, daß sich bei der Akademie oder sonst handschriftliche Materialien dieser Art vorfänden, und in diesem Fall würde ich Sie um Abschriften bitten, die aber freilich, vorzüglich für die fremden Wörter, sehr genau sein müßten. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr Sie mich durch solche Mitteilungen verbinden würden. Die Kosten würde ich Ihnen auf Ihre Anzeige unmittelbar in Petersburg selbst ersetzen, und sollte auch jetzt der vielleicht ausbrechende Krieg die Verbindungswege schwieriger machen, so kann dies doch nur immer zeitweilig sein, und wenn Sie indes einiges gütigst sammelten, würde es mich nachher um so angenehmer und unerwarteter überraschen. Bemerken muß ich, daß ich das große Wörterbuch der Akademie, die Claprothischen Schriften usw. natürlich habe. Ich habe auch Herrn von Ouvaroff in der Inlage gebeten, Sie hierbei zu unterstützen, und Sie werden mir eine ungemeine Gefälligkeit erzeigen, wenn Sie diesen Gegenstand, da Dinge dieser Art bei Ihnen gelegentlich fast immerfort von Zeit zu Zeit vorkommen müssen, gütigst im Auge behalten wollen. Die beiden Schriften von Münter habe ich mit vielem Vergnügen und mannigfaltiger Belehrung gelesen, ob ihnen gleich das eigentlich Geniale und Tiefgelehrte fehlt, das man in Zoegas und Viscontis Abhandlungen über dergleichen Gegenstände antrifft. Ganz eigen ist es, zu sehen, daß ein Bischof, indem er seine Pfarrer zu einer Synode zusammenberuft, nur darum einen singulären Text aus der Apokalypse wählt, um dann auf heidnische Schriftsteller und Altertümer abschweifen zu können, von denen er kaum einen Augenblick am Ende mit wenigen Worten zurückkommt. Ich danke Ihnen aber recht sehr für beide kleine Nummern und bedaure, Sie gerade der interessanteren beraubt zu haben. Auch die Art der Zuckerpräparation, wenn es Ihnen keine große Mühe macht, erfahre ich sehr gern. Die Anekdote, die Sie mir dabei erzählen, ist sehr drollig. Sie werden aus den Briefen meiner Frau gesehen haben, daß es uns wenigstens so gut geht, als es nun einmal uns außer Italien gefallen kann. Daß wir dahin und um gänzlich zu bleiben, zurückkehren, ist gewiß, und wir bereiten im stillen alles dazu vor. Die Zeit ist freilich jetzt noch unbestimmbar; allein auch Sie, denke ich, gehen über kurz oder lang in diesen Hafen ein, und sehr sollte es mich dann freuen, wenn wir wieder zusammen dort wären. Leben Sie indes recht wohl und erhalten Sie mir Ihr gütiges Andenken! Mit herzlicher Hochachtung und Freundschaft.
Der Ihrige. Humboldt.
An Karoline.
Berlin, 4. August 1812.
Gestern war der Geburtstag des Königs, die Universität hielt am Morgen eine Feierlichkeit, zu der alle anderen nur schriftlich eingeladen waren. Mir aber haben sie die Auszeichnung gemacht, mich durch eine Deputation einladen zu lassen. Es ist mir wirklich närrisch gewesen, so eine ganze Sache zu sehen, die mit vielen Menschen im Gange ist und ohne mich gar nicht wäre. Besonders habe ich am Abend lachen müssen, da ich bei der Illumination Unter den Linden spazieren ging und die Dienstmädchen ein paarmal sagen hörte: »Wenn nun die Studenten nicht kommen.« Solche Redensarten sind erst durch mich möglich geworden. Den Mittag war ein unendliches Diner bei Hardenberg mit Marschällen, Gesundheiten usf., wovon mündlich mehr. Die Diners sind aber hier weit weniger prächtig als bei uns ...
An Johanna Motherby.Vgl. die Einleitungen unserer beiden Bände.
Wien, 24. April 1813.
... In Königsberg ging ich zwischen 11 und 1 vor Deinen Fenstern auf und ab und war viel glücklicher, weil ich in Dir, in mir und in Träumereien lebte. Ich lebe hier gar nicht unglücklich, ich lebe glücklich mit meiner Frau und meinen Kindern. Aber das Allereigentümlichste in mir spricht sich nicht aus oder nicht ganz, nicht rein. Ich bin nicht, wie ich sein würde, ganz nach meinem Willen und meiner Lust, sondern wie ich für sie sein will. Ich lebe großenteils für sie, gar nicht aus Zwang, aus Pflicht, sondern aus innerer Lust daran, aus Liebe zu ihnen. Aber dabei denke ich doch nicht an mich, und vieles unendlich Sonderbare in mir bleibt auch in mir unbeantwortet stehen, wird nicht einmal angesprochen. Die Leute halten es für so natürlich, daß man glücklich mache, was man liebt und darin wieder glücklich sei, und das ist auch, bürgerlich und gemein genommen, recht wahr. Aber es gibt eine andere, viel eigentlichere und tiefere Liebe, von der ich mit niemand reden möchte als mit Dir, die Du mich einmal verführst, herauszugehen aus mir und Dir mein Innerstes zu öffnen, und diese Liebe ist dann darin anders und ganz anders. Da kommt es gar nicht auf Glücklichmachen an, da kann es auch Schmerz und Leiden geben. Denn diese Liebe besteht darin, daß das Weib ganz aufgehe in dem Mann und gar keine Selbständigkeit mehr habe als seinen Willen, keinen Gedanken, als den er verlangt, keine Empfindung, als die sich ihm unterwirft, und daß er vollkommen frei und selbstkräftig bleibe und sie ansehe als einen Teil von sich, als bestimmt, für ihn und in ihm zu leben. Die Menschen, denen dies Träume und Ungereimtheiten scheinen, würden darin von seiner Seite Härte, von ihrer Unterdrückung finden; vielleicht haben sie recht. Allein wenn es ein Weib gäbe, die dies empfände wie ich, so würde sie nur darin glücklich sein, und der Mann, der dieses Verhältnis rein aufnähme, würde das Weib, das sich so scheinbar erniedrigte, wie etwas Göttliches verehren ...
Es ist sonderbar, wie Du mich immer zu tiefen und außer dem Kreise des Gewöhnlichen liegenden Empfindungen und Gedanken bringst. Du wirst mir darüber nicht böse sein. Du willst, daß ich frei vor Dir wandle und rede. Schlafe wohl, mein Ewigteures!
1. Mai.
... Wenn Du es verlangtest, könnte ich mit Dir sein wie mit anderen Menschen und in der Brust verschließen, was höher und würdiger ist. Es hat nie ein Mensch solch eine unendliche Gewalt über mich besessen und keiner das eigentliche Glück mehr verschmäht. Aber es ist mir zurückgekommen, wie verschmähte Liebe sich anschmiegt. ...
30. Mai 1813.
... Ich sehe es nunmehr als ausgemacht an, daß Du beschlossen hast, mir nicht mehr zu schreiben. Es sind mir schon viele Schmerzen in meinem Leben gekommen. Nur eines bitt' ich Dich: Laß wenigstens Frieden noch in Gedanken zwischen uns sein. Lebe wohl! Ich werde noch oft in der Vergangenheit leben, so daß es auch hier sein wird, wie es immer in mir ist, daß alles in mir ewig ist und unverändert ...
An Karoline.
Prag, 31. Juli 1813.
... Ich kann es nicht leugnen, und es muß tiefer liegen als bloß in früher Jugendbeschäftigung: das Altertum ist das einzige, was mich eigentlich ganz lebendig ergreift, und ich bin im reinsten und eigentlichsten Verstande ein echter Heide, ein vollständiger Gegensatz gegen alles Moderne, das Mittelalter mit eingeschlossen, und was sich darauf gründet. Was vorgegangen ist, seit jene Zeiten vorüber sind, und in den beiden einzigen schönen Ländern des Erdballes, kommt mir nur immer vor wie ein verwirrtes Gären von Kräften oder maschinenmäßiges Aufbauen toter Formen oder im besten Verstande die Bewegung eines edlen Sinns in Fesseln der Not und der Pflicht. Ich bewege mich mit und teile es, achte, was andere tun, und bleibe treu mitten drin; aber das eigentliche Leben ist ein Nichts von allem dem, es liegt auch hier schon nur immer jenseits. Und, wenn man bedenkt, daß in so vielen anderen Dingen das Höchste und Beste auch immer jenseits liegt, daß selbst die Liebe, das Reinste und Selbständigste, sich fast nie in ihrem wahren Wesen in dem Augenblicke der Gegenwart verklärt, so wird man tief inne, daß das wahre Glück nur aus Wehmut und Sehnsucht besteht und der Meeresluft gleicht, die einen von fernen Küsten her anweht.
Ich möchte darum nicht jetzt in Italien oder Griechenland sein. Die Gefühle der Wirklichkeit und die Ansprüche des Idealischen sind oft in Streit miteinander. Aber die letzten sind wie edler Frauensinn, der zurücktritt, schweigt und entbehrt und seine Welt geschlossen in sich hat. Das erste Recht fordert die Treue, mit der ich ohne alle Rücksicht auf die Menschen und ihr Sein nicht einmal vom Boden weiche, der mich geboren hat, wenn er meiner bedürfte. Und so geht denn in der Genugtuung des Handelns und in dem Genusse der Sehnsucht das Leben hin, und das bloße Verfließen der Zeit macht, was ich unendlich in Anschlag bringe, mit jedem Moment die Weltansicht bedeutender. Aber wenn mitten darin mich Laute aus jenen einzigen Zeiten und Regionen berühren, so kann mich ein Zittern ergreifen, wie ein Bewußtsein entrückten Paradieses und verlorener Unschuld, und es bedarf Zeit, sich wieder in das alte Gleichgewicht zu wiegen...
An Karoline.
Prag, im August 1813.
... Ich stehe auf dem Punkt, den ich zu erreichen wünschte. Ich habe jetzt eine wichtige Sache im Leben durchgesetzt; wenn ich das sage, meine ich indes doch nicht, daß ich sie eigentlich gemacht hätte. Andere Menschen haben ebensoviel als ich beigetragen, die Umstände mehr, und Napoleon am meisten. Allein ich bin doch eigentlich der einzige, der die Beruhigung genießt, von Anfang an die Sache keinen Augenblick verlassen zu haben; ich habe überdies immer mit demselben Geiste, seit ich nach Wien kam, gewirkt und auf diesen einen Punkt hingearbeitet, und dadurch denn doch sehr die, welche am Ende handeln mußten, in das rechte Geleis geführt und darin erhalten. Mehr Verdienst maße ich mir nicht dabei an.
... Es ist überhaupt schrecklich, daß in dem Moment, wo das Größeste vorgeht, was die Geschichte seit langer Zeit gesehen hat, doch kaum ein einziger Mensch auftritt, der des Augenblicks würdig wäre. Ein kleines, selbstsüchtiges Geschlecht, schwach und frivol, hilflos und doch nicht geneigt, sich kräftig helfen zu lassen. Dies kann noch dem Ausgang der Sache Verderben bringen, und tut es auch das nicht, so wird man immer das traurige Beispiel sehen, daß die größten Erfolge kein großes Gemüt adeln, oder die Kleinen und Schwachsinnigen den Ruhm dessen davontragen, was gewissermaßen hinter ihrem Rücken geschehen ist.
An Karoline von Wolzogen.
Prag, 3. September 1813.
... Ich befinde mich wie in einer neuen Welt, habe nichts zu tun, lese den Homer und sehe die Kosaken. Ich war nie aufgelegter zu tun, was die Umstände geben, und werde keine Gelegenheit versäumen. Es ist eigentlich vielleicht schlecht, so zu reden in einer Zeit, wo so viel Unglück ist; aber gewiß ist es nun einmal in mir, daß wenigstens für mich das Leben immerfort so unendliche und so neue Genüsse der tiefsten Art hat, daß ich immer in einem fortwährenden Dank gegen das Schicksal lebe ...
Teplitz, 9. September 1813.
... Ich bin froh und tätig und in einer Tätigkeit, die ich mir selbst schaffe und die mich darum nur mehr anzieht. Meine ganze innere Neigung geht eigentlich vielmehr auf ruhige und betrachtende Existenz; allein ich bin nun durch einen Zufall einmal in das Weltgetreibe hineingeworfen, und nun freut mich auch am meisten das dichteste und ärgste Gewirre. Ich behalte doch mitten darin immer meine Einsamkeit, die mich nie verlassen wird. – Auch ist ja alles nur ein Schwanken und Vorübereilen; den wahren und einzig festen Pol trägt man im Innern ...
Es ist ein hübscher Zug an uns allen, daß der Ernst sich bei uns immer in Scherz auflöst, aber nie in Scherz verliert. Es ist das der poetische Grund des Lebens, indem man immer über den Sachen und Begebenheiten ist und nicht von ihnen erdrückt und gebunden wird.
An Karoline.
Teplitz, 16. September 1813.
Theodor ist sehr vergnügt und scheut die Strapazen nicht. Theodor Körners Tod weiß er. Ich habe es ihm gesagt. Es hat ihn sehr geschmerzt; aber einen tiefen Eindruck macht der Tod nicht leicht auf sein Alter und in dieser Lage, wo er eine alltägliche Begebenheit ist. Auch mir tut Körners Tod unendlich leid; doch kann ich nicht bereuen, daß er in den Krieg gegangen ist, obgleich Metternich neulich sehr mit mir darüber gestritten hat. Ein eigentlich vollendetes Talent würde ich immer zurückhalten; bei einem solchen ist die Natur nicht mehr in einem Schwanken, sie hat ihre Entscheidung genommen, der Anteil am tätigen Leben kann da dem Talent wenig oder nichts mehr geben; er steht abgesondert als bloße Erfüllung einer Bürgerpflicht da. Aber wo das letzte Gleichgewicht noch nicht erreicht ist, verliert auch das Talent, wo der Mensch hintansetzt, was ihm eigentlich als Menschen gebührt, und mehr als in irgendeinem war das in Körner der Fall. Aber die Eltern und vor allem die Mutter schmerzen mich unglaublich. Ich weiß nicht, wie sie es ertragen wird ...
Laun, 8. Oktober 1813.
Ich bin heute nachmittag glücklich hier angekommen und schreibe Dir beim Staatskanzler. Hier hören wir, daß Metternich erst heute mittag hier durch nach Komotau gegangen ist. Stein ist hier zu uns gestoßen. Ich reise morgen bei guter Zeit dahin ab, der Staatskanzler und Stein folgen mir später...
In dem Eichenblatt, was die beiden höheren Klassen des Roten Adlerordens tragen und was auch als Auszeichnung zum Orden pour le mérite gegeben wird, hat mir erst vor einigen Tagen einer eine geheimnisvolle Deutung gezeigt, die die Sache noch viel hübscher und für den König individuell zart macht. Die drei Blätter, aus denen das kleine goldene Laubwerk besteht, sind so gelegt, daß man nur von zweien die große, der Länge nach mitten durch das Blatt gehende Ader oder Fiber sieht, und diese zwei Adern bilden ein sehr deutlich erkennbares L als Anfangsbuchstaben des Vornamens der Königin Luise. Die Idee soll ursprünglich vom Kronprinzen herkommen, der die Zeichnung gemacht hat. Auch kriegt nie ein Ausländer dieses Eichenlaub.
... Mit eigentlicher Treue kann man doch nur einem Menschen auf Erden anhängen. Und der Tod bindet, dünkt mich, die Treue ganz unzerreißbar fest, wenn auch das Leben sie noch wankend machen könnte. Denn solange der andere lebt, ist doch ein Schwanken, ein gegenseitiges Entbinden noch möglich, auch ist da noch alles bloß irdisch und menschlich – aber der Tod hat etwas Heiliges und Unentweihbares; und wer den Toten nicht treu ist, ist allem untreu. ...
Weimar, 26. Oktober 1813.
Ich mache diesen Brief wieder auf, liebe Li, weil ich dem Kaiser immer nachjage, ohne ihn bis jetzt erreichen zu können...
Ich wohne hier wieder nach alter Art bei Goethe, der Dich herzlich grüßt, und da wir lange miteinander aufgewesen sind, so mußt Du mir verzeihen, wenn ich vielleicht kürzer als gewöhnlich bin. Der Geheimrat trägt den Annen-Orden; die Legion ist beiseite gelegt, wie es scheint. Allein die Befreiung Deutschlands hat noch bei ihm keine tiefe Wurzel geschlagen. Er glaubt zwar ernstlich daran, aber stellt mit vielen Umschweifen, unbestimmten Phrasen und Gebärden vor, daß er sich an den vorigen Zustand einmal gewöhnt habe, daß alles da schon in Ordnung und Gleis gewesen sei und der neue nun hart falle. Die Verheerungen der Kosaken, die wirklich arg sind, nehmen ihm alle Freude an dem Spaß. Er meint, das Heilmittel sei übler als die Krankheit; man werde der Knechtschaft loswerden, aber zum Untergehen. Ich habe mich wenig darauf eingelassen, diese Dinge zu bestreiten; es kam mir mehr darauf an, es zu kennen und aus ihm zu hören. Übrigens sieht er's sehr locker und lose an. Die Weltgeschichte, meint er, habe auch diesen Spaß haben müssen. Alles dies wird den kleinen Mädchen, wenn sie es hören, ein Greuel sein und ist auch sehr arg. Sonst aber ist Goethe eine wunderschöne Natur, mit der ich immer unendlich gern bin...
Dornheim b. Arnstadt, 27. Oktober 1813.
Ich bin heule früh von Goethe aus Weimar weggefahren. Ich schreibe Dir diese Zeilen bei Metternich, der Fürst geworden ist, er und alle seine Nachkommen. Wo wir morgen hingehen, wissen die Götter. Von Goethe könnte ich Dir noch lange erzählen. Er hat den Feldzeugmeister Colloredo zur Einquartierung gehabt, der auf Goethes Kosten alle Tage 24 Personen zu Tisch gehabt hat. Die Geheimrätin versicherte, das koste 2-300 Taler, und der Koch hätte ihr noch gesagt, daß sie sehr geizig wäre. Wie Colloredo gekommen ist, hat Goethe noch die Legion getragen, und Colloredo hat ihm gleich gesagt: »Pfui Teufel, wie kann man so etwas tragen!« Heute früh hat er mich ernsthaft konsultiert, was er tragen solle; man könne doch einen Orden, durch den einen ein Kaiser ausgezeichnet habe, nicht ablegen, weil er eine Schlacht verloren habe. Ich dachte bei mir, daß es freilich schlimm ist, wenn man für das Ablegen der Legion keine besseren Gründe hat, und wollte ihm eben einen guten Rat geben, als er mich bat zu machen, daß er einen österreichischen Orden bekäme. Es ist närrisch, daß wir immer dazu bestimmt sind, daß die Leute uns in das Vertrauen ihrer kleinen Schwachheiten setzen. Die Goetheschen tun mir um so mehr leid, als er äußerst gut und freundschaftlich mit mir ist...
Frankfurt, 7. November 1813.
... Die wahre Freiheit Deutschlands muß jetzt errungen werden, und wem es um etwas in der Welt ernst ist, muß lieber alles aufopfern als darin nachlassen.
Es gibt vielleicht kein Land, das so selbständig und frei zu sein verdient als Deutschland, weil keins seine Freiheit so rein und einzig zu innerer, jedem wohltätiger Anstrengung zu benutzen geneigt ist. Der Deutsche hat unter allen Nationen am wenigsten eine zerstörende und am meisten eine immer in sich zurückwirkende Kraft; und wenn der Besitz der Freiheit gerettet ist, wird Deutschland sicher sehr bald in jeder Art der Bildung und der Gesinnung hervorragen. Darum ist es so dankbar, gerade für dies Vaterland zu arbeiten. Der Ruhm und selbst die Ehre einer Nation sind vielleicht nur Geburten der Phantasie, Glück und Unglück nur vorübergehende Erscheinungen, über die das Grab schweigt, das sich immer einmal schließt; aber wo, was man tut, in Geistesentwicklung und Gemütskraft Wurzel schlägt, da arbeitet man für das Höchste und Unvergängliche. Die Liebe zu Deutschland ist daher auch wirklich eine andere, als die andere Nationen für ihr Vaterland haben. Sie wird vielmehr durch etwas Unsichtbares zusammengehalten und ist viel freier von Bedürfnis und Gewohnheit. Sie ist nicht sowohl Anhänglichkeit an die Erdscholle; sie ist mehr Sehnsucht nach deutschem Geist und Gefühl, die sich in allen Zonen empfinden und in alle verpflanzen lassen. Der jetzige Krieg hat wirklich das Schöne, daß, indem sein Bestreben wohltätig für ganz Europa ist, doch Deutschland darin der Mittelpunkt bleibt. Aber er ist auch eine wahrhaft unermeßliche Aufgabe. Denn indem die Gewalt die Hindernisse wegräumt, soll die Weisheit aufbauen, was, seit Jahren veraltet, endlich zusammengestürzt war; es sollen eine Menge zufälliger und äußerlicher Verwicklungen gelöst und Verbindungen geknüpft werden für einen ganz neuerlichen und durch sich selbst bestehenden Zweck. Dies recht vor Augen zu haben, um jede noch so befremdende Erscheinung darauf zu beziehen, ist, wodurch ich mich suche im rechten Gesichtspunkt zu erhalten. Mit den wenigsten Menschen kann man selbst nur das Gespräch bis zu diesem Zentrum hinführen; aber wenn man äußerlich stückweise zu wirken scheint, muß man in sich immer das Ganze vor Augen haben. Nur so erhält man auch die Gesinnung, aus der nicht gerade die Klugheit der Ratschläge, aber der Segen des Gelingens entspringt. Denn was in den Weltbegebenheiten den Ausschlag gibt, ist die Kraft des Guten, die unsichtbar und unbegreiflich sich Achtung erzwingt und das Böse niederschlägt, das nie durch sich selbst siegt, sondern nur dadurch, daß die Kraft des Guten fehlt. Darum wird auch alles Große nur durch Opfer errungen, weil in ihnen die Kraft des Guten am meisten lebendig wird.
In diesem Sinne, liebe Li, gehe ich neben den Begebenheiten her und wirke auf sie ein, wo ich kann, und werde darin beharren. Du sagst in Deinem Brief vom 25., daß ich viel zum Erfolge beigetragen habe. Das schmeichle ich mir nicht; aber ich habe die Gesinnung gehegt, wodurch ich es hätte, wenn die Umstände nicht von selbst gewirkt hätten, und damit bin ich in mir zufrieden. Diese Gesinnung behalte ich auch fort. Ich weiß sehr gut, daß ich eine andere Art zu leben als meine wohl mehr liebe und gewissermaßen höher schätze, daß ich die Dinge ganz anders würdige und viele minder achte; allein im Handeln gehe ich den schlichten Gang des Lebens fort. Man muß dem äußeren Gesetz immer das innere Leben opfern und dies immer doch, indem man es opfert, zu retten wissen. Das habe ich von früh an geübt. Nur so kann man frei zum Himmel auf und heiter in sich hineinsehen. Mir aber liegt eine eigene, unendliche Freude darin bereitet, daß Du, mein holdes Wesen, an all diesem Beginnen regen und lebendigen Anteil nimmst, daß die Kinder es früh durch Dich lernen, daß ich nicht aus meinem Kreise herauszutreten brauche, wenn ich in dem Deinigen bin; dadurch gewinnt alles Harmonie und Zusammenhang, und wenn Gentz auch gewissermaßen unrecht hat, zu sagen, daß ich nur Deinetwegen so bin, wie ich bin, so stelle ich mir immer die Sache doch recht gern so vor.
... Du wirst Dich wundern, süßes Kind, daß ich Dir nichts über die Art sage, wie unsere eigentlichen Geschäfte gehen. Allein ein Kongreß ist immer eine so weitläufige und unbehilfliche Sache, daß er tausend Wendungen nimmt, ehe er eigentlich zum Ziel führt, und Dich würde doch nur das Resultat interessieren. Allein der Krieg hat, wie Du siehst, die Sachen dahin gebracht, daß für Frankreich und Europa vielleicht der Friede noch nicht einmal jetzt die wichtigste Frage ist.
Welchen Frieden man auch machen möge, darüber muß niemand sich täuschen, wird es den eigentlich Gutgesinnten immer sein, als wenn nach einem glänzenden Feuerwerk nun so nach und nach die Lampen verlöschen; der Friede, den die Anstrengungen einer so großen Zahl edler und trefflicher Menschen verdienten, kann möglicherweise unter keinen gegebenen Umständen zustande kommen. Vaterlandsliebe und Heldenmut sind identische und ganz unbegrenzte Gefühle, und jede menschliche, wirkliche, nun gar politische Übereinkunft ist von allen Seiten bedingt und beengt.
Darum ist auch das Friedenmachen eins der undankbarsten Geschäfte, dem man sich nur aus einer Art Aufopferung unterziehen kann, so sehr jeder Vernünftige den Frieden wünscht und wünschen muß. Es kommt hier der wahre Widerstreit des an sich Wünschenswürdigen und des unter den Umständen Erreichbaren zur Sprache, und man entgeht nie dem Vorwurf, unter dem Erreichbaren geblieben zu sein.
Paris, 3. Juni 1814.
... Der König hat mir das Eiserne Kreuz 1. Klasse gegeben mit einer sehr gnädigen Kabinettsorder. Ich aß heute bei ihm, und er war sehr freundlich. Dies Kreuz kann außer dem Kanzler und mir nie wieder ein Sterblicher haben. Insofern ist es hübsch und mir wirklich sehr wert. Alexander meint, das südliche sei ihm lieber, jeder habe seinen Geschmack.
Dann ist es nun öffentlich bekannt, daß ich hier Gesandter bleibe. Hardenberg hat mir auch die 6000 Taler Einrichtung und 26000 Taler Gehalt zugesichert, die ich gefordert. Der König weiß dies noch nicht. Weil ich aber mit nach London gehen muß und Wien, so komme ich erst nachher zurück. Ich glaube, Du wirst jetzt lieber, bis ich herkomme, in der Schweiz bleiben wollen. Aber Du bist immer ein freies Kind und folgst ganz Deiner Meinung, und ich liebe Dich. Wien, 20. August 1814.
Ich schicke Dir heute einen Brief, liebe Li, der für Dich angekommen ist, und der eine so närrische Hand und Adresse hat, daß ich gar nicht begreife, von wem er sein mag. Ich lege Dir auch ein paar Gedichte aus den Berliner Zeitungen bei. Das eine auf Körner kennst Du schon. Je öfter ich an ihn denke, desto mehr finde ich ihn glücklich, so geendet zu haben. Überhaupt heiligt nichts so ein Leben als der Tod, und es ist wunderbar, wie ihm viele Menschen so gram sind. Körner ist nun wirklich zu einer vollendeten Gestalt geworden. Jugend, Dichtung, Vaterlandsliebe, Tapferkeit haben sich zu diesem einen frühen Ende verschlungen. Wäre er leben geblieben, hätte sich das Magische, das jetzt die beiden letzten Eigenschaften haben, in etwas ganz Gewöhnliches verloren, was er mit vielen andern geteilt hätte; die Entwicklung der Dichtung blieb zweifelhaft, und die Frische der Jugend verging. Du fühlst das gewiß; Du schriebst mir auch einmal etwas Ähnliches über den Tod, das ich sehr wahr und schön fand.
An Charlotte Diede. Vgl. die Einleitungen unserer beiden Bände.
Wien, 3. November 1814.
Ich habe heute früh Ihren Brief vom 18. Oktober bekommen, und ich kann Ihnen nicht sagen, wie mich Ihr Andenken gerührt und gefreut hat. Ich hatte in unsrem Zusammentreffen in Pyrmont immer eine wunderbare Fügung des Schicksals erkannt; denn Sie irren sehr, wenn Sie glauben, daß Sie wie eine flüchtige Jugenderscheinung an mir vorübergegangen sind; ich glaubte Sie, denn ich dachte sehr oft an Sie, erkundigte mich auch, aber immer fruchtlos, nach Ihnen, verheiratet in der Gegend, wo Ihr Vater damals lebte; dachte Sie mir mit Kindern und in einem Kreise, wo Sie mich längst vergessen hätten, und bewahrte, ohne alle Aussicht, je wieder mit Ihnen reden zu können, nur in mir, was mir jene Jugendtage gelassen hatten. Jetzt sehe ich, daß Ihr Leben viel weniger einfach gewesen ist, als ich es mir dachte. Hätten Sie mir in der Zeit geschrieben, in der Sie am meisten litten, vielleicht hätten Ihnen meine Worte wohltun können. Glauben Sie mir, liebe Charlotte, Sie werden mir diese vertrauliche Benennung nicht übel deuten, da ja nur Sie und ich unsere Briefe lesen, der Mensch traut nie dem Menschen genug. So erfahre ich erst jetzt durch Sie, daß ich damals einen tieferen Eindruck auf Sie machte, als ich mir je eingebildet hätte. Die Zeilen, die man, nach so langen Jahren, von sich selbst wiedersieht, sprechen einen wie aus einer andern Welt an. Ich habe das Glück, denn es ist wirklich nur ein Glück, mich keiner Empfindung zu schämen, die ich in jener Jugend hegte, und glauben Sie es mir, ich bin noch jetzt gleich einfach wie damals. Jedes Wort Ihres Briefes hat mich auf das tiefste ergriffen; ich versetze mich ganz in Ihre Lage, und ich danke Ihnen recht aus innigem Herzen, daß Sie den Glauben an mich nicht verloren, und daß Sie mich wert hielten, sich mir, wie Sie tun, zu öffnen. Schreiben Sie mir aber, wenn Sie es der Mühe wert halten, es noch einmal zu tun, ohne Umschweife und mit dem Vertrauen, auf das ich vielleicht ein Recht erlangt hätte, wenn ich Sie wiedergesehn hätte. Sehr unrecht aber haben Sie, wenn Sie behaupten, daß gewisse Eindrücke im weiblichen Gemüt tiefer und länger haften. Ich könnte Ihnen das Gegenteil aus Ihrem eignen Briefe beweisen. Gestehen Sie immer – es soll kein Vorwurf sein, 26 Jahre liegen hinter unserer kurzen Bekanntschaft, und wir sehen uns leider vermutlich nie wieder –, daß ich ziemlich aus Ihrem Gedächtnis verschwunden bin, wie ich Sie verließ. Sie haben sich wenigstens nicht an mein Versprechen erinnert, Sie wieder zu besuchen, das nicht gehalten zu haben mich oft sehr ernstlich geschmerzt hatte. Ich könnte die Bank noch bezeichnen in der Allee, wo ich es machte; ich war im Begriff, zu Ihnen zu kommen; aber eine jugendliche Pedanterie, da ich es für unmöglich hielt, eine Woche später nach Göttingen zurückzukehren, hielt mich davon ab. Es ist mir ein sicherer Beweis, daß wir einander im Leben nicht nahe kommen sollten, und das einzige, was mir innig leid tut, ist, daß ich nicht bestimmt war, irgend dauernde Freude in Ihr Leben zu mischen. Trübe oder schmerzliche Empfindungen konnten sich, davon seien Sie sicher überzeugt, an den Umgang mit mir nicht knüpfen. Es trifft mich kein Vorwurf dieser Art. Ihr Schicksal hat mich so ergriffen, wie Sie es nach diesen Geständnissen, wie ich Ihnen frei wiederhole, sich denken können. Ich habe es auch auf mannigfaltige Weise heute überlegt. Ich bitte Sie aber, überlassen Sie sich für den Augenblick mir, folgen Sie blindlings meinem Rat und glauben Sie dem, der mehr Welterfahrenheit als Sie besitzt und gewiß ebenso wie Sie weiß, was ein Gemüt in Ihrer Lage bedarf. Setzen Sie aber dabei alle kleinlichen Rücksichten beiseite, seien Sie wirklich vertrauend, seien Sie gut gegen mich und erzeigen Sie mir den größten Gefallen, den Sie mir erweisen können. Was Sie in Ihrer jetzigen Lage brauchen, Ihre Gesundheit und Ihr Herz, ist Ruhe. Die ängstliche Sorge für Ihren Unterhalt untergräbt beides. Sie waren, ich erinnere mich dessen noch sehr gut, gesund und stark; Sie waren es, scheint es, wieder in Kassel geworden. Bleiben Sie ein Jahr nur ruhig und pflegen Sie Ihre Gesundheit, so wird sie wiederkehren trotz aller Stürme, die Sie bestanden haben. Dies ist zugleich der beste Rat für Ihre übrigen Pläne. Glauben Sie mir: wer in dem Augenblick suchen muß, wo er braucht, findet schwer. Wenn man hingegen nur eine Zeit sorglos leben kann, finden sich die Lagen von selbst. Von Ihren jetzigen Plänen kann ich keinen billigen und keinen befördern. Der, in mein Haus zu kommen, ist sehr gütig. Es sollte Ihnen gewiß bei uns wohl sein. Aber die Verhältnisse erlauben es nicht. Unser Hauswesen im ganzen muß durch andere als weibliche Aufsicht besorgt sein. Mit meinen Töchtern beschäftigt sich meine Frau, die sehr wenig ausgeht, unausgesetzt selbst. Dann würde auch mir und ihr die Idee unerträglich sein, daß Sie sich in Abhängigkeit dächten, und wir leben, wenn wir zusammen sind, in so engem Verhältnis miteinander, daß eine Erweiterung dieses Kreises uns beiden fremd sein würde. Sie selbst scheinen sich diese Einwürfe schon gemacht zu haben, und ich halte es für Pflicht, Ihnen darüber ganz und durchaus offen zu reden. 0! Sie hätten sehr unrecht, es mir übel zu deuten. Erlauben Sie mir das Verdienst, Ihnen diese Zeit zu verschaffen, gönnen Sie mir die Beruhigung, ehe ich sterbe, zu wissen, daß Ihnen jetzt ein Jahr ungetrübt von kleinen äußern Sorgen verstrichen ist. Ja, liebe Charlotte, ich bitte Sie inständigst darum. Wenn Sie noch das mindeste Andenken des Gefühls von jener Zeit her haben, verschmähen Sie mein Anerbieten nicht. Es wäre innerlich genommen die falscheste Delikatesse von der Welt, und Sie können sicher sein, daß niemand je als ich und Sie darum wissen wird. Ich bin gar nicht reich, aber ich weiß, was ich tue, und ich sehe aus Ihrem ganzen Brief und allen seinen Beilagen, daß Sie, was mein Gefallen an Ihrem Leben, meine wahre Achtung für Sie vermehrt, sich an eine große Einfachheit von Bedürfnissen gewöhnt haben. Ich lege Ihnen hier eine Anweisung auf 200 Taler ein. Ich begreife, daß dies nur für Monate genug sein kann. Aber folgen Sie mir, schreiben Sie mir recht vertraulich, recht ordentlich, was Sie, eine Badekur eingerechnet, brauchen. Glauben Sie mir, daß ich nie mehr tue, als ich kann, geben Sie es mir wieder, wenn einst Ihr Schicksal sich ändert; aber begreifen Sie nur recht meinen Plan, der ganz einfach der ist, daß Sie ein Jahr vor sich haben, für das Sie nicht zu sorgen brauchen, und in dem Sie mit Freiheit und ohne Ängstlichkeit künftige Pläne bilden können. Ich fühle recht gut dasjenige, dem ich mich, nach der Schilderung, die Sie mir von sich selbst machen, aussetze. Sie können alles ausschlagen, Sie können Anmaßung in mir finden, mir Vorwürfe machen. Ich muß aber doch auf meinem Vorschlag beharren, er ist der einzige Ihrer Lage angemessene. Glauben Sie ja nicht, liebe Charlotte, daß ich irgendetwas Ungeziemendes darin finde, selbst mit seiner Arbeit Verdienst zu suchen. Sie sollen ja auch nachher ganz frei sein. Nur bis Ihre Gesundheit etwas hergestellt ist, folgen Sie. Jetzt ist jede Arbeit Ihnen verderblich. Wenden Sie sich aber an andere, so glauben Sie mir, niemand antwortet Ihnen so anspruchslos, so uneigennützig; andere glauben Ihnen einen Gefallen zu tun, mir erzeigen Sie einen.
Jetzt breche ich davon ab und rede Ihnen von mir, weil Sie es wollen. Ich bin, wie man Ihnen gesagt hat, verheiratet; ich heiratete drei Jahre, nachdem ich Sie sah, und habe jetzt fünf Kinder; drei habe ich verloren. Ich heiratete bloß und rein aus innerer Neigung, und es ist vielleicht nie ein Mann in seiner Verbindung so glücklich gewesen. Nur seit den letzten zwei Jahren habe ich das Unglück, daß meine Frau kränkelt und mich meine Geschäfte oft von ihr ferngehalten haben, wie es noch jetzt der Fall ist. Da Sie, wie Sie mir sagen, manchmal von mir hörten, so werden Sie wissen, daß ich einige Jahre hindurch Gesandter in Rom war. Ich nahm die Stelle nur des Landes wegen an, und ich hätte es, ohne die unglücklichen Ereignisse, nie verlassen. In diesen wurde es gewissermaßen zur Verbindlichkeit zu dienen, und so bin ich nach und nach in verwickelte Verhältnisse gestoßen worden. Sie sind aber meiner Neigung wenig angemessen, und mir würde ein stilleres und einfacheres Leben mehr zusagen. Den Krieg hindurch war ich im Hauptquartier, dann in England, von da ging ich nach der Schweiz, meine Frau zu besuchen, die dort hingereist war. Jetzt bin ich hier auf dem Kongreß, und sie ist auf ihren Gütern, von denen sie nach Berlin gehen wird. Nach dem Kongreß besuche ich sie dort und gehe als Gesandter nach Paris, wohin sie mir später folgen wird. Mein ältester Sohn ist schon Offizier, ging mit 16 Jahren ins Feld, wurde verwundet, ist aber glücklich geheilt und nun wohlbehalten zurückgekommen. Außer ihm habe ich drei Mädchen und einen kleinen Jungen. Die beiden jüngsten der Mädchen sind eigentlich in Italien groß geworden und konnten keine Silbe Deutsch, als sie, die älteste im zehnten Jahre, nach Wien kamen. Ich wünschte, Sie sähen sie. Es sind zwei unendlich liebe Geschöpfe. Der kleine Junge ist erst fünf Jahre. Zwei Söhne verlor ich unglücklicherweise in Rom, eine Tochter, mit der meine Frau, als sie eine Reise nach Paris machte, niederkam, ohne daß ich sie sah. So wissen Sie meine äußeren Schicksale. Von dem Inneren läßt sich immer nur reden, nicht schreiben. –
Nun nehmen Sie noch einmal meinen warmen und herzlichen Dank. Ich weiß nicht, ob ich Sie je wiedersehen werde, und ich darf es kaum hoffen. Ich kann mir auch jetzt kein deutliches Bild von Ihnen machen. Allein, wenn daher auch das, was ich von Ihnen in der Seele trage, eine Erscheinung der Vergangenheit ist, sogar eine, an die meine Einbildungskraft vieles über die augenblickliche Dauer unseres Zusammenseins hinaus legte: so glaube ich gewiß, daß es nie eine flüchtige war und nie eine solche sein wird.
Ganz der Ihrige. Humboldt.
An Karoline.
Wien, 4. November 1814.
Du wirst Dich über die Dicke dieses Briefes wundern, liebe Li, allein ich kann es mir nicht versagen, Dir die Inlagen zu schicken, die, so ungern ich auch sonst fremde Briefe lese, mich einen Teil des Tages beschäftigt haben. Ich bekam heute ein sehr dickes Paket, allein so mißhandelt auf den Posten, daß vermutlich noch viele, außer Metternich, es gelesen haben. Ich hielt es für Geschäfte und siehe, es war ein Brief von einer Person,Charlotte Diede, geborene Hildebrand, geb. 1769, gest. 1846, an die Wilhelm v. Humboldts »Briefe an eine Freundin« gerichtet sind. in die ich 1788 sehr verliebt war, und von der ich seitdem nicht das Mindeste je wieder gehört hatte, ob ich gleich nicht leugne, daß ich oft an sie gedacht hatte. Ich habe Dir gewiß einmal erzählt, daß, als ich in Pyrmont, freilich nur drei Tage war, ich die Bekanntschaft einer Predigertochter machte, die mir damals sehr gefiel. Ich versprach, sie den Herbst darauf zu besuchen, allein es geschah nicht, und diese nun schickt mir jetzt nach 26 Jahren, die sie, wenigstens ohne Eitelkeit auf ihre Schönheit, sehr klingen läßt, diesen Brief und diesen Lebenslauf.
Du mußt beides notwendig lesen. Obgleich die Sache und der Stil sehr viel von der alltäglichen Romanart hat, so wird man doch in sehr individuelle Lagen versetzt, was immer anzieht. Einige Stellen sind rührend, andere, wie die von dreiundzwanzigtägigem Hungern, gräßlich, einige aber auch so sonderbar, daß man lachen möchte. Ich empfehle Dir auch die Beilagen. Gib doch auch acht, ob Dir in Berlin der Mann vorkommt, den es ihr leid tut, nicht geheiratet zu haben! Es sind so viel Data über ihn in dem Briefe, daß es doch möglich ist.
Von dem Eindruck, den ich gemacht haben soll, redet sie zwar, wie Du siehst, sehr gütig, allein viel scheint es nicht gewesen zu sein. Denn im Lebenslauf komme ich nicht vor; sie hat auch ganz vergessen, daß ich ihr, was ich mir wirklich nach meiner Gewissenhaftigkeit manchmal vorgeworfen hatte, nicht Wort gehalten und sie nicht besucht habe, und meine Augen hält sie ohne Umstände für braun!
Allein demungeachtet, da ich alles Alte liebe und von jeher eine eigene Zuneigung zu dem bürgerlichen Leben gehabt habe, das in den Briefen geschildert ist, so hat mich die Sache sehr beschäftigt, und ich habe ihr gleich und sehr gut geantwortet. Sehr lachen wirst Du über die Dame, mit der ich vermählt bin. Du wirst auch sehen, daß sie auch Netze nach Dir auswirft und zu uns kommen will. Ich habe ihr darauf sehr gutmütig und delikat geschrieben, daß Du Dich mit den Kindern unausgesetzt selbst beschäftigest, daß es Dir und mir wehtun würde, wenn sie sich in einer Art Abhängigkeit von uns glaubte, und endlich, daß wir in so engem Kreise unseres Hauses lebten, daß uns jede Erweiterung fremd sein würde. Die Nähe könnte doch gefährlich werden; die Königsberger Wahrsagerin hat mich immer vor einer blonden Person gewarnt, und blond war sie, das weiß ich gewiß ...
Karoline an Humboldt.
Berlin, 11. November 1814.
Liebste Seele!
Gestern habe ich Deine Nummer 32 vom 4. bekommen mit alle den Einlagen, die ich gelesen und die mich sehr interessiert haben. Was für Unglück in der Welt still unbemerkt vorübergeht! Trotz des Romanhaften des Stils hat mich der Lebenslauf doch sehr interessiert. Allein wie will man der armen Person helfen, wie etwas zu ihrer wahren Erleichterung beitragen? Wie sie sich selbst darstellt, so glaube ich, ist die einzige Stelle, die ihr gemütlich sein könnte, die einer Gesellschafterin in einem wohlhabenden Hause, wo ihr mit Achtung begegnet würde. Als Erzieherin würde es sich nicht machen, sie scheint mir zu kränklich dazu. Ich habe hin und her gesonnen, was man für die Arme tun könnte – eine Person, die der Wirtschaft im Detail vorsteht, werden wir wohl haben müssen, allein schwerlich möchte sie dazu passen; denn wenn es ordentlich versehen werden soll, so setzt es eine solche Person in Rapports mit der dienenden Klasse, die nicht die angenehmsten sind. Ich schicke die Papiere der armen Charlotte zurück; ich denke doch, daß es Dir von Belang ist, sie zu behalten, und ich will ihr sehr wohl; denn Du magst sagen, was Du willst, Dich hat sie doch tief ins Herz gefaßt. Ob ich hier den Mann finden werde, den sie bedauert, nicht geheiratet zu haben, daran zweifle ich doch. Da fühlt man überhaupt etwas Unklares in der Lebensgeschichte. Kommt es Dir nicht auch so vor? Es ist mir, als wenn sie da nicht die Wahrheit rein gesagt hätte. Die Wahrsagungen der Frau aus Königsberg würden mich nicht sehr stören; allein ich sehe bei uns keinen rechten Wirkungskreis für die arme Frau, und ohne einen solchen würde sie sich bei uns nicht glücklich fühlen.
An Charlotte Diede.
Wien, 18. Dezember 1814
Ihr Brief hat mir große Freude gemacht, liebe Charlotte, und ich danke Ihnen herzlich dafür. Sie legen unendlich zu viel Wert auf das, was natürlich war und nicht anders sein konnte. Ihr Andenken hätte sich nie bei mir verloren, noch verlieren können; allein es fiel mir nicht ein zu glauben, daß ich je wieder von Ihnen hören würde, noch weniger, daß Sie meiner auch nur irgend gedächten. Auf einmal rufen Sie mir mit Güte und mit dem ungezwungenen Geständnis, daß Sie, ohne die Umstände, die uns trennten, vielleicht mehr empfunden hätten, die Bilder der Vergangenheit und Jugend zurück. In der Rührung und in der Freude, die das in mir weckte, habe ich Ihnen geantwortet und werde ich Ihnen immer antworten. Erheben Sie mich also nicht deshalb, aber bleiben Sie mir gut, erhalten Sie mir Ihr Vertrauen; schreiben Sie mir so herzlich, so vertrauend als jetzt, lassen Sie sich ganz mit mir gehen, wie ich mit Ihnen, und glauben Sie nicht, daß mir Ihre Briefe je zu häufig kommen, je zu weitläufig sein könnten. Es gibt nichts Beglückenderes für einen Mann als die unbedingte Ergebenheit eines weiblichen Gemüts. Ich bin weit entfernt, den mindesten Anspruch an Sie zu machen. Ich kann kein Recht dazu besitzen. Sie können nur ein schwankendes Bild von mir in der Seele tragen. Ich muß jetzt, von Geschäften, Sorgen, Zerstreuungen zerrissen, Verzicht darauf tun, Ihnen irgendetwas sein zu können. Aber Sie können mir, wenn Sie fortfahren, mir zu schreiben, wie Sie tun, mir von Ihrem äußeren und inneren Leben zu erzählen, mit mir ohne Rückhalt so vertraulich umzugehen, wie es Ihren ersten Empfindungen für mich entsprochen hätte, eine Freude geben, die ich mit inniger und wahrer Dankbarkeit empfangen werde. Schreiben Sie mir also ja von Zeit zu Zeit, und je länger, je besser. Sie schreiben natürlich und ausgezeichnet gut außerdem, und lassen Sie mich die Kinderei gestehen, schon Ihre Hand macht mir Freude, sie ist hübsch an sich, und ich erinnere mich ihrer von ehemals. Reden Sie mir aber vor allem von sich selbst! Ihr letzter Brief enthält kaum ein Wort über Ihre Gesundheit. Lassen Sie mich wissen, ob Ihre Kräfte, Ihr gesundes Aussehen, Ihre Heiterkeit zunehmen. Dann muß ich Sie um eins bitten: Warten Sie nie eine Antwort ab, mir zu schreiben; seien Sie großmütig, rechnen Sie nicht um Briefe mit mir. Ich habe sehr wenig Zeit. Ich kann nur selten, nur abgerissen schreiben; geben Sie mir und fordern Sie nicht von mir. Sie finden vielleicht in dieser Bitte mehr Freimütigkeit, als ich haben sollte. Aber ich leugne es nicht, daß ich eigennützig mit Ihnen bin, und Sie haben eine zu gute Meinung von mir, die ich gern zur Wahrheit herunterstimme. Sie fragen mich, liebe Charlotte, ob Sie vorerst in Göttingen oder Braunschweig leben sollen, und wollen nichts ohne meinen Willen tun. Damit berühren Sie eine sonderbare Saite in mir. Ich habe es sehr gern, wenn man meiner Bestimmung folgt. Ich will also, daß Sie nach Göttingen gehen sollen, und nicht bloß aus Gefälligkeit für Sie, weil Sie es vorziehen, sondern weil es mir lieber ist. Sie werden dies sehr sonderbar finden und nicht erraten, was mich bestimmen mag. Auch kann ich es Ihnen kaum recht erklären; allein es ist doch nun so, wäre es auch nur, weil ich Sie von Göttingen aus sah, wie ich in Braunschweig war, Sie nicht kannte, und in Göttingen sehr oft an Sie dachte. Überhaupt liebe ich Göttingen, weil ich da in einer Zeit einsam lebte, in der die Einsamkeit bildend ist. Grüßen Sie in meiner Seele den Wall, und schreiben Sie mir, wenn Sie da sind, auch von den Menschen dort.
Nun leben Sie wohl, teure Frau, und werden Sie mir nicht fremd. Es ist ein wunderbares Verhältnis unter uns. Zwei Menschen, die sich vor langen Jahren drei Tage sahen und schwerlich je wieder sehen werden. Aber es gibt in dieser Art der wahren und tiefen Freuden so wenige, daß ich mich schämen würde, mit dem Geständnis geizig zu sein, daß Ihr Bild von damals her mit allen Gefühlen meiner Jugend, jener Zeit, und selbst eines schöneren und einfacheren Zustandes Deutschlands und der Welt, als der jetzige ist, innig in mir zusammenhängt. Ich habe überdies eine große Liebe für die Vergangenheit. Nur was sie gewährt, ist ewig und unveränderlich, wie der Tod, und zugleich wie das Leben warm und beglückend. Mit diesen unwandelbaren Empfindungen Ihr H.
An Karoline.
Wien, 20. Dezember 1814
Wie gern wäre ich bei Euch, Ihr Lieben! Aber dazwischen liegt noch viel und viel Unangenehmes. Was mich eigentlich schmerzt, ist, daß die Sachen gewiß sich nicht rein und ordentlich auflösen. Glaube mir, Du selbst hast es oft angedeutet: das böse Prinzip, das noch, wenn auch unter anderen Gestalten, als gerade Napoleon und die Franzosen waren, herumschleicht, rein und ordentlich und gründlich zu unterdrücken, hätte der Krieg anders geführt und geendigt werden müssen; es gehört ein zweiter dazu, der früh oder spät auch nicht fehlen wird, in dem aber auch das gute Prinzip untergehen kann. Denn nur sehr wenige sind zur Erkenntnis gekommen. Nichts ist und nichts wird, wenn es auch noch so leidlich ginge, rein ausgemacht, nicht der Krieg, nicht der Pariser Frieden, nicht der Kongreß. Ich stehe dabei am allerschlimmsten da, weil ich die Sachen rein sehe, wie sie sind, meistens ehe man sie mir glaubt, und sie wie einen Strom muß hingehen lassen, den keine Gewalt aufhält. Ich frage mich wohl manchmal, was ich eigentlich darin mache, da ich gar kein Stoff bin, den von Natur eine Verwandtschaft dazu hinzieht. Aber wie ich einmal stehe, wie ich tief hineingekommen bin und, wenn ich lebe, heute oder morgen die Verpflichtung bekommen kann, für die Sache einzustehen, so weiche ich nun nicht davon, sondern setze, wenn auch die Sache künftig stürmisch werden sollte, das Äußerste daran. Jetzt habe ich, wie ich Dir einmal mündlich erklären werde, nicht viel tun können; aber ich habe seit zwei Jahren sehr viel Erfahrung gesammelt und viel Übung erworben und bin besser und brauchbarer geworden.
Daß der Kongreß in Wien wäre, hätte man nie zugeben sollen, und ich habe es in Paris schon laut genug gesagt, selbst die Nähe der Kabinette ist schädlich.
Ich habe wieder am Agamemnon gearbeitet. Der Prolog, mit dessen ersten Versen ich besonders immer unzufrieden war, ist jetzt recht gut geworden. Der Chor vor dem Erscheinen des Agamemnon, der einer der schönsten ist, ist nun auch zum Druck fertig. Es vergeht selten ein Abend, an dem ich nicht etwas mache. Wären es auch nur ein paar Verse, es macht den Geist frei und erhält einen in einer würdigeren Sphäre. Die Wirklichkeit behält, selbst wenn es sich um die edelsten Dinge handelt, immer etwas, das leicht gemein oder dürftig wird. Das ist in der Liebe das Tiefrührende, daß sie das überirdische im Irdischen sucht. In diesem bis auf einen Punkt immer vergeblichen Ringen drückt sich die edelste Dürftigkeit der menschlichen Natur aus, die das reinste Mitleiden weckt, das gleichsam die Quelle alles ewigen Hohen ist...
Wien, 29. Dezember 1814.
Es ist mir sehr lieb, wenn Du Gneisenau öfter siehst. Er ist, seine Schwäche, nämlich eine beinah kindische Eitelkeit abgerechnet, sehr brav und sehr klug. Er meint, daß ein Krieg über Polen der erste und nächste sein werde. An einen über Sachsen scheint er also nicht zu denken. Ich zweifle auch daran; allein die Ansichten sind doch so so, und daß wir ganz Sachsen, wie ich immer darauf bestehen werde, ohne Krieg oder dringende Gefahr des Krieges haben können, glaube ich nicht.
Es war noch heute eine Konferenz bei Metternich, und es ist mir immer ganz sonderbar, daß in derselben Stube, in der ich soviel von der Allianz gesprochen, jetzt ganz andere Reden fallen. Im Grunde ist's aber immer dasselbe. Es ist auch jetzt noch der gleiche Kampf zwischen denen, die dem Französischen unter allen Gestalten und den alten Anhängern Napoleons geneigt sind, und denen, die dies in Abscheu haben.
Blücher grüße, wenn Du ihn siehst. Ich habe ihn gern und habe ihn freilich sehr lustig gesehen. Er ist ein närrischer Mensch, dem man immer sehr gut sein muß...
Ich habe heute mir selbst einen Beweis von innerer Elastizität gegeben, über den ich selbst habe lachen müssen, als es vorbei war. Ich hatte von 9 bis 12 eine langweilige, von da bis 4 eine unangenehme Konferenz gehabt, war sehr verstimmt über alle großen Sachen, bekam zwei Briefe, die mich (die Ursache wäre zu weitläufig zu erzählen) mehr als bloß unangenehm affizierten, erfuhr erst um Mittag, daß ich nicht beim Kanzler essen konnte, machte drei fehlgeschlagene Versuche, anderswo zu essen, hatte nichts zu Hause, da mein Koch krank ist, kam nüchtern nach 5 Uhr in meine Stube, setzte mich so hin zu arbeiten und war nach einer Stunde Beschäftigung so heiter geworden, daß ich über alle meine Unglücksfälle für mich lachte und sehr gut gestimmt bis 10, wo ich zur B. fuhr, um wenigstens zu soupieren, fortarbeitete. Dahin wird es Theodor, wenn ihn etwas ärgert, nicht bringen; allein dahin bringt man es auch nie, wenn man sich nicht früh gewöhnt hat, alle äußeren Eindrücke von innen heraus zu beherrschen. Was anfangs der Wille erzwingt, tut hernach die Natur und die Stimmung von selbst und mit Leichtigkeit.
Wien, 5. Januar 1815
... Wenn der Kongreß ein friedliches Ende nimmt, so wird man natürlich den Gesandten Dosen geben. Mir werden sie sehr verhaßt sein. Ich verabscheue nichts so sehr in der Seele als Privatvorteile für Dinge, die ich nicht für das Ganze gelungen halte. Indes wird es nun doch, wenn nicht ein Bruch entsteht, so sein. Nun sind unsere großen Konferenzen von acht Mächten; bloß diese also gerechnet kann ich und werde ich vermutlich sieben Dosen bekommen. Die französische habe ich auch noch. Was soll ich nun damit machen? Die Steine wären vermutlich genug, um etwas recht Hübsches daraus zu machen und Dir auf einmal Juwelen zu schaffen, in Geld kann man acht Dosen auf 20 bis 24 000 Taler anschlagen. Du machst Dir nichts aus dem Schmuck; aber ich hätte auch gern, daß Du Diamanten besäßest. Sage mir, was Du davon denkst.
Wien, 18. April 1815.
Es hat mich sehr glücklich gemacht, daß ich die Erlaubnis des Königs noch gestern erhielt. Es schmerzt mich unendlich, jetzt gerade nicht bei Euch zu sein. Das liebe, kleine Mädchen so in der ersten, fast noch bewußtlosen Liebe, die sich gewiß mit jedem Tage mehr und schöner entfaltet, zu sehen, würde mich sehr glücklich machen. Überhaupt ist jede Blüte des Lebens abgestreift, seitdem ich nicht mehr mit Dir bin, und manchmal, wenn ich die Ungewißheit dieser neuen Trennung bedenke, kommt mir das Leben wie schon geendet vor. Das Eigenste und Beste ist dahin, aufs Unsichere dahin, ob man es je wieder dauernd faßt; und mit der Tätigkeit, mit dem Wirken ist es, wenn man sich nur keine Täuschungen macht, eine Sache, an der kein Mensch, der sich seiner und seines Erfolges recht bewußt ist, ein eigentliches Genüge finden kann. Wie wenig unter dem, was geschieht, ist eigentlich gut, und wie wenig dieses Guten kann man behaupten, nur hauptsächlich gemacht zu haben? Dagegen ist das meiste schlecht oder mittelmäßig und fast nichts dieser Art, an dem man nicht einigen Teil hätte. Daß ich nicht bei Adels Heirat bin, ist mir ein großer Schmerz. Es ist eins der Unglücke, die der Kongreß über mich bringt, der mir in jeder Hinsicht ungünstig ist, und vor dem ich mich auch recht instinktmäßig geekelt habe.
An äußere Arrangements ist in der Schnelligkeit auch nicht zu denken. Papa würde außer sich gewesen sein, wenn er eine Heirat hätte ohne Ehetraktat machen sollen. Hedemann hat, soviel ich weiß, sehr wenig oder nichts.
Ich sehe wie Du diese Heirat als eine der wunderbarsten Fügungen des Schicksals an. Sie ist's in jeder Rücksicht... Das Gefühl, daß sich das geliebte Kind nun so von Vater und Mutter losreißt und einem eigenen Weg folgt, begreife ich vollkommen. Es gibt keine Verbindung, die keine Scheidung wäre zugleich; aber darum ist es auch umgekehrt so, und wie man sich vom Irdischen losreißt, umfaßt man das Ewige. Da der Mensch immer zwischen beiden schwankt, verbringt er auch das Leben zwischen Freude und Schmerz, und das Gefühl, das beide verknüpft und in dem beide ineinander übergehen, ist die Wehmut, in ihrer letzten Auflösung nur die tiefe und mit unendlicher Sehnsucht und unendlichem Vermissen verbundene Ahnung dieses Zwitterzustandes der Menschheit. Sie gehört daher auch nur den seelenvollsten Menschen an, die minder in der Wirklichkeit als in jener ewig unergründeten Tiefe leben. Die anderen betäubt die Freude oder macht der Schmerz, der ohne sie furchtbar und entsetzend ist, starr.
Die Freude Karolinens über Adels Verlobung zeichnet wirklich sehr ihre tiefe innere Güte. Nach Karlsbad mußt Du armes Kind also doch mit ihr! Mit dem Magnetisieren laß doch fortfahren, wenn es so gut zu wirken scheint. Es ist eine wunderbare Sache damit. Hier war eine Somnambule, die viele besucht haben.
Stein ist so erstaunt und gerührt gewesen, daß er ganz außer sich geweint haben soll. Ich liebe übrigens den Magnetismus nur wie eine Arznei. An sich ist mir diese Herrschaft über ein fühlendes Wesen entsetzlich widrig. Es ist eine wahre Begünstigung einer Rebellion der Nerven gegen das Gehirn, an dessen Stelle jene auf einmal sich zu denken und zu räsonieren herausnehmen. Es hat auch etwas Niederschlagendes für die Menschheit, daß die höhere Kraft, die augenblicklich wach wird, sich immer nur im Kreise des physischen Wohl- oder Übelbefindens hält. Wenn wenigstens manchmal nur der Magnetismus auch für andere Dinge, für Ideen begeisterte, wie es die Alten von den Prophetinnen glaubten. Es ist indes die Frage, ob das nicht zu bewirken wäre, wenn man dem Gehirn beikommen und dies, als den eigentlich dem Denken gewidmeten Teil, magnetisieren könnte...
Karoline an Humboldt.
Berlin, 24. April 1815, kurz vor Mitternacht.
Adelheid ist getraut, mein teurer Wilhelm, und vor einer halben Stunde habe ich sie dem geliebten Mann in die Arme geführt. – Nachdem ich Dir letzthin geschrieben, kam Dein geliebter Brief mit der Beilage, die Du August einschlossest. Ich schickte sie ihm; er kam augenblicklich zu uns und fand eben Schleiermacher bei mir, der seine letzte Stunde gegeben und zwei Stunden später Adelheid in der Kirche einsegnen sollte.
Sonnabend, den 22., um 2 Uhr nachmittags, wurde sie eingesegnet, nachdem Schleiermacher erst eine allgemeine Vorbereitung für das Abendmahl, das den Sonntag gehalten werden sollte, von der Kanzel abgehalten hatte. Er ging darauf herunter, trat vor den Altar, vor dem sie allein saß, und redete sie mit kurzen, aber unendlich schönen Worten an und ließ sie ihr Glaubensbekenntnis ablegen. Außer Hedemanns Familie und uns war, das fremde Publikum abgerechnet, Prinzessin Wilhelm nach der Kirche gekommen und gab durch ihre tiefe Rührung zu erkennen, welchen Anteil sie an Augusts Glück, an Adelheids kindlicher Liebe und Unschuld und der ganzen Handlung nahm.
Den 23. kommunizierte Adel. Ich und Karoline haben mit ihr das Abendmahl genommen. Heute nun wurde sie von Schleiermacher in derselben Kirche getraut. Prinz und Prinzeß Wilhelm hatten gewollt, daß die Hochzeit auf dem Schlosse sei. Beide waren gegenwärtig, alle königlichen Kinder ohne Ausnahme, Prinz Radziwill, Prinzessin Luise mit ihren Kindern, mit einem Wort alles. Die Kirche war außerdem gedrängt voll Menschen. Der Prinz schickte einen Staatswagen, um Adelheid mit August, Augusts Mutter und mich abzuholen. Schleiermachers Rede war wundervoll, ganz diesem Brautpaare angemessen; nicht so, daß es ihre Bescheidenheit hätte stören können, doch so, daß sie für kein anderes Paar gepaßt hätte, so individuell hineinverflochten war die Erwähnung seines Standes, der gewaltigen Zeit, ihrer zarten Jugend, Deiner Freundschaft und Deines Vertrauens auf August. Tief und innig waren alle davon ergriffen, der Prinz, die Prinzessinnen und die königlichen Kinder alle so gerührt, daß ich das gar nicht aussprechen kann. – Auf dem Schloß war alles festlich, eine äußerst schöne Kollation (das eigentliche Souper hatte August verbeten), es wurde zwischeninne ein wenig getanzt. Um 11 Uhr nahm Prinzeß Luise der Braut den Kranz ab, der dann ausgetanzt wurde. (Ihr Brautkleid war weiß, mit Silber gestickt und mit schönen Spitzen besetzt, sie sah wie eine Fürstin aus, das ist wahr.) Noch einmal wurde auf des jungen Paares Gesundheit getrunken, und unter Pauken und Trompeten führte Prinz Wilhelm die liebe Kleine bis zur Treppe, und somit stiegen wir in unseren Wagen und fuhren nach Haus. ...
Unaussprechlich wehmütig macht es mich oft, daß Du das holde Kind nicht jetzt sehen und sein Glück und seine Innigkeit mit genießen kannst. Doch hat es, ich will's Dir nicht leugnen, auch was Schmerzliches, wenn sich das eigenste und tiefste Leben, das Kind, das man mit seinem eigenen Leben und seiner Liebe gepflegt und großgezogen hat, nun gleichsam abtrennt vom mütterlichen Herzen.
Man wird mir tausendmal sagen, daß es nicht so ist; doch ist alles Leben ein Aufkeimen, Wachsen, Blühen, in voller Üppigkeit Stehen und wieder Vergehen, – und es ist keine Freude auf Erden, keine, der nicht die tiefste Wehmut beigemischt wäre. Das muß auch so sein; das ist das Band, woran der Himmel uns hält und leise uns zu sich zieht. –
Karoline ist sehr liebend, mild und gütig; aber von tieferer Sehnsucht nach einem ähnlichen Glück der Liebe scheint ihr Herz ganz frei. Mir ist das unbegreiflich, ganz, ganz unbegreiflich. ...